Am 10. und 11. März 2005 fand das 2. Nordbadische Forum Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit im Mannheimer Schloss statt. Neben kurzen Beschreibungen der übrigen Vorträge wird im Folgenden in einem längeren Referat auf den Vortrag von E. Ulich eingegangen, der auch im Zentrum des Forums stand.
Rechtliche Novellierungen in der Betreuung von Betrieben
Ein zentraler Punkt der Tagung war die anstehende Deregulierung im Arbeitsschutz, die möglichen Gefahren und auch die Möglichkeiten und Chancen. Auf die Möglichkeiten, durch die Deregulierung den Arbeitsschutz anwendungsorientierter, besser auf den einzelnen großen oder kleinen Betrieb zugeschnitten durchführen zu können, wies Sobetzko in seinem Referat hin. Er sah darin die Chance, dass Arbeitsschutz dadurch auch vom Unternehmer weniger als Kostenfaktor, sondern vielmehr als integraler Bestandteil des Unternehmens gesehen wird.
G. Strothotte, einer der Mitverfasser der neuen BGV A2 (Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit), erläuterte diese insbesondere bezüglich der Konsequenzen für Klein- und Mittelbetriebe (KMU). Hier gibt es zur Zeit von BG zu BG sehr unterschiedliche Betreuungsmodelle. Schwierigkeiten bestehen insbesondere in der Praktikabilität (Minieinsatzzeiten), die eine feste Einsatzzeit häufig als nicht sinnvoll erscheinen lässt. Eine Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Betriebe, eine Ausrichtung der Betreuung am Gefährdungspotenzial, gleiche Betreuungsmaßstäbe bei gleicher Gefährdung und eine Qualitätssicherung soll die Akzeptanz der Betreuung in den Betrieben erhöhen. Die Umsetzung der BGV A2 durch die einzelnen BGen ist noch nicht abgeschlossen.
Die neue Gefahrstoffverordnung ist am 1. 1. 2005 in Kraft getreten. Ein Ziel der neuen Fassung war es, deren Akzeptanz und damit ihre Umsetzung auch bei Klein- und Mittelbetrieben (KMU) zu erhöhen. Dies soll durch eine genaue und auch für Laien verständliche Beschreibung der Gefährdungsbeurteilung als Voraussetzung für die Erstellung der erforderlichen Betriebsanweisungen erreicht werden. K. Fröhlich konkretisierte das Schutzstufenkonzept als Grundlage betrieblicher Handlungs- und Dokumentationsaktivitäten im Rahmen des Arbeitschutzes (Notwendigkeit von Gefahrstoffverzeichnis, Betriebsanweisung, arbeitsmedizinisch-toxikologischer Beratung, Substitutionsempfehlung/-pflicht, Verwendung geschlossener Systeme). Er diskutierte Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den alten MAK- und TRK-Werten und den neuen Arbeitsplatzgrenzwerten (AGW) insbesondere bezüglich ihrer Mittelung über die Zeit.
F. Grauer stellte die Systematik und den Geist der novellierten Arbeitsstättenverordnung vom 25. 8. 2004 als nationaler Umsetzung der EG-Arbeitsstättenrichtlinie vor. Die Schutzziele sollen Raum für betriebsnahe Gestaltungsmöglichkeiten lassen und werden nur dann konkretisiert, wenn im Belastungsfall Gesundheitsschäden möglich sind oder wenn Anforderungen keinen nachträglichen Gestaltungsspielraum zulassen.
M. Sehling referierte Überlegungen über die Rolle des Betriebsarztes beim Disability Management, insbesondere unter Berücksichtigung des §84 Abs. 2 im SGB IX. Dieser hat nach Aussagen von Vertretern des Sozialministeriums die Erhaltung von Arbeitsplätzen von chronisch Kranken und behinderten Menschen zum Ziel (bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass dieser Paragraph, obwohl im SGB IX, Schwerbehindertenrecht untergebracht, sich gleichwohl auf die gesamte Mitarbeiterschaft bezieht; Anmerkung des Verfassers). In das geforderte Wiedereingliederungsmanagement ist der Betriebsarzt von Gesetz wegen, aufgrund seiner Kompetenz in medizinischen, insbesondere sozialmedizinischen Fragen auch logischerweise mit einbezogen und durchaus prädestiniert, eine Koordinatorenrolle zu übernehmen. Zu koordinieren sind u. a. intern Vorgesetzte, Personalabteilung, Personalrat, evtl. Vertrauensperson der Schwerbehinderten und Schwerbehindertenbeauftragte, extern behandelnde Ärzte, Kliniken, Sozialversicherungen und evtl. das Integrationsamt. Der Hauptverband der Gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) offeriert für diese Aufgabe ein Bildungsangebot (Disability Manager).
