04_Arbeitsschutz

Kommunikationsplattformen als Teil der Lieferkette

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1. Fragestellung

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)1 verpflichtet bestimmte Unternehmen, in ihren Lieferketten Sorgfaltspflichten zu beachten. Sie müssen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken vorbeugen, diese minimieren oder die Verletzung entsprechender Verbote beenden (§ 3 Abs. 1). Diese Sorgfaltspflichten beziehen sich nur auf Wertschöpfungen entlang einer Lieferkette.

Es stellt sich die Frage, inwieweit die Nutzung von Kommunikationsplattformen im Netz, wie z. B. Facebook oder Twitter/X, Teil der Lieferkette ist. Unternehmen können solche Plattformen insbesondere in zweierlei Hinsicht nutzen:

  • für Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens und Bewerbung seiner Produkte (häufigster Anwendungsfall);
  • für eine über die Plattform zu erbringende Leistung (seltener Anwendungsfall, z. B. bei einer Konzertagentur, für die es Teil der geschuldeten Dienstleistung ist, über soziale Medien für die von ihr organisierten Konzerte zu werben).

Gegenstand dieses Sachstands ist nur der erste Fall. Im Kern geht es daher um die Frage, ob Öffentlichkeitsarbeit und Werbung als Teil der Lieferkette im Sinne des LkSG anzusehen sind.

2. Lieferkette

2.1. Zentrales Tatbestandsmerkmal „erforderlich“

Zur Lieferkette gehören alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens (§ 2 Abs. 5 S. 1 LkSG). Nach § 2 Abs. 5 S. 2 LkSG umfasst sie „alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind, angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zu der Lieferung an den Endkunden“.

Die Gesetzesbegründung führt dazu Folgendes aus: „[D]ie Bestandteile einer Lieferkette [können] je nach Art des Produktes oder der Leistung variieren. Die Lieferkette zur Herstellung eines Sachgutes enthält typischerweise die Phase der Beschaffung (d. h. die Gewinnung und Lieferung von Rohstoffen für die Herstellung von Produkten), der Produktion (die Verarbeitung der Rohstoffe zu den Fertigprodukten) und des Vertriebs (Aktivitäten, die dafür sorgen, dass das Produkt seinen endgültigen Bestimmungsort erreicht, zum Beispiel mit Hilfe von Distributoren, Lagern, physischen Geschäften oder Online-Plattformen).“ 2

2.2. Herstellung und Vertrieb

Soweit Internethändler eine Verkaufsplattform nutzen, um ihre Produkte zu vertreiben und die Lieferung zu organisieren, ist dies Teil der Lieferkette. So ordnet die Gesetzesbegründung die Aktivität von Online-Plattformen ausdrücklich dem zur Lieferkette gehörenden Vertrieb zu. Nach Auffassung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) ist zum Beispiel auch der Bürobedarf eines Industrieunternehmens von der Lieferkette umfasst.3 Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) sieht alle Beschaffungskategorien wie Gebäudereinigung, Kantinenbetrieb und den Einkauf von Büromaterial als Teil der Lieferkette.4 Hierfür ließe sich anführen, dass ohne diese Leistungen eine Lieferung oder Dienstleistung also solche nicht möglich oder zumindest erschwert wäre.

2.3. Öffentlichkeitsarbeit und Werbung

Für Öffentlichkeitsarbeit und Werbung gilt das Vorgesagte nicht: Die Lieferung oder Dienstleistung ist auch ohne Öffentlichkeitsarbeit oder Werbung möglich. Vereinfacht ausgedrückt ist Werbung nicht Teil der Lieferkette, sondern soll die Lieferkette auslösen oder sichern (in Form von Nachfrage). Werbung ist der Lieferkette damit vorgeschaltet. Darüber hinaus ist Werbung keine Bedingung für Nachfrage. Zum Beispiel ist für Zigaretten5 oder verschreibungspflichtige Medikamente6 Werbung kaum zugelassen. Gleichwohl besteht eine signifikante Nachfrage. Ähnlich nachgefragt sind Konsumartikel des täglichen Bedarfs, für die typischerweise keine Werbung erfolgt (z. B. „markenlose“ Artikel im Billigsektor oder Eisenwaren in einem Baumarkt). Gleichermaßen ist Öffentlichkeitsarbeit für die Lieferkette nicht erforderlich, sondern soll nur allgemein das Unternehmen oder seine Produkte in einem guten Licht erscheinen lassen.

Ein noch weiteres Verständnis der „Erforderlichkeit“ unter Einbeziehung von Werbung wäre mit Blick auf das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot problematisch: Die Vorschriften des LkSG sind sanktionsbewehrt. Ein Verstoß kann neben einem Zwangs- oder Bußgeld zum Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge führen (vgl. Abschnitte 5 und 6 des Gesetzes).

