Bei Temperaturen ab 30 Grad Celsius kam es in Deutschland im Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2018 zu 40 hitzebedingten Klinikeinweisungen je einer Million Älterer – zusätzlich zum normalen Tagesschnitt von 1.350 Einweisungen. Das entspricht drei Prozent aller Krankenhauseinweisungen an Hitzetagen in dieser Altersgruppe. Dies hat das MCC auf Grundlage der Abrechnungsdaten aller Krankenhausbehandlungen der über 65-jährigen AOK-Versicherten für die Jahre 2008 bis 2018 ermittelt.
Besonders hitzegefährdet sind Menschen mit Demenz und Alzheimer sowie anderen Erkrankungen wie zum Beispiel Niereninsuffizienz, Depressionen, Diabetes und chronischen Atemwegserkrankungen, insbesondere ältere Männer mit Vorerkrankungen. Die erhöhte Gefährdung der Demenz- und Alzheimerkranken könnte mit einem erhöhten Risiko einer Dehydrierung zusammenhängen. Bei dem am stärksten gefährdeten Prozent der über 65-Jährigen wurden bis zu 550 weitere Klinikeinweisungen je Million Älterer erreicht – rund das 14-fache des Durchschnitts von 40 Einweisungen.
Gesundheitliche Gefährdung wird nicht allein durch Hitze beeinflusst
Es hängt jedoch nicht nur von der Hitze ab, ob ein Mensch an einem heißen Tag im Krankenhaus behandelt werden muss. „Die Beziehungen zwischen Temperatur und gesundheitlichen Auswirkungen werden von einer Reihe komplexer und interagierender Faktoren beeinflusst, darunter biologische, ökologische, medizinische, soziale und geografische Faktoren“, so Dr. Nicolas Koch, Leiter des Policy Evaluation Lab am MCC. Wo der Anteil an Pflegebedürftigen, die in Heimen oder durch Pflegedienste betreut werden, größer ist und wo mehr Pflegepersonal zur Verfügung steht, ist das Risiko einer hitzebedingten Klinikeinweisung geringer. „Möglicherweise hilft die professionelle Betreuung, Hitze-Stress zu lindern.“ Das schließt jedoch nicht aus, dass Regionen mit einer guten Pflegestruktur aus anderen Gründen hohe Fallzahlen hitzebedingter Krankenhauseinweisungen aufweisen können. In urbaneren Gebieten leben durchschnittlich weniger Versicherte, die besonders hitzegefährdet sind. Das könne etwa an einer besseren medizinischen Infrastruktur sowie der häufigeren Nutzung von Warnsystemen und Aktionsplänen liegen. Dennoch könne es auch in der Stadt besonders hohe Fallzahlen hitzebedingter Krankenhauseinweisungen geben, zum Beispiel aufgrund der durch Bodenversiegelung verschärften höheren Hitzebelastung. „Die Ergebnisse zeigen, dass die gesundheitlichen Auswirkungen von Hitzebelastungen in einer Region nicht nur an einem Kriterium festgemacht und beschrieben werden können. Insgesamt gilt aber, dass die Hitze, insbesondere für viele ältere Menschen, mit deutlichen gesundheitlichen Problemen einhergeht“, so Dr. Koch.
Auch im regionalen Vergleich zeigt sich ein äußerst heterogenes Bild: Menschen, die besonders hitzegefährdet sind, leben nicht zwangsläufig in den am meisten von Hitze betroffenen Regionen. Im besonders heißen Jahr 2018, in dem in vielen Regionen die 40-Grad-Marke überschritten wurde, kristallisierten sich Hotspots entlang zweier geografischer West-Ost-Bänder heraus: Eines zog sich vom Weser-Ems-Gebiet zur Niederlausitz und ein zweites vom Rhein-Main-Gebiet nach Niederbayern.
Prognosen anhand von
zwei Szenarien
Doch auch wer heute in einer weniger heißen Region wie etwa im Norden Deutschlands lebt, könnte zukünftig deutliche Veränderungen erleben. Vor allem dann, wenn der Klimawandel ungebremst voranschreitet. Die MCC-Analyse hat für ihre Zukunftsprognose zwei Szenarien des Weltklimarats für 2050 und 2100 zugrunde gelegt. Im besten Fall, wenn der globale Temperaturanstieg deutlich unter zwei Grad gehalten wird, bleibt die Situation in etwa gleich. Doch wenn keine weiteren Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt würden und die Erderwärmung bis 2100 um bis zu fünf Grad steigen sollte, hätte das weitreichende Folgen: Verglichen mit dem Durchschnitt in den Jahren 2009 bis 2018 würde die Zahl der hitzebedingten Krankenhauseinweisungen bis zum Jahr 2050 bereits um 85 und bis zum Jahr 2100 um 488 Prozent steigen. In diesem Worst-Case-Szenario kommt man auf eine Versechsfachung der hitzebedingten Krankenhauseinweisungen. „Dies verdeutlicht, dass eine strikte Klimapolitik, die den weiteren Temperaturanstieg begrenzt, die effektivste Maßnahme ist, um eine Belastung des Gesundheits- und Pflegesystems zu vermeiden“, so Dr. Koch. Ein besseres Verständnis dieses wichtigen Aspektes könne helfen, die Akzeptanz für Klimapolitik zu stärken.