Einzelthemen
Weiter in die praktisch-alltägliche Arbeit ging es dann im Vortrag von S. Schoppe-Jochum über den Atemschutzträger im Spannungsfeld zwischen arbeitmedizinischer Untersuchung und persönlicher Erwartung. Über die in der BG-Vorschrift G26 nachlesbaren Untersuchungsinhalte hinaus erschienen folgende Hinweise wichtig: 1. Die Ergometrie kann zwar Personen herausfiltern, die als Atemschutzträger nicht geeignet sind, sie stellt aber keine Eignungsprüfung im positiven Sinne dar. 2. Die vermeintlich peripheren Untersuchungen zum Vorliegen von Trommelfellschäden, Eingeweidebrüchen, Obesitas, Hörvermögen können im realen Einsatz von kritischer Bedeutung sein. Selbst der Bart kann zum Problem werden. 3. Von Seiten der technischen Maßnahmen sind das Gewicht und der Tragekomfort der Pressluftatmer, die Frage, welche Gerätschaften tatsächlich mitzuführen sind und die Art und Beschaffenheit der Einsatzkleidung ins Kalkül zu ziehen. All dies kann zu Differenzen zwischen ärztlicher Erwartung und der der Betroffenen führen. Dies bedarf der intensiven Kommunikation.
Nauert referierte über das speziell im Krankenhaus- und dort im OP-Bereich nach wie vor hochaktuelle Thema der nosokomialen Infektionen, insbesondere der chronischen Hepatitiden. Die Arbeitsmedizin übt hier nach wie vor den Spagat zwischen Melde- und Schweigepflicht, ohne dass bisher eine zufriedenstellende rechtliche Lösung gefunden worden wäre.
A. Wittmann stellte eine Studie zur möglichen Kostenersparnis durch den Einsatz sicherer Kanülen im Krankenhausbereich vor. Diese Kanülen haben integrierte Sicherheitseinrichtungen, die ein versehentliches Stechen nach ordnungsgemäßem Gebrauch weitgehend ausschließen. Bei der jetzigen Frequenz von Nadelstichverletzungen besteht zumindest für den Unfallversicherungsträger, mutmaßlich aber auch für den Krankenhausträger ein ökonomischer Nutzen durch den Einsatz solcher Sicherheitskanülen. Grundsätzlich besteht ohnehin aufgrund der Vorgaben von Arbeitsschutzgesetz und Biostoffverordnung mit ihren Umsetzungen insbesondere durch die TRBA 250 die Pflicht im Arbeitsschutz, den Stand der Technik auch einzusetzen.
K. Scheuermann warb in dem Vortrag Halonersatz, eine komplexe Anforderung an den betrieblichen Brandschutz darum, sich gerade nach dem FCKW-Verbot verstärkt mit der Erstellung eines betrieblichen Brandschutzkonzepts auseinanderzusetzen.
Ein mittlerweile allgemein bekanntes arbeitsmedizinisches Problem stellen die Fehlbelastungen insbesondere der Wirbelsäulenmuskulatur am Bildschirmarbeitsplatz dar. Ratschläge zur intermittierenden Regeneration und Lockerung in gut gemeinten Broschüren werden in der Regel frühestens dann befolgt, wenn Beschwerden vorhanden sind, vorher aber einfach vergessen. B. von Hardenberg und R. Ram-Devrient stellten ein PC-gesteuertes Programm zur Rückenprävention (moving) vor, das in regelmäßigen Zeitabständen am Bildschirm zu einfachen, im Sitzen durchführbaren gymnastischen Übungen (Vorwärts-/Rückwärts; Dehnung; Streckung; Links-/Rechtsbewegung) auffordert. Studien zu seiner Effizienz wurden durchgeführt.
