Im Rahmen ihres interdisziplinären Projekts am Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg zum Thema „Gesellschaftliche Selbstermächtigung: Ausmaß, Gründe, Folgen, Maßnahmen“ haben Peter Kirsch (Psychologie), Hanno Kube (Öffentliches Recht) und Reimut Zohlnhöfer (Politikwissenschaft) eine Umfrage zur Wahrnehmung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in der deutschen Bevölkerung durchgeführt. Zwischen dem 30. Juni und dem 07. Juli 2020 wurden 1351 Teilnehmer eines Online-Access-Panels befragt, wobei das Sample bevölkerungsrepräsentativ nach Geschlecht, Alter und Bildung ist. Im Folgenden werden erste Befunde aus dieser Befragung präsentiert.
Die Bundesregierung scheint die Bevölkerung mit ihrer Strategie zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zu überzeugen. So gaben über zwei Drittel der Befragten (68,3%) an, mit der Arbeit der Bundesregierung im Hinblick auf die Eindämmung der Corona-Pandemie zufrieden zu sein, 37 Prozent waren sogar sehr zufrieden. Eher oder sehr unzufrieden waren dagegen nicht einmal ein Viertel der Befragten (23,7%). Entsprechend fanden auch knapp zwei Drittel der Befragten (64,7%) die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wie die Schließung von Kindergärten und Schulen sowie Geschäften, die Einschränkungen bei Freizeitaktivitäten und die Kontaktbeschränkungen richtig. Gut 15 Prozent (genau 15,3%) gingen die ergriffenen Maßnahmen sogar nicht weit genug, während ein Fünftel der Befragten (19,8%) die Maßnahmen als zu einschneidend einschätzte.
Die überwiegende Mehrheit der Befragten gibt zudem an, sich selbst immer (39,7%) oder doch meistens (42,3%) an die coronabedingten Einschränkungen gehalten zu haben. Dagegen machen diejenigen, die angeben, sich selten oder nie an die Einschränkungen gehalten zu haben, eine verschwindend kleine Minderheit aus (zusammen 3,5%; fehlender Rest gab die beiden Mittelkategorien an). Die Furcht, von der Polizei oder dem Ordnungsamt bei Verstößen gegen die Corona-Verordnungen erwischt zu werden und entsprechende Folgen tragen zu müssen, scheint in diesem Zusammenhang eine nennenswerte Rolle gespielt zu haben. Zwar hielten es nur rund 10 Prozent der Befragten (10,3%) für sehr wahrscheinlich, bei Verstößen gegen die Corona-Verordnung entdeckt zu werden, ein weiteres Viertel hielt dies immerhin für eher wahrscheinlich (25,1%). War die Angst davor, überhaupt entdeckt zu werden, demnach eher moderat, wurden die Folgen einer möglichen Entdeckung durchaus als erheblich wahrgenommen. So gaben fast 60 Prozent der Befragten (58,7%) an, es wäre für sie schlimm oder sehr schlimm gewesen, bei einer Übertretung der Corona-Einschränkungen erwischt zu werden.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine erhebliche Varianz zwischen den Bundesländern. So hielten es Menschen im Saarland, in Baden-Württemberg und in Mecklenburg-Vorpommern für deutlich wahrscheinlicher als die Befragten im Bundesdurchschnitt erwischt zu werden, und für die Befragten in diesen drei Bundesländern sowie in Bayern wäre es auch wesentlich schlimmer gewesen, erwischt zu werden, als für die durchschnittlichen Befragten. Umgekehrt hielten es vor allem die Befragten aus Brandenburg und Sachsen für weniger wahrscheinlich als die Befragten aus anderen Bundesländern, bei einem Corona-Verstoß erwischt zu werden, während vor allem Befragte aus Hamburg, Rheinland-Pfalz und Bremen es weniger schlimm gefunden hätten, erwischt zu werden. Ob die Varianz bei der Frage, wie schlimm eine Entdeckung gewesen wäre, mit der variierenden Schärfe der Bestrafung für Verstöße gegen die Corona-Verordnungen in den einzelnen Bundesländern in Zusammenhang steht, ist insbesondere für Bayern plausibel, muss allerdings noch genauer untersucht werden.
