02 Betriebliches Wiedereingliederungsmanagement Startseite

Präventionsgesetz und Betriebliches Eingliederungsmanagement

Abgesehen von dieser unterschiedlichen gesetzlichen Ausgangslage stehen beide Normen im Zyklus des Managements von Gesundheit auch an unterschiedlicher Stelle in der chronologischen Handlungsabfolge. Das PrävG ist seinem Namen entsprechend gesundheitsförderlich und präventiv ausgerichtet, das BEM seinem Ziel entsprechend rehabilitativ. Auch die „profitierenden“ Zielgruppen und die „Orte“, an denen mögliche Wirkungen erzielt werden (die so genannten Settings), unterscheiden sich: Im PrävG sind es alle, also auch gesunde Menschen in ihrer jeweiligen Lebenslage und -umgebung, inklusive des Arbeitsplatzes. Vom BEM hingegen wird „nur“ eine Teilmenge kranker Menschen erfasst und hiervon wiederum nur diejenigen, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen.

Gemeinsame Zielrichtung beider
Regelungen

Zu Recht kann man fragen: „Wenn PrävG und BEM so unterschiedlich sind, warum werden sie dann in einem gemeinsamen Artikel behandelt?“ Eine Antwort lautet: Weil beiden Regelungen gerade vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung eine besondere Bedeutung zukommt. PrävG und BEM versuchen, wenn auch auf verschiedenen Wegen, Lösungen aufzuzeigen, wie die Herausforderung einer alternden Bevölkerung im Sinne aller proaktiv gestaltet werden kann. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe stellt sich in allen Politikfeldern. Sie gilt damit auch (und besonders) mit Blick auf die Gesundheit jedes Einzelnen und der gesamten Bevölkerung. Zudem wird hier am Beispiel von Ergonomen gezeigt, wo und wie — ungeachtet der Unterschiede von PrävG und BEM — die spezifische ergonomische Fachkompetenz eingebracht werden kann.

Volks- sowie betriebswirtschaftliche
Erfordernisse zugleich

Gesundheitsförderung und Prävention werden gesellschaftspolitisch zunehmend unabdingbar. Will man die ständig wachsenden Sozialausgaben für das Arbeitslosen- und Rentenversicherungs-, vor allem aber für das Gesundheitssystem zumindest mittelfristig eindämmen, gibt es zu präventiven Ansätzen — das heißt also zur Vermeidung von krankheitsbedingten (Folge-)Kosten — keine Alternative. Der demographische Wandel (verkürzt verwendet als Synonym für die zunehmende Alterung der Bevölkerung) führt dazu, dass ein stetig wachsender Teil der Gesundheitskosten auf die Personengruppe der chronisch Erkrankten sowie der Langzeiterkrankten entfällt. Das ist nicht verwunderlich, denn mit steigendem Lebensalter steigt — neben wachsenden Seh- und Hörproblemen — auch die Zahl von chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Rheuma, Atemwegserkrankungen, Muskel-Skelett-Beschwerden und bösartiger (Krebs-)Erkrankungen.

Erfolgreiche, weil nachhaltige Gesundheitsförderung und Prävention beginnen dabei nicht erst dann, wenn ein bestimmtes „Schwellenalter“ überschritten wird oder gar erste Symptome vorhanden sind. Nach dem Motto „Was Hänschen nicht lernt…“ müssen sie möglichst früh und zudem möglichst nahtlos, das heißt von der Geburt bis zum Tod und „24/7“, alle Lebensbereiche (Settings) abdecken. Das erklärt den entsprechend weiten Ansatz des PrävG.

Für jeden einzelnen Arbeitgeber ist es selbstredend eine ethische Verpflichtung, sich mit der Thematik „Gesundheit bei der Arbeit“ und der Frage nach der beruflichen Perspektive seiner (!) erkrankten Beschäftigten zu befassen. Es ist aber eben auch betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Dies gilt dabei nicht nur mit Blick auf die Reduktion des aktuellen Krankenstandes mit dem Ziel, möglichst geringe Produktionsausfälle zu erzielen. Dazu folgendes Rechenbeispiel: Bei einer Lohnsumme von 1 Mio. Euro und einem Krankenstand von 5 Prozent im Jahr werden 50.000 Euro Lohn jährlich ohne entsprechende Arbeitsleistung aufgewendet. Anders ausgedrückt: Bei 20 Beschäftigten ist rechnerisch permanent ein Mitarbeiter krankheitsbedingt abwesend. Die übrigen maximal 19 Beschäftigten (einige von ihnen sind in Urlaub oder zur Fortbildung) müssen entsprechend arbeitsmengenmäßig für 20 Mitarbeiter arbeiten.

