Zusammenfassung
Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung normativ auffälliger Besonderheiten von Lehrern in stressrelevanten Persönlichkeits-, Gesundheits- und Leistungsbereichen als Folgen der Belastungen dieser Berufsgruppe. Es sind psychische stressrelevante Variablen des Erlebens und Verhaltens mittels Fragebögen aus verschiedenen psychologischen Anwendungsbereichen erfasst worden. Die Stichprobe enthielt 79 Lehrer aus Gymnasien und Mittelschulen in und um Leipzig. Normative Abweichungen zeigten Probanden in Form von erhöhtem Trait-ßrger, tendenziell geringerer Liebesfähigkeit sowie gesteigerter ßngstlichkeit. Zudem sind überhöhte Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit erkennbar. Neben Beschwerden auf psychischer Ebene (v. a. Grübeleien, Vergesslichkeit und ßngste) wurden auf physischer Ebene Erschöpfung, Kopfschmerzen und leichte Erregbarkeit festgestellt. Die hohe Internalität in den Kontroll- und Kompetenzüberzeugungen und die hohe wahrgenommene soziale Unterstützung konnten als Ressourcen ausgemacht werden.
Schlüsselwörter: Belastung und Beanspruchung “ Lehrer “ psychische Erschöpfung “ Kontrollüberzeugung “ soziale Unterstützung
Summary
The purpose of this study is the description of normatively striking special features applying to teachers in stress-relevant personality, health and performance areas as a result of the stresses on this professional group. Surveys from different psychological application areas have revealed psychic stress-relevant variables in experiences and conduct. The random sample covered 79 teachers from grammar schools and secondary schools in and around Leipzig. The test subjects demonstrated normative deviations in the form of increased anger traits, reduced ability to love and increased anxiety. Excessive expectations on their own performance capability were also discernible. In addition to complaints on the psychic level (such as brooding, forgetfulness and disquiet), exhaustion, headaches and easy irritability were also established on the physical level. The high internalisation in the control and competence convictions and the high perceived social support were identified as compensating resources.
Key words: Stress and strain, teacher, psychic exhaustion, control conviction, social support
1. Einleitung
Nur wenige andere Berufsgruppen sehen sich in ihrer Arbeit so verschiedenen Rollenanforderungen, Erwartungen und Belastungen ausgesetzt wie Lehrer. Schulamt, Eltern und das Kollegium stellen Forderungen, die oft untereinander unvereinbar sind und darüber hinaus auch häufig mit inneren ßberzeugungen und Werten der Pädagogen kollidieren1. Bezieht man zudem noch strukturelle “ da gesellschaftspolitisch bedingte “ Probleme wie übervolle Klassen, Gewalt, ßberbelastung und chronische finanzielle Unterversorgung an den Schulen mit ein, so erscheint es nachvollziehbar, dass Lehrer in der Literatur als stark beanspruchte Berufsgruppe besprochen werden2, 3. Spezifische Belastungen und Problembereiche des Lehrerberufs finden in der Forschung seit langem Beachtung, entsprechende Zusammenfassungen von Ergebnissen sind unter anderem durch RUDOW, AEBISCHER- KRAMIS und STßHLING vorgenommen worden2, 4, 5. Belastungen von Lehrern lassen sich in die in der Folge genannten Bereiche gliedern6:
“¢ Probleme mit Schülern (mangelnde Motivation, Konzentrationsprobleme),
“¢ Organisationsstruktur-bedingte Probleme (ßrger mit Institutionen und Verordnungen),
“¢ Probleme mit Eltern und Kollegen.
FREUDE et al.<7 konnten u. a. auch ein Ungleichgewicht von Aufwand und Belohnung im Sinne des Gratifikationsmodells von SIEGRIST8 (1996) als wichtigen Prädiktor “schlechter” Arbeitsfähigkeit bei Lehrern identifizieren. Die aus diesen Belastungen resultierenden Konsequenzen auf emotionaler Ebene wirken sich mittelbar und unmittelbar auf Gesundheit und Wohlbefinden und auch auf das Verhalten dieser Berufsgruppe aus2, 3.
