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Nachlese: A+A Kongress 2015

Vom 27. – 30. Oktober 2015 fand in Düsseldorf der 34. internationale A+A-Kongress statt. Die Hauptveranstaltung des Arbeitsschutzes präsentierte sich mit über 60 Veranstaltungen und 350 Referaten zu allen zentralen Themen von Sicherheit, Gesundheit und Ergonomie und mehr als 5.000 Teilnehmenden. Die internationale Fachmesse der A+A erreichte mit 1.887 Ausstellern (fast 300 mehr als 2013) aus 57 Nationen und mehr als 65.000 Fachbesuchern einen neuen Rekord.

Digitalisierung, Demografie, Stress
In der völlig neu gestalteten Eröffnungsveranstaltung umriss Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles die großen aktuellen Themen und Herausforderungen der Prävention: „Wenn wir über die Arbeit der Zukunft sprechen, müssen wir den Arbeitsschutz immer mitdenken. Die Digitalisierung der Arbeitswelt bietet viele Chancen. Unternehmen können Produktivitätssteigerungen erreichen, Beschäftigte bessere Arbeitsbedingungen und flexiblere Arbeitszeiten. Gleichzeitig gibt es aber auch Risiken. Leistungsverdichtung, Zeitdruck, Reizüberflutung oder ständige Verfügbarkeit können zu psychischen Belastungen führen.“ Ziel müsse ein neuer „Flexibilitäts-Kompromiss“ sein. Das ökonomische Potenzial der Prävention müsse in den Betrieben auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zur Bindung qualifizierter Fachkräfte voll ausgeschöpft werden. Prävention und gute Arbeit seien zudem kein „nationaler Luxus“, sondern müssten weltweit vorangetrieben werden. In ihrer Rede zur A+A-Eröffnung gab Margret Suckale, Arbeitsdirektorin der BASF SE einen intensiven Einblick zum Stand der Digitalisierung in der chemischen Industrie. Der neue Digitalisierungsschub hat dort noch kaum begonnen, wird aber definitiv zu tiefgreifenden Veränderungen der Produktionsprozesse und der Arbeit in dieser Branche führen. Eine zentrale Rolle zur Begleitung und Gestaltung dieser Veränderungen kommt den Sozialpartnern dieser Branche zu.

Auch in der Podiumsdiskussion mit Annelie Buntenbach, DGB und Alexander Gunkel, BDA sowie Stefan Dräger, Vorstandsvorsitzender Drägerwerk, Michael Koll, Bundesarbeitsministerium und Isabel Rothe, Präsidentin der BAuA standen die Themen Digitalisierung, Fachkräftemangel und Stress sowie die wachsende weltweite Bedeutung des Arbeitsschutzes im Vordergrund. Bis auf die Streitfrage der Notwendigkeit neuer Rechtsvorschriften besteht eine große Übereinstimmung zur Notwendigkeit einer gemeinsamen Gestaltung dieser Herausforderungen.

Key-Notes für die Prävention
Erstmals gab es beim A+A-Kongress 2015 Key-Notes zu den drei Hauptbereichen des Arbeitsschutzes Sicherheit, Gesundheit und Ergonomie/Arbeitgestaltung wie auch zu Fragen der Führung und zur Mitbestimmung/Beteiligung.

Prof. Dr. Ralph Bruder, TU Darmstadt setzte sich in seinem Referat „Menschengerechte Arbeitsgestaltung – Produktivität – Prävention“ mit der Frage auseinander, wie es gelingen kann, länger arbeiten zu können und zu wollen und wie sinnvolle Arbeit zu gestalten ist. Der Effekt systematischer Prävention und Gesundheitsförderung für den Erhalt der Arbeitsfähigkeit einer alternden Erwerbsbevölkerung ist nachgewiesen und muss unabdingbarer Bestandteil zukunftsfähiger Unternehmen sein. Perspektivisch kommt es im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz immer stärker darauf an, eine Individualisierung der Arbeitsgestaltung zu berücksichtigen.

Dame Carol M. Black, Universität Cambridge, umriss mit dem Referat „Gesundheit bei der Arbeit – für eine gesündere Zukunft“, wie durch eine integrierte Anwendung der traditionell getrennten Bereiche Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung wirksame Präventionsstrategien gegenüber Erkrankungen wie z. B. Übergewicht entwickelt werden können. Ihr Beitrag greift damit auch den Ansatz und die Aufgaben der Prävention und Gesundheitsförderung auf, wie sie durch das neue Präventionsgesetz gefordert werden.

