Im neuen Krankenhaus-Report „Das digitale Krankenhaus„ gehen verschiedene Autoren der Frage nach, wie die Digitalisierung die stationäre Gesundheitsversorgung verändern wird. Zur Einschätzung des Digitalisierungsgrades deutscher Kliniken nutzen die Autoren des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen von der Technischen Universität (TU) Berlin das „Electronic Medical Record Adoption Model (EMRAM)“. Danach können Krankenhäuser eine Stufe von 0 bis 7 erreichen, wobei das Erreichen einer Stufe die Erfüllung der vorhergehenden impliziert (Tabelle 1). Stufe 0 bedeutet, dass kaum digital gearbeitet wird, während Stufe 7 einem papierlosen Krankenhaus entspricht. Für die Studie wurden die Daten von 167 deutschen Krankenhäusern ausgewertet, die derzeit nach dem EMRAM-Modell zertifiziert sind. Danach erreichten 2017 knapp 40 Prozent der untersuchten Kliniken nur die Stufe 0. Lediglich zwei Krankenhäuser der Maximalversorgung erfüllten die Anforderungen der Stufe 6. Kein einziges der zertifizierten Häuser in Deutschland schaffte die Stufe 7.
Die Ergebnisse verweisen auf einen niedrigen Digitalisierungsgrad in deutschen Krankenhäusern. Während Deutschland mit dem Wert von 2,3 knapp 40 Prozent unter dem EU-Durchschnitt von 3,6 liegt, erreichen Länder wie die Niederlande (4,8), Dänemark (5,4) oder auch die USA (5,3) deutlich bessere Ergebnisse (Tabelle 2). „Der Digitalisierungsrückstand in deutschen Krankenhäusern ist mehr als deutlich. Dies ist das klare Fazit, auch wenn für die Studie nur die zertifizierten Krankenhäuser ausgewertet wurden“, sagt Jürgen Klauber, Geschäftsführer des WIdO. „Für die unzureichende Digitalisierung gibt es viele Ursachen. Dazu gehört neben der mangelhaften Investitionskostenfinanzierung durch die Bundesländer auch eine mangelnde Innovationskultur in den Häusern. Vollzieht man die aufgrund von Überkapazitäten und Qualitätsdefiziten zweifellos notwendige Strukturbereinigung, hätte dies auch positive Konsequenzen für den notwendigen Fortschritt bei der Digitalisierung. Digitale Systeme könnten dann deutlich leichter Einzug halten.“
Denn es sind vor allem die kleinen Krankenhäuser, die den größten Rückstand bei der Digitalisierung zeigen. So kamen die Krankenhäuser mit weniger als 200 Betten nur auf den durchschnittlichen EMRAM-Wert von 1,3 (Tabelle 3). Aber auch die Krankenhäuser mit über 500 Betten erreichten mit einem Wert von 3,4 im Mittel nur knapp den europäischen Durchschnitt.
Weitere Analysen im neuen Krankenhaus-Report stützen diese Erkenntnisse. So untersucht der IT-Report Gesundheitswesen der Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen (IGW) an der Hochschule Osnabrück seit 16 Jahren den Stand der Digitalisierung und des Technologieeinsatzes in deutschen Krankenhäusern. Auf Basis der Daten des Jahres 2017 von 205 Krankenhäusern attestiert der IT-Report den deutschen Krankenhäusern ein beträchtliches Verbesserungspotenzial. So liegt die maximal erreichbare Punktzahl bei diesem Verfahren bei 100 Punkten, doch die Kliniken kamen bei der Gesamtauswertung aller betrachteten Prozesse nur auf durchschnittlich 55 Punkte. Dabei ist der Aufnahmeprozess am schwächsten digitalisiert (durchschnittlich 44 Punkte), vergleichsweise stark digitalisiert zeigt sich der Prozess der OP-Vorbereitung (durchschnittlich 65 Punkte). Neben diesen Prozessen beleuchtet die IGW auch die Innovationsfähigkeit der Häuser und die Professionalisierung des Informationsmanagements – mit deutlich unterdurchschnittlichem Ergebnis: Beispielsweise beim Score Innovationskultur erreichen die betrachteten Häuser im Mittel 44 Punkte, bei der Innovationsorientierung der IT-Leitung 42.
„Dabei bietet eine stärkere Digitalisierung viele Vorteile. Durch die Veränderung interner Abläufe und institutionenübergreifender Prozesse lässt sich beispielsweise die Versorgungskette wirtschaftlicher gestalten. Zudem werden interne und externe Vernetzungen erleichtert und Informationsströme beschleunigt, was die Qualität der Patientenversorgung verbessert“, so Jürgen Klauber. Als international beachtetes Musterbeispiel des digitalen Wandels gelte Dänemark, das diesen Prozess seit 1990 auf den Weg gebracht hat.
In Deutschland hat das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) früh einen solchen digitalen Transformationsprozess gestartet. Wie die Autoren vom UKE im Krankenhaus-Report 2019 darstellen, wird zum Beispiel ein geschlossener digitaler Medikationsprozess umgesetzt. Durch diesen werden von der Verordnung bis zur Aushändigung von Medikamenten Übertragungs- und Kommunikationsfehler beziehungsweise Abgabefehler am Bett nahezu ausgeschlossen und somit die Patientensicherheit erhöht. Zugleich habe sich der beschrittene Pfad einer radikalen Digitalisierung und Prozessorientierung aber auch positiv auf die Leistungsfähigkeit des Krankenhauses ausgewirkt und sich wirtschaftlich ausgezahlt.
Der Krankenhaus-Report 2019 „Das digitale Krankenhaus„ analysiert den Stand und das Potenzial der Digitalisierung
in Deutschland. Er thematisiert unter anderem die Nutzung von Krankenhaus-IT im internationalen Vergleich, die Voraussetzungen und Möglichkeiten einer umfassenden Nutzung von IT im Krankenhaus, elektronische Patientenakten, den Wandel der Berufsbilder durch digitale Technik oder auch Aspekte der digitalen Transformation und der Patientenversorgung. Ergänzt wird das Schwerpunktthema um eine krankenhauspolitische Chronik sowie einen umfangreichen Datenteil.
Weitere Informationen und Download des Buchs unter
Klauber J, Geraedts M, Friedrich J, Wasem J (Hrsg.), Krankenhaus-Report 2019, Schwerpunkt: Das digitale Krankenhaus. Springer, Berlin Heidelberg 2019. ISBN Printausgabe: 978–3–662–88224–4, 376 Seiten; 53,49 €, E-Book 978–3–662–58225–1; Open Access: https://link.springer.com/book/10.1007/978–3–662–58225–1