Psychische Beanspruchungsfolgen wie ßngstlichkeit, Burnout und Depressivität werden in der Berufsgruppe der LehrerInnen besonders häufig berichtet2, 3, 9. Im Sinne eines Ressourcenansatzes kommt dabei auch dem individuellen Erleben sowie Bewältigungsstilen eine wichtige Funktion zu. Bei einer Stichprobe von über 3.000 LehrerInnen konnten vorrangig Bewältigungstypen identifiziert werden10, die entweder durch ein überhöhtes Arbeitsengagement, bei gleichzeitig geringer Distanzierungsfähigkeit gekennzeichnet sind (Typ A), oder vor allem eine hohe Resignationstendenz bei geringer Zufriedenheit aufzeigen (Typ B, Burnout). Die Identifizierung solcher dysfunktionalen und langfristig gesundheitsschädlichen Erlebens- und Verhaltensmuster sind ein wichtiger Ansatz zu Planung und Entwicklung von Präventionsmaßnahmen.
In der vorliegenden Studie haben wir uns daher der Erfassung normativ auffälliger Besonderheiten in stressrelevanten Erlebens- bzw. Verhaltensbereichen sowie Persönlichkeitseigenschaften zugewandt, um daraus mögliche Präventionsansätze ableiten zu können. Die Datenerhebung mit standardisierten psychologischen Fragebögen wurde mit sächsischen Lehrern im Stadtgebiet von Leipzig durchgeführt und ist Bestandteil eines Gesamtprojektes “Entwicklung und empirische Untersuchung eines integrativen Belastungsbewältigungskonzeptes in der Schule/IBiS-Konzept” welches an der Universität Leipzig seit 1994 durchgeführt wird11, 12,13.
2. Methode
Insgesamt wurden 79 Lehrer aus Leipziger Schulen untersucht. Die Teilnahme war freiwillig und alle Probanden befanden sich zur Zeit der Befragung im Schuldienst. Der größere Teil der Stichprobe (58 %) unterrichtete an Gymnasien, etwa ein Drittel (36 %) an Mittelschulen und ein kleiner Teil (5 %) an Grundschulen. Das Durchschnittsalter aller Probanden lag bei 43 Jahren. Lehrerinnen stellten 80 % der Stichprobe. Das Durchschnittsalter des weiblichen Teils der Stichprobe lag bei 41,8 Jahren, wogegen die männlichen Probanden ein durchschnittliches Alter von 46,5 Jahre aufwiesen. Ein Großteil (84 %) der Probanden unterrichteten zwei oder drei Fächer.
Die Erhebung der Daten erfolgte im Zeitraum von Mai bis Juni 2000. Zur Konstanthaltung des Versuchsleitereffektes wurden die Untersuchungen von einem Versuchsleiter durchgeführt. Es wurde ein umfangreicher Pool stressrelevanter abhängiger Variablen erhoben, bei denen es einen Zusammenhang zum Beanspruchungserleben gibt. Es wurde eine Fragebogenbatterie mit hauptsächlich standardisierten Fragebögen aus den Bereichen der Gesundheits- und Persönlichkeitspsychologie eingesetzt (s. Tab. 1).
Die Analyse der abhängigen Variablen in Form der Auswertung der standardisierten Fragebögen erfolgte nach den testspezifischen Algorithmen unter der Nutzung von Auswertungs-Schablonen. Bei der Analyse des AVEM fand eine spezifische Auswertungssoftware Verwendung. Die Summenwerte wurden entweder in T-Norm- oder Staninewerte umgerechnet. Für die Interpretation werden alle Ausprägungen von T “¤ 42 und T “¥ 58 herangezogen, wobei auch Grenzbereiche (T = 41″42 und T = 58″59) als relevante Tendenz (Grenzbereich) interpretiert werden. Bei der Verwendung von Staninewerten sind Werte von 1 und 2 bzw. 8 und 9 als statistisch auffällig zu betrachten. Abweichungen um zwei Einheiten vom Mittelwert 5 werden als relevante Tendenz interpretiert. In ßbereinstimmung mit den Quartilgrenzen erachten wir erst eine prozentuale Häufigkeit von 25 % als interpretationswürdig.