Statistische Auswertungen zeigen zumindest, dass Personen sich umso eher
an die Corona-Regeln gehalten haben, je wahrscheinlicher es aus ihrer Sicht war, entdeckt zu werden, und vor allem je schlimmer eine Entdeckung für sie selbst gewesen wäre. Aber auch das Alter, das Geschlecht, die Demokratiezufriedenheit, das Gefühl, selbst politischen Einfluss nehmen zu können, die Parteipräferenz sowie die Vorstellung, dass man sich allgemein immer an Gesetze zu halten habe, hängen mit der selbst berichteten Einhaltung der Corona-Maßnahmen zusammen. So gaben Frauen eher als Männer an, sich an die Corona-Einschränkungen gehalten zu haben, aber auch mit zunehmendem Alter und zunehmender Demokratiezufriedenheit hielten sich die Befragten stärker an die Einschränkungen. Menschen, die der Auffassung sind, keinen Einfluss auf die Arbeit der Regierung nehmen zu können, sowie Befragte, die angaben, die AfD wählen zu wollen, tendierten dagegen im Durchschnitt eher zu einer geringeren Befolgung der Corona-Einschränkungen. Schließlich gaben solche Menschen häufiger an, die Corona-Beschränkungen beachtet zu haben, die auch allgemein der Auffassung sind, man müsse sich ohne Ausnahme an die Gesetze halten.
Fragt man danach, welche Maßnahmen die Befragten in Zukunft bereit sind, zur Eindämmung der Pandemie mitzutragen, ergibt sich ein etwas weniger rosiges Bild. Immerhin hatten zwar in den ersten knapp drei Wochen seit Einführung der Corona-Warn-App rund ein Drittel der Befragten diese bereits installiert (32,2%). Von denjenigen, die die App noch nicht heruntergeladen hatten, gaben weitere 19 Prozent an, dies wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich noch zu tun (18,9%), während knapp 10 Prozent aller Befragten (9,5%) sagten, dass sie kein Smartphone besäßen oder die App sich auf diesem aus technischen Gründen nicht installieren lasse. Gut 45 Prozent der Befragten (45,3%) erklärten aber auch, dass es eher oder sogar sehr unwahrscheinlich sei, dass sie die App in Zukunft noch installieren würden. Für die zukünftige Verbreitung der Corona-App lässt sich hieraus eine wahrscheinliche Anwendungsobergrenze prognostizieren. Zumindest die 30 Prozent der Befragten (30,1%), die es als sehr unwahrscheinlich bezeichnen, dass sie die Corona-Warn-App noch installieren werden, dürften auch zukünftig kaum zu einer Installation der App zu bewegen sein. Hinzu kommen die zehn Prozent, bei denen die technischen Voraussetzungen für die App fehlen. Somit könnte der Verbreitung der App eine Grenze bei rund 60% der Bevölkerung gesetzt sein.
Überraschend niedrig scheint auch die Bereitschaft zu sein, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen, sollte ein Impfstoff in Zukunft verfügbar sein. Nur knapp 55 Prozent der Befragten geben an (54,7%), dies ziemlich oder sehr wahrscheinlich tun zu wollen. Ein knappes Viertel der Befragten (23,6%) schätzte es dagegen als wenig oder überhaupt nicht wahrscheinlich ein, dass sie sich impfen lassen würden, sollte es einen Impfstoff geben.
Angesprochen auf die mit den bisherigen Corona-Maßnahmen verbundenen Grundrechtseinschränkungen sind die Befragten mehrheitlich unbesorgt. 46,2 Prozent von ihnen sind der Meinung, dass die Einschränkungen von Grundrechten zum Schutz vor der Corona-Pandemie vollkommen gerechtfertigt waren, ein weiteres Viertel (26,1%) fand die Einschränkungen eher gerechtfertigt, während nicht einmal ein Viertel (22,4%) die Einschränkungen als eher oder überhaupt nicht gerechtfertigt einschätzte. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Befragten sich um Grundrechtsschutz und Gewaltenteilung in Krisenzeiten keine Gedanken machen. So widersprachen gut 46 Prozent der Befragten (46,2%) der Aussage, die Bundesregierung solle zur Eindämmung der Corona-Pandemie weitreichende Maßnahmen auch ohne Zustimmung des Bundestages beschließen können, knapp 43 Prozent (42,9%) stimmten ihr zu. Zudem vertraut eine Mehrheit der Befragten (54,9%) darauf, dass Gerichte die Rechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber zu weitreichenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wirksam schützen (wenig Vertrauen 19,3%; kein Vertrauen 14,5%).