Auf der betrieblichen Ebene kommt das sich immer konkreter abzeichnende und in manchen Branchen und Berufen bereits manifeste Problem hinzu, Fachkräfte zu gewinnen. In der Konsequenz muss der Krankenstand nicht nur aufs Jahr gerechnet möglichst niedrig sein, die Beschäftigten müssen auch in der Lage sein, ihre Kenntnisse und Kompetenzen möglichst lange und ohne größere Unterbrechung dem Betrieb zur Verfügung stellen zu können. Ein verfrühtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben hat eben nicht nur erhebliche Konsequenzen für die Sozialversicherungen, sondern erfordert rehabilitative Anstrengungen auch des Betriebes. Dabei umfasst Rehabilitation berufliche, soziale, qualifikatorische und eben auch gesundheitliche Aspekte. Ist ein Beschäftigter beispielsweise längerfristig krankheitsbedingt ausgefallen, hat sich das Aufgabenprofil in seinem Bereich verändert, kann er seine Aufgaben aufgrund seiner individuellen Leistungsfähigkeit nicht mehr bewältigen, müssen unterschiedliche rehabilitative Ansätze zusammengeführt werden. Dazu gehören auch das Erkennen und die Berücksichtigung belastender Faktoren, die nicht direkt mit der Arbeit zu tun haben wie zum Beispiel Kinderbetreuung oder die Pflege älterer Angehöriger. Das erklärt den spezifischen Ansatz des BEM und die Zusammensetzung des Personenkreises, der im Betrieb mit BEM befasst ist (vgl. § 84 (2) SGB IX).

Komplexes Geflecht von Akteuren

Unstreitig liegt ein — wenn nicht sogar der — Schlüssel zur Lösung komplexer Probleme, zu denen ebenso unstreitig die Thematik Gesundheit gehört, in kooperativem Handeln. Keine Institution oder Profession allein vermag die Anforderungen des PrävG faktisch zu erfüllen. Hier ist nur eine vertiefte Kooperation der wesentlichen Partner zielführend. Dies gilt in erster Linie für die Träger der gesetzlichen Sozialversicherungen und hier wiederum an erster Stelle für die gesetzliche Kranken- und dann für die Unfallversicherung.

Akteure beim PrävG

Die Arbeit der zahlreichen institutionellen, aber auch fachlichen Partner findet auf unterschiedlichen funktionalen Ebenen des föderalen Systems statt. Um diese koordinieren und steuern zu können, arbeitet der Gesetzgeber mit dem Instrument der Nationale Präventionsstrategie, deren bundesweit gültige Präventionsziele ihrerseits im Rahmen einer Nationalen Präventionskonferenz entwickelt und fortgeschrieben werden; die Konferenz wiederum wird von einem Präventionsforum beraten. Die Mitwirkenden von Konferenz und Forum sind im Gesetz institutionell festgeschrieben. Dazu gehören neben den genannten gesetzlichen Sozialversicherungen zum Beispiel die Sozialpartner und einschlägige Wissenschaftsvertretungen, Bund und Länder sowie die Bundesvertretung der Spitzenverbände der Kommunen mit einer (!) Stimme. Das PrävG weist dabei eine Analogie im nationalen Arbeitsschutzsystem mit der Nationalen Arbeitsschutzstrategie auf.

Das Festschreiben von Gesundheitszielen folgt dem Vorbild der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die dabei einen globalen Anspruch erhebt (zum Beispiel Eindämmung und Rückführung des Diabetes). Naturgemäß kann so ein Procedere nicht geeignet sein, konkrete Vorgaben für jedwede Situation zu machen. Es muss vielmehr bei strategischen, relativ abstrakten (allgemeingültigen) Absichtserklärungen bleiben, deren Handlungskonkretisierung auf regionaler, lokaler und noch kleinräumiger Umgebung (zum Beispiel Kindertagesstätte, Schule, Betrieb usw.) verabredet und in Folge dann subsidiär in einzelne Maßnahmen umgesetzt werden muss. Auch hierfür sind — in Analogie zum Arbeitsschutzsystem — zunächst Strukturen zu schaffen, die das übereinstimmende Befassen mit Umsetzungsstrategien erst ermöglichen. Dies betrifft die Gründung länderbezogener Stellen ebenso wie die Etablierung entsprechender Organisationseinheiten in den Kommunen.