3. Ergebnisse
3.1 Seelische Gesundheit (TPF)14
36,8 % der untersuchten Lehrer weisen in der Dimension Verhaltenskontrolle niedrige Normwerte auf (Tab. 2). Damit erlebt sich ein beachtlicher Teil der Lehrer eher als begeisterungsfähig, veränderungsbereit und risikofreudig. Diese Charakteristik widerspricht der im Lehrerberuf erwarteten Rolle des vorsichtigen, sorgfältig planenden und beständigen Lehrers. Der Kernfaktor Seelische Gesundheit ist in seiner Ausprägung unauffällig. Die LehrerInnen in unserer Stichprobe erleben sich durchschnittlich zufrieden mit ihrem Leben, durchsetzungsfähig und selbstsicher. Angemessen sind sie in der Lage, interne und externe Anforderungen zu bewältigen. Die Ausprägung der Dimension Sinnerfülltheit liegt im Normbereich. Die untersuchten Lehrer fühlen sich im Leben integriert, Gefühle wie Hilflosigkeit stehen im Hintergrund. Verdeutlicht wird diese Tendenz auch durch den Faktor Selbstzentrierung (Beispiel-Item: “Ich fühle mich dem Leben und seinen Schwierigkeiten gut gewachsen”). 31,6 % der Lehrer erleben sich tendenziell zufriedener mit ihrer Zukunft und ihrem Leben. Keine Auffälligkeiten zeigen sich in den Skalen Beschwerdefreiheit, Expansivität und Autonomie. Die Lehrer zeigen somit angemessene Befindlichkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Selbstständigkeit. Auch im Selbstwertgefühl weisen sie mit der Eichstichprobe vergleichbare Normwerte auf. Der Großteil vertraut auf die ihm zur Verfügung stehenden Fähigkeiten und fühlt sich von anderen Menschen gemocht und akzeptiert. Eine tendenzielle Abweichung von der Norm zeigt sich im Faktor Liebesfähigkeit.
3.2 Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM)10
Wie Tabelle 3 zeigt, spricht ein Großteil (62 %) der untersuchten Lehrer dem Beruf eine durchschnittliche Bedeutung zu (Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit). Auch das Streben nach Perfektion in der eigenen Arbeitsleistung ist angemessener ausgeprägt. Treten Probleme auf, so ist die Mehrheit der Lehrer in der Lage, diese zu bewältigen. Der soziale Rückhalt stellt für die Pädagogen eine wichtige Ressource dar. Etwa die Hälfte (54,4 %) erleben eine durchschnittliche soziale Unterstützung, fast 27,8 % nehmen diese sogar überdurchschnittlich wahr. In fünf der 11 Dimensionen sind tendenzielle Abweichungen von der Altersnorm zu erkennen. So zeigt ein Teil der Lehrer eine erhöhte Verausgabungsbereitschaft (T-Wert “¥ 60:25,3 %), ein anderer Teil beschreibt tendenziell geringen beruflichen Ehrgeiz (T-Wert “¤ 42: 26,6 %). 27,9 % (T-Wert “¥ 58) neigen zu Resignation bei Misserfolg (Tendenz). Sowohl im Beruf (T-Wert “¤ 42: 25,3 %) als auch im Leben allgemein (T-Wert “¤ 42: 26,6 %) beschreiben die Lehrer sich tendenziell weniger zufrieden. Die dargestellten elf Dimensionen können zu drei Sekundärfaktoren zusammengefasst werden (s. Tab.3), wobei jeder Faktor für sich einen eigenständigen, inhaltlichen Bereich abbildet. Dazu werden zunächst für jeden Lehrer die entsprechenden Mittelwerte gebildet, aus denen sich die folgende Häufigkeitsverteilung ergibt. Bei der Zusammenfassung der Einzelskalen zu Sekundärskalen sind bezüglich arbeitsbezogener Verhaltens- und Erlebensmuster keine Auffälligkeiten mehr erkennbar. Konnte in der Einzelbetrachtung noch eine erhöhte Verausgabungsbereitschaft festgestellt werden, liegt nun das Arbeitsengagement im Normbereich. Das gilt ebenso für die persönliche Widerstandsfähigkeit bzw. das Bewältigungsverhalten gegenüber Belastungen, sowie für den Sekundärfaktor Lebensgefühl.
