Werden Patienten durch eine Arzneitherapie geschädigt, ist häufig nicht das Arzneimittel, sondern eine nicht vor Fehlern schützende Organisation des Behandlungsprozesses verantwortlich. Unzureichende Arzneimitteltherapiesicherheit findet man insbesondere an den Schnittstellen der Behandlung. Darauf verwiesen Experten auf dem 4. Deutschen Kongress für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Deshalb ist es so wichtig, dass die Bundesregierung den erstmals 2007 vorgelegten Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland erneuert hat, sagte Prof. Dr. Daniel Grandt, Kongresspräsident und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I am Klinikum Saarbrücken. Er wies darauf hin, dass das Thema Arzneimitteltherapiesicherheit in den vergangenen Jahren nicht nur in der Fachwelt, sondern auch in Politik und Öffentlichkeit enorm an Bedeutung gewonnen habe. Das ist aber nicht, genug, denn entscheidend ist, dass risikominimierende Maßnahmen den Patienten in der Routineversorgung auch erreichen. Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr bezeichnete den Aktionsplan, dessen Neufassung auf dem Kongress erstmals vorgestellt wurde, als Erfolgsgeschichte. Die Arzneimitteltherapiesicherheit sei für die Bundesregierung ein zentrales Thema. Schwerpunkte des neu aufgelegten Aktionsplans sind unter anderem Maßnahmen zur besseren Kommunikation zwischen den Sektoren, zum Ausbau elektronischer Hilfsmittel sowie die Unterstützung weiterer Forschungsprojekte auf diesem Gebiet.
Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Spätestens mit dieser Botschaft weiß jeder, dass medikamentöse Therapie nicht frei von möglichen unerwünschten Ereignissen ist, sagte Dr. Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin und Vorsitzender der Qualitätssicherungsgremien der Bundesärztekammer. Es sei für Ärzte und andere Gesundheitsberufe längst kein Tabu mehr, über Fehler in der Arzneitherapie zu sprechen. Weitere Maßnahmen seien aber notwendig. So bedürfe es eines Registers von sämtlichen Studien mit Arzneimitteln, die am Menschen erforscht werden. Zudem bräuchten Ärzte und andere Gesundheitsberufe mehr Know-how. Wir müssen mehr in die Fortbildung von Ärzten und Apothekern investieren, forderte Jonitz.
Das Kernproblem ist, dass die unterschiedlichen Akteure ihre Verschreibungen nach bestem Wissen und Gewissen durchführen, sie aber nicht wissen, was andere Leistungsanbieter dem Patienten bereits verordnet haben, sagte Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Angesichts zunehmender Polymedikation aufgrund der demografischen Entwicklung sei es notwendig, dass alle an der Behandlung Beteiligten, einen Überblick über die verordneten Arzneimittel hätten.
Unterstützt wurde diese Forderung von Dr. Georg Greve, Erster Direktor der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See. Unsere Pflegebedürftigen nehmen im Schnitt elf Medikamente gleichzeitig. Deshalb sei es besonders wichtig, die Arzneitherapie an Schnittstellen zu unterstützen. Dies ist das Ziel von eBI, einer auf dem Kongress vorgestellten elektronischen Patientenakte für Versicherte der Knappschaft zur Information ihrer Ärzte.
Prof. Dr. Jean-Francois Chenot, Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Greifswald, berichtete von dem Projekt Patientenkompetenz in der Hausarztpraxis: orale Antikoagulation. Die orale Antikoagulation bezeichnet die Gabe eines Medikamentes zur Hemmung der Blutgerinnung. Chenot und sein Team gingen der Frage nach, wie stark eine standardisierte persönliche Schulung mit Videounterstützung durch eine medizinische Fachangestellte in Hausarztpraxen die Kompetenz von Patienten unter dem Blutgerinnungshemmer Phenprocoumon stärkt. Ein Ergebnis: Noch sechs Monate nach der Schulung wussten die Patienten mit Videoschulung erheblich mehr als vor der Schulung, während die Patienten sechs Monate nach der üblichen Aufklärung keinen oder nur einen geringen Wissenszuwachs hatten.
Besondere Aufmerksamkeit müsse der Arzneimitteltherapie bei Kleinkindern entgegengebracht werden, forderte Prof. Dr. Wolfgang Rascher, Direktor der Kinder- und Jugendklinik am Universitätsklinikum Erlangen. Ein Großteil der Medikamente bei Kindern werde off-label also zulassungsüberschreitend angewendet. Aufgrund des geringen Körpergewichts sei es nicht immer leicht, die richtige Dosierung zu finden. Rascher sprach sich für den Aufbau einer nationalen Datenbank aus, in der Beobachtungsdaten eingegeben und ausgewertet werden könnten.
Aus Sicht des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen beleuchtete Prof. Dr. Petra Thürmann von der Universität Witten/Herdecke die Thematik. Fehlmedikationen ließen sich durch digitalisierte Arztbriefe beziehungsweise Patientenakten verringern, sagte sie. Dokumentationen aus dem ärztlichen wie aus dem pflegerischen Bereich müssten zusammengeführt werden.
Am 4. Deutschen Kongress für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie nahmen rund 250 Experten aus verschiedenen Professionen teil. Vertieft wurde die Thematik in parallel zu den Plenumssitzungen stattfindenden Workshops und Posterausstellungen.
Weitere Informationen:
www.patientensicherheit2013.de