01_Corona

Frische Luft für frisches Denken

Die oftmals geforderten Luftfilteranlagen für Schulen und Büros sorgen nur für die „Reinigung“ der Luft, nicht aber für eine Erneuerung der verbrauchten Luft. Doch erst einmal zu dem Forschungsvorhaben zur Bedeutung der Luftqualität für das Unterrichtsgeschehen allgemein, publiziert 2009[1].

Als Ende der 90er Jahre zunehmend in der Presse über die schlechte Luft in deutschen Klassenzimmern berichtet wurde, entstand der Gedanke, dies im Rahmen eines Forschungsprojektes zu prüfen und nach Möglichkeiten für eine Lösung zu suchen. Basierend auf den Erfahrungen früherer Forschungsvorhaben in der realen Unterrichtssituation entstand eine Skizze, welche Bausteine Bestandteil des Projektes sein müssen. Doch zu Beginn ein paar Anmerkungen zum Zusammenhang zwischen Luftqualität und Ermüdung, insbesondere unter Berücksichtigung des zeitlichen Verlaufs. Besonders hervorzuheben ist der bisherige Kenntnisstand dieses Zusammenhangs und dessen „Vergessen“, zumindest im schulischen Kontext.

Burgerstein und Netolitzky (1902) haben vor über 100 Jahren das „Handbuch der Schulhygiene“[2] herausgegeben, in dem sie vielfach und schlüssig begründen, angefangen bei einer vernünftigen Schulgestaltung bis hin zu pädagogischen Stellungnahmen, und ein Gesamtkonzept „Schule“ entwickelten. Im Grundsatz kann es in den meisten Teilen keineswegs als überholt gelten. Im Gegenteil, im so- genannt normalen Schulbetrieb käme die Beachtung damals aufgestellter Regeln Schülern wie Lehrern durchaus heute noch als Verbesserung zugute. Unter anderem auf die beiden Verfasser geht zum Beispiel die begründete Anregung zur Einführung der 45-minütigen-Unterrichtsstunde zurück. Die Organisation Schule brauchte Jahrzehnte, um dem nachzukommen. Unfreiwillig ironisch mutet die neuerliche Praxis der 90-minütigen-Unterrichtseinheit heute selbst in der Grundschule an. In einer aktuellen Programmankündigung eines Workshops von Schulleitern lautet eines der Themen sogar: „Schule im 60-min.-Takt“. Als wesentliches Argument galt die leichtere Handhabbarkeit in den Stundenplanprogrammen und vereinfachte Berücksichtigung der Zeitvorgaben für einzelne Fächer. Weder das Pausenproblem noch die Folgen langer ununterbrochener Unterrichtszeiten spielen in den Diskussionen eine wesentliche Rolle.

Ermüdung: ein ignorierter Aspekt

Zur Definition: Ermüdung ist gekennzeichnet durch eine reversible Abnahme der Leistungsfähigkeit infolge einer Belastung, die die individuelle Dauerleistungsgrenze überschreitet. Dies ist in aller Regel ein reversibler Prozess, der durch eine entsprechende Erholungsphase wieder rückgängig gemacht werden kann. Die Ermüdung, die sich im Erleben und Verhalten durch physiologische Merkmale äußert, steigt exponentiell mit Belastungsintensität und Belastungsdauer an. Die Einteilung des Ermüdungsgrades reicht von „optimaler Leistungsfähigkeit“ bis zu „funktionellen Störungen“. Die Erholung, die nur durch vollständiges Lösen von der Belastung erfolgt, lässt sich im zeitlichen Verlauf als Exponentialfunktion abbilden, sodass im ersten Pausen-Viertel der größte Erholungseffekt zu beobachten ist.

Burgerstein und Netolitzky (1902) setzen sich mit verschiedenen Methoden der Ermüdungsmessung auseinander und stellen zwei Komponenten heraus:

  • Leistungsabfall in Abhängigkeit vom Tagesablauf
  • Leistungsabfall in Abhängigkeit von der Struktur der Arbeitszeit in der Schule

Die Abhängigkeit vom Tagesverlauf ist bekannt unter dem Begriff der „Biologischen Leistungskurve“ oder „Circadiane Rhythmik“. Diese Schwankungen der Leistungsbereitschaft äußern sich zum Beispiel in Veränderungen der Aufmerksamkeit (Knauth, 1983). Nach den Schweden Bjerner et al. besitzt der Mensch morgens um 8:00 Uhr eine etwa 125%-ige Leistungsdisposition, während die Leistung zwischen 11:00 und 14:00 Uhr bis auf ca. 85 % zurückgeht (vgl. Abb. 1). Dies sind genau die Zeiten vor und nach dem Unterricht, in denen die Aufmerksamkeit der Schüler gemessen werden soll.

