Sehr geehrter Herr Prof. von Kiparski, zunächst vielen Dank, dass Sie uns für ein Interview zur Verfügung stehen.
Der Verband Deutscher Sicherheitsingenieure (VDSI) ist der größte Fachverband für Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzexperten in Deutschland. Daher war er auch maßgeblich in die Gestaltung der DGUV Vorschrift 2 mit eingebunden. Mittlerweile liegen Erfahrungen in der Umsetzung der Vorschrift vor. Wie fällt Ihr Expertenurteil zur Vorschrift jetzt aus ?
Rainer von Kiparski: Die DGUV Vorschrift 2 ist hervorragend konzipiert, da sie den Fachkräften für Arbeitssicherheit neben der Grundbetreuung einen weiten Spielraum in der betriebsspezifischen Betreuung gibt. Die Projekte sind jährlich in Abstimmung mit dem Betriebsarzt und der Mitarbeitervertretung dem Unternehmer zur Genehmigung vorzulegen. Dies führt zu einer hohen Qualitätsicherung und gegenseitigen Abstimmung im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Wie die zweite Umfrage des VDSI unter seinen Mitgliedern ergeben hat, ist die Akzeptanz weiter gestiegen.
Es steht jetzt die Evaluation der Vorschrift an. Welche Änderungen würden Sie sich wünschen?
Wichtig ist, dass alle Unfallversicherungsträger die Vorschrift in ihrer ursprünglichen Fassung auch wirklich umsetzen. So muss das Kopfzahlprinzip unbedingt beachtet werden. Bei stringenter Anwendung der Vorschrift sehe ich derzeit keinen Änderungsbedarf.
Ein Kernpunkt der DGUV Vorschrift 2 ist die größere Freiheit der Unternehmen in der Ausgestaltung des Arbeitsschutzes. Wie haben die Unternehmen diese Freiheit angenommen?
Insbesondere in größeren Betrieben wurde die Umsetzung hervorragend durchgeführt. Dies hat in einzelnen Fällen sogar zu weiterem Personalbedarf bei Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit geführt. Bei vielen kleineren und mittleren Betrieben beschränkt man sich häufig immer noch auf die Grundbetreuung und sieht die arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen nicht als Bestandteil der betriebsspezifischen Betreuung. Hier sieht der VDSI Handlungsbedarf durch die Aufsichtspersonen.
Die Zusammenarbeit zwischen Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsarzt ist ein entscheidender Faktor für die Qualität der Betreuung. Wie schätzen Sie diese Zusammenarbeit derzeit ein?
Die Zusammenarbeit zwischen Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsarzt gestaltet sich immer dann besonders gut, wenn sie von gegenseitiger Akzeptanz und dem Interesse am jeweils anderen Fachgebiet geprägt ist. Von Vorteil hat sich die Unterstellung von Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit unter ein Vorstandsressort bzw. ein Geschäftsführungsmitglied erwiesen. Bei Vergabe an einen überbetrieblichen Dienst (Outsourcing) ist es sinnvoll, dass beide Fakultäten von dem gleichen Dienstleister gestellt werden. Zu Problemen in der Bemessung der Einsatzzeiten kann es kommen, wenn eine Fakultät fest angestellt ist und die andere extern beauftragt wird.
Welche Möglichkeiten sehen Sie zu einer Optimierung der Zusammenarbeit?
Die Zusammenarbeit muss von der Unternehmensleitung gewünscht und von allen Beteiligten als große Chance in der Prävention gesehen werden. Die Fachverbände VDSI und VDBW haben hierzu auf unterschiedlichen Ebenen vertrauensbildende Gespräche geführt.
Ein wichtiger Faktor für guten Arbeitsschutz ist die Partizipation der Mitarbeiter an der Gestaltung von Sicherheit und Gesundheit. Dadurch wird der Mitarbeiter vom Zielobjekt zum Bestandteil der Prävention. Wie schätzen Sie dieses Potenzial ein?
Das Potenzial der Mitarbeiter für sicheres und gesundes Arbeiten ist außerordentlich hoch und wird häufig nur unzureichend genutzt. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Verhaltensprävention (behaviour based safety). Für die Motivation der Mitarbeiter spielt das Verhalten der Führungskräfte eine entscheidende Rolle.
Ein bisher wenig genutztes Potenzial im Betrieb sind die Sicherheitsbeauftragten. Was sagt der Experte zu ihrer Rolle im Arbeitsschutz?
Auch das Potenzial der Sicherheitsbeauftragten sollte noch intensiver genutzt werden. Sie sind schon allein von ihrer Anzahl her die Basis des Arbeitsschutzes in Deutschland. Ihre Informationen zu betrieblichen Gefährdungen stellen eine Grundlage betrieblicher Sicherheitsarbeit dar.
Gibt es Pläne, die Sicherheitsbeauftragten zukünftig besser in die betriebliche Organisation von Sicherheit und Gesundheit einzubinden?
In einem ersten Schritt wurde eine Befragung der Sicherheitsbeauftragten nach ihren Wünschen und Vorstellungen durchgeführt. Die Ergebnisse werden derzeit ausgewertet und publiziert. Der VDSI könnte sich in diesem Zusammenhang die Bezeichnung Beauftragte für Sicherheit und Gesundheit vorstellen.
Wechseln wir das Thema von der Organisation hin zu einem Belastungsfaktor, der zunehmend in den Fokus rutscht: die psychischen Belastungen. Wie sieht der Experte das Problem?
Psychische Belastungen sind, vor allem, was die steigende Arbeitsunfähigkeit angeht, ein zunehmendes Problem. Neben Betriebsärzten und Psychologen werden sich auch Fachkräfte für Arbeitssicherheit verstärkt in die Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen einbringen müssen. Dies gilt vor allem für den Bereich der Arbeits- und Organisationspsychologie. Hierzu wird der VDSI ein Schulungsprogramm zur Sensibilisierung und Information der eher technisch orientierten Fachkräfte für Arbeitssicherheit initiieren.
Ein wichtiger Faktor neben der Leistungsverdichtung ist das Führungsverhalten. Welche Möglichkeiten sehen Sie da?
Da sprechen Sie eines der am schwierigsten zu handhabenden Ursachen psychischer Belastung an. Ich glaube, dass man als Berater Führungsverhalten nur dann ändern kann, wenn seitens der Unternehmensleitung hierzu der uneingeschränkte Wille existiert. Des Weiteren ist ein hohes Vertrauensverhältnis zwischen Führungskräften und Beratern erforderlich, da außerordentlich sensible Aspekte angesprochen werden müssen.
Vielen dank für das interessante Gespräch. Ich darf Sie um ein Abschlusswort bitten.
Die anspruchsvollen vor uns liegenden Beratungsaufgaben setzen ausgeprägte soziale und methodische Kompetenzen der Fachkräfte für Arbeitssicherheit voraus. Der VDSI hat für diese Experten den Begriff des Managers für Sicherheit und Gesundheit geprägt. Sie kommunizieren auf Augenhöhe vertrauensvoll und fachlich fundiert Möglichkeiten mit dem Unternehmer, die Sicherheit und Gesundheit in seinem Verantwortungsbereich zu verbessern.