02_Betriebliches Gesundheitsmanagement

Systemischer Ansatz durch die Basis

Eine Präventionskultur wird Top-down verändert, wenn Compliance (regelkonformes Handeln) nachhaltig angelegt und konsequent weiterentwickelt wird. Nach dem 80/20 Prinzip (Pareto) werden 80 % des Aufwands benötigt, um die letzten 20 % von Regelabweichungen zu disziplinieren. Diese Sichtweise unterstellt, dass angeordnete Muster irgendwann zur Kultur werden.

Verhaltensmuster passen sich an, wenn Strukturen verändert werden. Es kann nicht unbedingt vorhergesagt werden, ob sich Änderungen in eine gewünschte oder in eine unerwünschte Reaktion wandeln. Wird eine Kultur von Vertrauen, Offenheit und Ehrlichkeit angestrebt, bewirken Sanktionen das Gegenteil einer nachhaltigen, positiv empfundenen Kultur.

Beginnt ein neuer Kulturprozess mit zusätzlichen Erschwernissen und aufgesattelten Tätigkeiten, wird es schwer, den Prozess kontinuierlich weiterzuführen. Wenn Anregungen zu Verbesserungen zu Mehrarbeit führen, muss damit gerechnet werden, dass die Teilnehmer schweigen und nach Auswegen und Entlastungen suchen. Manche Erleichterungen werden erst nach ausreichender Übung spürbar. Bedingung ist, dass Erfolg in einem überschaubaren Zeitraum sichtbar wird. Gelingt es nicht, die Vorteile einer erzwungenen Regel spürbar werden zu lassen und lässt die Überwachungsdichte nach, muss damit gerechnet werden, dass sich der ursprüngliche Zustand wieder einpegelt.

Wird der Begriff „Kultur“ als Anhängsel für Denken, Entscheiden und Handeln benutzt, muss klar sein, welche Interpretationen sich damit verbinden. Reine Definitionen des Begriffes „Kultur“ besagen:

  • Kulturen sind das Resultat der schöpferischen Leistungen der Menschheit.
  • Durch äußere und innere Einflüsse unterliegen Kulturen Wandlungen in geschichtlichen Zeitabläufen.

Unter diesen Aspekten entwickeln sich Kulturen, bei unveränderbaren Rahmenbedingungen, aus den Bedürfnissen aller Beteiligten. Soll Kultur von unten entstehen, ist es förderlich, wenn das Management zielführende Bottom-up-Bedürfnisse wahrnimmt, strukturell verknüpft und Top-down verankert.

Schlussfolgerungen, die sich daraus ergeben, bedienen sich bei den folgenden Überlegungen eines Bildes aus der Mengenlehre. Die Unternehmenskultur wird geprägt von der Unternehmensleitung, den Mitarbeitenden und von den Zwängen, die von außen auf das Unternehmen einwirken.

In Unternehmen mit Konzernstrukturen sind Sicherheit und Gesundheit mehrheitlich als Werte in den Leitbildern verankert und in Hochglanzbroschüren abgedruckt. Ist im Management die Überzeugung vorhanden, dass sie weiterentwickelt werden müssen, scheint die gelebte vorhandene Prävention „gefühlt“ nicht ausreichend zu sein. Wenn Prävention nicht bereits als permanenter KVP-Prozess in allen Handlungsfeldern etabliert ist, sind Auslöser derartiger Überlegungen in der Regel unerwünschte Ereignisse (mangelnde Risikokompetenz, Qualitätsprobleme, Personallücken usw.).

In KMU, in denen enge persönliche Beziehungen zwischen Unternehmensleitung und Mitarbeitenden bestehen, liegt es den Leitenden am Herzen, dass Mitarbeitende gesund und unverletzt bleiben. Unter solchen Voraussetzungen wird gelebt, was nicht aufgeschrieben ist.

Werden Kulturaspekte aus Perspektiven der Mengenlehre als Denkmodell betrachtet, folgt daraus ein systemisches Verständnis. Präventionskultur wird im Folgenden als Teilmenge der Unternehmenskultur gesehen. Die Sicherheitskultur kann als eine Teilmenge der Präventionskultur betrachtet werden.

Wird präventives Denken, Entscheiden und Handeln in allen betrieblichen Handlungsfeldern weiterentwickelt, wächst die Prävention- bzw. Sicherheitskultur zwangsläufig mit. Systemische Verknüpfungen wirken crossover. Die Unfall- und Krankheitswahrscheinlichkeit sinkt im Gleichklang.

Wenn es möglich ist, Sicherheits- und Gesundheitskultur für sich allein zu entwickeln, wirken Veränderungen in die Unternehmenskultur hinein (Ist das wirklich gewollt?). Eine vorhandene Sicherheitskultur ist nicht unabhängig von den tatsächlich gelebten Normen und Werten einer bestehenden Präventionskultur bzw. der übergeordneten Unternehmenskultur („Subkulturen“ unterliegen den Normen und Werten der dominierenden Unternehmenskultur.). Wenn die gelebte Prävention- bzw. Unternehmenskultur übermächtig ist, werden alle Bemühungen, die Sicherheitskultur als Insellösung zu entwickeln, durch die Unternehmenskultur ausgebremst. Unter diesen Umständen betrachtet, kann ein Change-Prozess nicht von langer Dauer sein. Eine nachhaltige Weiterentwicklung der Präventionskultur kann nur gemeinsam mit allen anderen Handlungsfeldern entstehen. Präventives Denken, Entscheiden und Handeln betrifft alle Handlungsebenen eines Unternehmens, die vorausschauend und weitsichtig planen und agieren müssen. Eine Subsumierung aller Handlungsfelder und deren Präventionsstrategie ist stark genug, die tatsächlich gelebte Unternehmenskultur zu verändern. Ein solcher Change-Prozess geschieht nicht eigendynamisch, sondern benötigt eine Koordinierung, Anwälte des Veränderungsprozesses, eine wachsende Koalition von Erneuerern.