Diskussion zur Raumluftqualität in Schulen

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde zunehmend die Qualität der Luft in Klassenräumen durch Messungen der CO2-Konzentration bei laufendem Unterricht ermittelt. Dabei wurden verschiedene Arten (Stoß-, Quer-, Kipplüftung) der Lüftung insbesondere in den Schulpausen erörtert. Ausgewiesen wurden nicht nur Bestandsgrößen der CO2-Konzentration zu Schulbeginn und -ende differenziert nach Sommer und Winter sowie Alt- wie Neubauten. Die gewonnenen Daten wurden auch als Zeitverlauf der CO2-Konzentration dargestellt. Die so gewonnenen Daten waren erschreckend, doch woran wurden sie gemessen, und was hat dies mit guten Arbeitsbedingungen zu tun?

„V. Pettenkofer hat nun die Luft für hygienisch gut, d.h. den längeren Aufenthalt in derselben für behaglich erklärt, wenn der Kohlensäuregehalt 0,7 0/00 [700 ppm] für zulässig, wenn er 1 0/00 [1000 ppm] nicht übersteigt, vorausgesetzt, dass der Mensch die einzige Quelle für den Kohlensäurezuwachs der Luft ist; bei diesem Gehalt wird die gesamte Luftverunreinigung noch nicht nachteilig empfunden.“ (Burgerstein & Netolitzky, S. 258) Die Befunde wurden stets im Licht der Pettenkofer-Zahl von 1000 ppm CO2 als Grenzwert sowie die neueren vermutlich als Kompromiss gemeinten 1500 ppm vorgestellt und bewertet. Was darüber liegt gilt – sicherlich zu Recht – als von Übel. Regelmäßig und meist sehr ähnlich wird erläuternd auf die auch bei Burgerstein & Netolitzky (1902) schon zitierten Folgen höherer CO2-Konzentrationen verwiesen: Abgeschlagenheit, beginnende Kopfschmerzen, nachlassende Konzentration bei ca. 20 % der jeweils Anwesenden mit einer zunehmenden Zahl bei steigendem CO2-Gehalt. Die aus diesen von Pettenkofer gemachten Beobachtungen führten zur Einführung der sogenannten „Pettenkofer-Zahl“, entsprechend einer CO2-Konzentration von 1000ppm in der Atemluft. Ergänzend wird aus der Schweiz über eine Befragung von Anwesenden in einem Hörsaal der ETH berichtet, deren Urteile Pettenkofers Aussagen untermauern, und in gleichem Sinne über weitere Dissertationen aus der ETH zum Thema. Auch eine experimentelle Studie zu den Auswirkungen eines VOC-Gemisches (Votile Organic Compounds), für das die CO2-Konzentration ein Indikator sein könnte, wird erwähnt. Danach sind bereits nach 60-minütiger Exposition Konzentrationsstörungen zu verzeichnen. Neueren Datums sind in der DIN 1946 Normvorgaben zur Atemluft in Innenräumen festgelegt. Die Auswirkungen der CO2-Konzentration auf den Menschen wird folgendermaßen definiert:

  • CO2 1000 ppm: keine Störungen: Grün
  • 1000 ppm CO2 1500 ppm: Befindlichkeitsstörungen: Gelb
  • 1500 ppm CO2 2000 ppm: Wahrnehmungsstörungen: Rot

Die Kennzeichnung der Stufen entspricht einem Ampelsystem, dies bedeutet für den Arbeitsprozess:

  • Grün: Gute Bedingung
  • Gelb: wenn möglich vermeiden
  • Rot: nicht akzeptabel

Dies in aller Kürze zum Hintergrund des Forschungsansatzes von Tiesler et al. (2009). Das sehr komplexe Arbeitsmodell des „Arbeitsplatzes Schule“ kann an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden, es soll nur der Einfluss der Raumluftqualität – gemessen an der CO2-Konzentration – auf den Unterrichtsprozess dargestellt werden.

Wie sah der Forschungsansatz aus, mit dessen Hilfe eine Antwort auf die Frage nach dem Einfluss der CO2-Konzentration auf den Unterricht und das Verhalten der Schüler gesucht wurde? Der unmittelbare Ermüdungsprozess kann bestenfalls in einem Laborexperiment untersucht werden, nicht aber in einer realen und möglichst ungestörten Arbeitssituation. Über einen Schulvormittag lässt sich aber eine Aussage über den Grad der Ermüdung treffen. Der Zusammenhang zwischen CO2-Belastung und Aufmerksamkeit ist bekannt, also kann die Aufmerksamkeitsleistung vor und nach dem Unterricht bestimmt werden. Aus der Differenz ergibt sich dann der Grad der Ermüdung bzw. Aktivierung, falls es eine Verbesserung gibt. Parallel dazu wird die Unterrichtssituation anhand fest definierter Merkmale, zum Beispiel Fach, Unterrichtsform, Gesprächssituation, Geräuschpegel, CO2-Konzentration und Pulsfrequenz, kontinuierlich erfasst. Die Aufmerksamkeitsleistung selbst wurde mittels eines standardisierten Konzentrations-Leistungs-Tests (KLT) jeweils vor der 1. und nach der letzten Unterrichtsstunde gemessen. Die Pulsfrequenz diente als Maß für die Intensität der Beanspruchung der Schulkinder.

