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„Bisher reagieren wir nur kurzfristig“

PD Dr. Jörn Brinkmann – Foto: UNU-EHS

PD Dr. Jörn Birkmann, der wissenschaftliche Leiter für den WeltRisikoIndex bei der United Nations University in Bonn, äußert sich im Interview mit Joachim Heinz von der Katholischen Nachrichten Agentur (KNA) zu den Ergebnissen des WeltRisikoBericht 2012.

Joachim Heinz: Herr Birkmann, nach 2011 liegt nun der zweite WeltRisikoBericht vor. Was ist gleich geblieben, was hat sich verändert?

Dr. Birkmann: Die aktuelle Untersuchung bestätigt die Strukturen und Trends von 2011. Und das ist auch gut so. Denn sie belegt, dass wir mit unseren Befunden richtig liegen. Grundlage bleibt die Gefährdung des jeweiligen Landes zusammen mit drei weiteren Parametern: der Anfälligkeit für Katastrophen, den Bewältigungs- und den Anpassungskapazitäten, die das Katastrophenrisiko definieren. Trotzdem gab es auch Änderungen.

Können Sie Beispiele nennen?

Nehmen wir Bangladesch. Dieser Staat in Südostasien stand auch schon in der Vergangenheit sehr weit oben auf der Liste der gefährdeten Staaten gegenüber Meeresspiegelanstieg, Stürmen und Hochwasser. Aufgrund neuer Zahlen sehen wir aber, dass die Lage noch dramatischer ist als ohnehin schon angenommen. Das liegt daran, dass der Anteil der Bevölkerung gestiegen ist, der auf einer Höhe von nur einem Meter über dem Meeresspiegel wohnt und damit in besonderem Maße unter den immer häufigeren Überschwemmungen und dem potenziellen Meeresspiegelanstieg zu leiden hat. Daher haben wir Bangladesch im Hinblick auf die Gefährdung vom 15. auf den 10. Platz hochgestuft.

Gibt es auch Länder, in denen sich die Situation gebessert hat?

Ja, aber auch das hat mehrheitlich mit einer verbesserten Datenlage zu tun. Die Salomonen, eine Inselgruppe im Pazifik, rutschte etwa bei der Gefährdung vom 7. auf den 13. Platz. Ähnliches war auch in Afghanistan für einige Teilaspekte zu beobachten.

Ihre Studie betont, dass die Naturgefahr beziehungsweise Gefährdung durch die Naturgefahr allein noch nichts aussagen muss, sondern immer auch die drei anderen Parameter mit in den Blick zu nehmen sind. Was hat das konkret zu bedeuten?

Haiti und Neuseeland wurden beide 2010 beziehungsweise 2011 von einem etwa gleich starken Erdbeben erschüttert. In Haiti gab es 220.000 Tote – in Neuseeland waren es nur 187. Das hängt eben mit der unterschiedlichen Anfälligkeit sowie den Anpassungs- und Bewältigungskapazitäten zusammen. In Neuseeland sind die meisten Häuser erdbebensicher gebaut, die Infrastruktur ist in gutem Zustand, und im Katastrophenfall wird eine schnelle ärztliche Versorgung sichergestellt. Demgegenüber leben in Haiti mehr als die Hälfte der Menschen in Armut, d. h. sie haben weniger als 1,25 US Dollar pro Tag zur Verfügung, und auch Korruption und schlechte Regierungsführung sind ein erhebliches Problem.

Hat der erste WeltRisikoBericht bei besonders gefährdeten Staaten etwas bewirkt?

Durchaus. In Vietnam hat der nationale Katastrophenschutz den Bericht auf die eigene Website gestellt; auf den Philippinen hat der Bericht für einige Senatoren als Argumentationsgrundlage gedient, stärkere Risikovorsorge einzufordern – aufgrund der hohen Risikoklasse des Landes. Auch innerhalb der UN ist Bewegung in das Thema gekommen.

Inwiefern?

Selbst der UN-Gipfel Rio+20 hat im Sommer gefordert, Umweltschutz und Katastrophenrisiko intensiver miteinander zu verknüpfen. Das Denken muss sich verändern: Bisher reagieren wir immer noch kurzfristig, wenn die Katastrophe bereits passiert ist. Sinnvoller wäre es, Politiker und Helfer würden sich im Vorfeld Gedanken machen, was passieren muss, um mögliche Schäden in Grenzen zu halten, und Strukturen zu bekämpfen, die aus einer Naturgefahr eine Katastrophe entstehen lassen.

Deutschland liegt in der aktuellen Rangliste auf Platz 146 von 173 Staaten. Sind wir auf einem richtigen Weg?

Das unmittelbare Risikopotenzial ist sicher schon allein aufgrund der geografischen Lage und der Wirtschaftskraft von Deutschland geringer als in vielen Entwicklungsländern. Aber auf einige Gefahren sind wir nicht besonders gut vorbereitet.

Welche sind das?

Vor allem jene Gefahren, mit denen eine Gesellschaft im demografischen Wandel in besonderer Weise zu kämpfen hat. So wird sich der Klimawandel hierzulande nicht in großen Dürren oder Flutkatastrophen niederschlagen. Aber die Tage mit heftigen Unwettern oder sehr hohen Temperaturen nehmen aller Voraussicht nach zu – und treffen besonders alte und kranke Menschen. Bei der Hitzewelle 2003 haben wir mit mehreren tausend Toten einen Vorgeschmack davon bekommen. Ein anderes Beispiel: Allein in Berlin leben 3.000 Menschen, die auf eine funktionsfähige und regelmäßige Dialyse angewiesen sind – in ganz Deutschland sind das über 60.000 Menschen. Wenn aufgrund von Gewittern oder extremer Kälte die Stromversorgung zusammenbricht, hat das unter Umständen auch gravierende Auswirkungen auf diese Gruppe: Die Dialyse-Geräte funktionieren ohne Strom nicht mehr.

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