Viele Führungskräfte stürzen sich
direkt auf ihre Aufgaben als Manager, denn hier haben sie meist mehr Erfahrung, diese Aufgaben können sie besonders gut „kontrollieren“ (Matyssek, 2011) – zumindest die Aufgaben, die ihnen bekannt sind. Für die betrieblichen Arbeitsschutzstrukturen gilt es, die Aufbau- und Ablauforganisation soweit zu klären, dass jede Führungskraft ihre Aufgaben kennt und ausfüllen kann. Was zunächst banal klingt, stellt nach wie vor im Arbeitsschutz eine Hürde dar. Nicht nur die explizite Delegation von Arbeitsschutzaufgaben gilt es zu thematisieren, sondern auch die Arbeitsschutzaufgaben, die an jeder Art von Führung hängen, müssen vermittelt werden.
Originäre Führungsverantwortung
Die Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche einer Führungskraft sind in ihrem Arbeitsvertrag festgelegt. Für diesen Aufgabenbereich trägt sie die Verantwortung. In ihre Organisations-, Überwachungs- und Auswahlpflichten integriert ist auch die Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten in ihrem Bereich, die Verantwortung sichere und gesundheitsgerechte Anordnungen zu treffen, die Arbeitsbedingungen entsprechend zu gestalten sowie Schutzmaßnahmen und deren Einhaltung sicherzustellen.
Entscheidend für die Erfüllung dieser Aufgaben und die Grenzen der Verantwortung sind das Maß der Kompetenzen und Ressourcen, die der Führungskraft zur Verfügung stehen. Eine separate Pflichtenübertragung seitens des Arbeitgebers ist hierfür nicht erforderlich, aber durchaus sinnvoll: Stellen- oder Funktionsbeschreibungen, Geschäftsverteilungspläne oder Organisationshandbücher sind bewährte Instrumente. So kann sichergestellt werden, dass die Wahrnehmung von Aufgaben nicht an der Person hängt, sondern untrennbar mit der Funktion verknüpft ist.
Delegation zusätzlicher Aufgaben
Die meisten Pflichten im Arbeitsschutz richten sich an den Arbeitgeber. Die daraus resultierenden Aufgaben muss dieser nicht selbst ausführen, muss aber organisieren, dass sie erfüllt werden. Der Arbeitgeber überträgt dann diese Aufgaben und dazu benötigte Kompetenzen zur Erfüllung an die Führungskräfte (oder andere geeignete Personen). (Fußnote?) § 13 Abs. 2 ArbSchG sowie § 13 UVV Grundsätze der Prävention (DGUV Vorschrift 1) zeigen die Anforderungen und Möglichkeiten.
Da der Arbeitgeber die Gesamtverantwortung nie abgeben kann, muss transparent gemacht werden, wie die Erfüllung der Aufgaben überwacht wird und wo die Grenzen der Aufgabenerfüllung liegen, zum Beispiel beim Budget für die Umsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen. Gleiches gilt, wenn die Führungskraft in ihrem Zuständigkeitsbereich Aufgaben weiter delegiert.
Abläufe im eigenen Zuständigkeitsbereich überdenken
Sichtbar wird das Handeln der Führungskräfte in der Gestaltung der Abläufe im eigenen Zuständigkeitsbereich. Hier sind die Arbeitsschutzaufgaben integriert oder eben nicht. In den Abläufen stecken – schriftlich oder mündlich – Anordnungen der Führungskraft. Dabei gilt für alle Ablaufbeschreibungen: Sie müssen funktionieren, nicht nur existieren. Schafft es die Führungskraft, die Belange von Sicherheit und Gesundheit in die Abläufe zu integrieren, hat sie einen wesentlichen Teil ihrer Organisationspflichten verstetigt und kommt über die Beobachtung der Abläufe und den Umgang mit Ausnahmen ihren Überwachungsaufgaben nach.
Verfolgt man Fachzeitschriften oder Newsletter im Arbeitsschutz, wird deutlich: Es gibt ständig Neuerungen aus
den verschiedensten Disziplinen. Neben einer strukturellen Regelung, wie mit Neuerungen im Arbeitsschutz im Betrieb umgegangen wird, stellt sich die Frage, wie Führungskräfte auf dem Laufenden bleiben. Am Beispiel der GDA-Dachevaluation (Lißner et. al 2014) zeigt sich, dass spezielle Schulungen von Führungskräften zu Sicherheits- und Gesundheitsaspekten nur in circa jedem zweiten Unternehmen angeboten werden. Je kleiner das Unternehmen, desto seltener erfolgen sie. Nun sind Schulungen nicht der einzige Weg zur Kompetenzentwicklung, die Betriebe müssen andere (informelle) Möglichkeiten jedoch etablieren.