Die gesamte Untersuchung wurde als Interventionsstudie durchgeführt, d. h. es wurde ein „normaler“ (so wie bisher üblich) Unterrichtstag mit dem gleichen Wochentag, diesmal aber mit gezielt eingesetzten Lüftungspausen, zwei Wochen später anhand der Messergebnisse verglichen. Die Lüftungsvorgaben bestanden aus:

  • zur Hälfte der Stunde, also nach circa 20 Minuten, zwei Minuten Querlüften
  • vor und nach der Stunde je fünf Minuten Querlüften

Die zwei Wochen dazwischen sollten dem Einüben der Lüftungsintervalle dienen. Um den Datensatz deutlich zu verbessern, wurden für jede Altersstufe zwei Unterrichtstage je Woche ausgewählt, an denen der gesamte Unterricht im Klassenraum stattfand. Das gesamte Messinstrumentarium musste fest installiert werden. Durchgeführt wurde die Untersuchung an zwei Grundschulen mit Beteiligung von jeweils vier Klassen und einer weiterführenden Schule mit acht beteiligten Klassen.

Ein charakteristisches Beispiel für einen zeitlichen Verlauf der CO2-Konzentration über den Unterrichtstag ist in Abb. 2 dargestellt.

Unter Berücksichtigung der zuvor aufgeführten Bewertungsgrenzen bedeutet dies für die Arbeitsbedingungen vor Einführung der zusätzlichen Lüftungsintervalle über 90 % der Unterrichtszeit unter schlechten Luftverhältnissen, mit den zusätzlichen Lüftungsintervallen nur noch knapp 50 % der Zeit. Dies ist nur ein Beispiel aus allen aufgezeichneten Unterrichtstagen. Alle Unterrichtstage dieser Studie zusammengefasst ergibt dann die Ergebnisse in den Abbildungen 3 und 4.

In den Abb. 3 und 4 sind die mittleren Zeitanteile der Unterrichtsstunden im Tagesverlauf dargestellt, in denen der CO2-Anteil die jeweiligen Grenzwerte überschritten hat, getrennt für die Situation vor und nach der Einführung der Lüftungsmaßnahme. Für alle aufgezeichneten Unterrichtsstunden in den unterschiedlichen Schularten ergibt sich die in der obigen Tabelle 1 festgestellte Situation, bezogen auf eine 45-minütige Stunde.

Die mehr als deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingung ohne jeglichen technischen Aufwand, einmal abgesehen von der einwandfreien Möglichkeit, die Fenster vollständig zu öffnen, ist in Tabelle 1 sichtbar. Der Einwand einiger Lehrkräfte an dieser simplen Intervention mit dem Argument „Das kann ich mir vom Zeitverlust her nicht leisten, das geht an wertvoller Unterrichtszeit verloren“ ist so nicht haltbar, im Gegenteil, es ergibt einen Gewinn von mindestens 13 Minuten, bezogen auf den „deutlich ermüdenden“ Teil.

Neben diesen rein auf die Lernumgebung zugeordneten Messgrößen wurde aber auch bei den Schülerinnen und Schülern kontinuierlich die Pulsfrequenz gemessen als Indikator für die individuelle Beanspruchung, umgangssprachlich auch als Stressparameter bezeichnet. Die Pulsfrequenz spiegelt die aktuelle Beanspruchung wider, die sowohl eine physische als auch eine psychische Komponente enthält. In der Arbeitswissenschaft gilt dieses Verfahren als sehr zuverlässig, um die aktuelle Beanspruchung zu erfassen. Da bei der hier zugrunde gelegten Studie die jeweiligen Untersuchungstage völlig identisch waren, bezogen auf Wochentag, Stundenplan, Lehrkräfte usw., bleibt die Intervention – ohne/mit Zusatzlüftung – der einzige Unterschied.

Vergleicht man nun die beiden Situationen miteinander, so zeigt sich mit der Lüftungsintervention eine deutliche Reduzierung der Beanspruchung. In der Abb. 5 ist der Mittelwert für alle Schüler der einzelnen Klasse dargestellt, Problem dabei sind sowohl das unterschiedliche absolute Pulsfrequenz-Niveau als auch die Reaktivität des Einzelnen. Hinzu kommt die Altersstruktur der Probandengruppe von sechs bis 18 Jahre.

Bis auf die Klassen 6 und 8 ist die mittlere Beanspruchung durch die Lüftungspause gesenkt worden, eindeutig eine Verbesserung und somit reduzierter „Schulstress“.

Der Beitrag wird in der kommenden Ausgabe fortgesetzt.

Literatur

G. Tiesler, H.-G. Schönwälder, F. Ströver:
Gesundheitsfördernde Einflüsse auf das Leistungsvermögen im schulischen Unterricht,
Wb 30 Werkstattberichte aus Wissenschaft und Technik, Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissenschaft GmbH, Bremerhaven 2009

Burgerstein, L.; Netolitzky, A.: Handbuch der Schulhygiene, 2. Auflage, Gustav Fischer, Jena 1902

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