02_Betriebliches Gesundheitsmanagement

Gesundheitsförderung und Prävention müssen gestärkt werden: individuell und kollektiv

Prof. Dr. med. Andreas Meyer-Falcke Foto: Meyer-Falcke privat

Prof. Dr. med. Andreas Meyer-Falcke

1. BAMBERG HEALTH: Könnten Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen sowohl im akademischen Bereich als auch im öffentlichen Sektor kurz auf die wichtigsten Herausforderungen eingehen, denen sich die Gesundheitssysteme in naher Zukunft voraussichtlich gegenübersehen werden?

MEYER-FALCKE: Weltweit ist das Gesundheitssystem gefordert. Das gilt zum einen für dessen Kerngeschäft: die Förderung von Gesundheit, die Vermeidung von Krankheiten und die bestmögliche Wiederherstellung der Gesundheit jedes Einzelnen, sei es durch Diagnostik, Therapie oder Rehabilitation – und das alles vor dem Hintergrund eines rasanten Zuwachses an medizinischem Wissen und Können.

Die Globalisierung bringt nicht nur uns Menschen schneller näher, sondern auch Krankheiten (wie die COVID-19 Pandemie deutlich gezeigt hat). Mit zunehmender Lebenserwartung, die wir maßgeblich auch medizinischer Spitzenleistung in Forschung und Praxis zu verdanken haben, und wachsendem Wohlstand nehmen auch die so genannten Volkskrankheiten zu. Nichtübertragbare Krankheiten sind nicht ohne Grund ein Schwerpunkt der weltweiten Strategie der WHO. Und je länger wir auf der Welt leben, je mehr wir sind, um so begrenzter sind die Mittel, die uns für jeden Einzelnen zur Bekämpfung seiner Krankheiten zur Verfügung stehen.

Gesundheitsförderung und Prävention müssen konsequenterweise gestärkt werden, kollektiv ebenso wie personalisiert.

Aber auch das Gesundheitssystem selber bedarf der „Heilung“. Auch hier ist das drängendste Problem die Ressourcenknappheit sowohl mit Blick auf die Fachkräfte als auch seine Finanzierung. Diverse Lösungsansätze sollen helfen, die strukturellen Herausforderungen zu meistern. Aber eine einfache Lösung gibt es nicht, handelt es sich doch beim Gesundheitssystem um ein vielschichtiges, in vieler Hinsicht verschachteltes System von Zuständig- und Abhängigkeiten. Die Diskussionen in Zusammenhang mit der beabsichtigten Konzentration von Krankenhäusern, bei den Versuchen, die Grenzen zwischen ambulantem und stationärem Sektor durchlässiger zu gestalten, über „neuartige“ Geschäfts- und Betreibermodelle von Arztpraxen, über Telemedizin als Alternative zum unmittelbaren ärztlichen Handeln oder die zeitlichen Abläufe vor und bei der Implementierung von digitalen Lösungen sind nur einige Beispiele.

2. Könnten Sie im Rückblick auf Ihre Karriere das wirkungsvollste Projekt identifizieren, das Sie im Bereich der Innovation im Gesundheitswesen durchgeführt haben? Welche wesentlichen Ratschläge oder Erkenntnisse würden Sie darüber hinaus Fachleuten geben, die ähnliche innovative Gesundheitsprojekte in Angriff nehmen?

Mein Gesundheitsverständnis ist geprägt von den Begriffen „übergreifend “ und „ganzheitlich“.

Es ist nicht nur der Medicus, es ist nicht nur die Medizin, die sich mit Gesundheit befasst. Es sind viele verschiedene ärztliche und viel mehr nicht-ärztliche Professionen, Angehörige unterschiedlichster Institutionen und Einrichtungen. Das trifft auch auf die lokale, die städtische Ebene zu. Ebenso wie (städtische) Krankenhäuser tragen auch eine umweltfreundliche Verkehrspolitik, ein ausgewogener Modal Split, angstfreie Räume im ÖPNV, sozialadäquate Lebensräume oder Natur belassene Flächen zur Gesundheit der Einwohner bei. Die WHO bezeichnet dies zutreffend mit Health in all Policies. Auf diesem Konzept aufbauend ist es meinem Team und mir gelungen, die Landeshauptstadt Düsseldorf zur WHO Healthy City zu machen.