Mit Hilfe des AVEM können anhand der Konstellation der Dimensionen Verhaltenstypen bezogen auf Gesundheit und Krankheit ermittelt werden (“Risiko-Typ A” und “Risiko-Typ B”; Typ “Gesundheit” und Typ “Schonung”). Als statistisch bedeutsam gelten Ausprägungen mit einer Wahrscheinlichkeit von p “¥ .95. Hinsichtlich der vier möglichen Typen von Verhaltens- und Erlebensmustern ergeben sich für p “¥ .95 keine eindeutigen Gruppenzugehörigkeiten. Nur 17,7 % der Lehrer können signifikant einem Typ zugeordnet werden. 2,5 % der Vpn weisen signifikante Charakteristika des Typs Gesundheit auf, der sich durch erhaltene Distanzierungsfähigkeit, geringe Resignationstendenz, offensives Bewältigungsverhalten und gleichzeitig eine hohe Lebenszufriedenheit auszeichnet. Bei ihnen besteht kein Interventionsbedarf. Weitere 2,5 % der Lehrer entsprechen weitestgehend dem Typ Schonung. Hier finden sich die geringsten Ausprägungen in der Bedeutsamkeit der Arbeit, dem beruflichen Ehrgeiz, der Verausgabungsbereitschaft und dem Perfektionsstreben. Die Quelle der Zufriedenheit liegt hauptsächlich außerhalb der Arbeit. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Risikotypen. 8,9 % der Lehrer sind signifikant dem Risikotyp A zuzuordnen, der durch ein übersteigertes Arbeitsengagement verbunden mit Erholungsunfähigkeit und negativen Emotionen gekennzeichnet ist. Weitere 3,8 % der Lehrer entsprechen signifikant dem Risikotyp B. Dieser Typ weist eine enge Beziehung zu Symptomen der fortgeschrittenen Stadien des Burnout auf. Verwendet man die höchste Wahrscheinlichkeit der Typenzugehörigkeit pro Vpn als Einteilungskriterium, so gehören nach unserer Untersuchung 20,3 % dem Typ G, 19,0 % dem Typ S, 36,7 % dem Risikotyp A und 24,1 % dem Risikotyp B an.
3.3 Merkmale belastungsrelevanter Anforderungsbewältigung (FABA)15
Mittels alters- und geschlechtsspezifischer Normen lassen sich aus den Summenwerten der Einzelskalen qualitative Urteile bezüglich der Auffälligkeit des Merkmals ermitteln. Für eine Vereinfachung der Interpretation können die Kategorien “auffällig” und “sehr auffällig” summiert werden (Tab. 4).
Etwa ein Viertel aller Lehrer geben Verhaltensweisen an, die Herz-Kreislaufgefährdende Anforderungskonstellationen darstellen. 25,6 % der Lehrer neigen im Zusammenhang mit hohem Arbeitsengagement zu stärkerer Erholungsunfähigkeit. 26,9 % der Lehrer, beschreiben sich als auffällig ungeduldig, bei 24,4 % wird ein tendenziell erhöhtes Konkurrenzverhalten deutlich (Skala Dominanz- und Wettbewerbsstreben). Ein ausgeprägtes Planungs- und Zielsetzungsverhalten, verbunden mit starken Kontrollbedürfnissen wird nur von 16,7 % der Lehrer angegeben.
3.4 Emotionsregulation
3.4.1 ßrgerausdruck (STAXI)16
Eine Normierung liegt nur für die vier dispositionellen ßrgerdimensionen vor. Anhand geschlechts- und altersspezifischer Normtabellen können die Rohwerte in Staninewerte mit einem Mittelwert von 5 und einer Standardabweichung von 2 umgewandelt werden. Staninewerte von 3 und 7 sollten dabei als Tendenz interpretiert werden. Werte wie 1, 2, 8 und 9 gelten als statistisch auffällig (s. Tab. 5).
