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Pro und Contra – Cannabislegalisierung aus Sicht der Suchtmedizin

Alle reden über Cannabis …

Nein, man kann wirklich nicht sagen, dass Cannabis eine „neue Substanz“ ist. Denn bereits im 7. Jahrhundert v. Chr. wurde die Pflanze als Heilkraut genutzt, und seitdem gibt es immer wieder Phasen, in denen sie mehr oder weniger akzeptiert war im gesellschaftlichen Ansehen.

In der Bundesrepublik Deutschland wurden in den vergangenen Jahren wiederholt Versuche unternommen, den öffentlichen Umgang mit Cannabis neu zu diskutieren und an die gesellschaftliche Situation anzupassen. Bereits in vergangenen Legislaturperioden wurden deshalb wiederholt Entwürfe zu einem Cannabiskontrollgesetz vorgelegt (Deutscher Bundestag, 2015, 2018), die sich im Kern damit beschäftigten, Cannabis nicht mehr als Betäubungsmittel einzuordnen, sondern stattdessen unter bestimmten Auflagen legal verfügbar zu machen. Diese Entwürfe wurden jeweils vom Bundestag abgelehnt (Deutscher Bundestag, 2017, 2020). Lediglich Teilaspekte wurden im fachlichen Diskurs neu verhandelt, was exemplarisch durch das am 10. März 2017 in Kraft getretene Gesetz zur nun möglichen Verordnung von Medizinalcannabis unterstrichen wird.

Mit der neuen Legislaturperiode (2021–2025) und der gewählten Ampelkoalition wurde erneut das Ziel eines veränderten gesetzlichen Umgangs mit Cannabis formuliert und im Koalitionsvertrag verankert. In diesem wird formuliert „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein.“ Dieses Vorhaben wird seitdem vielfältig und kontrovers diskutiert; veröffentlicht werden zahlreiche Meinungen und Stellungnahmen, nur bedingt wird klar, wer dabei eigentlich welche Interessen verfolgt. Gerade dies wäre aber ein wichtiges Kriterium, um besser einordnen zu können, welche impliziten Zielkonflikte hinter einer Argumentation stehen und warum z. B. wissenschaftliche Erkenntnisse so unterschiedlich interpretiert werden. Dabei wird es schon allein dann unterschiedliche Ansätze der Betrachtung geben, wenn jemand an eine entspannte Runde Erwachsener denkt, die sich bei einer Feier statt Rotwein lieber einen Joint gönnen, oder aber an Jugendliche, die in der eigenen Fachambulanz wegen kognitiver Störungen im Zuge eines gehäuften Cannabiskonsums um Hilfe suchen. Wenn dann noch wirtschaftliche oder Verbandsinteressen dazukommen, wird die Gemengelage wahrhaft unübersichtlich.

Im folgenden Beitrag wird deshalb versucht, einige Pro- und Contra-Argumente der Legalisierungsdebatte darzustellen, wobei dieser Überblick aufgrund der Dynamik der aktuellen Diskussion nur als Zwischenstand zu verstehen ist. Dabei werden insbesondere suchtmedizinische Aspekte mit einbezogen, auch wenn klar ist, dass Cannabis-konsumierende Menschen erst dann in den Fokus unserer ärztlichen Disziplin gelangen, wenn sich Probleme im Zusammenhang mit dem Konsum ergeben haben.

Warum ist eine Neubetrachtung unseres Umgangs mit Cannabis sinnvoll?

Beim Umgang mit Cannabis gibt es, wie im Übrigen auch bezüglich anderer psychotroper Substanzen, zwei diametral entgegengesetzte Positionen (sowie zahlreiche Zwischenpositionen). Auf der einen Seite steht ein akzeptierender Ansatz der Schadensminimierung, der davon ausgeht, dass Individuen das Recht auf Selbstbestimmung zur Führung (und ggf. Schädigung) ihres eigenen Lebens haben. Sie sollen dahin gehend unterstützt werden, dass sie risikobewusst ihr Leben und ihren Konsum gestalten können und ggf. bei Problemen Hilfe erhalten. Auf der anderen Seite steht ein eher paternalistischer Ansatz, der u. a. durch Gesetze, Sanktionen und Verbote versucht, empfohlenes bzw. erwünschtes Verhalten zu erreichen. Spannenderweise ist das Ziel beider Ansätze – die Verringerung der gesundheitlichen Belastung der Bevölkerung – trotz der unterschiedlichen Ausgangspositionen gleich. Die Unterschiede ergeben sich aus den gewählten Wegen und Methoden zur Erreichung des Ziels, weshalb es berechtigte Hoffnung gibt, das gesteckte Ziel auch erreichen zu können.

