Arbeitsschutz

Arbeitsmedizinische Assistenz

Gesundheit und eine gesunde Umgebung am Arbeitsplatz gehören zu den wertvollsten Besitztümern von Einzelpersonen, Gemeinschaften und Ländern; sie sind nicht nur eine wichtige Zielrichtung zur Sicherung der Gesundheit des Einzelnen, sondern leisten auch einen positiven Beitrag für die Produktion, die Qualität der Produkte, die Motivation am Arbeitsplatz, die Zufriedenheit im Job und dadurch zur allgemeinen Lebensqualität des Einzelnen und der Gesellschaft.

Eines der zehn Ziele des WHO-Programms (Globale Strategie …) beinhaltet die Entwicklung menschlicher Ressourcen für die Gesundheit am Arbeitsplatz.

Arbeitsmedizin wird in der EU in unterschiedlicher Weise organisiert und realisiert. Die WHO ist bestrebt, in Zusammenarbeit mit z. B. ILO, ICOH etc. Richtlinien für Ausbildungsprogramme zu schaffen mit dem Ziel, die Kenntnisse aller beteiligten Parteien zu erweitern und zu beschleunigen, sodass sich menschliche Schäden und finanzielle Mittel herabsetzen lassen.

Wir wollen als Berufsverband natürlich nicht nur fordern, anmahnen oder gar anklagen – siehe unser Artikel in ErgoMed/Praktische Arbeitsmedizin 6/2011 – sondern gemäß unserer Satzung auch mitwirken bei der Aus-, Weiter- und Fortbildung des nichtärztlichen arbeitsmedizinischen Assistenzpersonals.

Die europäische Vereinigung des arbeitsmedizinischen nichtärztlichen Assistenzpersonals (FOHNEU = Federation of occupational health nurses within the European Union) hat in Übereinstimmung mit WHO, ICOH und einigen nationalen Institutionen für Arbeitsmedizin aus verschiedenen EU-Ländern für dieses Personal einen Rahmenplan für die Aus- und Weiterbildung erarbeitet. Grundsätzlich sollte diese „Ausbildung“ zur arbeitsmedizinischen Fachkraft als Minimalanforderung angesehen und auf der Basis der Krankenpflege in Weiterbildung vollzogen werden; und wie in den EU-Richtlinien festgelegt, vorzugsweise mit Erfahrung in der öffentlichen Gesundheits-Pflege. Die WHO-Empfehlungen bezüglich der Ausbildung von hier qualifizierten Pflegekräften stellen fest, dass diese Ausbildung mehr eine gesundheitsbezogene denn eine krankheitsbezogene sein sollte und ebenso die Kenntnisse in Arbeitsmedizin einzuschließen habe. Der Idealfall wäre somit als Voraussetzung für den Bereich Arbeitsmedizin eine graduierte/qualifizierte Pflegekraft in öffentlicher Gesundheitspflege.

Zwar scheinen bei uns im Vergleich der therapeutischen Berufe, medizinische Fachangestellte auf der einen Seite und Pflegeberufe auf der anderen, die Kriterien der Beruflichkeit wichtiger als die Organisation der Ausbildung und somit die Favorisierung des Begriffs der „dynamischen Beruflichkeit“ (Rauner, 1998). Zwar ist die medizinische Fachangestellte bisher der einzige im Dualen System ausgebildete Beruf in diesen Feldern, es ist aber kaum denkbar, dass im jetzigen Nebeneinander ausgerechnet der Beruf der medizinischen Fachangestellten als gemeinsame Basis von den anderen Berufsgruppen akzeptiert werden wird. Wichtiger ist eine erkennbare spezifisch-berufliche Orientierung während der Grundausbildung.

Es ist bekannt, dass die Grundlagen dieser vorgesehenen Ausbildung in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich und die Kriterien nicht erfüllt sind. So fehlt in Deutschland zum Beispiel bei der Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflege die Thematik Arbeitsmedizin gänzlich, gleichwohl ist sie neuerdings meines Erachtens enthalten im Curriculum der „Medizinischen Fachangestellten“, die mittlerweile die Mehrheit des Personals in betriebsärztlichen Diensten stellen. Deshalb wird expressis verbis Wert gelegt auf die Flexibilität, Eigenart und Notwendigkeit nationaler und lokaler Interpretationen der einzelnen Länder. Das folgende Kern-Curriculum kann somit sowohl auf einem hohen Niveau eingesetzt werden, gleichwohl ebenso verwendet werden für einen niedrigeren Lernstandard in der Arbeitsmedizin. Wir möchten festhalten, dass die inhaltliche Thematik unseres Grundlagenlehrgangs (Rahmenplan der Bonner ArGe) mit diesem Kern-Curriculum durchaus kompatibel und seinerzeit auch hierin eingeflossen ist.

