Vorbemerkung der Fragesteller
Die Zahl der atypisch Beschäftigten bei Neueinstellungen steigt seit Jahren an, wie die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/4046 zeigt. Als Folge dieser Entwicklung findet sich mehr als jede zweite Neueinstellung in einer atypischen Beschäftigung wieder.
In einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zeichnen sich atypische Beschäftigungsformen oft durch Abweichungen vom jeweiligen tarif-, unternehmens- oder betriebsüblichen Standard hinsichtlich Arbeitszeiten, Entlohnung oder Bestandssicherheit aus (https://kurzelinks.de/rz58). So führt atypische Beschäftigung aus Sicht der Fragesteller zu einer Spaltung der Belegschaften.
Zugleich ist eine Steigerung der Krankentage zu beobachten (Bundestagsdrucksache 19/13689). Deutlich stark fallen hierbei die psychischen Erkrankungen auf, die sich in den letzten zehn Jahren mehr
als verdoppelt haben. Es gibt einen
Zusammenhang zwischen krankmachenden Arbeitsbedingungen und atypischer Beschäftigung, das zeigen wissenschaftliche Studien (vgl. iga.Report 39, 2019; BAuA Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Atypische Beschäftigung, 2016).
Die Bundesregierung wird befragt, welche Auswirkungen atypische Beschäftigungen auf die Gesundheit haben.
Vorbemerkung der Bundesregierung
Für die Beantwortung der Fragen 3 bis 8 und 14 bis 15 werden die Ergebnisse aus dem Scoping Review „Atypische Beschäftigungsverhältnisse“ herangezogen, das im Rahmen des Projektes „Psychische Gesundheit der Arbeitswelt“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin durchgeführt wurde. Das Review beruht auf 247 Querschnitts- und Längsschnittstudien zum Zusammenhang von atypischen Beschäftigungsformen und (psychischer) Gesundheit sowie weiteren Ergebnismaßen (Arbeitszufriedenheit, Motivation, Leistung), die zwischen 2000 und 2015 veröffentlicht wurden. Zur Beantwortung der folgenden Fragen werden stichprobengewichtete Durchschnittseffektstärken (in Cohen‘s „d“) berichtet, die für bivariate Zusammenhänge zwischen atypischen Beschäftigungsformen und Gesundheit sowie Arbeitszufriedenheit, Motivation und Leistung berechnet wurden. Es werden die gemittelten Effektenstärken berichtet, da diese zur Verdeutlichung der praktischen Relevanz von statistisch signifikanten Ergebnissen dienen und einen zusammenfassenden Überblick über verschiedene Studienergebnisse geben. Die Interpretation der Effektstärken bezieht sich auf Jacob Cohen (1988). Ihm zufolge können Zusammenhänge als nicht vorhanden (d ≤ 0,1), klein (0,2≤ d ≤ 0,4), mittel (0,5≤ d ≤ 0,7) und groß (d ≥ 0,8) interpretiert werden. Dabei können die Effektstärken positive und negative Werte annehmen. Bei einem positiven Wert steht die jeweilige atypische Beschäftigungsform mit einem schlechteren (psychischen) Gesundheitszustand sowie niedriger Arbeitszufriedenheit, Motivation und Leistung in Beziehung. Bei einem negativen Wert hingegen geht mit der jeweiligen atypischen Beschäftigungsform eine bessere Gesundheit sowie höhere Arbeitszufriedenheit, Motivation und Leistung einher.
Da nur Längsschnittstudien kausale Schlüsse zulassen (so dass von Auswirkungen gesprochen werden kann) und die Durchschnittseffektstärken für Querschnitts- und Längsschnitt gemeinsam berechnet wurden, wird auf die Ergebnisse von Längsschnittstudien zusätzlich explizit eingegangen. Eine geschlechterdifferenzierte Betrachtung wurde in dem Review nicht vorgenommen. Sofern weitere relevante Studienergebnisse vorliegen, die über das Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt„ hinausgehen, wird bei der Beantwortung der Fragen auf diese verwiesen.