Die vorhandene Präventionskultur nachhaltig weiterzuentwickeln gelingt, wenn relevante betriebliche Akteure das Gleiche sagen und dabei auch Dasselbe meinen. Kursieren verschiedene Vorstellungen in den Köpfen, müssen Kräfte gebündelt werden, um eine gemeinsame Richtung zu entwickeln. Ein gemeinsamer Nenner aller handelnden Akteure liegt u.a. darin, Risiken frühzeitig zu erkennen, realistisch zu bewerten und angemessen zu bewältigen. Bewältigen kann bedeuten: Risiken beseitigen, vermeiden, reduzieren oder über Strategien, Ressourcen und Kompetenzen zu verfügen, Risiken zu beherrschen. Systemisch betrachtet haben strukturelle Veränderung in einem Handlungsfeld immer Auswirkungen auf das Gesamtsystem (leider ist die Richtung nicht vorhersehbar). Eine abgestimmte und gleichgerichtete Strategie sichert Nachhaltigkeit.

Gelebte Präventionskultur, ganzheitlich entwickelt, gewinnt im Prozess die Kraft, gewünschte kulturelle Denkweisen, Entscheidungen und Muster wachsen zu lassen. Als Gesamtpaket wird die Unternehmenskultur von unten beeinflussbar.

Unter Kostengesichtspunkten ist und war es immer Aufgabe der Sicherheits- und Gesundheitsakteure, unnötige Mehrkosten durch Ausfallzeiten zu vermeiden. Unter dem Aspekt der Weiterentwicklung einer Präventionskultur liegt das „Neue“ einer Kulturstrategie u.a. darin, nicht lediglich Mehrkosten zu verhindern, sondern einen aktiven Beitrag dazu leisten, bestehende Produktionskosten zu senken, die Qualität zu verbessern und damit die Produktivität zu steigern.

Akteure der Sicherheit und Gesundheit fungieren als Triebfedern, Impulsgeber und Motoren, die beharrlich und hartnäckig an einer Verknüpfung, Vernetzung und Harmonisierung arbeiten, um neue Blickwinkel zu eröffnen und Prozesse zu optimieren. Erfolgreiche Prozesse entstehen, wenn Gesundheit und Sicherheit einen Beitrag als Initiatoren leisten. Beispielhafte Arbeitsbereiche, an denen Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Gesundheit mitwirken, um Arbeitsschutz als Teil der Wertschöpfung sichtbar zu machen:

  • Nicht jeder Fehler führt zu einem Unfall oder zu einem Krankheitsausfall. Fehler haben das Potenzial, dass sich daraus ein Personenschaden ergibt. In einem Kulturprozess gehen Gesundheits- und Sicherheitsexperten voran, um mit Ideen zu Standardisierungen die Komplexität und damit die Fehlerwahrscheinlichkeit zu reduzieren.
  • Es wird nicht gelingen, alle Risiken auf NULL zu reduzieren. Durch Qualifizierung und Übung werden Bewältigungsstrategien zur sicheren Prozesskontrolle verbessert. Das Ziel liegt darin, mit vorhandenen Risiken fertig zu werden, die aus wirtschaftlichen, rechtlichen oder sonstigen Gründen kurzfristig nicht beseitigt oder reduziert werden können.
  • Ungeplante Arbeiten haben immer ein Risikopotenzial und damit eine höhere Krankheits- oder Unfallwahrscheinlichkeit. Entwickeln Arbeitsschützer aus der Perspektive der Sicherheit und Gesundheit Anregungen zur Reduzierung ungeplanter Arbeiten, werden Risiken reduziert. Die Verfügbarkeit der Maschinen und Anlagen wird erhöht. Gleichzeitig wird die Produktivität gesteigert.
  • Jedes „Anfassen“ trägt Gefahren in sich. Bereits einmal weniger anfassen reduziert die Wahrscheinlichkeit von Ausfalltagen. Lösungen vorzuschlagen, mit denen durch weniger Materialberührungen Gefährdungen vermieden werden, vergleichmäßigen gleichzeitig den Materialfluss (kein Abriss oder Stau).
  • Löst sich ein Stau im Materialfluss auf, entstehen Hektik und Stress (Ausgleich von Minderleistungen). Stressbelastung und Unfallwahrscheinlichkeit steigen. Weniger Störungen im Materialfluss erhöhen die Produktivität.
  • Ziel einer Kulturentwicklung ist es häufig, gegenseitige Fürsorge und Hilfestellung zu erhöhen (selbstkorrigierende Einheiten). In zusammengewürfelten Gruppen scheitert dieser Anspruch. Wenn es mit dem Vehikel Sicherheit und Gesundheit gelingt, Teamspirit zu erzeugen, wirken die Ergebnisse weit über diesen Themenkomplex hinaus. Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft steigen.

Im Prozess einer positiv erlebten „Kultur“ gedeihen Eigenschaften, die den Bestand des Unternehmens sichern.


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