Dass es überhaupt eine zunehmende Debatte um einen nicht strafrechtlichen Umgang mit Cannabis gibt, liegt wesentlich an der Tatsache, dass Verbote und die strafrechtliche Verfolgung von drogenkonsumierenden Menschen nicht dazu geführt haben, dass es keinen Cannabiskonsum in der Bevölkerung gibt. Trotz vorherrschendem Verbot ist der Cannabiskonsum weltweit erheblich verbreitet (UN 2022), die Sicherheit der Konsumierenden ist nicht gewährleistet und der Schwarzmarkt blüht. Auch in Deutschland zeigen Trendanalysen eine Zunahme von Cannabis in den letzten Jahren (Ort & Merkel, 2022; Rauschert et al. 2022). Hinzu kommt, dass eine wirkungsvolle Aufklärungs- und Präventionsarbeit kaum möglich ist, solange es offiziell gar keinen Cannabiskonsum gibt. Wie soll z. B. ein Suchtberater über die Risiken eines höher dosierten Konsums aufklären oder ein Arzt die Folgen eines inhalativen Konsums offen besprechen, wenn gleichzeitig alle eigentlich so tun müssen, als werde gar nicht konsumiert? Letztlich sind Maßnahmen wie eine Regulierung der Abgabe oder Qualitätskontrollen bzgl. einzelner Cannabisprodukte nicht möglich bei einem allumfassenden Verbot, was aus Fachkreisen immer wieder kritisiert wird. Die reine Prohibition gilt deshalb als mehr oder weniger gescheitert, weshalb sich vereinzelte Länder dafür entschieden haben, eine Cannabisregulierung zu Genusszwecken einzuführen (Hall et al. 2019).

Auch Deutschland hat sich mit dem jetzt vorliegenden „Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften“ (CannG) auf den Weg gemacht, das Recht zu verändern, nach dem Verkauf, Erwerb oder Besitz von Cannabis strafbar sind (§ 29 BtMG). Bisher konnte lediglich unter gewissen Voraussetzungen (z.B. bei geringen Mengen) die Strafverfolgung ausgesetzt werden (§ 31a BtMG), wobei die Festlegung, welche Mengen als gering angesehen werden, bundeslandspezifisch ist und zwischen 6 und 15 Gramm variiert (Deutscher Bundestag, 2019). Durch das CanG soll die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet werden.

Klar scheint allen Beteiligten zu sein, dass ein zukünftiges Regelwerk nicht perfekt sein kann. Es gilt deshalb auszuhandeln, wie Rahmenbedingungen und Sachfragen im Detail entschieden werden, was die Lebhaftigkeit und Schärfe der Diskussion erklärt. Während konservative Politiker die Vorschläge als Verharmlosung von Cannabis beklagen (Antrag der CDU/CSU-Fraktion, 2023), bewerten FDP-Vertreter die vorgeschlagenen Regeln als zu restriktiv (Suliak 2022). Seitens der Ärzteschaft erfolgt eine teils entschiedene Ablehnung des Vorschlags (Stellungnahme der BÄK, 2023), auch die Kinder- und Jugendschützer sind alarmiert. Seitens der (potenziellen) Konsumenten erfolgt hingegen viel Zustimmung zum Entwurf, u. a. vom Deutschen Hanfverband und dem Branchenverband Cannabiswirtschaft e. V.

Pro: Was spricht für die vorgeschlagene Neuregelung?

Positiv hervorzuheben ist zunächst die geplante Entkriminalisierung, sodass künftig rechtsverbindlich geregelt ist, dass Besitz, Konsum und Anbau in bestimmten Mengen nicht mehr als Straftat angesehen werden. Dies ist eine Akzeptanz der Realität, in der durch strafrechtliche Sanktionierungen weder die Rate des Konsums in der Allgemeinbevölkerung noch die daraus resultierenden gesundheitlichen und sozialen Folgen reduziert werden konnten.

