10_Betriebliches Gesundheitsmanagement

Steuern mit Kennzahlen

In ein gutes BGM muss man investieren. Doch weder Zeit noch Geld sind in Unternehmen im Überfluss vorhanden. Deshalb ist es nur logisch, immer wieder den Erfolg der Aktivitäten zu prüfen. Damit Sie sich dabei nicht auf zufällige Eindrücke verlassen müssen, sollten Sie mit Kennzahlen arbeiten und das BGM in das Controlling – also die Planung-, Steuerung- und Kontrolle von Prozessen in einer Organisation – einbeziehen. Untersuchungen zeigen, dass dieser Aspekt im Zusammenhang mit dem BGM heute immer noch recht häufig vernachlässigt wird.

Was Kennzahlen aussagen

Kennzahlen sind Werte, die in zeitlichem Abstand auf immer die gleiche Weise erhoben werden. Sie zeigen, wie sich etwa eine Abteilung entwickelt oder wie ein Unternehmen im Vergleich zu anderen der Branche dasteht. Kennzahlen sind u.a. im Qualitätsmanagement und Controlling eine bewährte Methode, um die Wirkung von Maßnahmen zu ermitteln. Diese Kontrolle können Sie auch für Aktivitäten aus dem Gesundheitsmanagement nutzen, getreu dem Motto: „Was man nicht misst, kann man nicht managen.“

Erst ein solches Controlling legitimiert auf Dauer die BGM-Aktivitäten. Kennzahlen helfen Ihnen, zu erkennen, welche Maßnahmen tatsächlich Effekte zeigen, und so Fortschritte oder Rückschläge zu bewerten.

Gute Kennzahlen für den Start

Gutes Arbeitsklima ist schwer in Zahlen auszudrücken, leichter lassen sich beispielsweise die Krankheitstage im Unternehmen ermitteln. Das ist die Unterscheidung zwischen „weichen“ und „harten“ Kennzahlen. Doch welche Werte helfen Ihnen tatsächlich weiter? Wie viele unterschiedliche Kennzahlen brauchen Sie? Diese Fragen stehen am Anfang.

Tipp: Kennzahlen schaffen mehr Transparenz – und das begeistert nicht unbedingt jeden. Informieren Sie also die Akteure der Fach- und Leitungsebene und nehmen Sie den Betriebsrat mit. Außerdem können sich gerade bei Gesundheitsdaten Fragen zum Datenschutz ergeben, die geklärt sein müssen. Beziehen Sie Ihren Datenschutzbeauftragten in Planung und Erfassung von Kennzahlen ein.

Praxistipp: Drei Regeln für den Start

  1. Beginnen Sie mit wenigen Kennzahlen.

Kennzahlensysteme sind keine starre Angelegenheit. Daher können Sie unbesorgt mit wenigen Zahlen starten und so zunächst im überschaubaren Rahmen die Vorzüge und Tücken der Kennzahlenarbeit kennenlernen. Schritt für Schritt können Sie das System dann jeweils an den aktuellen Bedarf anpassen und ausbauen. Sprich: „Neue Ziele, neue Zahlen.“

TIPP: Es genügt, wenn Sie mit nur drei Kennzahlen starten, um Ihre Ressourcen nicht zu sehr zu strapazieren. Der Einstieg mit harten Kennzahlen ist in der Regel weniger aufwendig.

Ihr Ziel sollte ein mitwachsendes Kennzahlensystem sein. Dabei fahren Sie besser mit weniger Kennwerten, die logisch aufgebaut sind und von der BGM-Strategie abgeleitet wurden. Diese sollten nachhaltig erhoben werden und Sie können sie jederzeit durch weitere Kennzahlen ergänzen. Ihr Kennzahlensystem wird so über die Jahre an Komplexität gewinnen und Sie können es auch an veränderte Ziele anpassen.

2. Leiten Sie die Kennzahlen aus den strategischen Zielen Ihres BGM-Konzeptes ab.

Betriebliches Gesundheitsmanagement ist kein Selbstzweck. Im Normalfall haben Sie im Unternehmen einen Arbeits- oder Steuerkreis Gesundheit eingesetzt, der im BGM-Rahmenkonzept bestimmte Ziele festgelegt hat.

