Leiharbeitnehmer L schob am 30. Oktober 2012 in einem Maschinenbauunternehmen dünnwandige Bleche in eine Profilwalze. Er trug Arbeitshandschuhe und geriet mit seinem linken Arm in
die Walze und ist seitdem zu 40 Prozent erwerbsgemindert.
Sachverhalt
Die Walze hatte das Unternehmen „im Eigenbetrieb hergestellt. Sie hatte keine Abdeckung an den Einzugsstellen. Ein EG-Konformitätsverfahren nach der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG mit Gefährdungsanalyse und Risikobewertung sowie Erstellung einer Betriebsanleitung waren nicht durchgeführt worden. Die Walze hatte auch keine sog. CE-Kennzeichnung, mit der erklärt wird, dass die Maschine allen geltenden europäischen Vorschriften entspricht und dem vorgeschriebenen Konformitätsbewertungsverfahren unterzogen worden ist“.
Das Unternehmen sagte, die Walze sei 1993 gebaut worden und behauptet allen Ernstes, „sie habe sich noch in der Entwicklungsphase befunden, da die Arbeitsergebnisse noch nicht gut genug gewesen seien. Kurz vor dem Unfall seien weitere Umbaumaßnahmen geplant gewesen“. Darin steckt die Behauptung einer 20-jährigen Entwicklungsdauer!
Die bei Leiharbeitnehmern zuständige Verwaltungs-Berufsgenossenschaft verlangte die Heilungskosten und die an L zu zahlende Rente
- vom Unternehmen
- vom Geschäftsführer und
- vom Betriebsleiter.
Rechtsgrundlage des Anspruchs der BG ist gegen den Geschäftsführer und den Betriebsleiter § 110 SGB VII und gegen das Unternehmen § 111 SGB VII.
Landgericht Oldenburg
Das Landgericht Oldenburg gab der Klage statt.1
Haftungsprivilegierung bei Arbeitsunfällen von Leiharbeitnehmern
Das LG stellte zunächst fest, „der Versicherte stand zu den Beklagten in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung im Sinne von § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII“. Das bedeutet:
- Arbeitsschutzverantwortung des Entleihers und der Führungskräfte: „Gemäß § 11 Abs. 6 AÜG war der Entleiher gegenüber eingesetzten Leiharbeitern zur Beachtung der Unfallverhütungsvorschriften verpflichtet.“
- Haftungsprivilegierung des Entleihers und der Führungskräfte: „Die Haftungsprivilegierung aus § 104 SGB VII gilt auch dann, wenn ein dem Entleiher zur Arbeitsleistung überlassener Arbeitnehmer im Unternehmen des Entleihers eingesetzt wird.“
Haftungsprivilegierung bei Arbeitsunfällen von Leiharbeitnehmern
Leiharbeiter sind „faktische Arbeitnehmer“ des Entleihers und unterliegen dessen Weisungen. Die Führungskräfte des Entleihers sind daher arbeitsschutzverantwortlich – sie genießen aber auch das Haftungsprivileg gemäß §§ 104 ff. SGB VII.
Grobe Fahrlässigkeit
Die entscheidende Frage ist, ob die Beklagten den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt haben. Fahrlässigkeit ist die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB). Grobe Fahrlässigkeit prüft die Rechtsprechung zweistufig:
„Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt. Vielmehr erscheint eine Inanspruchnahme des haftungsprivilegierten Schädigers im Wege des Rückgriffs nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet.“
Regressvoraussetzungen
Der Rückgriff der Unfallversicherungsträger bei Haftungsprivilegierten gemäß § 110 SGB VII setzt voraus
- einen objektiv groben Pflichtenverstoß und
- eine subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung.
Objektiv schwerer Verstoß
Das LG sieht den „objektiv schwerer Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht darin, dass die Einzugs- und Quetschstelle an der Walze mit keinerlei Abdeckung versehen war. Es ist offensichtlich, dass die Bereiche einer Maschine, in die Arbeiter mit ihren Gliedmaßen hineingeraten könnten, abzudecken sind. Es besteht die erkennbare Gefahr, dass ein Arbeiter mit den Händen, Füßen, Haaren oder Zipfeln seiner Kleidung in die Walze gerät und eingezogen wird. Das Risiko für Leib und Leben des Arbeiters wird hier dadurch potenziert, dass sich die Verletzung, die durch das Hineingeraten in die Maschine erfolgt, durch den Einzugsvorgang ganz erheblich verschlimmert. Hinzu kommt, dass bis zur Befreiung eines in einer Walze eingeklemmten Arbeiters weitere Verschlechterungen seines Zustands, zum Beispiel durch erhebliche Blutungen, drohen. Dass es dabei zu ganz erheblichen, auch tödlichen Verletzungen kommen kann, liegt auf der Hand“.