Die untersuchten Lehrer zeigen einen tendenziell erhöhten Eigenschaftsärger (37,2 % bei Stanine “¥ 7). Der Begriff Eigenschaftsärger bezieht sich darauf, dass situationsübergreifend eine hohes ßrgerpotential vorhanden ist. Dieses Ergebnis weist auf das Erleben häufiger ßrgersituationen und Frustrationen hin. Leitet man eine Tendenz bezüglich des vorherrschenden ßrgerausdrucksstils ab, neigen die Lehrer der Untersuchungsstichprobe eher dazu, ßrger zurückzuhalten und innerlich zu unterdrücken (28,2 % bei Stanine “¥ 7). 26,6 % der Lehrer wenden vermehrte Energie zur Kontrolle und Steuerung des ßrgers in ärgerprovozierenden Situationen auf. Die Ergebnisse sollten auch unter Beachtung der sozialen Stellung des Lehrers betrachtet werden. Nach innen gerichteter und kontrollierter ßrger sind sozial angepasster und lassen sich besser mit den Erwartungen an die Lehrertätigkeit und an die Lehrerrolle vereinbaren17.
3.4.2 Trait-Angst18
Die untersuchte Lehrerstichprobe weist eine tendenziell erhöhte Eigenschaftsangst auf, die als relativ stabiles und überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal gilt. 27,5 % (T-Wert “¥ 58) der Lehrer nehmen somit Situationen in ihrem Leben als bedrohlich wahr und reagieren darauf mit einem Anstieg der Zustandsangst. Eine sehr geringe Eigenschaftsangst (T-Wert “¤ 40) konnte bei keinem der Lehrer festgestellt werden (s. Tab. 6).
3.5 Generalisierte Kompetenz- und Kontrollerwartungen (FKK)19
In den beiden Sekundärskalen werden die Primärskalen zu allgemeineren Indikatoren für selbstbezogene Kognitionen zusammengefasst. Die Tertiärskala stellt die Differenz aus den Sekundärskalen dar und bildet eine noch globalere, bipolare Persönlichkeitsdimension ab (Tab. 7).
In den Primärskalen zeigten sich folgende Ergebnisse: Mit 34,6 % (Skala Fatalistische Externalität: T-Wert “¤ 40) zeigen ein Drittel aller Lehrer nur wenig Schicksalsgläubigkeit und sehen Möglichkeiten, sich vor Unglück zu schützen. 26,9 % der Lehrer verfügen über eine ausgesprochen gute internale Kontrollüberzeugung und Handlungsorientierung. Bezogen auf die Soziale Externalität verneinen einerseits tendenziell 29,5 % (T-Wert “¤ 42) der Lehrer das Gefühl, von anderen Menschen abhängig zu sein und durch sie beeinträchtigt zu werden. Jedoch erlebt sich auch ein Viertel (25,6 % bei T-Wert “¥ 58) tendenziell wenig durchsetzungsfähig, teilweise auch hilflos bestimmten Situationen und der Macht anderer Menschen ausgesetzt. 27,3 % der Lehrer erleben sich selbstsicher und in ihren Handlungen wirksam und effektiv. Auch auf den Sekundärskalen kommen das Erleben eigener Selbstwirksamkeit (T-Wert “¥ 58: 32,5 %) und ein geringes Gefühl der Abhängigkeit von äußeren Einflüssen (T-Wert “¥ 58 14,1%) zum Ausdruck. Auf der Tertiärskala überwiegt die Internalität in den Kontrollüberzeugungen (T-Wert “¥ 60: 35,1 %).
3.6 Persönliche Stressbereiche (Stress-Kurz-Test)20
Von den vier möglichen Bewertungen sind nur Werte von 3 und 4 für eine Interpretation von Relevanz20.
Die meisten Lehrer der Untersuchungsstichprobe nehmen in ihrem Leben ausreichend Kontrolle (82,3 %) wahr. ßrger, Unzufriedenheit und Frustration spielen bei 32,9 % der Pädagogen eine wichtige Rolle. 20,3 % der Lehrer beschreiben erhöhte Erholungsunfähigkeit. 27,9 % erleben häufiger Schlafstörungen. Im Stress-Kurztest geben 43,1 % der untersuchten Lehrer Sinnverlust an. Auch in diesem Fb wird die wahrgenommene soziale Unterstützung als eine wesentliche Ressource erfasst (68,4 % antworten: trifft eher, trifft genau zu) (Tab. 8).
