Beispiel 1: Mangelhafte Organisation
Der 19-jährige Marvin stirbt im Februar 2017 bei einem Arbeitsunfall in der Stuttgarter Schleyerhalle. Der junge Mann besserte als Bühnenhilfsarbeiter sein Taschengeld auf. Am Unfalltag hatte er beim Abbau nach einem Konzert geholfen. Bei der Demontage der Dachkonstruktion stürzte ein Profikletterer aus 17 Metern Höhe auf ihn herab.
Marvin erlitt dadurch ein offenes Schädel-Hirn-Trauma und verstarb noch vor Ort. Der Unfallverursacher überlebte schwer verletzt. Er wurde vom Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt wegen fahrlässiger Tötung zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Er hatte bei den Abbauarbeiten zwar einen Auffanggurt getragen, war aber zum Unfallzeitpunkt nicht gesichert gewesen. Der Vater des verstorbenen Bühnenhelfers hat den Arbeitgeber und den Konzertveranstalter auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz verklagt. Er wirft den Beklagten vor, gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen und dadurch den Tod seines Sohnes verursacht zu haben. Dies habe das Gutachten der zuständigen Berufsgenossenschaft (BG) bestätigt.
Unkoordinierter Ablauf
Marvin könnte noch leben, wenn die Arbeiten in luftiger Höhe und am Boden zeitlich oder räumlich versetzt vorgenommen worden wären. Das ist sogar zwingend vorgeschrieben, schließlich könnten auch Gegenstände herabfallen. Bühnenhelfer und Profikletterer hätten sich aber nicht abgestimmt, bemängelte die BG. Von den Firmen
sei außerdem kein Aufsichtsführer bestimmt worden, um die Arbeiten zu koordinieren. Als dritte Unfallursache neben dem Verzicht auf Eigensicherung und Abstimmungsdefiziten werden „fehlende Einrichtungen zum Auffangen von abstürzenden Personen“ genannt. Beispielsweise hätte eine Hubarbeitsbühne eingesetzt werden können. Ob die Beschäftigten für die Veranstaltung eine Einweisung erhielten, konnte nicht mehr geklärt werden.
Beispiel 2: Unsichere Maschine
Mangelnde Sicherheitsvorkehrungen an einer Maschine in einem Werkzeugbaubetrieb kosteten einen 36-jährigen Beschäftigten das Leben. Das Amtsgericht Hannover hat deswegen den Geschäftsführer und den Werkmeister wegen fahrlässiger Tötung zu Geldstrafen verurteilt.
Nach Überzeugung des Gerichts sind sie maßgeblich dafür verantwortlich, dass im Juni 2017 ein Firmenmitarbeiter in einer Klinik an den Folgen eines Arbeitsunfalls starb. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, eine Produktionsmaschine entgegen der Sicherheitsbestimmungen in Betrieb genommen zu haben, obwohl diese aufgrund eines fehlenden Panzerglases nicht mehr betriebssicher war, und so den Tod des Angestellten mit verursacht zu haben.
Einige Wochen zuvor hatte sich ein Metallstück gelöst und war gegen die Sicherungsscheibe geflogen – diese zersprang und war nicht mehr einsetzbar. Das Panzerglas wurde lediglich durch eine Plexiglasscheibe ersetzt.
Die Angeklagten sollen hierbei gewusst haben, dass eine Kunststoffscheibe nicht in der Lage sein würde, die Wucht
eines fliegenden Werkstücks aufzufangen und die Arbeiter zu schützen. Die Maschine entsprach durch diese Veränderung auch nicht mehr den technischen Anforderungen und hätte aus Gründen des Arbeitsschutzes gar nicht mehr betrieben werden dürfen. Auch das soll den Verantwortlichen bekannt gewesen sein.
Von Metallteil getroffen
Eine Ersatzscheibe wurde zwar schnell geliefert, aber nicht gleich eingebaut. Dann geschah das Unglück: Ein Mitarbeiter arbeitete an der Drehmaschine. Beim Bearbeiten eines Metallstückes zersprang dieses. Das circa zehn Kilo schwere Metallteil durchschlug die Kunststoffscheibe der Drehmaschine und wurde dem Arbeiter an den Kopf geschleudert. Dem Mann wurden Schädeldecke und Stirn zertrümmert und ein Auge schwer verletzt. Trotz sofortiger ärztlicher Hilfe verstarb er später in der Klinik. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe beantragt. Die Richter entschieden jedoch dagegen, weil die Angeklagten nicht vorbestraft sind und der verstorbene Arbeiter über
den Sicherheitszustand der Maschine Bescheid wusste.
Autorin
Tanja Sautter,
Juristin bei der BG Verkehr