Während die Grundrechtseinschnitte von fast drei Vierteln (72,3%) der Bevölkerung akzeptiert wurden, fällt die Abwägung zwischen gesellschaftlichem Nutzen und wirtschaftlichem Schaden des Lockdowns deutlich kritischer aus. Hier sind über die Hälfte der Befragten (52,4%) der Auffassung, dass der wirtschaftliche Schaden der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie größer war als der gesellschaftliche Nutzen. Dies könnte mit der Risikoeinschätzung der Befragten zusammenhängen: Zwei Drittel (66,2%) der Befragten, die nicht schon einen Covid-19-Fall in der Familie hatten bzw. selbst erkrankt sind, halten es für unwahrscheinlich, dass sie oder jemand aus ihrer Familie sich mit dem Corona-Virus infiziert, während nicht einmal jeder Fünfte (18,4%) eine entsprechende Ansteckung in der Familie für wahrscheinlich hält (sehr wahrscheinlich sogar nur 4%). Tatsächlich findet sich hier auch ein statistisch signifikanter, wenngleich nicht besonders starker Zusammenhang: Je geringer eine Person die Wahrscheinlichkeit einschätzt, dass sich jemand aus seiner Familie mit dem Corona-Virus ansteckt, desto eher schätzt diese Person den wirtschaftlichen Schaden der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie höher ein als deren gesellschaftlichen Nutzen.
Aus psychologischer Sicht interessant ist der Zusammenhang zwischen der Akzeptanz und Befolgung von Anti-Corona-Maßnahmen und der Tendenz, an Verschwörungstheorien zu glauben, die sog. „Verschwörungsmentalität“. Hier finden sich signifikante Zusammenhänge mit der Zufriedenheit mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung, der Einstellung zur Corona-App, der Bereitschaft sich impfen zu lassen und der Abschätzung zum Verhältnis zwischen gesellschaftlichem Nutzen und wirtschaftlichem Schaden. Je stärker die Verschwörungsmentalität der Befragten ausgeprägt war, desto weniger zufrieden waren sie mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung, desto seltener waren sie bereit, die Corona-App zu installieren oder sich impfen zu lassen und desto höher schätzten sie den wirtschaftlichen Schaden im Verhältnis zum gesundheitlichen Nutzen ein.
Ein wichtiger Einflussfaktor, der hier ebenfalls eine Rolle spielt und mit Verschwörungsmentalität assoziiert ist, ist das interpersonelle Vertrauen. Menschen mit höherer Verschwörungsmentalität haben weniger Vertrauen in ihre Mitmenschen und dieses interpersonelle Vertrauen ist ebenfalls mit der Bereitschaft, die Corona-App zu installieren oder sich impfen zu lassen, assoziiert.
Vertrauen spielt aber nicht nur im interpersonellen Kontext eine Rolle, sondern auch hinsichtlich des Vertrauens in die Regierung und die Medien. Menschen, die ein höheres Vertrauen in die Bundesregierung angeben, zeigen nicht nur eine niedrigere Verschwörungsmentalität, sondern auch eine höhere Zufriedenheit mit dem Krisenmanagement der Regierung und eine größere Bereitschaft, die Maßnahmen zu befolgen, die Corona-App zu installieren sowie sich impfen zu lassen. Die gleichen Zusammenhänge finden sich für das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Printmedien.
Kontakt:
- Reimut Zohlnhöfer:
reimut.zohlnhoefer@ipw.uni-heidelberg.de - Peter Kirsch:
Peter.Kirsch@zi-mannheim.de - Hanno Kube:
kube@uni-heidelberg.de