Dr. Ursula Engelen-Kefer, ehem. stellv. DGB-Vorsitzende, verwies in ihrem Referat „Beteiligung und Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz“ auf die Möglichkeiten und z. B. in KMUs häufig nicht genutzten Potentiale der betrieblichen Interessenvertretung. Diese müsse sich wie eh und je um die Probleme einzelner Beschäftigter kümmern, könne aber gerade im Rahmen des modernen Arbeits- und Gesundheitsschutzes Co-Management praktizieren. Für die Zukunft wird nicht zuletzt auch im Rahmen der neuen Unternehmenskonzepte vor allem auch die Beteiligung einzelner Arbeitnehmer bedeutsamer. Auf überbetrieblicher Ebene gilt es die Mitbestimmung in der Selbstverwaltung u. a. der gesetzlichen Unfallversicherung zu nutzen.

Im Mittelpunkt des Referates von Prof. Dr. Ortwin Renn, Universität Stuttgart zu „Technologischen Entwicklungen: Herausforderungen für den Arbeitsschutz“ stand die Bedeutung einer systematischen Risikobewertung durch den Arbeitsschutz in Bezug auf verschiedene neue Technologien. Sie stellt nicht nur einen Wettbewerbsvorteil dar. Nur so ist auch zu vermeiden oder abzumildern, dass wir uns „vor dem Falschen“ fürchten.

Prof. Dr. Jutta Rump, FH Ludwigshafen stellte in ihrem Referat „Demografie und Vielfalt in der Arbeitswelt“ heraus, dass die Beschäftigtenstruktur immer vielfältiger wird. Durch die aktuelle Migrationswelle werden die bisherigen Prognosen über die Alterung der Erwerbsbevölkerung hinfällig, allerdings erst mittelfristig. Die Gestaltung der Vielfalt wird zu einer zentralen Managementaufgabe. Sie umfasst das „magische Dreieck“ von Kompetenzen/Qualifikation, Gesundheit/Wohlbefinden wie auch Identifikation/Motivation im Spannungsfeld von Unternehmens- und Eigenverantwortung und zu Ende gedacht eine Individualisierung von Prävention, Arbeitsgestaltung und Personalpolitik.

Schwerpunktthemen des A+A-Kongresses
Publikumsrenner war auch 2015 wieder das Thema Stress und psychische Belastungen. Vor allem Methoden und die praktische Anwendung der Gefährdungsbeurteilung werden nach wie vor sehr stark nachgefragt. Dies gilt fast ebenso für Beispiele gelungener betrieblicher Praxis. Erstmals wurde auch ein europäischer Vergleich nationaler Ansätze und Erfahrungen zur Prävention psychischer Belastungen präsentiert. So werden z. B. in Belgien und Schweden seit 2 Jahrzehnten umfassende Präventionsstrategien z. B. hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitsorganisation und der Förderung guter Führung praktiziert. Von großem Interesse war auch die Frage von Zuständigkeiten z. B. in der Beratung und der Kooperation bzw. Konkurrenz der durch dieses komplexe Thema betroffenen Fachleute.

Klassische Themen der Arbeitssicherheit wie die Arbeitsstättenverordnung, Betriebs- und Maschinensicherheit, vorbeugender Brandschutz, Gefahrstoffe/REACH und Stäube/Asbest wie auch last but not least persönliche Schutzausrüstungen sorgten für volle Säle. U. a. auch der umfassende neue Ansatz der Betriebssicherheits-Verordnung, der sich weit über Sicherheit im engeren Sinne auf alle Fragen der ergonomischen Gestaltung erstreckt, findet großes Interesse und muss die Fachgemeinde des Arbeitsschutzes noch intensiv beschäftigen.

Dies gilt ebenfalls für die Digitalisierungsdebatte. Das Thema Industrie 4.0 und Arbeitsassistenzsysteme zeigte sehr konkret, wie zukünftig der Arbeitsschutz – und zugespitzt: die klassische Arbeitssicherheit – von den neuen technologischen Möglichkeiten profitieren kann. Für die Büroarbeit 4.0 wurden die neuen Herausforderungen für die ergonomische Gestaltung wie auch für Einrichtung und Planung mit den betroffenen Professionen diskutiert. Neue Ergonomie-Konzepte in der Industrie, vor allem auch in der Montagearbeit ebenso wie auch Arbeitszeit und Entgrenzung rundeten das Bild ab.

Gesundheitsthemen wie die Statuskonferenz Betriebliche Gesundheitsförderung, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Präventionsgesetz, Suchtprävention, Muskel-Skelett-Belastungen, Berufskrankheiten und arbeitsmedizinische Vorsorge haben einen festen Platz im Spektrum der A+A. Vor allem der breite neue Ansatz des Präventionsgesetzes mit seinen konkreten Gesundheitszielen und den neuen, der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) nachempfundenen nationalen Strukturen wird auch die Präventionslandschaft in der Arbeitswelt verändern und weiterentwickeln.