Ein typisches Ziel wäre es, Arbeitsplätze im Unternehmen gesünder zu gestalten. Davon abgeleitet sind Unfallzahlen oder die Anzahl von Ausfällen durch Berufskrankheiten als Kennzahlen geeignet. Haben Sie im Rahmenkonzept aber eventuell als Ziel festgelegt, die Zufriedenheit der Beschäftigten bzw. die Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern, wird es schon schwieriger, aussagefähige Zahlen zu finden. „Harte“ Messgrößen hier wären Kündigungen und Bewerbungen. „Weiche“ Größen – z. B. Angaben zur Arbeitszufriedenheit – müssten Sie in diesen Fall mit einer Mitarbeiterumfrage erheben.

Definieren Sie die Kennzahlen möglichst für die vier Bereiche

  • Unternehmensziel,
  • Mitarbeitergesundheit,
  • interne Arbeitsprozesse (Verhältnisprävention) sowie
  • Potenziale und Lernen (Verhaltensprävention).

3. Nutzen Sie Zahlen, die Sie mit geringem Aufwand erheben können oder die im Unternehmen bereits vorliegen.

Datenerhebung durch Mitarbeiterbefragung kann einen enormen Aufwand verursachen. Gerade zum Einstieg in die Arbeit mit Kennzahlen empfiehlt es sich daher, vorhandene Daten zu verwenden. Wählen Sie deshalb zunächst möglichst solche Kennzahlen, die Sie mit vorhandenen Werten berechnen können. Denken Sie dabei an Kenngrößen aus dem Personalbereich, dem Arbeitsschutz oder vom Betriebsarzt.

Korrekte Kennzahlen erheben

Haben Sie geklärt, welche Zahlen Sie brauchen, müssen Sie sich Klarheit darüber verschaffen, wie die Daten erhoben werden.

Einige der Kennzahlen erheben Unternehmen standardmäßig: dazu gehören Fehlzeiten, Annahmequote im Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM), Anzahl von Gesundheitskursen und Teilnehmern. Diese Werte können Sie nutzen, ohne dass ein großer zusätzlicher Aufwand entsteht.

Tipp: Schlüsseln Sie Fehlzeiten auf und unterscheiden Sie dabei „unfallbedingte“ und „krankheitsbedingte“ Ausfälle.

Andere Kennzahlen müssen Sie zum Teil speziell für die Evaluation des BGM erfassen. Dazu gehören z. B.

  • Aussagen in der Mitarbeiterbefragung,
  • Protokolle aus der Begehung von Büros im Rahmen der Ergonomieprüfung,
  • Gefährdungsbeurteilung für psychische Belastung.

Falls andere Arbeitseinheiten Ihrer Organisation diese Erhebungen bereits durchführen, haben Sie aus BGM-Sicht Glück und sparen viel Arbeit.

Tipp: Für Mitarbeiterbefragungen zum Thema Gesundheit können Sie auf standardisierte Instrumente zurückgreifen, die beispielsweise Berufsgenossenschaften und Unfallkassen anbieten. Kombinieren Sie diese Tools mit unternehmensspezifischen Fragestellungen.

Für Daten, die Sie erst erheben wollen, müssen Sie die richtige Methode auswählen und die Erhebung professionell gestalten. In Frage kommen vor allem Mitarbeiterbefragungen per Fragebogen oder Interview, Statistiken oder Beobachtungen. Diese Methoden werden in quantitative und qualitative Verfahren unterschieden. Dabei haben beide Methoden je nach Fragestellung und befragter Personengruppe ihre Vor- und Nachteile.

Vor allem bei Fragen nach Zufriedenheit, psychischer oder körperlicher Belastung werden Sie Selbstauskünfte der Mitarbeiter benötigen. Hier brauchen Sie also eine Mitarbeiterbefragung. Prüfen Sie, ob Sie vorhandene Umfragen nutzen oder die nächste Befragung um gesundheitsspezifische Fragen ergänzen können. Achten Sie bei allen Arten einer Befragung aber unbedingt auf Anonymität!

Daten richtig interpretieren

Dank der Informationen, die Sie mit unterschiedlichen Methoden gesammelt haben, sind Sie nicht mehr auf Vermutungen angewiesen. Kennzahlen ermöglichen es Ihnen, sich an Fakten zu orientieren und Trends zu erkennen. Sie können jetzt beurteilen, wie nah Sie Ihrem Ziel schon gekommen sind und wo sie eventuell nachbessern müssen.

Bereiten Sie die Daten übersichtlich auf und nutzen Sie sie:

  • zur Steuerung bei SOLL-IST-Abweichungen
  • zur einfachen Darstellung komplizierter Strukturen und Prozesse
  • für rasche Reaktionen
  • zum Benchmarking
  • zum Filtern der Datenflut

Mit der ersten Erhebung analysieren Sie die Ist-Situation. Hier gewinnen Sie die Ausgangswerte, die Sie z.B. zwei oder drei Jahre später mit den dann erzielten Werten vergleichen können.