Trainingsprogramm
Arbeitsbereiche/Entwicklungsstufen zur Sicherstellung des notwendigen Wissens: Das Ausbildungsprogramm konzentriert sich auf den Prozess der arbeitsmedizinischen nichtärztlichen Betreuung, die durch die Arbeitsbereichsthematik entwickelt und vervollständigt werden soll. Es fördert die Fähigkeit zur Interaktion und Zusammenarbeit, zur Aus- und Fortbildung, zur Fortentwicklung der Kommunikation sowie der Kenntnis um Struktur und Verwaltung der arbeitsmedizinischen Dienste und der Forschung und Entwicklung im eigenen Arbeitsfeld. Das Ziel ist, die Gesundheit, Sicherheit, Arbeitsfähigkeit und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu erhalten. Das bedingt die Kenntnis des Arbeitsplatzes und seiner Umgebung, die Kenntnisse über Arbeitsmethoden, Arbeitsmittel und Arbeitsbedingungen. Kontinuierliche Veränderungen am Arbeitsplatz bedeuten Veränderungen in der arbeitsmedizinischen Betreuung und infolgedessen auch in der Ausbildung des arbeitsmedizinischen Fachpersonals. Der Aufgabenbereich ist in den unterschiedlichsten Entwicklungsstufen (Stufen I-IV): behandelnd, assistierend, schützend, bewahrend, präventiv, zusammenwirkend und einigend.

Dies kann abhängig vom Einsatzort als Einzelperson, im Team unter Gleichgestellten und/oder innerhalb eines professionellen Teams aus verschiedenen Bereichen im Arbeitsschutz geschehen. Diese Stadien sind nicht genau zu trennen; sie greifen ineinander und werden i. d. R. allein durch Sachgebiete getrennt.

Arbeitsbereiche
1. Gesundheitsvor-/fürsorge in der Arbeitsmedizin

Sinn und Zweck dieses Bereiches: Kenntnisse vermitteln über Maßnahmen, die ergriffen werden können, um die Gesundheit der Arbeitnehmer, der arbeitenden Gesellschaft und der Umgebung

am Arbeitsplatz zu erhalten und zu verbessern sowie Kenntnisse vermitteln über die Wirkung der Umwelt auf die Gesundheit.

Studienbereiche:

· Aktivitäten zur Verbesserung und Entwicklung der Leistungsfähigkeit und der angewandten Methoden

· Umweltbedingte Arbeitsunfälle und ihre Wirkung auf die Gesundheit

· Umweltschutz, -überwachung und Folgen

· Arbeitsschutz, Gesetzgebung

· Ökologische Gesundheitsvorsorge

Nach Abschluss dieses Bereichs erhält das arbeitsmedizinische Fachpersonal

die Kenntnis und die Fähigkeit, die notwendig sind, folgende Punkte zu

verstehen:

· Konzept für das Wohlbefinden am Arbeitsplatz

· Prinzipien und Praxis industrieller Hygiene und Unfallverhütung

· Prävention und Ursachen für Berufserkrankungen und Verletzungen

· Prinzipien und Praxis für Ergonomie und Toxikologie

· Prinzipien und Praxis der Arbeitsplatzanalyse

· Symptome von Erkrankungen, Berufskrankheiten und Verletzungen

· Prinzipien und Praxis der Gesundheitsbewertung und des -schutzes

· Dynamik menschlicher Verhaltensweisen

1. Die Arbeit der Arbeitsmedizin und das Zusammenwirken

Sinn und Zweck dieses Bereiches: Verständnis wecken für die Arbeitsmedizin und deren Geschichte, Berufserkrankungen und arbeitsmedizinische Vorsorge. Erfahrungen in nützlichen Kommunikationsmethoden und Kenntnisse über Marketing der arbeitsmedizinischen Dienste. Studienbereiche:

· Grundlagen der arbeitsmedizinischen Betreuung

· Entwicklung der Arbeit/Tätigkeit der arbeitsmedizinischen Betreuung

· Marketing und Kommunikationsmethoden

Nach Abschluss dieses Bereiches sollen folgende Punkte erlernt worden sein:

· Die Geschichte der Arbeitsmedizin und der Berufserkrankungen

· Die Geschichte der arbeitsmedizinischen Betreuung

· Prinzipien und Praxis der Pflege, einschließlich der arbeitsmedizinischen Betreuung

· Dynamik der Kommunikation

· Prinzipien und Praxis zur Identifikation mit Problemen und deren Lösung

· Psychologie zur Motivation und menschlichem Verhalten

· Gruppendynamik

1. Planung von arbeitsmedizinischen Diensten

Sinn und Zweck dieses Bereiches: Verständnis wecken für Prinzipien und Praxis der öffentlichen Gesundheitsvorsorge. Die Arbeitsmedizin als eine Komponente der öffentlichen Gesundheitsvorsorge erkennen und deren integrative Funktion/Dienst in der Gesellschaft. Die Geschichte der Berufswelt verstehen und die Verbindungen zwischen Gesundheit und Ökonomie erkennen. Sinn und Verständnis wecken für die Gesundheitsvorsorge und die Arbeitsgesetzgebung.