- Wie viele atypisch Beschäftigte gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland, und wie hat sich diese Zahl in den Jahren 2008 bis 2019 entwickelt (bitte jährlich sowohl die absoluten Zahlen als auch die Anteile an allen Beschäftigten ausweisen und nach befristeter Beschäftigung, Teilzeitbeschäftigung, geringfügiger Beschäftigung, Zeit- und Leiharbeit, Niedriglohn, Alter und Geschlecht sowie Ost und West und nach Bundesländern differenzieren)?
Die Angaben zu Frage 1 sind den Tabellen im Anhang zu entnehmen.
- Welche sind nach Kenntnis der Bundesregierung jeweils die zehn Wirtschaftszweige mit dem größten Anteil an
a) befristeter Beschäftigung,
b) Leiharbeit,
c) Teilzeitbeschäftigung,
d) (Solo-)Selbstständigkeit,
e) Mehrfachbeschäftigung,
f) Niedriglohn,
und wie hoch sind die Anteile jeweils?
Die Zahlen zur Frage 2a bis 2e sind den Tabellen im Anhang zu entnehmen. Zur Frage 2f liegen der Bundesregierung keine Daten vor.
- Wie wirkt sich nach Kenntnis der Bundesregierung eine atypische Beschäftigung auf die Gesundheit der Beschäftigten aus (bitte nach allgemeiner Gesundheit, psychischem Wohlbefinden, Depression, Burnout und psychischen Störungen sowie Geschlecht differenzieren)?
Unter den Begriff „atypische Beschäftigung„ fällt eine Vielzahl von Beschäftigungsformen, die von Kriterien eines Normalarbeitsverhältnisses wie unbefristet, Vollzeit oder auch vollständige Integration in die soziale Absicherung abweichen. Die Studien, die allgemein einen Blick auf die gesundheitlichen Effekte von atypischen Beschäftigungsformen werfen, weisen für Depression im Durchschnitt eine mittlere Effektstärke auf und für Psychische- und Verhaltensstörungen eine kleine Effektstärke. Längsschnittstudien von Kim et al. (2012) und Quesnel-Vallee et al. (2010) geben Hinweise darauf, dass es sich bei atypischer Beschäftigung und Depression um einen kausalen Zusammenhang handelt. Sie berichten über mehrere Messzeitpunkte hinweg, dass atypisch Beschäftigte, die zu Beginn der Erhebung keine depressiven Symptome aufwiesen, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, Depression zu bekommen als Normalbeschäftigte, die ebenfalls zu Beginn keine depressiven Symptome zeigten. Zudem zeigen Bardasi und Francesconi (2004) sowie Kachi et al. (2014) auf, dass Personen, die über einen längeren Zeitraum in atypischen Beschäftigungsformen tätig sind, stärkere Beeinträchtigungen in der psychischen Gesundheit haben.
Für die allgemeine Gesundheit sowie das psychische Wohlbefinden konnten keine statistisch relevanten Effekte gefunden werden. Für atypische Beschäftigung und sogenanntes „Burnout“ lagen für den Betrachtungszeitraum des Reviews keine Studien vor. Ebenfalls konnte bei Sichtung der aktuellen Studienlage keine Längsschnittstudie zu den Auswirkungen von atypischer Beschäftigung auf das „Burnoutrisiko“ gefunden werden.
An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass in den Studien unter dem Begriff atypische Beschäftigung sehr diverse Beschäftigungsformen gemeinsam untersucht wurden. Die verschiedenen Beschäftigungsformen sind mit ganz unterschiedlichen gesundheitlichen Outcomes assoziiert (siehe Antwort zu den Fragen 4 bis 8). Effekte der einzelnen Formen atypischer Beschäftigung können sich in einer gemeinsamen Untersuchung überlagern, was zu einer Unterschätzung der Effekte führen kann.