Die zum LkSG erschienenen vielfältigen Literaturstimmen ziehen es bis auf wenige Ausnahmen offenbar noch nicht einmal in Betracht, Öffentlichkeitsarbeit und Werbung als Teil der Lieferkette zu diskutieren.7 Zumindest zwei Kommentierungen greifen die Thematik kurz auf. Walden zufolge gehört „Produktwerbung“ nicht zur Lieferkette, weil sie „weder für die Herstellung ieS [im engeren Sinne] noch für die Lieferung bzw. den Vertrieb des Produkts zwingend erforderlich ist“.8 Gehne/Gabriel hingegen wollen derartige Tätigkeiten „nicht per se auf begrifflicher Ebene“ ausschließen, da „auch mit diesen Lieferketten erhebliche Risiken verknüpft sein [könnten], zB wenn große Unternehmen Werbeartikel, Schutzausrüstung oder auch Kaffee aufgrund der Masse des Bedarfs in erheblichem Umfang einkaufen. Daher bleibt es sinnvoll, derartige Bereiche im Bedarfsfall einzubeziehen, wenn hier Anhaltspunkte für Risiken bestehen, und das Risikomanagement des Unternehmens im Einzelfall entsprechend anzupassen.“9

Im Übrigen sehen Teile der Literatur bereits die vom BAFA und BMAS vertretene weite Auslegung des Begriffs der „Lieferkette“ kritisch (siehe oben unter 2.2). Diese Auslegung mache das tatbestandseinschränkende Kriterium der Erforderlichkeit weitgehend wirkungslos. „Erforderlich“ seien daher nur Aktivitäten, die nicht entfallen könnten, um das Produkt herzustellen bzw. zu liefern oder die Dienstleistung zu erbringen.10

Erst die Rechtsprechung kann diese Frage verbindlich klären. Bislang sind noch keine Entscheidungen zu § 2 LkSG veröffentlicht.11 Auf eine künftige Entscheidung würden sich insbesondere die folgenden beiden Faktoren auswirken: Der bis dahin weiter fortgeschrittene Stand der wissenschaftlichen Diskussion und die Umstände des dann zu entscheidenden Einzelfalls.12

1https://www.gesetze-im-internet.de/lksg/LkSG.pdf.

2Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Bundestags-Drs. 19/28649 vom 19. April 2021, https://dserver.bundestag.de/btd/19/286/1928649.pdf, S. 40 (Hervorhebung durch Verfasser); vgl. zum Begriff der Lieferkette auch Fischer, in: Gehling/Ott, 2022, § 2 LkSG Rn. 323 ff.; Franzmann, in: Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 4. Aufl. 2023, Ziff. 43.30 ff.; Leyens, in: Hopt, Handelsgesetzbuch, 42. Aufl. 2023, § 2 LkSG Rn. 6 ff.; Zimmer, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2023, S. 18 f.

3BAFA, Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz, Stand: 24. Juli 2023, https://www.bafa.de/DE/Lieferketten/FAQ/haeufig_gestellte_fragen_node.html.

4BMAS, Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz, Stand: 23. Juli 2023, https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq.html#doc977f9a9d-bfdd-4d31–9e31-efab307ceee6bodyText2.

5Siehe nur: Wissenschaftliche Dienste, WD 10 – 3000 – 030/21, Werbeverbote für alkoholische Getränke und Tabakwaren, https://www.bundestag.de/resource/blob/855870/052e2d0fcdf93737b8124fef1d7c7aa6/WD-10–030-21-pdf-data.pdf.

6Deutscher Bundestag, 2023, Keine Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-944518.

7Abfrage der Datenbanken beck-online und juris unter Verknüpfung der Stichworte „Lieferkette“ und

„Image“/„Produktwerbung“/„Öffentlichkeitsarbeit“/„Werbung“. Vgl. auch die folgenden Kommentare zum LkSG: Altenschmidt/Helling, 2023; Fleischer/Mankowski, 2023; Gehling/Ott, 2022; Rothermel, 2022; Schall/Theusinger/Rafsendjani, 2023 (die Ausführungen zu „erforderlich“ und das Stichwortverzeichnis dieser Kommentare erwähnen „Öffentlichkeitsarbeit“ oder “Werbung“ nicht); Hübner/Lieberknecht thematisieren die Implikationen des LkSG für die Digitalwirtschaft eher allgemein (vgl. ZdiW 2023, 47).

8Walden, in: Depping/Walden, LkSG, 2022, § 2 Rn. 547 (Hervorhebung durch Verfasser).

9Gehne/Gabriel, in: Johann/Sangi, LkSG, 1. Aufl. 2023, § 2 Rn. 159 f. (Hervorhebung durch Verfasser).

10Vgl. z. B. Franzmann, in: Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 4. Aufl. 2023, Ziff. 43.33 mit weiteren Nachweisen.

11Abfrage der Datenbanken beck-online und juris zu § 2 LkSG.

12Auf die Bedeutung des Einzelfalls bei dieser Frage stellt auch Fischer ab in: Gehling/Ott, 2022, § 2 LkSG Rn. 337.


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