Studienbereiche:

· Aktuelle Fragen bezüglich der Gesundheitspolitik

· Arbeitsmedizinische Dienste als Teil des Gesundheitssystems

· Arbeit und Gesetzgebung, Gesundheitsökonomie

· Internationale Aspekte der arbeitsmedizinischen Dienste

Nach Abschluss dieses Bereiches sollen folgende Punkte erlernt worden sein:

· Prinzipien und Praxis der öffentlichen Gesundheit und der Arbeitsmedizin

· Grundlagen der Ökonomie, der Soziologie und der industriellen Verknüpfungen

· Das industrielle System und die Gewerkschaften

· Gesetzliche Regelungen für die Gesundheit der Arbeitnehmer, die soziale Sicherheit und deren Kompensierung

· Gesetze für die pflegerische Praxis

1. Verwaltung und Organisation

Sinn und Zweck dieses Bereiches: Verständnis und Erkennen der Arbeitsmedizin als ein Teil eines umfangreicheren Konzeptes, als Teil der Unternehmerschaft und der Körperschaftsstrategie. Die Arbeitsmedizin als eine Expertenorganisation verstehen sowie die arbeitsmedizinische nichtärztliche Betreuung als unabhängige Profession im

Pflegebereich ansehen.

Studienbereiche:

· Dienstleistungs- und Expertenorganisationen

· Organisationssysteme, Management und Strategien

· Arbeitsmedizinische Betreuungsdienste als Teil einer Körperschaftsstrategie

· Arbeitsmedizinische Betreuungsdienste als Teil der Unternehmerschaft

Nach Abschluss dieses Bereiches sollen folgende Punkte erlernt worden sein:

· Prinzipien und Praxis der Supervision und Verwaltung

· Prinzipien und Praxis von Protokollführung und schriftlicher Berichterstattung

· Prinzipien und Praxis von Führungskräften. Das soziale System in Industrie und Wirtschaft

· Prinzipien und Praxis sozialer Arbeit

· Zusammenarbeit mit in- und externen relevanten Organisationen

Auswertung und Entwicklung von Arbeitsmedizinischen Diensten
Sinn und Zweck dieses Bereiches: Das Erlernen der Prinzipien der Forschung. Aufmerksamkeit entwickeln in Bezug auf die notwendigen Fähigkeiten, frühzeitig Krankheiten zu erkennen wie auch Berufskrankheiten aufzudecken. Die Bedeutung verstehen lernen von hoher Aufmerksamkeit, Wachsamkeit und Qualitätssicherung.

Studienbereiche:

· Epidemiologie

· Arbeit und Forschung im Arbeitsleben

· Forschungsmethoden

· Effektivität und Qualitätssicherung.

Nach Abschluss dieses Bereiches sollen die Fähigkeit und Kenntnis erworben

sein, die notwendig sind, folgende Punkte zu verstehen:

· Bio-Statistik und Epidemiologie

· Prinzipien und Praxis in Planung, Ausführung und Auswertung

· Prinzipien und Praxis von Qualität, Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung

Theoretischer Aufgabenbereich
Der Mensch im Bereich der Arbeit: Philosophie, Ethik, Betreuungsethik, Wissenschaft im Bereich der Pflege, Biologie, Anatomie, Physiologie, Psychologie allgemein und im Bereich der Arbeit.

Gesundheit, Leistungskraft, Leistungsfähigkeit: Arbeitsmedizin, Epidemiologie, Wissenschaft im Bereich der Pflege.

Gesundheitsdefinitionen: Medizin, Psychologie, Sozialwissenschaft.

Umwelt, Umwelt am Arbeitsplatz – Gesellschaft/Gemeinschaft: Soziologie, soz. Psychologie, Kenntnis des Arbeitslebens, Hygiene am Arbeitsplatz, Arbeitsmedizin, Arbeitspsychologie, Ergonomie, Arbeitsphysiologie, berufsbedingte Verletzungen, Sicherheit, Berufskrankheiten, Anthropologie, Kulturen, Verwaltung, Organisationskultur.

Praktischer Aufgabenbereich
Arbeitsüberwachung: Arbeitsplatzbeschreibung, Risikovermeidung und Überarbeitung, Auswertung Überarbeitung von Risiken am Arbeitsplatz, Ergonomie, Beratung, Studium.