- Wie wirkt sich nach Kenntnis der Bundesregierung eine befristete Beschäftigung auf die Gesundheit der Beschäftigten aus (bitte nach allgemeiner Gesundheit, psychischem Wohlbefinden, Depression, Burnout und psychischen Störungen sowie Geschlecht differenzieren)?
Befristete Beschäftigung bezeichnet eine Vielzahl von Beschäftigungsformen, deren Vertragsverhältnis nur eine begrenzte Laufzeit hat. Im Scoping Review wurde unter befristeter Beschäftigung befristete Voll- und Teilzeitstellen, Projektarbeit, Vertretungsstellen und Arbeiten auf Probe gefasst. Die eingeschlossenen Studien zeigen bei befristeter Beschäftigung einen kleinen Effekt auf. Dieser weist darauf hin, dass befristet Beschäftigte seltener von Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens berichten als Normalbeschäftigte. Für
alle weiteren gesundheitlichen Outcomes
(d. h. allgemeine Gesundheit, Depression, „Burnout„ und psychische Störungen) konnten keine statistisch bedeutsamen Effekte festgestellt werden.
- Wie wirkt sich nach Kenntnis der Bundesregierung Leiharbeit auf die Gesundheit der Beschäftigten aus (bitte nach allgemeiner Gesundheit, psychischem Wohlbefinden, Depression, Burnout und psychischen Störungen sowie Geschlecht differenzieren)?
Die berechneten Durchschnittseffektstärken verweisen auf einen kleinen Effekt für den Zusammenhang von Leiharbeit und dem allgemeinen Gesundheitszustand sowie „Burnout„. Des Weiteren konnte ein mittlerer Effekt für Depression bei Leiharbeitnehmenden ermittelt werden. Dies bedeutet, dass Leiharbeitnehmende häufiger von Beeinträchtigungen der allgemeinen Gesundheit, von „Burnout„ sowie Depressionen betroffen sind als Normalbeschäftigte. Da die dargestellten Ergebnisse ausschließlich auf Querschnittstudien beruhen, kann hier nur von Zusammenhängen und nicht von Kausalitäten gesprochen werden.
Auswertungen der Arbeitszeitbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2015 verweisen auf den geringen Handlungsspielraum, die höhere Arbeitsplatzunsicherheit und das geringere Einkommen bei Leiharbeitnehmenden im Vergleich zur Stammbelegschaft (Hünefeld & Gerstenberg 2018).
- Wie wirkt sich nach Kenntnis der Bundesregierung eine (solo-)selbstständige Beschäftigung auf die Gesundheit der Beschäftigten aus (bitte nach allgemeiner Gesundheit, psychischem Wohlbefinden, Depression, Burnout und psychischen Störungen sowie Geschlecht differenzieren)?
Da im Rahmen des Scoping Reviews nur fünf Studien gefunden wurden, die sich explizit mit Solo-Selbstständigen und deren Gesundheit beschäftigen, beziehen sich die folgenden Darstellungen auf die Selbstständigen und die Solo-Selbstständigen zusammen.
Sowohl für die allgemeine Gesundheit als auch die psychische Gesundheit (d. h. psychisches Wohlbefinden, Depression, „Burnout„ und psychische Störungen) sind keine Effekte vorhanden. Damit zeigen die eingeschlossenen Studien keinen Zusammenhang zwischen einer (solo-) selbstständigen Beschäftigung und der (psychischen) Gesundheit.
- Wie wirkt sich nach Kenntnis der Bundesregierung eine Mehrfachbeschäftigung auf die Gesundheit der Beschäftigten aus (bitte nach allgemeiner Gesundheit, psychischem Wohlbefinden, Depression, Burnout und psychischen Störungen sowie Geschlecht differenzieren)?
Die folgenden Auswertungen beziehen sich auf Studien mit Personen, die mehr als einen Job ausführen, ungeachtet dessen wie viele weitere Jobs sie ausführen. Es können nur Angaben für das psychische Wohlbefinden gemacht werden, da für die weiteren erfragten Zusammenhänge zu wenig oder keine Studien vorliegen. Für das psychische Wohlbefinden konnte mit einem mittleren kein Effekt bei Mehrfachbeschäftigten gefunden werden. Somit steht basierend auf den eingeschlossenen Studien eine Mehrfachbeschäftigung nicht mit einem schlechteren oder besseren psychischen Wohlbefinden in Zusammenhang.