Verlässliche Daten zum Einfluss des Konsums legaler und illegaler Drogen auf Arbeitsleistung und Arbeitsunfälle existieren nicht. Bei Einstellungsuntersuchungen weisen 16 % positiver (Cannabis-)befunde im Screening auf einen Konsum in den vier vorhergehenden Wochen hin. Da Drogenkonsumenten im Vergleich zu Alkoholkonsumenten weniger Befürchtungen vor einem Verlust des Arbeitsplatzes haben, geht K. Hupfer davon aus, dass die Dienst- oder Betriebsvereinbarung Sucht als Therapeutikum bei dieser Klientel weniger wirksam ist. Falls Drogenschnelltests als Gruppentests durchgeführt werden, so sind bei Verdacht auf Drogenkonsum und positivem Testausfall aufgrund möglicher unspezifischer Kreuzreaktionen eine Blutprobenanalyse und zur Sicherung eine Urinanalyse mittels GC/MS anzustreben, spätestens dann, wenn arbeitsrechtliche Konsequenzen im Raum stehen.
In mehreren Seminaren kamen praktische Fragen aufs Tapet: H. Fleck gab Einblicke in Funktionsweise, Durchführung, Interpretation und Fallstricke der Spirometrie.
H. Berg erläuterte den BG-Grundsatz G20 mit den Stufen Lärm I, II und III (Lärm I zur Erkennung auffälliger Versicherter, danach Lärm II, bei vermuteter wesentlicher Beeinträchtigung der Kommunikationsfähigkeit Lärm III) und wies darauf hin, dass zum 15. 2. 2006 die EU-Richtlinie Lärm (2003/10/EG) in nationales Recht umgesetzt sein muss. Sehr hilfreiche Informationsquellen wurden angegeben:
www.hvbg.de/d/bia/fac/softwa/psasw/index.html (PSA-Auswahlprogramm)
www.hvbg.de (Regeln, Vorschriften, Formulare)
HVBG, CD Lärm und Gehörschutz (Tel. 02241/231-0)
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, CD Schwerhörig durch Lärm (Tel. 0471/94544-0)
AMD Bau BG Frankfut a. M., CD Lärmschwerhörigkeit nur die Verhütung zählt (Tel. 069/47053-10)
SUVA, CD Audio Demo 3 (www.suva.ch)
www.smbg.de/Sites/institutionen/fachausschuss.htm Umsetzung der EG-Richtlinie.
S. Jehle schließlich referierte und diskutierte das Thema Brandschutz im Betrieb und im Privaten in einem eindrücklichen Experimentalvortrag.
Gesundheitsförderung im Betrieb
(Referat auf der Basis der von E. Ulich freundlicherweise überlassenen Unterlagen).
In der Kopenhagen-Konferenz der WHO1 wurde die Forderung aufgestellt, dass sich bis zum Jahr 2000 in allen Mitgliedsstaaten durch Schaffung gesünderer Arbeitsbedingungen, Einschränkung der arbeitsbedingten Krankheiten und Verletzungen sowie durch die Förderung des Wohlbefindens der arbeitenden Bevölkerung der Gesundheitszustand der Arbeitnehmer verbessert haben soll. Dieses Ziel ist offensichtlich nicht erreicht worden Damit gewinnt die von Nefiodow2 vorgelegte Zukunftsprojektion an Bedeutung. Seine Auseinandersetzung mit den langen Wellen der Konjunktur3 führt zu dem Ergebnis, dass die hohen Kosten der sozialen Entropie die größte Wachstumsbarriere am Ende des fünften Kondratieff darstellen und der gemeinsame Nenner des sechsten Kondratieff durch Gesundheit im ganzheitlichen Sinn zu kennzeichnen ist (Abb. 1).