Hygiene am Arbeitsplatz: Unterschiedliche Bemessungsgrundlagen, sowohl qualitativ als auch quantitativ, für physische, biologische und chemische Parameter; Ausführung, Hilfestellung und Anweisungen. Diskussion, Interpretation und Auswertung von Ergebnissen innerhalb des arbeitsmedizinischen Teams, Fragebogen; Aufzeichnung, Interview, Ergebnisanalyse. Arbeitsplatzüberwachung alleine oder zusammen mit arbeitsmedizinischem und sicherheitstechnischem Team, Kontakte und Zusammenarbeit zu externen Stellen.

Gesundheits- und medizinische Prüfungen: Aufzeichnung individueller Risikoprofile, Personalbewegungen; initiierend und entwickelnd. Laborbeispiele und Funktionsteste: EKG, Herz-Kreislauf, Lungenfunktionstest, Audiometrie, Sehtest, u.a.

Assistenz und Organisation: Arbeitsmedizinische Untersuchungen, Einstellungen, Erkrankungen, Unfälle, freie Konsultation. Kontakte zu externen Institutionen und Ärzten.

Präventionspolitik: Administration und Überwachung; Anwendung der Erforschung von Produktinformationen; Aufzeichnung von Instruktionen über den sicheren Umgang mit chemischen Produkten. Vergleichsstudien zwischen Produkten (Gesundheit, Sicherheit, Umwelt); Einbeziehung bei der Einrichtung von neuen Maschinen.

Gesundheitserziehung, Vorsorge – Planung – Verhütung: Vorbereitung und Ausführung von Projekten zur Gesundheitserziehung: individuell und auf gemeinschaftlicher Basis (arbeitsmedizinischer und/oder öffentlicher Gesundheit).

Kontrolle sanitärer Einrichtungen, Impfungen, allgemeine und spezielle Planungsprogramme.

Psychologische und soziale Hilfestellung: Soziale Hilfestellung oder Anleitung zugunsten von Arbeitnehmern, z. B.: Drogen-, Alkoholmissbrauch, Stress; administrative und/oder ökonomische Probleme, ganzheitliche Annäherung, Betreuung von Arbeitnehmern bei Langzeitabwesenheit, Erkrankung, Unfall, Berufskrankheit.

Rehabilitation: Wiedereingliederung, sachgemäße Funktion nach Natur und Ernst der Probleme.

Administration: Allgemeine Administration, Wortlauf, Korrespondenz, Anforderung notwendiger Materialien (Erste Hilfe und medizinische). Statistische Forschung anhand von gesammelten Daten aus Gesundheits- und medizinischen Prüfungen, Unfällen, Arbeitsplatzüberwachung, Fragebögen, etc. Epidemiologische Forschung, Planung von Gesundheits- und medizinischen Prüfungen, Dokumentation von Besprechungen, Arbeitsplatzüberwachungen, Ausrüstung von Personenschutz, Arbeitsunfälle.

Dringende medizinische Behandlung bei Unfällen und Erkrankung: Erste Hilfe, Behandlung von Verletzungen, Verwaltung der Medikamente, Transportsicherung Verletzter, Krankenhauseinweisung. Organisation und Ausbildung von Ersthelfern, Kontakte zu Supervisoren, Managern, Vorgesetzten etc.

Zusammenfassung
Dieses Curriculum ist eine Beschreibung der Ausbildung und der Arbeit des

arbeitsmedizinischen nichtärztlichen (Pflege-)Assistenzpersonals für die Länder innerhalb der Europäischen Union. Es soll als Minimalforderung angesehen werden bei fortschreitender Entwicklung der Anforderungen an die arbeitsmedizinischen Dienste und den Änderungen im Arbeitsbereich. Die Art der Umsetzung bleibt den einzelnen Ländern vorbehalten. Der Umfang des Lerninhaltes dürfte abhängig sein vom Tätigkeitsfeld der eingesetzten Fachkraft und den berufstypischen Besonderheiten der zu betreuenden Arbeitnehmer/-innen.

Die Gesundheitsfürsorge (arbeitsmedizinische Pflege) basiert auf der ganzheitlichen, humanistischen und optimistischen Ansicht des Menschen. Sie ist nicht nur abhängig von der Arbeitsplatzumgebung und den Lebensumständen der Individuen, sondern auch von den Gesundheitsproblemen, die aus organisatorischen, leitenden und

sozialen Faktoren in der arbeitenden Gesellschaft resultieren.

Hieraus entsteht neben einem medizinischen ein pflegerisches Betreuungsmodell als gleichwertiges Arbeitsfeld im Team der Arbeitsmedizin.

Hans Schwertner (VAF e.V.)

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