Im Rahmen des Projektes „Belastungsfaktoren und Ressourcen bei Solo-Selbständigkeit und Mehrfachbeschäftigung“ konnte aufgezeigt werden, dass Belastungen und Ressourcen aus verschiedenen Aspekten der Mehrfachbeschäftigung resultieren, die sich gegenseitig bedingen und den gesundheitlichen Zustand von Mehrfachbeschäftigten beeinflussen können. Die Belastungen und Ressourcen resultieren aus:
- den jeweiligen einzelnen Tätigkeiten,
- dem Kontext, wie die Tätigkeiten ausgeführt werden,
- der Kombination von mehreren Tätigkeiten zu einer Mehrfachbeschäftigung,
- den individuellen Merkmalen der Person und ihrem privaten Kontext,
- sowie der Erholungsfähigkeit und -möglichkeit (Hünefeld 2019).
- Wie wirkt sich nach Kenntnis der Bundesregierung eine Teilzeitbeschäftigung auf die Gesundheit der Beschäftigten aus (bitte nach allgemeiner Gesundheit, psychischem Wohlbefinden, Depression, Burnout und psychischen Störungen sowie Geschlecht differenzieren)?
Es konnten mehrheitlich keine Effekte für den Zusammenhang von Teilzeitbeschäftigung und (psychischer) Gesundheit gefunden werden. Lediglich für Depression zeigt sich ein kleiner Effekt. Dieser Effekt spricht für eine höhere Depressionsbetroffenheit bei Teilzeitbeschäftigten im Vergleich zu Normalbeschäftigten. Da sich die Angaben nur auf Querschnittstudien beziehen, bleibt unklar, ob die höhere Depressionsbetroffenheit eine Folge einer Teilzeitbeschäftigung ist oder ob sich zum Beispiel mehr Personen, die eine Disposition für Depressionen haben, für eine Teilzeitbeschäftigung entscheiden. Auswertungen bezüglich der Arbeits- und Lebenszufriedenheit zeigen auf, dass Teilzeit einen positiven Effekt auf das Wohlbefinden hat (siehe Antwort zu Frage 15). Dies spricht eher dafür, dass eine Teilzeitbeschäftigung nicht unmittelbar negative Auswirkungen auf die (psychische) Gesundheit hat.
- Wie wirkt sich nach Kenntnis der Bundesregierung eine Beschäftigung mit Niedriglohn auf die Gesundheit der Beschäftigten aus (bitte nach allgemeiner Gesundheit, psychischem Wohlbefinden, Depression, Burnout und psychischen Störungen sowie Geschlecht differenzieren)?
Studien zu Niedriglohnbeschäftigten und psychischer Gesundheit liegen der Bundesregierung nicht vor.
- Welche Erkenntnis hat die Bundesregierung zum Zusammenhang zwischen atypischen Beschäftigungen und der Häufigkeit oder Schwere von Arbeitsunfällen im Vergleich zu Normalarbeitsverhältnissen (bitte nach atypischer Beschäftigung allgemein, befristeter Beschäftigung, Leiharbeit, Niedriglohn, Teilzeitbeschäftigung, (Solo-) Selbstständigkeit und Mehrfachbeschäftigung differenzieren)?
Welche Studien hierzu sind der Bundesregierung bekannt?
Die Gemeinschafts-Statistiken der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung enthält keine Möglichkeit atypische Beschäftigungsformen der Versicherten, wie: befristeter Beschäftigung, Leiharbeit, Niedriglohn, Teilzeitbeschäftigung, (Solo-) Selbstständigkeit oder Mehrfachbeschäftigung, zu identifizieren. Auch Studien, die den Zusammenhang von atypischer Beschäftigung mit Häufigkeit und Schwere der von Arbeitsunfällen betrachten, sind der Bundesregierung nicht bekannt.
- Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich der durchschnittlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeitsfälle in atypischer Beschäftigung in den Jahren 2008 bis 2019 vor (bitte jährlich sowohl die absoluten Zahlen als auch die Anteile an allen Beschäftigten ausweisen und nach befristeter Beschäftigung, Teilzeitbeschäftigung, geringfügiger Beschäftigung, Zeit- und Leiharbeit, Alter und Geschlecht sowie Ost und West und nach Bundesländern differenzieren)?
Eine Auswertung der Arbeitsunfähigkeitstage hinsichtlich atypischer Beschäftigungen wird nicht vorgenommen. Der Bundesregierung liegen daher hierzu keine Erkenntnisse vor.
- Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich der durchschnittlichen Krankenstände in atypischer Beschäftigung in den Jahren 2008 bis 2019 vor (bitte jährlich sowohl die absoluten Zahlen als auch die Anteile an allen Beschäftigten ausweisen und nach befristeter Beschäftigung, Teilzeitbeschäftigung, geringfügiger Beschäftigung, Zeit- und Leiharbeit, Alter und Geschlecht sowie Ost und West und nach Bundesländern differenzieren)?
Eine Auswertung der Krankenstände hinsichtlich atypischer Beschäftigungen wird nicht vorgenommen. Der Bundesregierung liegen daher hierzu keine Erkenntnisse vor.
- Auf welche Diagnosen lassen sich die Arbeitsunfähigkeitstage nach Erkenntnissen der Bundesregierung bei atypischer Beschäftigung in den Jahren 2008 bis 2019 anteilig zurückführen (bitte jährlich sowohl die absoluten Zahlen als auch die Anteile an allen Beschäftigten ausweisen und nach befristeter Beschäftigung, Teilzeitbeschäftigung, geringfügiger Beschäftigung, Zeit- und Leiharbeit, Alter und Geschlecht sowie Ost und West und nach Bundesländern differenzieren)?
Eine Auswertung der Arbeitsunfähigkeitstage hinsichtlich atypischer Beschäftigungen wird nicht vorgenommen. Der Bundesregierung liegen daher hierzu keine Erkenntnisse vor.
- Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über negative und positive Zusammenhänge atypischer Beschäftigungsformen mit psychischer Gesundheit vor (bitte nach atypischer Beschäftigung allgemein, befristeter Beschäftigung, Leiharbeit, Niedriglohn, Teilzeitbeschäftigung, (Solo-) Selbstständigkeit und Mehrfachbeschäftigung differenzieren)?
Betrachtet man die psychische Gesundheit von Personen in atypischen Beschäftigungsformen ungeachtet der spezifischen psychischen gesundheitlichen Beeinträchtigung, zeigt sich lediglich für atypische Beschäftigung allgemein ein kleiner Effekt. Somit weisen Personen in atypischen Beschäftigungsformen einen schlechteren psychischen Gesundheitszustand auf als Normalbeschäftigte. Längsschnittstudien von Bardasi und Francesconi (2004) sowie Kachi et al.(2014) verweisen darauf, dass es sich um kausale Zusammenhänge handeln könnte. Sie zeigen auf, dass Personen, die über einen längeren Zeitraum in atypischen Beschäftigungsformen tätig sind, stärkere Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit haben. Studien zu Niedriglohnbeschäftigten und psychischer Gesundheit liegen nicht vor.
- Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über die Auswirkungen atypi-scher Beschäftigungsformen auf
a) Zufriedenheit,
Basierend auf den berechneten Durchschnittseffektstärken konnte lediglich ein mittlerer Effekt für Leiharbeit und Zufriedenheit ermittelt werden (d = 0,37). Dieser legt nahe, dass Leiharbeitnehmende eine geringe Zufriedenheit aufweisen als Normalbeschäftigte. Die Längsschnittstudie von Jahn (2013) basierend auf den Paneldaten des sozioökonomischen Panels
(SOEP) weist darauf hin, dass es sich bei erwerbstätigen Männern um einen kausalen Zusammenhang handeln könnte. Die Studie zeigt, dass Leiharbeiter über einen Erhebungszeitraum von 8 Jahren signifikant weniger mit ihrer Arbeit zufrieden sind als Normalbeschäftigte. Leiharbeiterinnen sind hingegen im gleichen Maße zufrieden wie Frauen mit einer Normalbeschäftigung.
Bei Betrachtung einzelner Längsschnittstudien zeigt sich des Weiteren, dass befristet Beschäftigte über die Zeit eine geringere Arbeits- und Lebenszufriedenheit aufweisen als unbefristet Beschäftigte (Bardasi & Francesconi, 2004; Virtanen et al., 2003).
Längsschnittuntersuchungen von Andersson (2008), Benz und Frey (2008) sowie Fuchs-Schündeln (2009) verdeutlichen, dass (Solo-)Selbstständige über die Zeit zufriedener mit ihrer Arbeit sind als abhängig Beschäftigte.
Ferner sprechen einzelne bestehende Längsschnittstudien dafür, dass Teilzeitbeschäftigung zu einer Erhöhung der Arbeits- bzw. Lebenszufriedenheit führt (Bardasi & Francesconi, 2004; Gash et al., 2010).
So zeigen Gash et al. (2010) anhand des SOEP und des British Household Panel Survey (BHPSC), dass ein Wechsel von einer Vollzeitbeschäftigung zu einer Teilzeitbeschäftigung zu einer höheren Lebenszufriedenheit führt. Beim Wechsel von einer Teilzeitbeschäftigung zu einer Vollzeitbeschäftigung ist hingegen keine Veränderung der Lebenszufriedenheit zu finden.
b) Motivation,
Für den Zusammenhang von (Solo-) Selbstständigkeit und Motivation zeigt sich ein kleiner gemittelter Effekt. Dieser Effekt spricht dafür, dass (Solo-)Selbstständige eine höhere Motivation aufweisen als abhängig Beschäftigte. Ob motivierte Personen sich eher für eine selbstständige Tätigkeit entscheiden oder die Selbstständigkeit zu einer höheren Motivation führt, kann auf der Basis der vorliegenden Querschnittstudien nicht untersucht werden.
Bei den anderen Beschäftigungsformen konnten keine Effekte ermittelt werden. Des Weiteren liegen keine Längsschnittstudien vor, die Aussagen über die Auswirkungen von weiteren atypischen Beschäftigungsformen (d. h. atypische Beschäftigung allgemein, befristete Beschäftigung, Leiharbeit, Niedriglohn, Teilzeitbeschäftigung und Mehrfachbeschäftigung) auf die Motivation zulassen.
c) Leistung,
Lediglich für den Zusammenhang von Teilzeitbeschäftigung und Leistung konnte ein statistisch relevanter Effekt gefunden werden. Der kleine gemittelte Effekt deutet auf eine niedrigere Leistung bei Teilzeitbeschäftigten im Vergleich zu Normalbeschäftigten hin. Ob es sich um einen kausalen Zusammenhang handelt, lässt sich anhand der vorliegenden Querschnittstudien nicht klären.
Längsschnittstudien, die Aussagen über die Auswirkungen von weiteren atypischen Beschäftigungsformen (d. h. atypische Beschäftigung allgemein, befristete Beschäftigung, Leiharbeit, Niedriglohn, (Solo-)Selbstständigkeit und Mehrfachbeschäftigung) auf die Leistung zulassen, liegen nicht vor.
d) das Auftreten von Muskel-Skelett-Erkrankungen,
Es zeigt sich ein kleiner gemittelter Effekt für den Zusammenhang von Leiharbeit und Muskel-Skelett-Erkrankungen. Leiharbeitnehmende weisen somit häufiger Muskel-Skelett-Erkrankungen auf als Normalbeschäftigte. Da die Berechnungen nur auf Querschnittstudien beruhen, können keine Aussagen zum kausalen Zusammenhang getroffen werden.