Die Beklagten argumentieren, „es seien auch ohne Abdeckung hinreichende Sicherheitsmaßnahmen vorhanden gewesen“, aber das LG weist alles ausführlich begründet zurück:
- Not-Aus-Schalter: Er „kann erkennbar nur dazu dienen, den Schaden zu begrenzen, wenn ein Arbeiter bereits in die Walze geraten ist. Er ist deshalb keine Schutzeinrichtung, sondern eine zusätzliche Einrichtung für Handlungen im Notfall“.
- Bodenmarkierungen: Sie sind „keine Schutzeinrichtung, die ein Erreichen der Gefahrenstelle verhindert“, sondern „dienen lediglich dazu, einen Gefahrenbereich zu kennzeichnen. Es ist jedoch
offensichtlich, dass eine Bodenmarkierung keineswegs sicherstellt, dass ein Arbeiter, eingebunden im Arbeitsprozess und entsprechend abgelenkt, die Markierung nicht überschreitet“. - Anweisung des Abstandhaltens – nämlich „die Bleche in einer Entfernung von 2,5 – 3 m in die Walze einzuführen. Dies schließt jedoch keineswegs aus, dass ein Arbeiter, aus welchen Gründen auch immer, in den Einmündungsbereich der Walze gerät. Zu berücksichtigen ist, dass die von einer gefährlichen Maschine ausgehenden Gefahren von den daran Arbeitenden oft mit der Zeit aus dem Bewusstsein verdrängt werden. Jedoch soll auch derjenige, der es gewohnt ist, in Gefahrensituationen zu arbeiten, so gut wie möglich davor geschützt werden, durch unbedachtes, jedoch naheliegendes Verhalten zu Schaden zu kommen. Vorliegend war keineswegs garantiert, dass die Walze immer nur aus der Entfernung bedient werden würde. Vielmehr war es durchaus im Bereich des Erwartbaren, dass der Bediener der Walze sich ihrem Einzug nähern könnte – sei es durch eine unbedachte Bewegung, ein Stolpern oder aus einem anderen Grund. Dass diese Möglichkeit bestand, ist durch den tragischen Unfall von L belegt. Im Rahmen der Unfallverhütung geht es jedoch nicht nur darum, die bei der empfohlenen Bedienungsweise bestehenden, sondern alle Gefahren zu reduzieren“.
- Mündlicher Hinweis auf die offene Einzugsstelle: Dies „scheidet ebenfalls als ausreichende Schutzvorrichtung aus“. Das begründet das Gericht nicht – es ergibt sich aus dem TOP-Grundsatz, der seit 2015 in § 4 Abs. 2 Satz 2 BetrSichV steht2: „Technische Schutzmaßnahmen haben Vorrang vor organisatorischen, diese haben wiederum Vorrang vor personenbezogenen Schutzmaßnahmen.“
Objektiv schwere Pflichtverletzung bei Verstoß gegen Technikrecht
Den Gerichten fällt es regelmäßig leicht, die objektive Schwere von Verstößen gegen technische Sicherheitsvorschriften zu begründen, denn sie sind „elementar“.
Die einschlägigen Rechtsvorschriften
Das Landgericht hätte es bei den Aussagen zur Unsicherheit der Maschine belassen können, ergänzte dann aber leider rechtliche Erwägungen zu den anwendbaren Vorschriften. Hätte es das doch sein lassen, denn es ist dabei arg verrutscht.
- Das LG sagt: „Welche Unfallverhütungsvorschriften einschlägig sind, hängt vom Alter der Maschine ab.“
Das ist falsch: Es gelten immer die aktuellen UVV – auch für alle alten Maschinen. Denn das berufsgenossenschaftliche Regelwerk ist Arbeitsschutzrecht und enthält Betreibervorschriften, nicht aber an das Herstellungs- oder Bereitstellungsdatum knüpfendes Produktsicherheitsrecht. - Das LG überlegt: „Sollte die Walze vor Inkrafttreten der sogenannten Maschinenrichtlinie 89/392/EWG am 05.01.1993 in Betrieb genommen worden sein, wäre zunächst § 4 der Vorschriften der Berufsgenossenschaften (VBG) 5 maßgeblich.“ Das Gericht meint die VBG 5 „Kraftbetriebene Arbeitsmittel“.