Tipp: Ihre Daten aus der ersten Erhebung sind meist nicht besonders aussagekräftig, da interne Vergleichswerte fehlen. Sie können jedoch branchenspezifische Werte, sogenannte „Benchmarks“, zum Vergleich heranziehen. So stellen Sie schon bei der ersten Datenerhebung fest, wo Ihr Unternehmen steht. Unternehmen mit einer hohen Fluktuation – die nicht zwangsläufig ein Indiz für ein schlechtes Arbeitsklima sein muss – sollten darauf achten, dass neu eingestellte Mitarbeiter als „Erstbefragte“ behandelt werden. Sonst besteht die Gefahr einer falschen Auswertung und auch die Vergleichswerte der Statistik stimmen nicht mehr!

Kurz erklärt: Benchmark

Um langfristig den Erfolg eines Unternehmens zu sichern, hat es sich bewährt, sich mit den Besten zu vergleichen und von ihnen zu lernen. Dabei beschreibt der Begriff „Benchmark“ das Verfahren, mit dem bestimmte Messgrößen mit denen von Spitzenreitern auf diesem Gebiet verglichen werden. Damit können Unternehmen Leistungslücken erkennen und gezielt an Verbesserungen arbeiten. Dieses Verfahren kann auch für die Organisation von Arbeits- und Gesundheitsschutz im Unternehmen genutzt werden.

Die Kombination aus Eigenanalyse und Analyse des Wettbewerbs ist seit den 1980er-Jahren als Benchmarking bekannt. Damals hatte der Kopiergerätehersteller Xerox die Produkte des erfolgreicheren Konkurrenten Canon detailliert unter die Lupe genommen. Robert C. Camp, der bei Xerox den Grundstein für das Benchmarking legte, beschreibt die Methode als Prozess mit fünf Phasen.

Mit Blick auf die Produktion haben sich u. a. folgende Kriterien für das Benchmarking bewährt:

  • Erledigte Aufträge pro Arbeitsstunde
  • Ausschussquote
  • Anzahl der Beschwerden
  • Anteil pünktlicher Lieferungen
  • Vorlaufzeit für Produktkonstruktion
  • Vorlaufzeit für Transport

Mit Blick auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz kommen z. B. die folgenden Kriterien infrage:

  • Anzahl der Arbeitsunfälle
  • Anzahl der Mitarbeiterschulungen
  • Kontrollen
  • Bußgelder

Vergleichswerte liefern Statistiken der Berufsgenossenschaften und Unfallversicherer.

TIPP: Ein bewährtes Tool für Arbeitsschutz-Benchmarking liefert die Online-Version von GDA-ORGAcheck (www.gda-orgacheck.de).

Aber auch, wenn Ihnen Vergleichsdaten aus vorangegangenen Jahren zur Verfügung stehen, müssen Sie bei der Interpretation sorgfältig vorgehen. Denn gerade die Gesundheit wird durch viele Faktoren beeinflusst, von denen ein erheblicher Teil im privaten Bereich liegt. Dadurch können Sie Veränderungen in den erhobenen Kennzahlen nicht hundertprozentig auf einzelne betriebliche Maßnahmen zurückführen. Die Belastungen durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine haben sich in den letzten Monaten z. B. extrem negativ auf die Stimmung in vielen Belegschaften ausgewirkt.

Sie müssen also in Kauf nehmen, dass Sie nicht völlig zweifelsfrei belegen können, ob tatsächlich die einzelne Gesundheits-Maßnahme oder eventuell andere Umstände den Erfolg, den Sie messen, verursacht haben. Aber Tendenzen lassen sich natürlich erkennen und effektiv in die weitere (Gesundheits-) Arbeit mit einbeziehen.

Tipp: Ampel-Systeme bewähren sich.

Ein großer Vorteil der Arbeit mit Kennzahlen ist die Tatsache, dass Sie hier komplexe Sachverhalte sehr übersichtlich darstellen können. Nutzen Sie diese Möglichkeit! So einfach wie überzeugend funktioniert das z. B. mit dem Ampel-System. Wichtig dabei: Legen Sie nicht nur eine Ziel-Größe fest, sondern zusätzlich „Signal-Werte“, bei denen Sie mit mittlerer (bei Gelb) oder hoher Aktivität (bei Rot) gegensteuern. Wenn Sie z. B. Ernährungsberatung anbieten und damit 80 % Ihrer Beschäftigten erreichen wollen, könnte eine 50%ige-Teilnahme ein Wert sein, bei dem Sie das Angebot bzw. die Kommunikation dazu nochmal auf den Prüfstand stellen. Liegen die Zahlen darunter, müssen Sie handeln. Prüfen Sie dann noch einmal, ob bzw. wie das Angebot grundsätzlich modifiziert werden muss. Es wäre dann jedenfalls wenig sinnvoll, die Beratung unverändert weiterlaufen zu lassen.