3.7 Stressfallen (Innere Antreiber)20
Die schattierten Felder in Tab. 9 kennzeichnen Aussagen, die mindestens 25 % der untersuchten Lehrer mit “Ja” beantwortet haben.
Die inneren Antreiber stellen ßberzeugungen und Ansichten dar, die Stressquellen beinhalten und damit zu einer Gefährdung der psychischen und psychophysiologischen Gesundheit führen können. Als einer der Hauptantreiber der untersuchten Lehrerpopulation gilt das Item “Ich kann nur schwer nein sagen” (81,8 % antworten mit “ja”). Um ihre psychische Stabilität zu erhalten, müssen Lehrer in der Lage sein, Grenzen zu setzen, um eigene Wünsche und Bedürfnisse durchzusetzen. Weitere innere Antreiber stellen der Glaubenssatz “für alles verantwortlich zu sein” (35,1 %), und die “Angst, Kontrolle zu verlieren” (42,9 %) dar. 50,6 % der Lehrer stellen “hohe Erwartungen an sich” und 35,1 % treffen “Entscheidungen nur, wenn sie sich ihrer Sache absolut sicher sind”. In einem Beruf, der wenig Anerkennung und Rückmeldung bietet, erwarteten 70,1 % der Lehrer “Liebe und Anerkennung”.
3.8 Beschwerden (BFB)21
Anhand alters- und geschlechtsspezifischer Normen wurden die Summenwerte, hier Neurotizismuswerte genannt, den drei möglichen Kategorien zugeordnet. Es handelt sich um ein eindeutiges Ergebnis.
91% der Lehrer erhalten das Urteil “ohne Neurose”. Bei 5,1 % der Lehrer wurde eine “fragliche Neurose” diagnostiziert (Tab. 10).
Die Kategorie “Neurose” lässt sich bei nur drei Lehrern (3,8 %) beschreiben (siehe Tabelle 11). Für die Betrachtung des Emotionalitätsindexes, der Relation von körperlichen und psychischen Beschwerden zur Gesamtbeschwerdenzahl, wurde von uns eine Darstellung der Beschwerdenausmaße vorgenommen. Aufgrund der Vielfältigkeit der Punktsummen wurden diese zur Vereinfachung in drei Grobbereiche (0″5/ 6″10/11″15) zusammengefasst. Hieraus kann man die Ausprägung von körperlichen und psychischen Beschwerden leicht ersehen.
Betrachtet man das Ausmaß körperlicher und psychischer Beschwerden, so sind beide in der untersuchten Lehrerpopulation nahezu gleich verteilt. Somit kann anhand dieser Untersuchung nicht von einer vorwiegend somatischen Beeinträchtigung im Lehrerberuf ausgegangen werden. In Abb. 1 und Abb. 2 erfolgt die Darstellung neuroserelevanter körperlicher und psychischer Beschwerden auf Einzelitemebene.
Werden die Beschwerden auf Einzelitemebene betrachtet, ergibt sich ein differenzierteres Bild (vgl. Abb. 1). Als Hauptbeschwerden werden auf körperlicher Ebene v. a. Erschöpfung (57.3 %), Kopfschmerzen (45,3 %) und leichte Erregbarkeit (41,3 %) angegeben. Weitere körperliche Beschwerden, die 30 %”40 % der Lehrer angeben, sind: Geräuschempfindlichkeit, Einschlafen von Körperteilen, Kältegefühl, Schlafstörungen Reizhusten/Stimmschwierigkeiten, Herzklopfen/Herzstolpern und Schweißausbrüche. In Abb. 2 werden als Hauptbeschwerden auf psychischer Ebene Vergesslichkeit (56 %), Grübeleien (44 %) und Angst vor plötzlichen Tod und Krankheit (36 %) angegeben.