Anpassungsstrategien weiter erforschen
Die bereits heute spürbaren Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit werden sich voraussichtlich in Zukunft weiter verstärken. Diese Prognose stellt Dr. Alexandra Schneider, Meteorologin und Epidemiologin am Helmholtz Zentrum München und Mitherausgeberin des Versorgungs-Reports „Klima und Gesundheit“. Deshalb sei es dringend notwendig, wirkungsvolle Anpassungsstrategien weiter zu erforschen und die potenziellen gesundheitlichen Vorteile, sogenannte Co-Benefits, die mit Klimaschutzmaßnahmen einhergehen, besser zu untersuchen. Es sei unumstritten, dass Klimaschutzmaßnahmen positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Die Reduktion von Schadstoffen in der Luft wirke sich beispielsweise unmittelbar auf die Häufigkeit chronischer Erkrankungen aus. Darüber hinaus trägt die Förderung des Radfahrens, Zu-Fuß-Gehens und der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zur Steigerung der körperlichen Aktivität bei.
Präventive Verhaltensmaßnahmen etablieren
Die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels erfordern künftig verstärkt Maßnahmen im Bereich Gesundheitsschutz und Prävention. Diese Schlussfolgerung lässt sich anhand einer deutschlandweiten Befragung durch das WIdO ziehen. „Ziel unserer Befragung war eine Bestandsaufnahme zum Informationsstand und Schutzverhalten der Bevölkerung mit Blick auf gesundheitliche Belastungen und Risiken, die nachweislich im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen“, so Christian Günster, Leiter des Bereichs Qualitäts- und Versorgungsforschung beim WIdO. Demnach sind weite Teile der Bevölkerung noch nicht umfassend über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit informiert.
Bei Umweltereignissen wie Hitze oder Unwetter zeigt fast ein Drittel der Befragten (31 Prozent) klaren Informationsbedarf. Noch deutlicher zeigen sich Informationsdefizite bei Umweltereignissen, deren gesundheitliche Auswirkungen durch den Klimawandel verstärkt werden, wie erhöhte Belastung durch Luftverschmutzung, Pollenallergene oder durch Wasser und Lebensmittel übertragene Krankheitserreger. 40 bis 50 Prozent der Befragten geben an, hier nicht ausreichend informiert zu sein.
Risikowahrnehmung und Schutzverhalten
„Die Auswirkungen, die der Klimawandel auf die eigene Gesundheit hat, bereiten heute schon vielen Menschen erhebliche Sorgen“, so Günster. Rund die Hälfte der Befragten (52 Prozent) zeigt sich mit Blick auf die eigene Gesundheit „ziemlich“ oder „sehr“ besorgt wegen der zunehmenden Hitzeperioden.
Erhöhte Schadstoffbelastungen in der Atemluft, UV-Strahlen- oder Pollenbelastungen werden seltener als besorgniserregend für die eigene Gesundheit wahrgenommen, obwohl sie aus umweltmedizinischer und epidemiologischer Sicht nicht weniger gesundheitsrelevant sind. „Möglicherweise werden diese Gefährdungen weniger direkt erlebt“, so Günster.
Verbesserungsfähig, so das Ergebnis der WIdO-Befragung, ist das individuelle Schutzverhalten. Während die meisten Befragten ihr Trinkverhalten an heißen Tagen anpassen (87 Prozent), werden andere Schutzmaßnahmen vergleichsweise seltener umgesetzt. Ein gutes Sonnenschutzmittel zum UV-Schutz verwenden weniger als die Hälfte der Befragten (46 Prozent). Noch weniger Personen (32 Prozent) schützen sich mit hautbedeckender Kleidung. Nur 29 Prozent achten darauf, bei erhöhter Belastung der Atemluft, beispielsweise durch Feinstaub oder Ozon, körperliche Belastungen und Sport zu vermeiden. Das von Medizinern empfohlene Verhalten bei erhöhtem Pollenflug setzen nur zwischen 23 und 33 Prozent der Pollenallergiker um.
Warnsysteme zu selten genutzt
„Vorhandene Informations- und Frühwarnsysteme zu Umweltbelastungen könnten noch deutlich intensiver genutzt werden. Diese Dienste können das individuelle Risikobewusstsein schärfen und somit helfen, Gefährdungen besser zu bewältigen“, so Günster. Am häufigsten wird gemäß der Befragung der Pollenfluginformationsdienst genutzt (etwa 20 Prozent). Aber selbst in der Gruppe der Pollenallergiker haben drei Viertel kein Interesse oder kennen das Angebot nicht. Informationsdienste zu Hitzebelastungen werden von weniger als einem Fünftel der Befragten (19 Prozent) genutzt. Warn- und Informationsdienste zur UV-Strahlenbelastung beziehungsweise zur Luftqualität nutzen nur elf beziehungsweise sieben Prozent der Befragten.
Für Klimawandel sensibilisieren
Der Versorgungs-Report „Klima und Gesundheit“ gibt in der Gesamtheit einen Überblick über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit. In insgesamt 16 Fachbeiträgen stellen renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowohl die globale Bedeutung des Klimawandels für die Gesundheit als auch dessen Auswirkungen und Herausforderungen für die medizinische Versorgung in Deutschland dar. Thematisiert werden die resultierenden Gesundheitsbelastungen sowie der sich ergebende Handlungsbedarf, sei es auf struktureller und organisatorischer Ebene des Gesundheitswesens oder auf der Ebene des individuellen Verhaltens.