Das ist falsch: Auch wenn die Maschine vor Jahrzehnten in Betrieb genommen worden ist, gilt (wenn man auf UVV abstellen will) jetzt die DGUV Regel 100–500 „Betreiben von Arbeitsmitteln“ – und zwar Kapitel 2.5 „Betreiben von Walzwerken“. Richtig ist dann aber die Zusammenfassung des Gerichts, die sich hier für die Unfallmaschine aber eben nicht aus der VGB 5 ergibt: „Von Bedeutung ist, dass die Schutzeinrichtungen hinsichtlich ihrer Wirkung so ausgewählt und kombiniert werden, dass ein Erreichen der Gefahrenstelle während der gefahrbringenden Bewegung verhindert wird.“ - Das LG fährt fort: „Sollte die Walze erst nach dem 05.01.1993 in Betrieb genommen worden sein, wäre die oben genannte Maschinenrichtlinie einschlägig. Nach Ziffer 1.3.7 dieser Vorschrift müssen Gefahrenstellen an Maschinen mit Schutzeinrichtungen in der Weise versehen sein, dass jedes Risiko durch Erreichen der Gefahrenstellen, das zum Unfall führen kann, ausgeschlossen wird“.
Das ist falsch: Zwar galt schon die erste Maschinenrichtlinie von 1989 bei Herstellung für den Eigengebrauch3. Aber wenn es auf die EG-Maschinenrichtlinie zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme ankäme, müssten der Geschäftsführer und der Betriebsleiter dann zu diesem Zeitpunkt auch schon auf dieser Position im Unternehmen gewesen sein, denn sonst könnte ihnen der Pflichtverstoß nicht zugerechnet werden. Es kommt bei Arbeitsunfällen nicht auf herstellerbezogene und einmalig geltende Inverkehrbringensvorschriften an, sondern auf betriebsbezogene und dauerhaft und dynamisch geltende Arbeitsschutzvorschriften. - Nur zusätzlich sagt das LG, es „gehört auch zu den „Allgemeinen Mindestvorschriften“ aus Anlage 1 der zum Unfallzeitpunkt geltenden Betriebssicherheitsverordnung, dass Arbeitsmittel mit Schutzeinrichtungen ausgestattet sind, die den unbeabsichtigten Zugang zum Gefahrenbereich von beweglichen Teilen verhindern oder welche die beweglichen Teile vor dem Erreichen des Gefahrenbereichs stillsetzen (Nr. 2.8)“.
Das LG erkennt nicht, dass die
BetrSichV die zentrale Rechtsvorschrift zur Lösung des Falles ist – nicht die EG-Maschinenrichtlinie oder anderes Inverkehrbringensrecht – und schon gar nicht UVV aus der Inbetriebnahmezeit. Aktuelle Arbeitsschutz- und Betreibervorschriften gelten auch für alte Anlagen und Bestandsschutzfragen4.
Schwieriges Technikrecht, entscheidende Tatsachen
Gerichte verrutschen bei der Aufarbeitung eines Arbeitsunfalls nicht selten bei der Herausarbeitung der anwendbaren Rechtsvorschriften. Das heißt nicht, dass man dann zum falschen Ergebnis kommen muss. Denn entscheidend ist – wie immer – die Sicherheit oder Unsicherheit der Maschine und die dazu abgelieferte Begründung.
Subjektiv unentschuldbare
Pflichtverletzung
„Es bedarf keiner komplexen Gefährdungsbeurteilung, um zu erkennen, dass eine Walze mit einer offenen Einzugsstelle eine hochgradige Gefahr für die Arbeitnehmer darstellt, die die Walze bedienen müssen. Diese Gefahr war vielmehr für jeden, der die Walze optisch wahrnimmt, offenkundig. Hinzu kommt, dass der Maschine nach dem Vortrag der Beklagten kurz vor dem Unfallzeitpunkt besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden sei. Sie habe sich noch in der Entwicklung gefunden, da das Arbeitsergebnis habe optimiert werden sollen. Es ist schlechterdings zu entschuldigen, wenn bei der Suche nach einem besseren Arbeitsergebnis die Sicherheitsinteressen der die Maschine bedienenden Arbeiter in einem solchen Maße ignoriert werden.“
- Die Beklagten behaupten noch, „bei regelmäßigen Betriebsbegehungen der BG Holz und Bau sei der Zustand der Walze nicht kritisiert worden“. Aber – so das LG – erstens „ist unklar, ob die Walze bei den Begehungen überhaupt in dem Zustand gesichtet wurde, in dem sie am Unfalltag – in der Umbauphase – gewesen ist“. Zweitens „entbinden die Betriebsbegehungen durch die BG Holz und Bau die Beklagten jedenfalls nicht von ihrer eigenen Verantwortlichkeit für den objektiv schwerwiegenden Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht“.