4. Diskussion
Zusammengefasst spiegelt sich wie erwartet die hohe Belastung von Pädagogen in den Bereichen Persönlichkeit und arbeitsbezogenes Leistungsverhalten deutlich wider. Es konnten Erlebens- und Verhaltensmerkmale deskriptiv abgebildet werden, die außerhalb der alters- und geschlechtsspezifischen Normwerte liegen. So zeigen die untersuchten Lehrer erhöhten Eigenschaftsärger, der allerdings vorwiegend zurückgehalten wird. ßberdies werden eine tendenziell erhöhte ßngstlichkeit sowie geringere Liebesfähigkeit deutlich. 70,1 % der Lehrer erwarten von den anderen Liebe und Anerkennung (Fragebogen Innere Antreiber). 34,6 % haben jedoch selbst eine unterhalb der Norm liegende Liebesfähigkeit. Als weitere Stresskognitionen sind v. a. die überhöhten Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit feststellbar. Neben Beschwerden auf psychischer Ebene (v. a. Grübeleien, Vergesslichkeit und ßngste) wurden auf physischer Ebene Erschöpfung, Kopfschmerzen und leichte Erregbarkeit erfasst. Bezüglich der höchsten Wahrscheinlichkeit der Typenzugehörigkeit pro Vpn im AVEM gehören 20,3 % dem Typ G, 19 % dem Typ S, 36,7 % dem Risikotyp A und 24 % dem Risikotyp B an. In einer von Schaarschmidt & Fischer (1998) durchgeführten Untersuchung an 948 brandenburgischen Lehrern zeigt sich eine ähnliche Typenverteilung. Mit den positiven Ausprägungen hinsichtlich des Ausmaßes an sozialer Unterstützung besitzen Lehrer eine wesentliche Ressource, um Stressentwicklungen entgegenzuwirken4.
Anhand der Befunde wird deutlich, dass die im Schulalltag erlebten Belastungen konkrete Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten von Lehrern zeigen. Allerdings sollten die Ergebnisse aufgrund der Stichprobengröße nicht generalisiert, sondern durch weiterführende Studien bestätigt werden. Als Maßnahmen zur Verbesserung der Lehrergesundheit sollten selbstregulative Fähigkeiten mit Hilfe von Entspannungsverfahren trainiert werden, was vor allem auf eine Steigerung der Erholungsfähigkeit abzielt. Wesentlich scheinen zudem der Umgang mit negativen Emotionen sowie die Thematisierung innerer Stressantreiber zu sein. Dies kann im Rahmen bereits vorliegender Programme geschehen, die ohne größeren Aufwand im Rahmen von Präventionsveranstaltungen an die Berufsgruppe der Pädagogen angepasst werden können bzw. bereits auf diese Zielgruppe zugeschnitten sind (vgl11,12,13,22,23). Darüber hinaus sollten der Zielgruppe Methoden vermittelt werden, mit Hilfe derer die eigenen gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen kritisch hinterfragt und verbessert werden können. Dieses “ sich auf psychologische Gesichtspunkte beschränkende “ Fazit schließt keineswegs die Erkenntnis aus, dass im deutschen Bildungswesen tief greifende strukturelle Veränderungen im Sinne umfassender Reformen stattfinden müssen, deren Ziel auch eine Verminderung der berufsspezifischen Belastungen für Pädagogen zu sein hat. Insofern ist neben der Entwicklung neuer und der Evaluation bestehender Programme zur besseren Beanspruchungsbewältigung durch Lehrer auf ein intensives und fachübergreifendes Engagement für eine neue Bildungspolitik zu hoffen, die Pädagogen ein gesundheitserhaltendes und befriedigendes Arbeitsleben ermöglicht.
5. Literatur
1 GUDJONS H (1993): Entlastung im Lehrerberuf. Bergmann & Helbig Hamburg. 1993.
2 AEBISCHER-KRAMIS K: Stress, Belastungen und Belastungsverarbeitung im Lehrerberuf. Paul Haupt Stuttgart. 1996.
3 BARTH A R: Burnout bei Lehrern. Hogrefe Göttingen. 1992.
4 RUDOW B: Die Arbeit des Lehrers. Zur Psychologie der Lehrertätigkeit, Lehrerbelastung und Lehrergesundheit. Huber Göttingen. 1994.