Arbeitsschutzziele und Führungsgrundsätze
Ergänzend müssen Führungsgrundsätze aufgestellt sein, die den Stellenwert von Arbeitsschutz gleichrangig zu Qualitätsanforderungen oder anderen Zielen kommunizieren, an denen sich die Führungskräfte messen lassen müssen. Führungsgrundsätze beeinflussen die im Folgenden dargestellte Rollenwahrnehmung grundlegend, denn im Idealfall wird ihnen mit diesem Instrument aufgezeigt, wann sie eine gute Führungskraft sind. Erfolgreiche Führung kann dahingehend bewertet werden, ob und in welchem Umfang gesetzte Ziele in der Organisationseinheit erreicht wurden (Yukl, 2010). Somit ist das Erfüllen von Arbeitsschutzzielen ein Kriterium zur Messung von Führungseffektivität.
Die ursprünglich angenommene direkte Beziehung zwischen Führung und Gesundheit der Mitarbeiter muss heute
differenzierter als bisher betrachtet werden. Forschungen zeigen (Vincent, 2011), dass zum Beispiel das Führungsverhalten weniger direkt auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter wirkt, sondern dass Arbeitsmerkmale als vermittelnde Variable viel entscheidender sind. Dadurch wird kulturellen Aspekten der Führung ein größerer Stellenwert eingeräumt.
Führungskultur fängt bei der
Führungskraft selbst an
Als Führungskultur werden gemeinsame Annahmen und Verhaltensweisen von Führungskräften verstanden. Die Führungskultur einer Organisation äußert sich vor allem in gemeinsamen Grundhaltungen, verbreiteten Instrumenten zum Führen oder einem kollektiven beziehungsweise typischen Führungshandeln (Grilz, 2011); dies trifft auch auf den Arbeitsschutz zu. Die Etablierung einer gesunden Führungskultur fängt immer bei den Führungskräften selbst an. Ein zentraler Ausgangspunkt ist die Klärung der eigenen Führungsrolle. Wer seine Rolle nicht kennt, ist auch nicht imstande, andere Personen zu führen.
In der Rolle der Führungskraft liegt es Verantwortung zu übernehmen, und zwar für die eigene Situation. Nicht nur für das eigene Tun und Handeln, sondern auch für die eigene Leistungsfähigkeit, Motivation und Zufriedenheit, insgesamt also für ihre Gesundheit (Becker, 2012). Sich selbst zu führen bedeutet, sich selbst zu verstehen, seine eigenen Werte zu kennen und sein eigenes Handeln zu reflektieren. Die Basis für gesundes Führen und damit für eine gesunde Führungskultur ist also der gesunde Umgang als Führungskraft mit sich selbst.
Selbstreflexion als Führungskompetenz
Für den Arbeitsschutz bedeutet das,
dass Führungskräfte ein sicheres und gesundheitsgerechtes (Führungs-) Verhalten leben und sich an Regeln und Betriebsanweisungen halten müssen. Die Selbstfürsorge ist hier ein wesentlicher Aspekt. Wer als Führungskraft wenig auf seine Gesundheit achtet, der wird wahrscheinlich auch keinen besonderen Wert auf die körperliche und psychische Gesundheit seiner Mitarbeiter legen – gleichwohl wird dies im § 5 ArbSchG gefordert. Ob und inwiefern Führungskräfte selbstreflexiv sind, nehmen auch die Mitarbeiter wahr. In einer Umfrage zum Thema „Führungspraxis und Motivation” gaben zum Beispiel nur neun Prozent der Befragten an, dass ihre eigene Führungskraft reflektiert sei bezüglich sich selbst und über ein gutes Selbstmanagement verfüge (Büser, Stein, von Königsmark, 2012).
Sowohl Selbstreflexion als auch der Austausch unter Kollegen kann für die Führungskultur im Arbeitsschutz wichtig sein, um gemeinsame und verschiedene Ansichten und Verhaltensweisen zu diskutieren und Schlussfolgerungen zu ziehen, zum Beispiel zur Präzisierung von gemeinsamen Führungsgrundsätzen.