Zudem wird der Versuch unternommen, den illegalen Verkauf von Cannabinoiden einzuschränken und durch die Möglichkeit zum legalen Erwerb von geprüften Cannabisprodukten eine Alternative zu bieten. Diese wären zudem ohne Verunreinigungen oder Beimengungen, was Gesundheitsgefahren mindern dürfte. Schließlich ist, im Gegensatz z. B. zu einigen US-Bundesstaaten, kein gewinnorientierter „freier Markt“ geplant. Das vorgesehene allgemeine Werbe- und Sponsoringverbot ist ein wichtiges Signal.

Bezüglich Suchtprävention, Frühintervention und Kooperationen mit der Suchthilfe ist davon auszugehen, dass Aufklärungskampagnen besser, früher und zielgruppenspezifischer erfolgen könnten, da ja nun über eine legal zugängliche Substanz berichtet wird. Auch Beratungs- und Therapieoptionen sind leichter zu installieren, da Konsumierende offen über ihre Erfahrungen und etwaige Probleme berichten können. Forschungen zu den Auswirkungen einer Cannabisregulierung auf das Konsumverhalten und die Gesundheit zeigen gemischte Ergebnisse und basieren insbesondere auf Beobachtungsstudien (Hall et al. 2020, Hammond et al. 2020, Rivera-Aquirre et al. 2022).

Aus medizinischer Sicht wäre ferner zu vermuten, dass ein Umdenken bzgl. Cannabis auch mit einer Entstigmatisierung und größeren Offenheit gegenüber der Verordnung von medizinischem Cannabis einhergehen dürfte. Hier stehen weiterhin ermutigende Behandlungsergebnisse einer großen Unsicherheit hinsichtlich der „verbotenen Substanz“ gegenüber, was sich vielfältig auf das Verordnungs-, Einnahme- und Kostenerstattungsverhalten auswirkt.

Schließlich erwarten die Länder allein bei den Gerichten Einsparungen von 225 Mio. Euro durch weniger Strafverfahren wegen konsumnaher Cannabisdelikte (Lau, 2023). Diese hohe Summe ergibt sich angesichts der Tatsache, dass allein im Jahr 2020 knapp 190.000 „konsumnahe“ Delikte durch die Behörden festgestellt wurden (Schneider et al., 2021).

Contra: Welche Argumente sprechen gegen den Gesetzesentwurf?

Noch gibt es allerdings auch eine Reihe ernsthafter Kritikpunkte, deren Klärung idealerweise vor der Verabschiedung des Gesetzes erfolgen sollte. Als bedeutsam ist vor allem zu erwähnen, dass voraussichtlich die Zahl der Personen mit Intoxikationen bzw. Intoxikationspsychosen bei einer Freigabe deutlich zunehmen wird (Hall & Lynskey, 2020, Manthey et al., 2023). Dies führt erfahrungsgemäß zu vermehrten Kontakten mit dem Hilfesystem und vermutlich auch zu einer höheren Rate von Hospitalisierungen. Zudem ist bekannt, dass es bei vulnerablen Personen einen dosisabhängigen Zusammenhang u. a. mit depressiven Störungen, Suizidalität, Psychosen und Angsterkrankungen gibt. Angesichts der Tatsache, dass das psychiatrische- und suchtmedizinische Versorgungssystem bereits jetzt be- bis überlastet ist, dürfte die zusätzliche Versorgung von Patienten mit Cannabis-bezogenen Störungen sowohl das ambulante als auch das stationäre Hilfesystem an seine Grenzen bringen. Hiervor hatten u. a. der 125. Deutsche Ärztetag 2021 und der 127. Deutsche Ärztetag 2023 in entsprechenden Stellungnahmen gewarnt. Mittel, um eine solche Überlastung abzuwenden, sind im Gesetz nicht vorgesehen.

Ähnlich ungelöst ist die Frage, wie die zukünftige Prävention konzipiert und bezahlt werden soll. Eine allgemeine Aufklärung (vorgesehen über eine „digitale Plattform“ der BzgA) dürfte kaum die Wirkung einer lokal implementierten Präventionsarbeit ersetzen können. Die aus Fachkreisen geforderten kommunalen, risikoadaptierten und evidenzbasierten präventiven Maßnahmen, z. B. in Schulen und Jugendeinrichtungen, werden nicht geplant, was nicht zuletzt angesichts der im Bundeshaushalt 2024 vorgesehenen Kürzungen für die Suchtprävention (von 13,2 auf 9,2 Mio. Euro) höchst bedenklich ist.