Insofern ist der Ansatz des PrävG, derartige Netzwerk-Strukturen zu fördern, nachvollziehbar. Aus der Sicht eines Verantwortungsträgers auf der „untersten operativen Ebene“ bleibt jedoch abzuwarten, ob die zum Teil bereits vorhandenen Strukturen berücksichtigt und — noch besser — involviert werden. Zu diesen Strukturen gehören zum Beispiel Landesgesundheits- oder kommunale Gesundheits- und/oder Pflege-Konferenzen. Die Schaffung weiterer Strukturen wäre sicher suboptimal und schmälerte zudem das für konkrete präventive Maßnahmen zum Wohle der Normbegünstigten eigentlich zur Verfügung stehende finanzielle Volumen. Abgesehen davon sind bereits erhebliche finanzielle Mittel durch die Etablierung der Nationalen Präventionsstrategie durch die Konferenz gebunden.

Akteure beim BEM

Inhaltlich ähnlich komplex, wenngleich zeitlich und von der Zielgruppe her deutlich eingeschränkt (nur Beschäftigte, Alter zwischen circa 20 und 65 Jahren, lediglich fünf Tage/Woche für je circa acht Stunden täglich) gestaltet sich die Thematik Gesundheit bei der Arbeit, zu der als Teilaspekt das BEM gehört. Die Aufgaben und Rollen im Arbeitsschutz ergeben sich insbesondere aus dem Arbeitsschutz- und dem Arbeitssicherheitsgesetz sowie der DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“. Danach ist der Arbeitgeber mit seinen Führungskräften für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zuständig. Wenngleich der Arbeitgeber rechtlich in der Verantwortung steht, die Gesundheit am Arbeitsplatz sowohl präventiv als auch wiedereingliedernd zu gewährleisten, kann er jedoch nicht zugleich Experte für Arbeitssicherheit und Prävention sowie für physische und psychische oder chemische Gesundheitsgefährdungen und vieles mehr sein. Er wird daher von einer Vielzahl von Handelnden im betrieblichen Kontext unterstützt. Hierzu zählen in erster Linie die Fachkräfte für Arbeitssicherheit und die Betriebsärzte, aber auch zahlreiche Fachberater anderer Disziplinen. Beim BEM sind dies zum Beispiel zusätzlich die Personalverantwortlichen, Personalentwickler, die betriebsinterne Sozialberatung, der Personal-/Betriebsrat, die Schwerbehindertenvertretung und das Integrationsamt/die Hauptfürsorgestelle, aber auch die Beschaffungsstellen (für Möbel, Baumaßnahmen) sowie Funktionsträger wie Sicherheitsbeauftragte, Notfallhelfer oder Ersthelfer.

Wie beim PrävG gilt auch beim Arbeitsschutz und damit auch beim BEM: Zielführend ist allein eine funktionierende Kooperation aller Beteiligter, die zunehmend mit dem Begriff Betriebliches Gesundheitsmanagement verbunden wird. Nur die Expertise und Erfahrung aller Beteiligten zusammen ergibt ein umfassendes Bild und ermöglicht es, Handlungsbedarf abzuleiten, Handlungsoptionen und vernetzte Maßnahmen zu entwickeln, zu implementieren und deren Wirksamkeit zu prüfen.

Ergonomie im PrävG und BEM

In beiden Regelungsbereichen kommt der Gestaltung der jeweiligen Lebenswelten und damit der Ergonomie eine wesentliche Bedeutung zu. Gefährdungen gar nicht erst entstehen zu lassen und erkannte Gefährdungen weitestgehend zu minimieren lautet hier die handlungsleitende Maxime. Im Bereich des PrävG steht die Ergonomie allerdings im Dienste der primären Prävention, im BEM ist sie eher dem Bereich der Rehabilitation zuzuordnen. Zudem fokussieren die Tätigkeitsansätze im PrävG wie dargestellt eher auf die strategische, im BEM eher auf die operative Ebene. Auf der operativen Ebene ist die Ergonomie ihrerseits im „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit-System“ die Domäne der Fachkräfte für Arbeitssicherheit.

