Der infas-Lebenslagenindex, ein seit 2007 erhobener Sozialindikator für die Bundesrepublik, beobachtet auf Basis einer kontinuierlichen repräsentativen telefonischen Bevölkerungsbefragung die gesellschaftliche Ungleichheit. Er berücksichtigt die wirtschaftlichen Lebensbedingungen, die gesellschaftliche Teilhabe, die Einschätzung der eigenen Lage und die Zukunftserwartungen. Differenziert nach niedriger, mittlerer und hoher Lebenslage zeigen sich deutliche Unterschiede in den Erwartungen zu den Folgen der Corona-Pandemie. Die nachfolgenden Ergebnisse wurden im April 2020 erhoben, die Studie wird kontinuierlich mit monatsweiser Berichterstattung fortgeführt.
Die Bevölkerung mit einer hohen Lebenslage (LL) hat deutlich weniger Angst davor, sich am Corona-Virus anzustecken (29 Prozent) als die mit mittlerer (38 Prozent) oder niedriger (41 Prozent) Lebenslage. Vermutlich, weil sie zuversichtlicher ist, eine gute medizinische Versorgung zu erhalten, denn gerade einmal 4 Prozent der Bevölkerung mit hoher Lebenslage befürchtet fehlende Hilfe im Falle einer Erkrankung (mittlere LL: 23 Prozent, niedrige LL: 27 Prozent). Die Einschränkungen im täglichen Leben belasten jene mit niedriger Lebenslage deutlicher (41 Prozent) als die mit mittlerer (28 Prozent) oder hohe (19 Prozent) Lebenslage. Fast die Hälfte (47 Prozent) der Bevölkerung mit niedriger Lebenslage leidet an Einsamkeit, aufgrund des selteneren Kontakts zu anderen Menschen. In dem Segment der mittleren und hohen Lebenslage, sind es nur rund ein Drittel (27 bzw. 31 Prozent).
Eine Einschränkung des Lebensstandards in den kommenden sechs Monaten fürchten in der Bevölkerung mit hoher Lebenslage 31 Prozent (mittlere LL: 53 Prozent, niedrige LL: 60 Prozent). Analog schließen Personen mit hoher Lebenslage im Gegensatz zur restlichen Bevölkerung ernsthafte Geldprobleme praktisch völlig aus (nur 3 Prozent haben diese Sorge), wohingegen sie in der Gruppe mit niedriger Lebenslage sehr ausgeprägt ist (35 Prozent). Auch die Sorge, arbeitslos zu werden ist ausgeprägter (niedrige LL: 26 Prozent, mittlere LL: 10 Prozent, hohe LL: 3 Prozent).
Das Vertrauen in staatliches Handeln ist in der Bevölkerung mit niedriger Lebenslage gering. Während mehr als jeder Zweite (52 Prozent) mit niedriger Lebenslage überzeugt ist, dass aufgrund der Corona-Krise die Renten nicht mehr sicher sind, sind es bei den Menschen mit mittlerer Lebenslage nur 24 Prozent und mit hoher Lebenslage gerade einmal 19 Prozent.
Dass die Krise das Ansehen der Volksparteien steigen lässt, äußern in der Gruppe mit niedriger Lebenslage 32 Prozent, mit mittlerer Lebenslage 42 Prozent und mit hoher Lebenslage 62 Prozent. Dass das Vertrauen in staatliches Handeln durch die Krise steigt, davon sind in der Bevölkerung mit niedriger Lebenslage 18 Prozent überzeugt (mittlere LL: 46 Prozent, hohe LL: 55 Prozent).
Die deutsche Bundesregierung erfährt im Ausland für ihre Krisenbewältigung während der Coronakrise seit März 2020 breite Anerkennung. Im Inland ist die Zustimmung der Bevölkerung zur Krisenpolitik von Bund und Ländern in den letzten Wochen indes wieder gesunken. Seit der ersten Befragung im April 2020, als im Zuge einer kurzfristig neuartigen Politikverflechtung zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik umfangreiche Lockdown-Maßnahmen umgesetzt wurden, hat sich das Vertrauen der Bevölkerung in staatliches Handeln dynamisch verändert: Gaben im April, zum Zeitpunkt der staatlichen Durchsetzung der Lockdown-Politik, 45 Prozent der Bundesbürgerinnen und -bürger an, ihr Vertrauen in staatliches Handeln sei gestiegen; so waren dies im Juni nur noch 33 Prozent. Die Einschätzung, das föderale System der Bundesrepublik sei als solches kein Handlungshemmnis für die Pandemie-Politik gewesen sei, blieb dabei stabil. Wie das Vertrauen in staatliches Handeln nach weitgehender Aufhebung der Lockdown-Maßnahmen sank, so stieg im Verlaufe des Sommers – und in Folge der Finanzierung des umfassenden Corona-Konjunkturpakets – die Sorge der Bürgerinnen und Bürger um eine zu hohe staatliche Verschuldung (mit einem Anteil von 50 Prozent im April und 63 Prozent im Juni 2020). Bürgerrechtliche Vorbehalte („Freiheit und Bürgerrechte in Gefahr“) angesichts des coronabedingten „Exekutivföderalismus“ blieben vergleichsweise niedrig und stabil um 30 Prozent. Die Angst vor Verschuldung der öffentlichen Hand überwiegt also deutlich die Sorge um eine liberale politische Kultur in der Bundesrepublik.
Entsprechend treten nun auch andere Zukunftssorgen der Bürgerinnen und Bürger wieder stärker in den Vordergrund. Dass die Wirtschaft durch die Pandemie überfordert sei, gaben im April 63 Prozent an, dieser Anteil ist bis Juni um 5 Prozentpunkte auf 68 Prozent gestiegen.
In Folge der Lockdown-Politik in Deutschland haben dagegen Befürchtungen, das Gesundheitssystem könne der Pandemie nicht gewachsen sein, abgenommen. Waren im April 2020 noch zwei Drittel der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger der Ansicht, die Coronakrise verdeutliche die Schwächen des Gesundheitssystems, so geben dies im Juni 2020 nur noch 57 Prozent an.
Vor diesem Hintergrund zeigen differenzierte Analysen des umfangreichen aktuellen Datenbestands von infas, dass die bundesdeutsche Bevölkerung nicht in gleichem Ausmaß von der Coronakrise betroffen ist. Verschiedene Bevölkerungsgruppen erleben die Coronasituation unterschiedlich, jeweils abhängig von ihrer wirtschaftlich-sozial niedrigen, mittleren oder höheren Lebenslage. Während Menschen mit niedriger Lebenslage manifeste Sorgen
um Geld, Arbeitsplatz und Gesundheit und ein
vergleichsweise geringeres Vertrauen in die Unterstützung durch den Sozialstaat haben, erfahren Menschen mit hoher Lebenslage die Pandemie mehrheitlich als temporär beeinträchtigend, nicht aber als grundsätzlich bedrohlich.