Mobile und digitale Technologien verändern die Arbeitswelt. Nicht selten wird ständige Erreichbarkeit zum Stressfaktor. Geltende Arbeitsschutzgesetze hinken in wichtigen Punkten hinterher, zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Analyse.
Dank Smartphones, Tablets oder Notebooks ist Arbeit nicht mehr zwangsläufig an einen bestimmten Ort oder feste Zeiten gebunden. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten, aber auch neue Belastungen, etwa wenn der Arbeitgeber permanente Erreichbarkeit fordert. Die Regeln, die Beschäftigte schützen sollen, werden in vielen Betrieben missachtet oder gehen nicht weit genug, schreibt Dr. Tanja Carstensen in den WSI-Mitteilungen.* Die Soziologin von der TU Hamburg-Harburg forscht in dem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten laufenden Projekt Arbeit 2.0. Neue Anforderungen an Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen im Umgang mit Social Media.
Mit dem Bearbeiten von beruflichen E-Mails von zu Hause, in der Bahn, im Bus, in Hotelzimmern, in Cafés, auf Dienstreise, nach Feierabend, am Wochenende oder im Urlaub hat sich Arbeiten immer und überall als Normalzustand etabliert, so die Soziologin. Zwar empfinde nicht jeder dies als Belastung. Es könne sogar entlastend sein, sich gut informiert zu fühlen. Dabei bestehe jedoch die Gefahr, dass das Privatleben der Arbeit untergeordnet wird und es zu einer Verlängerung der Arbeitszeit kommt.
Dem DGB-Index Gute Arbeit 2012 zufolge müssen 27 Prozent der Beschäftigten sehr häufig oder oft nach Dienstschluss erreichbar sein. Dies kollidiere mit den gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten, die grundsätzlich elf Stunden ohne Unterbrechung betragen müssen, so Carstensen. Erreichbarkeit gelte zwar nicht generell als Arbeitszeit. So wie bei der Rufbereitschaft stelle jedoch jede Arbeitsaufnahme und sei sie noch so kurz wie etwa das Lesen einer beruflichen Mail eine Unterbrechung der Ruhezeit dar.
Die Arbeitgeber könnten kaum kontrollieren, unter welchen Bedingungen die Angestellten außerhalb der Firma arbeiten. Schließlich gelte die Arbeitsstättenverordnung nur auf dem Gelände des Betriebs. Bei mobiler Arbeit entspreche die Umgebung zum Beispiel im Zug, Auto oder Hotelzimmer häufig nicht den Anforderungen an einen gesunden Arbeitsplatz. Zudem seien privat angeschaffte Geräte meist nicht für längeres Arbeiten gedacht. Nach Ansicht von Carstensen besteht hier eine massive Regelungslücke.
Ein weiteres Problem: Die Anzahl der Kommunikationskanäle Mails, Chats oder Soziale Netzwerke nimmt zu, was zu Überforderung führen könne. Zumal sich die Angestellten häufig mit widersprüchlichen Anweisungen konfrontiert sähen. So stünden der allgemeinen Aufforderung, sich in Sozialen Medien zu engagieren und mitzudiskutieren, oft unterschiedliche Kulturen in einzelnen Abteilungen gegenüber, die dies als Zeitverschwendung betrachten. Diesen Widerspruch zu lösen, liege dann in der Eigenverantwortung der Beschäftigten.
Die Wissenschaftlerin sieht mehrere Handlungsansätze: Auf politischer Ebene gingen Vorstöße wie eine Anti-Stress-Verordnung oder das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit in die richtige Richtung. Die Arbeitsstättenverordnung könnte auf mobile und häusliche Arbeitsplätze ausgeweitet werden. Denkbar sei auch eine Modernisierung der Bildschirmarbeitsverordnung, die regelt, dass nur solche Geräte für die berufliche Nutzung zugelassen werden, die ergonomische Mindestanforderungen erfüllen. Zudem biete das Betriebsverfassungsgesetz einige Möglichkeiten: Zum Beispiel könnten Betriebsräte die Geräteausstattung mitbestimmen und ungeeignete Geräte ausschließen.
Solche Lösungen allein reichten aber nicht aus, wenn Beschäftigte ihre Mails nach Feierabend bearbeiten müssen, weil sie die Menge anders nicht bewältigen können. Dann sei es ebenso notwendig, eine Diskussion über Arbeitszeiten, Organisation oder Kommunikationskultur in den Unternehmen zu führen. Technik ist nie alleiniger Auslöser veränderter Arbeitsbedingungen und -belastungen, so die Wissenschaftlerin. Die technologischen Entwicklungen dürften daher nicht isoliert von sozialen, politischen und ökonomischen Veränderungen betrachtet werden.
Hans-Böckler-Stiftung