Verschiedene wichtige neue Präventionsthemen wurden 2015 zum ersten Mal im Rahmen des A+A-Kongresses vorgestellt. Vor allem das Thema der Beobachtung neuer Risiken wurde breit diskutiert und zwar in europaweiten Dimensionen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Präventionskultur und damit nicht zuletzt auch den konzeptionellen Grundlagen des Arbeitsschutzes und seiner Akteure hat begonnen, was ebenso auch für die Themen Nachhaltigkeit in der Lieferkette und Prävention und Inklusion gilt.

Für die Großgruppen des betrieblichen Arbeitsschutzes fanden besondere Veranstaltungen bzw. Aktionstage statt:

· Auf dem Tag der Sicherheitsbeauftragten wurde u. a. das Thema der Ergonomie-Scouts präsentiert. Dieses bei RWE entwickelte Konzept aktiviert und erweitert die Tätigkeit der Sicherheitsbeauftragten und hebt ihre Bedeutung für den Betrieb und die Prävention.

· Beim Tag der Betriebs- und Personalräte ging es u. a. um die Antworten der Gewerkschaften und der betrieblichen Interessenvertretung auf die Herausforderungen durch die Digitalisierung.

· Der Unternehmertag beschäftigte sich mit dem Thema der demografischen Entwicklung und Vielfalt als Führungsaufgabe und besonders der Frage der Ausbildung und Mitarbeiterbindung in Handwerk und Kleinbetrieben.

· Erstmals fand ein Führungskräftetreffen Öffentlicher Dienst statt für Bürgermeister, Personal- und Sozialdezernenten von Kommunen und Kreisen. Es ging u. a. um die Implementierung eines Gesundheitsmanagements vor dem Hintergrund stark alternder Belegschaften, hoher Krankenständen und leerer Haushaltskassen und auch um das konkrete Thema Gewalt gegen Beschäftigte in seinen verschiedenen Facetten.

· Am letzten Laufzeittag der A+A fand der Besuch von 1.600 Auszubildenden aus den Branchen der BG Bau und der BG RCI statt.

Die internationalen Veranstaltungen verzeichneten einen deutlichen Zuwachs gegenüber 2013. Themen der Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherung (ISSA) waren Präventionskultur weltweit, Gesundheitsförderung und Wohlbefinden, Vision Zero sowie besonders gefährdete Arbeitnehmergruppen. Der Koreanisch-Deutsche Arbeitsschutzdialog zu neuen Risiken stand im Mittelpunkt der Partnerlandaktivitäten der A+A 2015 mit der Republik Korea (Südkorea).

Der ENSHPO-Workshop der europäischen Sicherheits- und Gesundheitsexperten beschäftigte sich mit Arbeitsschutz-Qualifikationen und der drängenden Frage ihrer europaweiten Anerkennung. Qualifikationsfragen im europäischen Kontext waren ebenfalls Thema auf dem ISHCCO-Workshop der Sicherheits- und Gesundheitskoordinatoren im Bauwesen.

Treffpunkt Sicherheit + Gesundheit (TPSG)
Auf dem Treffpunkt Sicherheit + Gesundheit (TPSG) in Halle 10 der Messe Düsseldorf präsentierten sich mit rd. 100 Ständen die nichtkommerziellen Aussteller mit dem Großstand der DGUV im Zentrum. Neu vertreten war u. a. das „Eine Welt Netzwerk“ mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit.

Die Ausstellungsbereiche Ergonomie/Workplace Design und Gesundheit/Corporate Health der A+A-Fachmesse konnten mit mehr als 50 Ständen deutlich zulegen. So war in der Mitte von Halle 10 ein großer, in sich geschlossener Bereich mit Ständen deutscher und internationaler Firmen der Bürogestaltung sichtbar.

Ausblick
Die Situation und Perspektiven des Arbeits- und Gesundheitsschutzes stellen sich im Spiegel seiner Hauptveranstaltung sehr positiv dar. Seine politische und wirtschaftliche Bedeutung wächst und dies auch und gerade in internationaler Dimension. Der Wandel der Arbeit benötigt neue Konzepte der Prävention und erschließt ihr gleichzeitig neue technische und gestalterische Möglichkeiten.

Die nächste A+A findet vom 17. – 20. Oktober 2017 statt. Partnerland ist Großbritannien.

Tamara Hammer, Bruno Zwingmann

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