07 Asbest

Asbestbelastung bei Sanierungsarbeiten

Asbest wird deutsche Gerichte noch eine Zeit lang beschäftigen. Foto: © zolnierek ? stock.adobe.com

Weil Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten so teuer werden können, dass kleinere Unternehmen sie nicht finanzieren können, gibt es die Gesetzliche Unfallversicherung. Unternehmer zahlen feste und damit kalkulierbare Beiträge, Beschäftigte haben einen leistungsstarken Ansprechpartner. Und Streit über die Folgen eines Arbeitsunfalls belastet nicht das Betriebsklima, wenn bei dem Unfall ein Fehler des Arbeitgebers oder anderer Mitarbeiter eine Rolle gespielt haben kann. In der Konsequenz dieses Systems sind Ansprüche zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ausgeschlossen. Früher regelte dies die Reichsversicherungsordnung, heute die §§ 104 ff. SGB VII.

Eine wichtige Ausnahme von diesem Grundsatz gibt es aber: Wenn ein Schaden vorsätzlich herbeigeführt worden ist (oder sich in eng begrenzten Ausnahmefällen ereignet), bleibt die Haftung des Arbeitgebers neben der Gesetzlichen Unfallversicherung bestehen. Dann ist nämlich der Unternehmer nicht schutzwürdig.

Darum ging es in einem Fall, den das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Jahr 2011 entschieden hat. Beklagte war eine Stadt, der Kläger dort im Sozialamt beschäftigt. Zwischen Februar und Mai 1995 sollte er in einer Flüchtlingsunterkunft renovieren, die wegen einer möglichen Freisetzung von Asbestfasern geschlossen worden war. Das örtliche Hochbauamt hatte den Bürgermeister über diese Gefahr infolge der Verwendung eines asbestbelasteten Baustoffs informiert. Gemeinsam mit Zivildienstleistenden und Flüchtlingen führte der Kläger eine Reihe verschiedener Arbeiten aus. Weder er noch die anderen Helfer wurden über Gefahren aufgeklärt oder zum Tragen von Schutzbekleidung und Atemschutzgeräten angewiesen.

Erst Anfang Mai 1995 wies ein Mitarbeiter einer Baufirma darauf hin, dass die Arbeiten angesichts der Asbestgefährdung von einer Spezialfirma erledigt werden müssten. Damit konfrontierte der Kläger seinen Abteilungsleiter. Dieser drängte aber, weiterzumachen. Es sei allgemein bekannt, dass asbesthaltiges Material in dem Gebäude sei. Daraufhin schaltete einer der Zivildienstleistenden die staatliche Gewerbeaufsicht ein, welche die Baustelle stilllegte und feststellte, dass durch das Abkratzen und Abschaben eine extreme Exposition von Asbestfasern bewirkt worden sei. Im Jahr 2006 kam dem Kläger aufgrund des Hinweises eines Arztes der Verdacht, er könne aufgrund der Asbestexposition ein deutlich erhöhtes Risiko erlitten haben, an Krebs zu erkranken. Er verlangte deshalb von der Stadt, eine Verpflichtung zum Ersatz allen Schadens inklusive Schmerzensgeld abzugeben, den der Kläger infolge der Arbeiten eventuell erleiden werde. Das verweigerte die Stadt, und zwar unter Berufung auf den Haftungsausschluss aus dem Unfallversicherungsrecht.

So kam der Fall zu den Gerichten. Dort war zunächst die Frage zu klären, ob der Kläger überhaupt klagen konnte, obwohl er noch keinen Schaden erlitten hatte; er war bislang glücklicherweise nicht an Krebs erkrankt. Ausschließen konnte das aber auch niemand. Dies ist ein häufiges Problem in Bezug auf Spätschäden. Trotzdem ist es wichtig, die Anspruchsgrundlage gerichtlich feststellen zu lassen – sonst können Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verjähren. Spätestens (!) 30 Jahre nach dem Schadensereignis ist das der Fall, auch wenn bis dahin kein greifbarer Nachteil entstanden ist. Deshalb darf man eine so genannte Feststellungsklage erheben, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen Spätschaden besteht. So kam der Kläger über diese Hürde hinweg.