Gratifikationskrisen mit entsprechenden Auswirkungen auf kardiovaskuläre Erkrankungen, emotionale Erschöpfung oder arbeitsbedingtes Voraltern gehören neben den häufig gefundenen Symptomen von Stress zu den möglichen Folgen derartiger Arbeitsstrukturen. Anhaltender Stress am Arbeitsplatz ist ein wesentlicher Faktor für das Auftreten von depressiven Verstimmungen. Diese Störungen stehen bei der weltweiten Krankheitsbelastung (global disease burden) an vierter Stelle4. Die Weltgesundheitsorganisation rechnet damit, dass sie bis 2020 nach den ischämischen Herzerkrankungen vor allen anderen Krankheiten auf dem zweiten Platz stehen werden.
Hohe Anforderungen, vollständige Tätigkeiten, Möglichkeiten des Lernens, der Entwicklung und des sozialen Interaktion sowie Autonomie und kollektive Selbstregulation sind verhältnisorientierte Merkmale gesundheits- und persönlichkeitsförderlicher Arbeitsgestaltung. Sie erzeugen bzw. ermöglichen zugleich Orientierungen und Verhaltensweisen, die die aus den Arbeitsbedingungen resultierenden Effekte stabilisieren oder sogar verstärken5. Risikobehaftete Arbeitskonstellationen sind eine unzureichende Vollständigkeit der Aufgaben, mangelnde Vielfalt der Anforderungen, geringe Autonomie, fehlende Möglichkeiten der unterstützenden Kooperation, widersprüchliche Aufträge ohne individuelle Lösungsmöglichkeiten, Zeitdruck und qualitative Überforderung6.
Der enge Zusammenhang zwischen subjektivem Erleben der Arbeit und der Arbeitsumgebung durch die Mitarbeiter und ökonomischen, für das Wohlergehen des Unternehmens relevanten Maßen wird eindringlich in den Zahlen der Abb. 2 dargestellt.
An modernen Arbeitsplätzen, die aufgrund ihres Potenzials an gesundheitsgefährdenden Arbeitsumständen einer genauen Beobachtung bedürfen, stellt Ulich die Call-Center-Tätigkeit und die Teleheimarbeit vor.
Faustregeln für die Gestaltung von Call Center-Tätigkeiten8
Der Schlüssel zum Erfolg für erfolgreiche Arbeit und gesunde sowie zufriedene Mitarbeiter liegt eindeutig in der Art und Weise, wie die Arbeit im Unternehmen gestaltet ist. Effektiv gestaltete Arbeit im Call Center zeichnet sich aus durch
1. einen Telefonie-Anteil, der nicht über 60 % der Arbeitszeit liegt.
2. gut gestaltete Aufgabenbedingungen: dazu gehören z. B. angemessene Arbeitsanforderungen, Tätigkeitsspielräume, optimale Leistungs- und Zeitvorgaben, gute Rahmenbedingungen etc. ein gutes Verhältnis von Telefonie- und Sachbearbeitungstätigkeit (Mischarbeit).
3. Mischarbeit sollte Anteile an Inbound-, Outbound- und Back Office-Tätigkeiten sowie Aufgaben mit komplexen und einfachen Anforderungen enthalten.
4. die Partizipation und Mitbestimmung der Agenten bei wichtigen Entscheidungen zur Arbeitstätigkeit.
5. Qualifizierung und Training der Agenten gleichberechtigt im fachlichen (produkt- und aufgabenbezogen) und sozial-kommunikativen Bereich.
6. ein regelmäßiges Kurzpausensystem von durchschnittlich 5 Minuten pro Arbeitsstunde.
Bewertungen der Teleheimarbeit
Die vielfältigen Befunde zu den gesundheitlichen Beschwerden infolge der Teleheimarbeit und der Umgang mit ihnen lassen keine Entwarnung hinsichtlich des AGS zu, im Gegenteil erfordern letztere eine Intensivierung der Forschung und Gestaltung in diesem Bereich
Auffallend ist, das sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Arbeitszeitvolumen und der Anzahl der gesundheitlichen Beschwerden nachweisen lässt
Interessant sind ferner die Relationen zu den jeweiligen Tätigkeitsfeldern
Z. B. werden Augenbeschwerden vergleichsweise hoch von Teleheimarbeitern im Bereich Konstruktion und CAD, Gereiztheit, innere Unruhe und Müdigkeit v.a. von Telearbeitern mit Call Center Aktivitäten, Kreuzbeschwerden von Teleheimarbeitern mit Sekretariats- und EDV-Aufgaben angegeben. In Anbetracht der Vielzahl von konstatierten Beschwerden stellt sich die Frage, wie die Teleheimarbeiter mit einer beginnenden Krankheit umgehen. Die meisten bitten die Familie um Entlastung und/oder versuchen, die Arbeitszeit auf andere Zeiten zu verlegen9.