Mein wichtigster Ratschlag ist: Man muss einen langen Atem haben! Aber vor allem: Nichts gelingt alleine, vieles aber gemeinsam. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen:

  • Vor ca. 10 Jahren haben wir in Düsseldorf den Versuch unternommen, auf kommunaler Ebene die Legalisierung von Cannabis zu Konsumzwecken zu erreichen. Mit viel Aufwand, aber doch zunächst nicht erfolgreich. Das ständige am Ball Bleiben, öffentliche Diskussionen und politische Initiativen haben letztlich aber dazu geführt, dass der Deutsche Bundestag nunmehr entsprechend aktiv geworden ist.
  • Meine „Erfindung“, die Düsseldorfer „Gesunde Bude“, das Sinnbild für niederschwellige, wohnortnahe, gesundheitliche Angebote wurde anfangs als reiner Marketinggag belächelt. Mittlerweile aber ist der Gesundheitskiosk Bestandteil bundesgesundheitspolitischer Versorgungskonzepte.

3. Wenn wir in die Zukunft blicken: Welche neuen Technologien oder Innovationen sind Ihrer Meinung nach bereit, den Gesundheitssektor zu revolutionieren? Welche Strategien sollten öffentliche Verwaltungen außerdem anwenden, um das Potenzial dieser Fortschritte effektiv zu integrieren und zu nutzen?

Eines vorweg: jede Technologie, ob alt oder neu, die im Gesundheitssektor eingesetzt wird oder werden soll, muss mittel- und unmittelbar der Gesundheit der Patienten dienen. Das gilt für Künstliche Intelligenz bei der Befundung von Massendaten z. B. in der Radiologie oder der Diagnosefestigung beim niedergelassenen Arzt genau so wie bei der Entwicklung personalisierter Pharmaka oder von Apps zum Lifestyle. Mit derartiger technischer Unterstützung wird vieles schneller, einfacher, transparenter, es sind und bleiben jedoch Instrumente, die einem höheren Ziel dienen.

Bei der Einführung von (neuen) Technologien sind es jedoch oft die Strukturen, die angepasst werden müssen. Und eine solche Transformation hat meistens weniger mit Technik als vielmehr mit Organisation zu tun, mit menschlichem Wollen und Können, mit Loslassen von Althergebrachtem. Je disruptiver die Innovation, desto komplexer der Implementierungs-Prozess, desto größer der nicht-technische Begleit-Aufwand. Und je besser es gelingt, die künftigen Nutznießer (!) einer neuen Technologie von deren Nutzen zu überzeugen, desto schneller wird das Ziel erreicht. Insofern ist die Einführung der Gesundheitskarte in Deutschland ein lehrreiches Beispiel.

4. Wie trägt aus Ihrer Sicht der Erfahrungsaustausch zur Verbesserung der Gesundheitsergebnisse bei? Und in welchen Bereichen halten Sie die Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor sowie die interregionale Zusammenarbeit zwischen Verwaltungen für am wichtigsten?

Wir Menschen sind soziale Wesen: Austausch prägt unser gesamtes Leben. Das gilt im Privaten ebenso wie im beruflichen Kontext. Und uns über Erfahrungen auszutauschen, die wir z. B. bei der Umsetzung von Gesundheitsprojekten gemacht haben – egal, ob wir erfolgreich waren oder gescheitert sind –, bringt uns gemeinsam weiter.

Unser deutsches Gesundheitssystem ist geprägt durch etablierte Strukturen. Die Aufgabe des öffentlichen Gesundheitssektors, insbesondere also der Gesundheitsämter, kann es nicht sein, vorhandene Strukturen zu doppeln. Seine Rolle ist es aber sehr wohl, Defizite im System aufzuzeigen und Wege zur Abhilfe zu ebnen. Dies kann im Einzelfall bedeuten, defizitäre Aufgaben zunächst selber wahrzunehmen, bis dafür geeignete Dritte gefunden sind.

Ambulantes und stationäres Gesundheitssystem sind gekennzeichnet durch eine am Individuum ausgerichtete Arbeit. Dem öffentlichen Gesundheitssektor hingegen obliegt die Sorge um die kollektive Gesundheit, um Public Health. Die Aufgaben in diesem Kontext sind mannigfach. Das fängt mit einer übergreifenden Gesundheitsberichterstattung an, beinhaltet die Abstimmung der lokalen Akteure untereinander, führt über die Organisation und Steuerung von entsprechenden eigenen Schwerpunktprojekten und deren Evaluierung bis hin zur Beratung der politischen Gremien mit dem Ziel, aus allen Handlungssträngen nachhaltige Lösungen zu manifestieren.

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