Die vorgesehenen Mengen (Besitz von bis zu 25 g bzw. monatliche Mitnahmemenge für Erwachsene von 50 g) erscheinen aus suchtmedizinischer Sicht zu hoch – der daraus resultierende Konsum von ein bis zwei Gramm täglich geht erfahrungsgemäß deutlich über einen „Konsum zu Genusszwecken“ hinaus und entspricht eher einem Hoch-Risiko-Konsum (BÄK, 2023). Wer täglich diese Mengen selbst konsumiert, der muss auf jeden Fall mit gesundheitlichen und sozialen Problemen rechnen.

Ein erheblicher Kritikpunkt am Gesetzesentwurf ist auch, dass die seitens der Bundesregierung selbst formulierten Ziele des Kinder- und Jugendschutzes nicht ausreichend Berücksichtigung finden. Medizinische Erkenntnisse, dass das menschliche Gehirn bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nicht vollständig ausgereift ist, stehen dem Plan, bereits ab dem 18. Lebensjahr Cannabis kaufen zu können, entgegen. Die genannte reduzierte Menge für Heranwachsende (Mitnahmebegrenzung auf 30 g/Monat zwischen 18. und 21. Lebensjahr) erscheint willkürlich gewählt und hoch. Seitens der klinischen Forschung ist längst belegt, dass intensiver Cannabiskonsum in der Jugend die Gedächtnis-, Lern- und Erinnerungsleistungen ebenso wie Aufmerksamkeit, Intelligenz und Denkleistungen negativ beeinflusst. Laut der CaPRis-Studie steigt das Risiko für eine Cannabis-bezogene Störung auf 17 Prozent, wenn der Konsum in der Adoleszenz beginnt (bei täglichem Konsum sogar auf 25 bis 50 %!).

Auch das vorgesehene regionale Konsumverbot in der Nähe von Kinder- und Jugendeinrichtungen ebenso wie in Fußgängerzonen, Sportstätten etc. dürfte schwer umsetzbar sein. Der Internationale Suchtstoffkontrollrat (INCB) der Vereinten Nationen hat 2022 festgestellt, dass eine Legalisierung gerade bei jungen Menschen zu erhöhtem Konsum und zu einer verminderten Risikowahrnehmung führt – dieses Signal, dass es keinen risikofreien Konsum gibt, braucht es noch stärker im Gesetz.

Offen bleibt schließlich, wie die zahlreichen Festlegungen zukünftig überprüft werden sollen. Wie sollen beispielsweise die Überprüfung des THC-Gehaltes (maximal 10 %) oder die Genehmigung zum begrenzten Eigenanbau (maximal drei Pflanzen zum Eigenkonsum) erfolgen?

Es wird noch viele Diskussionen geben (müssen)

Die aktuelle Legalisierung erscheint als ein sinnvoller Schritt, um den langjährigen und nicht erfolgreichen Weg der Prohibition zu verlassen. Wünschenswert wäre ausreichend Zeit, um Regelungen zu veranlassen, die die bekannten Risiken hinreichend beachten. Schließlich kann die geplante Evaluation im Nachgang nicht dafür sorgen, entstandene Schäden rückgängig zu machen! Eine relevante Gefährdung der psychischen Gesundheit und der Entwicklungschancen der jungen Generation darf aber nicht passieren. Vielmehr braucht es Zeit, um den veränderten Umgang mit Cannabis als weiterhin potenter psychotroper Substanz zu erlernen und gerade während des Übergangs vulnerable Gruppen gut zu schützen.

Insofern ist aus suchtmedizinischer Sicht die geplante Entkriminalisierung ein positiver Schritt, um z. B. Kranke nicht für ihren Cannabiskonsum strafrechtlich zu verfolgen. Die mit dem geplanten Gesetz verbundenen Chancen und Risiken sind inzwischen kommuniziert, und der weitere Verlauf wird entscheidend davon abhängen, wie mit den offenen Diskussionspunkten verfahren wird. Für uns Mediziner bleibt dabei vor allem die Aufgabe, denen Hilfe zu geben und sie offen und vorwurfsfrei zu behandeln, die wegen einer Abhängigkeitserkrankung unsere Unterstützung benötigen.


Literatur bei der Verfasserin.

Dr. med. Katharina Schoett

Chefärztin der Klinik für Suchtmedizin

am Ökumenischen Hainich Klinikum gGmbH

Pfafferode 102

99974 Mühlhausen

Tel.: 03601–803–848

E-Mail: k.schoett@oehk.de

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