Anstatt der erhofften optimalen Vereinbarkeit von Berufsarbeit und Familienleben und neuer Formen der Rollenteilung werden in zahlreichen Fällen Probleme der Familienregulation und Verfestigung traditioneller Rollenmuster erkennbar. Die Befunde zur Familienregulation widerlegen mit hoher Evidenz den Mythos der besseren Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf durch THA. Vor allem die weiblichen Telearbeiter mit familialen Verpflichtungen vollführen einen permanenten Spagat zwischen Teleheimarbeit und Familie9.
Teleheimarbeit führt nicht nur zur Aufgabe der faktischen, sondern auch zu einer Aufgabe der symbolischen Grenzen zwischen den Lebensbereichen mit all ihren nicht selten widersprüchlichen Implikationen für Leistung, Anerkennung, Konkurrenz auf der einen Seite und Entspannung, Nähe und Geborgenheit auf der anderen Seite10. Damit besteht die Gefahr einer Verflüssigung der Grenzen zwischen Arbeit und Familie/Freizeit11 .
Problematische Aspekte in der aktuellen Arbeitslandschaft sind außerdem der Präsentismus und der Umgang mit der älteren Arbeitnehmerschaft.
Präsentismus
Immer häufiger berichten Unternehmen nicht mehr über Abwesenheitsquoten und Krankenstand, sondern über Anwesenheitsquoten und geben diese als Gesundheitsstand aus.
Dass gerade heutzutage Anwesenheit am Arbeitsplatz keineswegs in jedem Fall mit Gesundheit gleichzusetzen ist, ist indes offensichtlich.
Neuerdings wird mehrfach darauf hingewiesen, dass der sogenannte Präsentismus, das heisst die Anwesenheit trotz fehlender Gesundheit, auch mit nachteiligen Folgen für die Produktivität verbunden sein kann. Die dazu vorliegenden Analysen weisen, bei aller vorhandenen methodischen Schwierigkeit, darauf hin, dass die Produktivitätsverluste auf Grund von Anwesenheit trotz fehlender Gesundheit deutlich höher ausfallen können als Produktivitätsverluste aufgrund krankheitsbedingter Abwesenheit.
Biologisches und menschgemachtes Altern
Von dem derzeit wenig beeinflussbaren endogen, d. h. genetisch und somatisch bedingten Altern muss das menschgemachte, darunter das arbeitsinduzierte Altern mit seiner Abhängigkeit von exogenen Faktoren unterschieden werden. Die Lebens- und die Arbeitsbedingungen können das Altern beschleunigen (man kann vor-altern) oder im Idealfall auch verzögern12.
Gängige altersdiskriminierende Verhaltensweisen sind13
1. eine altersselektive Personaleinstellungs- und -rekrutierungspolitik;
2. alterssegmentierte Aufgabenzuweisungen mit der häufigen Folge der Reduzierung ihrer praktischen Einsetzbarkeit;
3. unterdurchschnittliche Beteiligung bei betrieblich organisierter Fort- und Weiterbildung;
4. Benachteiligung bei betrieblichen Aufstiegsprozessen;
5. Geringschätzung ihres Erfahrungswissens sowie
6. kurzfristige Kalküle bei Personalentscheidungen zu Lasten älterer Belegschaftsmitglieder.
So kam Ulich zum Abschluss des Vortrags zu folgenden Thesen:
Thesen zum Gesundheitsmanagement14
Obwohl sachlogisch die personbezogene Orientierung der bedingungsbezogenen Orientierung nachgeordnet ist, wird in der Praxis die Bedeutung gesundheitsfördernder Arbeitsgestaltung kaum erkannt.