Möchte eine bestimmte Profession, Wissenschafts- oder Berufsgruppe oder auch eine Lobbyvereinigung mit präventivem Bezug (wie beispielsweise „die Ergonomie“) ihre eigenen präventiven Ansätze durch das PrävG einbringen, kann sie dies mithilfe der vorgesehenen Strukturen erreichen. Hierzu gilt es, im Konzert der vielen — eigenständigen — Akteure möglichst viele „Mitstreiter in eigener Sache“ zu gewinnen. Dazu gehören zum Beispiel die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) oder die Interessenvertretungen der Fachkräfte für Arbeitssicherheit oder der Betriebsärzte. Diese Akteure müssen von der Sinnhaftigkeit des eigenen Präventionsansatzes überzeugt werden. Naturgemäß sind hierbei die „geborenen“ Mitglieder der Präventionskonferenz etc. im Vorteil.

Ein additiver oder auch kompensatori-scher — und unter Umständen eher Erfolg versprechender — Weg bestünde darin, die eigenen gesundheitsfachlichen Kompetenzen, wie beispielsweise die Demografie sichere Gestaltung von Gebrauchsgegenständen, auf Kompatibilität mit den ausgehandelten nationalen, regionalen oder lokalen Präventionszielen abzuklopfen und sich so in einschlägige Handlungsstrategien einzubringen. Zu den aktuellen Oberzielen, die in § 20 (3) PrävG verankert sind, gehören beispielsweise die Senkung des Diabetes-Typ II-Risikos, die Verringerung der Brustkrebs-Mortalität oder die Reduktion von Tabak- und Alkoholkonsum.

Durch die „Brille des Ergonomen“ rückt dabei das Ziel „Gesünder älter werden“ in den Fokus, öffnet sich ihm doch hier ein weites Betätigungsfeld. Nach wie vor zählen Erkrankungen des Bewegungsapparates zu den häufigsten Gesundheitsproblemen in der Bevölkerung, bei gewerblich Beschäftigten gleichermaßen wie außerhalb der Arbeitswelt. Hierbei greifen verschiedene Faktoren ursächlich ineinander. Dabei sind individuelle gesundheitliche Einschränkungen, zunehmend mangelnde Bewegung und körperliche (Fehl-)Belastungen oder falsch angewöhnte Bewegungsabläufe gemeinsam ursächlich. Nicht selten kommen psychosoziale Aspekte hinzu. Zu psychosozialen Aspekten bei Beschäftigten gehören beispielsweise Arbeitsverdichtung oder Zeitdruck. Bei vielen Menschen gibt es eine wachsende soziale Beanspruchung im privaten Bereich, die zum Beispiel durch die Pflege von Angehörigen entstehen kann.

Ein wesentliches Handlungsfeld im Betrieb ist und bleibt die Verbesserung der ergonomischen Gestaltung von Arbeitsplätzen und -abläufen. Aber die Anschaffung ergonomischer Arbeitsmittel allein löst die Probleme selten. Eine motivierende Aktivierung der Führungskräfte und der Beschäftigten zu gesundheitsförderlichem Verhalten gewinnt zunehmend an Bedeutung. Dazu gehört eine gut organisierte Ergonomie-Beratung ebenso wie die stetige Anpassung von Strukturen und Abläufen oder die Förderung einer Bewegungskultur im Betrieb.

Finanzierung

Beide Regelungen zeigen ergänzende oder projektbezogene Finanzierungsansätze für notwendige Maßnahmen. Im PrävG erfolgen sie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen, im BEM aus Mitteln der Integrationsämter (zum Beispiel für die technische oder bauliche Umrüstung eines Arbeitsplatzes). Während die Kostenverteilung im ersten Fall annähernd paritätisch ist, erfolgt im zweiten Fall ausschließlich eine Belastung der Arbeitgeber analog zur Kostenverteilung im Unfallversicherungsrecht.


Autor:

Prof. Dr. Andreas Meyer-Falcke ist
Beigeordneter für Personal und
Gesundheit der Landeshauptstadt Düsseldorf.

E-Mail:
andreas.meyerfalcke@duesseldorf.de

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