Für befristete Beschäftigung zeigt sich kein Effekt. Sie verweisen darauf, dass vor allem die Arbeitsbelastungen in Form von Tätigkeiten mit wiederholten Arm- und Schulterbewegungen über Schulterhöhe für diese Art von körperlicher Beeinträchtigung von Relevanz ist und nicht die Befristung.
Für die weiteren atypischen Beschäftigungsformen konnten aufgrund der beschränkten Studienlage keine gemittelten Effektstärken berechnet werden.
Lediglich eine weitere Längsschnittstudie konnte noch im Rahmen des Projektes „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ identifiziert werden. Diese beleuchtet den Zusammenhang von Teilzeitbeschäftigung und Muskel-Skelett-Erkrankungen (Bildt et al. 2006). Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass mit dieser Beschäftigungsform keine Muskel-Skelett-Erkrankungen einhergehen. Die Autoren verweisen in ihrer Studie zudem auf die Bedeutung weiterer Arbeitsbedingungen für das Aufkommen dieser Erkrankungen.
e) das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor (bitte nach atypischer Beschäftigung allgemein, befristeter Beschäftigung, Leiharbeit, Niedriglohn, Teilzeitbeschäftigung, (Solo-) Selbstständigkeit und Mehrfachbeschäftigung differenzieren)?
Die Studienlage zum Zusammenhang von atypischen Beschäftigungsformen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist nicht ausreichend, um stichprobengewichtete Durchschnittseffektstärken zu berechnen. Im Rahmen des Projektes „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt„ konnte lediglich eine Längsschnittstudie zu den Auswirkungen von Teilzeitbeschäftigung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen identifiziert werden. Diese Studie kommt zu dem Schluss, dass Teilzeitbeschäftigung nicht mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergeht (Bildt et al. 2006). Die Studie verweist zudem auf die Bedeutung weiterer Arbeitsbedingungen für das Aufkommen dieser Erkrankungen.
Ferner weist die Studie von Seon et
al. (2017) darauf hin, dass die Studienlage zu den Auswirkungen von atypischen Beschäftigungen auf das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht eindeutig sind. Jedoch konnten sie in ihrer eigenen Studie aufzeigen, dass atypisch Beschäftigte mehr kardiovaskuläre Risikofaktoren aufweisen wie Bluthochdruck oder die Inanspruchnahme von Gesundheitsvorsorgeuntersuchen.
Anlage
Datengrundlage sind Ergebnisse des Mikrozensus in Abgrenzung der Berichterstattung zur „Atypischen Beschäftigung“. Ergebnisse für das Berichtsjahr 2019 liegen erst Mitte 2020 vor. Daten zum Niedriglohn sind aus den Ergebnissen des Mikrozensus nicht verfügbar.
Frage 1: Mikrozensus: Berichtsjahr 2008 bis 2018
- Kernerwerbstätigkeit nach einzelnen Erwerbsformen – Deutschland nach Geschlecht
- Kernerwerbstätigkeit nach einzelnen Erwerbsformen – Deutschland nach Altersgruppen
- Kernerwerbstätigkeit nach einzelnen Erwerbsformen – Früheres Bundesgebiet und Neue Länder
- Kernerwerbstätigkeit nach einzelnen Erwerbsformen – Länder
Frage 2: Mikrozensus: Berichtsjahr 2018
- Kernerwerbstätige und befristet Beschäftigte nach Wirtschaftabschnitten
- Kernerwerbstätige und Zeitarbeitnehmer/-innen nach Wirtschaftsabschnitten
- Kernerwerbstätige und Teilzeitbeschäftigte nach Wirtschaftsabschnitten
- Kernerwerbstätige und Solo-Selbstständige nach Wirtschaftsabschnitten
- Kernerwerbstätige mit weiterer Erwerbstätigkeit nach Wirtschaftsabschnitten
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 19/15314)