Tipp: Lassen Sie sich durch fehlgeschlagene Angebote nicht entmutigen. Auch wenn Sie als BGM-Verantwortliche nur das Beste für Ihre Kollegen/-innen wollen, heißt das nicht zwangsläufig, dass jede Maßnahme den gewünschten Effekt erzielt oder alle das so sehen. Merken Sie sich einfach: Eine Anpassung von Maßnahmen aufgrund vorliegender neuer Kennzahlen ist kein Makel, sondern hilft, das BGM insgesamt zu verbessern.

Zu Beginn haben Sie die Ziele und Kennzahlen vom Organisationszweck ausgehend Ebene für Ebene von oben nach unten abgeleitet. Im Sinne eines Managementsystems spricht man hier auch vom „Top-Down-Prozess“. Die Wirkung der Maßnahmen kann nun in genau der Gegenrichtung gesehen werden („Bottom-Up-Prozess“).

Fehler vermeiden

Wichtig bei der Analyse ist ein kritischer Blick auf die Aussagekraft der Daten. Ein Beispiel soll zeigen, worauf Sie achten müssen. Nehmen wir an, Ihr Unternehmen hat sich im Bereich der Verhaltensprävention zum Ziel gesetzt, Mitarbeiter zum Thema „Gesunde Ernährung bei Schichtarbeit“ zu informieren. Daraus leiten Sie die Kennzahl „Anzahl der Teilnehmer am Ernährungskurs“ ab. In der Auswertung stellen Sie fest, dass innerhalb eines Jahres bereits ein Drittel aller Schichtarbeiter den Kurs besucht haben. Das klingt nach einem Erfolg. Doch diese Zahlen sagen nichts über die Qualität des Kurses aus, lediglich über die Quantität. Sinnvoll wäre es hier, die Teilnehmerzahl mit einer Zufriedenheitsbewertung durch die Teilnehmer zu kombinieren. So senken Sie das Risiko einer Fehleinschätzung und -steuerung.

Die Einführung eines BGM-Prozesses ist eine tiefgehende Veränderung für eine Organisation. Solche Veränderungen brauchen Zeit, außerdem sind die bereitgestellten Ressourcen für BGM oft begrenzt, so dass die Maßnahmen nur langsam umgesetzt werden können. Kurzfristige „Renditeerwartungen“ sind daher unrealistisch und werden selten erfüllt, kurzfristig messbare Erfolge auf der strategischen oder monetären Ebene ebenso. Daher ist es wichtig, dass Sie die Qualität des BGM-Prozesses an sich evaluieren und immer wieder prüfen, ob die Ausrichtung stimmt und die Umsetzung der Maßnahmen gut ist.

Bereits mit den Ausgangsdaten haben Sie Ziele für Ihr BGM festgelegt. Nach der Kontrolle mit den Vergleichsdaten können Sie nun die nächsten Schritte und Ziele planen.

Tipp: Halten Sie Ihre Veränderungs-Ziele schriftlich mit konkreten Zahlen fest.

So könnten Sie die Teilnahmequote an Gesundheitskursen für das nächste Jahr nun besser planen oder sich auf die Qualität der Kurse – gemessen an der Zufriedenheit der Mitarbeiter – konzentrieren. Legen Sie einen Zeitpunkt für den nächsten Check fest.

Letztlich müssen Sie als BGM-Verantwortliche entscheiden, mit welchen Maßnahmen Sie eine positive Veränderung erreichen möchten und über welchen Zeitraum Sie dies für realistisch halten. Wichtig ist, dass Sie Maßnahmen so wählen, dass sie tatsächlich die definierten Kennzahlen berücksichtigen und genau dort auch Verbesserungen erreichen.

Wenn Sie die Teilnahmequote am BEM als Erfolgszahl definiert haben, sind andere Maßnahmen sinnvoll, als wenn Sie das Verhältnis von durchgeführten zu erfolgreich beendeten BEM-Fällen als Kennzahl auswählen. Dies zeigt, wie wichtig die Kennzahl auch für die spätere Prozesssteuerung ist.


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