Und was war mit dem gesetzlichen Haftungsausschluss? Nun, so das BAG, eine Berufskrankheit wäre eine Krebserkrankung des Klägers gegebenenfalls, aber die offene Frage lautet, ob sie nicht vielleicht vorsätzlich herbeigeführt worden war. Anders als Laien oft meinen, setzt Vorsatz nämlich keine Absicht voraus. Es reicht, einen Schaden billigend in Kauf zu nehmen („na wenn schon“). Das hielt das BAG angesichts der Äußerungen des Abteilungsleiters nicht von vorneherein für ausgeschlossen, dem die schnelle Renovierung wichtiger war als der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter. Der Punkt wurde weiter aufgeklärt, die Stadt verurteilt, und die dann seitens der Stadt gegen dieses Urteil eingelegte Revision im Jahr 2014 vom BAG in einem zweiten Urteil zurückgewiesen. Mit einer bemerkenswert verallgemeinerungsfähigen Begründung: „Einen allgemeinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der vorsätzlich eine zu Gunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers nicht billigend in Kauf nimmt, gibt es nicht. Zwar hat der Senat [also das BAG in anderen Urteilen, MN.] entschieden, dass ein Arbeitgeber trotz eines Verstoßes gegen Arbeitsschutzvorschriften meistens darauf hoffen wird, es werde kein Unfall eintreten. Diese Ausführungen sind einer Verallgemeinerung im Sinne eines Erfahrungssatzes auf tatsächlichem Gebiet allerdings nicht zugänglich. Stets kommt es vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an“. Mit anderen Worten: Wer Schutzvorschriften missachtet, kann sich nicht automatisch darauf berufen, dass er nicht mit einem Schaden gerechnet hat.

BAG, Urteile vom 28. 4. 2011 − 8 AZR 769/09, NZA-RR 2012, 290 und vom 20.6.2013 – 8 AZR 471/12, NZA-RR 2014, 63


Autor:

Dr. Michael Neupert

Rechtsanwalt

Kümmerlein, Simon & Partner
Rechtsanwälte mbB

Michael.Neupert@kuemmerlein.de


Asbestverunreinigung bei Demontagearbeiten – Haftung eines Unternehmens

Die Klägerin ist ein Unternehmen, das die Beklagte – ein Unternehmen im Bereich des Schornstein- und Lüftungsbaues – damit beauftragte, einen neuen Außenkamin zu errichten und diesen an die bestehende Abzugsanlage anzuschließen. Dazu musste ein Teil des bestehenden Abluftkanals beseitigt werden, der in einer Zwischendecke verlief und auf nicht genau bekannte Weise an den alten Kamin angeschlossen war. Im Übergangsbereich befanden sich Asbestplatten. Bei der Demontage des Anschlusses an den alten Kamin stürzte das letzte Element des Abluftkanals zu Boden, und die damit verbundenen Asbestplatten wurden beschädigt.

Die Klägerin beauftragte eine Umweltberatung mit umfangreichen Untersuchungen. Es wurde eine stark erhöhte Asbestbelastung der Raumluft festgestellt, das Gebäude für zweieinhalb Monate dekontaminiert und währenddessen gesperrt. Allein für die Untersuchung und Reinigung entstanden Kosten von beinahe 250.000 Euro, den Betriebsausfall nicht mitgerechnet. Diese Kosten wollte die Klägerin von der Beklagten ersetzt haben. Weil das Landgericht in der ersten Instanz nach einer ausführlichen Beweisaufnahme zu der Einschätzung kam, dass die asbesthaltigen Platten verblendet und deshalb nicht erkennbar gewesen waren, stellte sich die Frage: Muss ein Bauunternehmen von sich aus immer damit rechnen, dass bei einem Gebäude mit entsprechendem Alter asbesthaltige Platten im Abluftkanal verbaut sind, und Vorsichtsmaßnahmen treffen?

Nein, urteilten Landgericht und Oberlandesgericht, allerdings nicht aus Prinzip, sondern wegen einiger Einzelheiten. Der Beklagten war das Alter der Lüftungsanlage nicht bekannt, und sie hatte nicht mit besonderen Fachkenntnissen für Abriss- bzw. Demontagearbeiten geworben. Dementsprechend war sie allgemein mit Demontagearbeiten im Rahmen eines anderen Werkes beauftragt und nicht mit einer Asbestsanierung oder der Beseitigung asbesthaltiger Bauteile. Die Untersuchungs- und Prüfungspflicht des Werkunternehmers beschränkt sich auf die technischen und handwerklichen Überprüfungen, die ihm möglich und zumutbar sind. Da die Beklagte seitens der Klägerin nicht auf ein eventuelles Asbestrisiko hingewiesen worden war, musste sie deshalb nicht vorsorglich prüfen. Dass die Verwendung von Asbest gerade im Übergang des Abluftkanals zum Kamin früher üblich und deshalb zu erwarten gewesen wäre, hatte die Klägerin nicht belegen können. Außerdem stellte sich heraus, dass die Klägerin selbst den Verlauf der neuen Lüftungsanlage und die Demontage geplant hatte. Schließlich war auch der Termin der Arbeiten mit der Klägerin abgestimmt, so dass diese die Arbeiten hätte überwachen können.

Man sieht also, dass weder in die eine oder andere Richtung generelle Regeln gelten. Für Bauunternehmen genau wie für Auftraggeber kann dies angesichts der drohenden Schäden nur bedeuten: Asbestrisiken muss jeder ernst nehmen und alles tun, um sie zu beherrschen. Ansonsten droht schlimmstenfalls eine kleinteilige Auseinandersetzung.

OLG Köln, Urteil vom 24. 07. 2013 – 11 U 221/12, NJW 2013, 3454; erste Instanz LG Köln, Urteil vom 04.12.2012 – 27 O 362/11, BeckRS 2013, 19179

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