Vor gut 20 Jahren trat das Arbeitsschutzgesetz (in Österreich Arbeitnehmerschutzgesetz) in Kraft. Dieses Gesetz fordert die für alle Arbeitsplätze zu erstellende ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung, auf deren Basis ein zielgerichteter Arbeits- und Gesundheitsschutz erfolgen soll. Da die psychischen Aspekte der betrieblichen Gesundheit weitgehend ausgespart wurden, erfolgte 2015 eine Gesetzesnovelle, die die explizite Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung auch der psychischen Belastung für Unternehmen einfordert.
Nach derzeitigem Stand haben zwar schon viele Unternehmen die Erfassung der psychischen Belastungen als Grobanalyse durchgeführt, oft mangelt es aber noch an der Feinanalyse, um konkrete Maßnahmen zur Verringerung des Risikos festzulegen und durchzuführen.
Stand der Dinge im Arbeits- und Gesundheitsschutz – Erhebung der psychischen Belastung
Für die Erfassung der Gefährdung der psychischen Belastung gibt es unterschiedliche Möglichkeiten:
- Die schriftliche anonyme Mitarbeiterbefragung mit Hilfe von validierten Fragebögen (als Beispiele seien hier COPSOQ und KFZA – genannt). Diese Befragungen sind einfach und schnell auch in größeren Unternehmen durchzuführen. Hierbei handelt es sich allerdings nur um Grobanalysen.
- Expertenbeobachtung/Beobachtungsinterviews sind nach kurzer Schulung durch Fachleute von den Betrieben evtl. mit externer Unterstützung zügig und einfach durchzuführen. Wenn die Mitarbeiter dabei nicht befragt werden – was in der Praxis häufig der Fall ist – bleibt deren Sichtweise unberücksichtigt und das Ergebnis unvollständig.
- Der (extern) moderierte Workshop kann als Feinanalyse und auch zur Erarbeitung konkreter Verbesserungsvorschläge (Maßnahmen) genutzt werden. Allerdings ist die Umsetzung aufwändiger als bei der Mitarbeiterbefragung und setzt voraus, dass die Mitarbeiter bereit sind, sich mit Problemstellungen innerhalb dieser Workshops zu „outen“.
- Die standardisierte mündliche Einzelbefragung der Mitarbeiter und Führungskräfte. Sie vereint die Möglichkeiten des anonymen Fragebogens mit denen der Workshops, ist allerdings nochmals deutlich aufwändiger in der Durchführung. Diese kann bei entsprechender Schulung auch durch Betriebsärzte erfolgen, was den zusätzlichen Nutzen hat, dass auch die der Anonymisierung der Zusammenfassung „zum Opfer fallenden“ Mitarbeiteräußerungen für die weitere Beratung dem Betriebsarzt und damit indirekt dem Unternehmen zur Verfügung stehen.
Im Anschluss an die Erfassung werden die Ergebnisse unter Mitwirkung des Arbeitgebers und/oder seiner Beauftragten gewichtet und priorisiert.
Wo entsteht ggf. Bedarf nach externen Beratungsleistungen und wie kann das aussehen?
Jetzt beginnt die spannendste Phase – Maßnahmen zur gezielten Bearbeitung der Herausforderungen müssen gefunden und beschlossen werden. Die Erfahrungen aus den Betrieben zeigen, dass die meisten Belastungen der Psyche aus folgenden Unternehmensfeldern hervorgehen: FÜHRUNG, KOMMUNIKATION und ORGANISATION. Um auch diese bearbeiten zu können, braucht es von Beginn an ein klares Commitment des Arbeitgebers: „Ja, wir untersuchen die Belastung und ja, wir nehmen bei Bedarf auch Maßnahmen zur Führung und Kommunikation in den Blick“. Dann kann er sich hier nicht einfach heraushalten, wie es sonst leicht passieren kann.
Das Thema Organisation mögen viele Unternehmen noch aus eigener Kraft stemmen können, aber spätestens bei den Themen Führung und Kommunikation fehlen den meisten Unternehmen die entsprechenden Experten. Auch die durch das Arbeitssicherheitsgesetz vorgeschriebenen fachlichen Berater, Sicherheitsfachkraft und Betriebsarzt, kommen hier unterschiedlich schnell an ihre Grenzen.