Andere (an)führen
Die Anforderungen sind hoch: Führungskräfte sollten sich durch Empathie und Begeisterungsfähigkeit auszeichnen, sie müssen mehr in ihrer Rolle als Leader agieren. Es sollte ihnen bewusst sein, dass Kultur als „Sinnvorrat“ und „moralischer Wegweiser“ eine wesentliche Komponente vor allem für die psychische Gesundheit der Beschäftigten repräsentiert (Badura, Walter, 2014). Häufig jedoch fehlt die Kompetenz zum (gesunden) Führen. Auswirkungen sind vor allem:
- Niedrigere Produktivität: Gesundheitsbeeinträchtigungen erzielen eine Einbuße von bis zu zehn Prozent der Jahresarbeitsleistung.
- Schlechte Selbstfürsorge: Führungskräfte gehen als Vorbild selbst wenig achtsam mit ihrer Gesundheit um.
- Geringere Achtsamkeit: Sie sind nicht in der Lage, Signale beeinträchtigter psychischer Gesundheit bei ihren Mitarbeitern zu erkennen
Als Faktoren einer gesunden Führung werden unter anderem folgende Punkte benannt (Gunkel et al., 2014):
- Vertrauensvorschuss und
Wertschätzung - Rückendeckung; offene Tür; Lob
- Gerechte Prozesse; proaktiver Umgang mit Konflikten
- Vermittlung von Sinn und Bedeutung der Aufgaben (Big Picture)
- In die Kompetenzen der Mitarbeiter vertrauen
- Konsequente Aufgaben- und Rollenklärung; transparente Kommunikation
In diesem Zusammenhang kommt der transformationalen Führung eine wichtige Rolle zu. Transformational führt, wer eine Unternehmensvision gegebenenfalls konkretisiert für den eigenen Zuständigkeitsbereich vermitteln kann. Wenn diese als attraktiv und wertvoll erlebt wird, bekennen sich Beschäftigte dazu (Walenta, Kirchler, 2011). Dieser Führungsstil hat besonderen Einfluss auf Merkmale der Arbeitsaufgabe und Arbeitsbedingungen (z.B. Bedeutsamkeit der Aufgabe, Weiterentwicklungsmöglichkeiten); dies beeinflusst das Wohlbefinden der Beschäftigten (Vincent, 2011).
Ausblick
Es gibt verschiedene strukturelle und
kulturelle Stellschrauben für Führungskräfte und Organisationen, um gesunde Führung zu fördern.
Es braucht einige Zeit, die bestehende Führungskultur zu wandeln. Die betriebliche Praxis zeigt, dass Unsicherheiten entstehen können (Badura, Walter, 2014); diese sollten in der Veränderungsphase unbedingt berücksichtigt werden. Folgende Systemelemente sind für die Führung in diesem Prozess relevant:
- Achtsamkeit für Gesundheit durch Kompetenzentwicklung und Überwindung von Vorurteilen, überholten Konzepten und Überzeugungen
- Veränderungen an Stellschrauben des Sozial-, Gesundheits- und Entscheidungsverhaltens
- Weiterentwicklung betrieblicher
Strukturen
Die Arbeit an guten Strukturen und einer gesundheitsförderlichen Führungskultur sind zwei Seiten einer Medaille, denen für eine gesunde Führung gleichermaßen Beachtung geschenkt werden sollte. Die Organisationen müssen auf beiden Seiten auf die aktuellen Entwicklungen (Arbeit 4.0, Umgang mit Vielfalt etc.) reagieren.
Dynamische und weise Organisations-kulturen verfolgen daher das Ziel,
Nachwuchsführungskräfte selbst auszu-bilden. Führungskräfte sollten unter
anderem daran gemessen werden, wie
sie neuen Führungskräften den Weg
ebnen (Reisyan, 2013).
Autoren
Clarissa Eickholt
Diplom-Pädagogin (Erwachsenbildung, Organisationswissenschaft)
Clarissa.Eickholt@systemkonzept.de
Sonja Blanco
Bildungswissenschaftlerin und Soziologin M.A. (Organisationsentwicklung), Systemischer Coach
Philip Ashton
Sportwissenschaftler M.A. (Betriebliches Gesundheitsmanagement)