1. Moderne Organisationskonzepte wie Lean Management, Downsizing, Outsourcing etc. haben das Entstehen von Stress und die Wirkung von Gratifikationskrisen massiv verstärkt.
2. Gesundheitsmanagement ist Teil des Unternehmensmanagements und gehört deshalb zum Verantwortungsbereich der Unternehmensleitung.
Die Bedeutung der betrieblichen Gesundheitsförderung äußert sich auch in der Bewertung der Expertenkommission der Bertelsmann-Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung
Unternehmensbewertung: Die Kommission empfiehlt, Strukturen, Prozesse und Ergebnisse auf dem Gebiet der betrieblichen Gesundheitspolitik verstärkt in die Unternehmensbewertungen einzubeziehen. Dies gilt insbesondere für Banken und Rating-Agenturen und mit Blick auf die Neuformulierung der Richtlinien für die Kreditvergabe (Basel II), soweit die für die Unternehmensbewertung maßgeblichen Faktoren messbar sind15.
Literatur zu E. Ulich:
1. World Health Organization. Kopenhagen Konferenz 1991
2. Nefiodow L. Der sechste Kondratieff (4. Auflage). Sankt Augustin: Rhein-Sieg, 2000
3. Kondratieff N. Die langen Wellen der Konjunktur. Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 1926; 56: 573609
4. Levi L. Würze des Lebens oder Gifthauch des Todes? Magazin Ausgabe 5 Stress lass nach. Bilbao: Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, 2002
5. Ulich E. Arbeitspsychologie. 5. vollst. überarb. und erw. Auflage. Zürich: vdf Hochschulverlag. Stuttgart: Schäffer-Pöschel, 2001
6. Hacker W, Schroda F, Riemer S, Ishig A. Forschungsprojekt Gesundheitsfördernde Arbeitsprozessgestaltung. Projektberichte, Heft. Dresden: Institut für Allgemeine Psychologie, Biopsychologie und Methoden der Psychologie der Technischen Universität Dresden, 2000
7. Degener M. Unternehmenserfolg und soziale Verantwortung. Frankfurt/M. Peter Lang, 2004
8. Wieland R, Metz A-M, Richter P. Call Center auf dem arbeitspsychologischen Prüfstand, Teil 2: Arbeitsgestaltung, Belastung, Beanspruchung und Ressourcen. Hamburg: Verwaltungsberufsgenossenschaft, 2002.
9. Treier M. Zu Belastungs- und Beanspruchungsmomenten der Teleheimarbeit unter besonderer Berücksichtigung der Selbst- und Familienregulation. Hamburg: Kovac, 2001
10. Büssing A. Telearbeit. In: Graf Hoyos C, Frey D (Hrsg.). Arbeits- und Organisationspsychologie. Ein Lehrbuch. Weinheim: Psychologie Verlags Union, 1999
11. Büssing A, Broome P. Telearbeit. Zeitflexibel in die Informationsgesellschaft. In: Büssing A, Seifert H. Die Stechuhr hat ausgedient. Berlin: edition sigma, 1999
12. Hacker W. Leistungs- und Lernfähigkeit älterer Menschen. In: v. Cranach M, Schneider H-D, Winkler R, Ulich E (Hrsg.). Ältere Menschen im Unternehmen. Chancen, Risiken, Modelle. Bern: Haupt, 2004
13. Naegele G. Verrentungspolitik und Herausforderungen des demographischen Wandels in der Arbeitswelt. Das Beispiel Deutschland. In: v. Cranach M, Schneider H-D, Winkler R, Ulich E (Hrsg.). Ältere Menschen im Unternehmen. Chancen, Risiken, Modelle. Bern: Haupt, 2004
14. Ulich E. Betriebliche Gesundheitsförderung: Beitrag zum qualitativen Wachstum. Vortrag an der Nationalen Gesundheitstagung Arbeitsbedingungen und Gesundheit (Aarau 18.9.) 2003
15. Expertenkommission der Bertelsmann-Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung. Zukunftsfähige betriebliche Gesundheitspolitik. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, 2004
Detlev Jung