Es sind dann die Experten gefragt, die sich mit Führung und Kommunikation, mit Moderation und Mediation beschäftigen. Im Gegensatz zur Arbeit von Betriebsärzten und Sicherheitsfachleuten gibt es allerdings keine gesetzlichen Grundlagen, die deren Einsatz in Unternehmen regeln. Das bedeutet, dass die Akteure aktiv aufeinander zugehen müssen. Die Betriebe und ihre Fachleute müssen sich Unterstützung bei Experten anderer Fachrichtungen holen und diese müssen ihre Produkte auf den betrieblichen Bedarf ausrichten und dort anbieten. Hier liegt die Chance in fachgebietsübergreifenden Netzwerken, in denen die Themen aus den unterschiedlichen Blickwinkeln diskutiert werden können und bislang noch bestehende Berührungsängste abgebaut werden.
An welchen Stellen können Berater für Kommunikation/Führung sinnvoll unterstützen?
Diese Funktionen können von einem entsprechend geschulten und erfahrenen Betriebsarzt auch selbst durchgeführt werden, allerdings kann es zur Steigerung der Wirksamkeit häufig sinnvoll erscheinen, dass für eine Statusbeschreibung eines Unternehmens „unverbrauchte Dritte„ in Erscheinung treten, bekanntlich zählt der Prophet im eigenen Lande nicht viel.
Interne und externe Rollen: nützliche Unterschiede
Werden Externe als ergänzende Berater eingebunden, so hat dies einige Vorteile. Sie werden leichter als neutral und unparteiisch wahrgenommen, was Akzeptanz und Offenheit gerade bei kritischen Themen erhöht. Sie lernen die Organisation und die handelnden Personen unvoreingenommen neu kennen und sehen dadurch Zusammenhänge, die den Betriebsinternen nicht mehr auffallen. Vor allem aber: Sie sind unabhängig und können aus ihrer Rolle heraus – den entsprechenden Auftrag und eine gute Arbeitsbeziehung vorausgesetzt unbequeme Wahrheiten zumuten, was gerade bei Führungs- und Kommunikationsthemen unverzichtbar ist.
Umgekehrt sind die Externen gut beraten, mit den Internen zu kooperieren und deren spezifische Kenntnisse zu nutzen: zum Beispiel ihr Verständnis der Abläufe und Themen, ihre Erfahrung mit der Kultur, ihr Netzwerk und gutes Ansehen in der Organisation.
Was ist wichtig in der Zusammenarbeit?
Arbeitsschutzprozesse gehören oft nicht zu den populärsten Themen in Organisationen. Ein gut abgestimmtes Team aus Arbeitsschutzexperten und Beratern anderer Fachrichtungen kann hier die Schlagkraft deutlich erhöhen. Aus unserer Erfahrung sind im Zusammenspiel folgende Punkte beachtenswert:
- Ergänzende Berater steigen in der Regel in den schon laufenden Prozess ein (z. B. für die Durchführung eines Führungscoachings). Hier ist wichtig, dass sie einerseits die Ergebnisse der anlassgebenden Analyse kennenlernen können, andererseits genug Gestaltungsspielraum bei, um Maßnahmen ihrer Expertiseentsprechend zu gestalten. Dies kann z. B. erreicht werden, indem der Gesamtbericht zu den festgestellten Handlungsfeldern Ziele benennt, aber noch kein Vorgehen festlegt.
- Das Beraterteam klärt miteinander: In welchen Rollen arbeiten wir zusammen? Wer übernimmt welche Teile des folgenden Beratungsprozesses? Wie und mit wem wird dafür der Auftrag geklärt? Welche Abstimmungspunkte gibt es? Wie wird überprüft, ob die Ziele erreicht wurden (z. B. in einem gemeinsamen Rückkopplungsgespräch)?
- Der Arbeitsschutzexperte kann viel dafür tun, dass auch der ergänzende Berater das Vertrauen des Arbeitgebers gewinnt, indem er ihn gut integriert. Gegebenenfalls sind hinsichtlich der einzelnen Maßnahmen weitere Verantwortliche mit einzubeziehen (zum Beispiel die Führungskraft eines Teams, in dem es Konflikte gibt). Es hängt viel davon ab, dass auch zu ihnen eine gute Arbeitsbeziehung entsteht und sie schnell aus der Defensive in eine aktiv gestaltende und verantwortliche Position kommen. Dies gilt umso mehr in Fällen, in denen diese Personen selbst in der Kritik stehen.