5 STßHLING R: Beanspruchungen im Lehrerberuf: Einzelfallstudie und Methodenerprobung. Waxmann Berlin. 1998.
6 VAN DICK, R: Stress und Arbeitszufriedenheit im Lehrerberuf. Eine Analyse von Belastung und Beanspruchung im Kontext sozialpsychologischer, klinisch-psychologischer und organisationspsychologischer Konzepte. Tectum Verlag Marburg. 1999.
7 FREUDE G, SEIBT R., PECH E., ULLSPERGER P: Arbeitsfähigkeit und Stress bei Lehrern “ Untersuchungen zu arbeitsbedingten und individuellen Risiken und Ressourcen. ErgoMed 2004;1:12″16.
8 SIEGRIST J: Soziale Krisen und Gesundheit. Hogrefe Göttingen. 1996.
9 GAMSJßGER E, SAUER J: Burnout bei Lehrern: Eine empirische Untersuchung bei Hauptschullehrern in ßsterreich. Psychologie in Erziehung und Unterricht 1995; 43: 40″56.
10 SCHAARSCHMIDT U, FISCHER A: Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM). Swets Test Services Frankfurt. 1996.
11 STßCK, M: Entwicklung und Evaluation eines Entspannungstrainings mit Yogaelementen als Bewältigungshilfe für Belastungen: Auer-Verlag. 1998.
12 STßCK M, RIGOTTI T, MOHR G: Untersuchung der Wirksamkeit eines Belastungsbewältigungstrainings für den Lehrerberuf. Psychologie in Erziehung und Unterricht 2004; 51: 234″242.
13 STßCK,M: Integrative Belastungsbewältigung in der Schule. Das IBiS-Konzept. Prävention. Zeitschrift für Gesundheitsförderung 2003; 26: 115-118
14 BECKER P: Der Trierer Persönlichkeitsfragebogen (TPF). Hogrefe Göttingen.1989.
15 RICHTER P, RUDOLF M, SCHMIDT C F: Fragebogen zur Analyse belastungsrelevanter Anforderungsbewältigung (FABA). Swets Test Services Frankfurt. 1996.
16 SCHWENKMEZGER P, HODAPP V, SPIELBERGER C D: State-Trait-ßrgerausdrucksinventar (STAXI). Huber Göttingen. 1992.
17 HßRNIG, D: Besonderheiten des Belastungserlebens im Lehrerberuf. Unveröffentlichte Diplomarbeit Universität Leipzig. 1999.
18 LAUX L, GLANZMANN P, SCHAFFNER P, SPIELBERGER C D: State-Trait-Angst- inventar (STAI). Beltz Weinheim. 1981.
19 KRAMPEN, G: Fragebogen zu Kontroll- und Kompetenterwartungen. Hogrefe Göttingen.1991.
20 SCHRßDER H, RESCHKE K: Optimistisch den Stress meistern. Ergebnisse der Evaluation eines neuen Stressbewältigungsprogramms. Universität Leipzig: Institut für Angewandte Psychologie. 1996.
21 HßCK K, HESS H: Beschwerdenfragebogen (BFB). VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin. 1981.
22 SCHRßDER H, RESCHKE K: Optimistisch den Stress meistern. Kursleiterhandbuch und Material für die Kursdurchführung. Dgvt-Verlag Tübingen. 2000.
23 STßCK,M: Handbuch zum Entspannungstraining mit Yogaelementen in der Schule. Donauwörth: Auer-Verlag 2000
Anschriften der Verfasser
Marcus Stück, Dr., Dipl. Psych.
Universität Leipzig,
Institut für Angewandte Psychologie
Pädagogische Psychologie
Seeburgstr. 14″20
04103 Leipzig
Tel.: 03 41 / 97 35 956
Fax: 03 41 / 97 35 955
Email: stueck@uni-leipzig.de
Alexandra Sonntag, Dipl. Psych.
Reha Klinik Bad Schmiedeberg
06905 Bad Schmiedeberg “ Sachsen-Anhalt
Marcus Stück und Alexandra Sonntag