- Die Beklagten rechtfertigen sich noch, „bei den Betriebsbegehungen seien häufig andere, deutlich unwichtigere Punkte beanstandet worden“. Das Gericht konterte, „dies hätte erst Recht Anlass geben müssen, den offensichtlich gefährlichen Zustand der Walze abzusichern“.
- Die Beklagten verteidigen sich noch mit der „jahrelang unfallfreien Benutzung der Maschine“. Aber – so das Gericht – „die Gefahr, die von der Maschine ausging, ist so offenkundig, dass sich dies auch dann aufdrängen müsste, wenn die Maschine seit 1993 auf dieselbe Art und Weise genutzt worden wäre. Der glückliche Umstand, dass es zuvor zu keinen Unfällen gekommen ist, würde die Beklagten nicht entlasten“.
Subjektive Unentschuldbarkeit der Führungskräfte
Das subjektive Element der groben Fahrlässigkeit – die Unentschuldbarkeit – ist jedenfalls erfüllt, wenn – so die Gerichte – Unternehmensmitarbeiter ohne große Fachkenntnisse sehen können, dass
elementare Sicherheitseinrichtungen nicht vorhanden waren.
Das Landgericht begründete zwar technisch die subjektive Unentschuldbarkeit, versäumt aber personenbezogene Aussagen zur individuellen Verantwortung gerade des Geschäftsführers und des Betriebsleiters. Das ist ein schwerwiegendes Versäumnis. Diese beiden Unternehmensmitarbeiter sind nicht aus ihrer Position heraus ohne weiteres haftbar. Haben sie persönlich gewusst oder hätten sie wissen müssen, dass die Maschine so grob unsicher ist? Wenn es verurteilt, muss ein Gericht diese Frage prüfen und beantworten5.
Kein Mitverschulden des Leiharbeitnehmers L
L sagt, er sei gestolpert. Das Landgericht überlegt hierzu, „es ist nicht ungewöhnlich, dass Arbeiter, die eine Maschine bedienen, dabei aus dem Gleichgewicht geraten können und stolpern, insbesondere wenn Stolperfallen wie Palletten in der Nähe sind. Das Stolpern als solches ist deshalb ungeeignet, ein Mitverschulden zu begründen“.
Die Beklagten werfen dem L vor, „er habe sich, da er sich nicht wohl gefühlt habe, nicht an die Maschine stellen, sondern hätte sich krankmelden müssen“ und ein Zeuge bestätigt, L habe gesagt, „es gehe ihm schlecht und er habe Probleme mit dem Rücken“. Aber „eine eindeutig erkennbare Arbeitsunfähigkeit, die es aus Sicht des Versicherten unverantwortlich erschienen ließe, die Maschine zu bedienen, ist aufgrund dieser Umstände nicht ansatzweise ersichtlich. Zudem fehlt es bereits an einem Nachweis dafür, dass der Sturz des Versicherten auf etwaigen Rückenproblemen beruhte“.
Mitverschulden des geschädigten Beschäftigten?
Mitverschulden wird nach Arbeitsunfällen immer geprüft – und auch recht häufig anteilig berücksichtigt. Wenn aber keine bewusste Handlung des Arbeitnehmers zum Unfall geführt hat, haften die Betriebsverantwortlichen eher voll. Siehe hierzu dutzende Fallbeispiele für Baustellen in Wilrich, Bausicherheit: Arbeitsschutz, Baustellenverordnung, Koordination, Bauüberwachung, Verkehrssicherungspflichten und Haftung der Baubeteiligten – mit 50 Gerichtsurteilen (2021).
Oberlandesgericht Oldenburg
Das OLG Oldenburg bestätigte das LG-Urteil und wiederholt im Wesentlichen nur die Einschätzungen des Landgerichts6. Das OLG ergänzte aber noch, es „wäre selbst dann von einem groben subjektiven Verstoß der Beklagten gegen ihre Sorgfaltspflichten auszugehen, wenn anlässlich früherer Besichtigungen durch Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft keine Beanstandungen gegen die Sicherheit der Profilwalze erhoben worden wären. Denn die von den Beklagten vollständig außer Acht gelassenen Unfallverhütungsvorschriften hatten elementare Sicherungspflichten zum Gegenstand und vorgetragenen Absicherungsmaßnahmen waren so wirkungslos, dass faktisch überhaupt kein Gefahrenschutz bestand. In einem solchen Falle können sich die haftungsprivilegierten Personen indes nicht mit Erfolg zu ihrer Entlastung darauf berufen, sie seien davon ausgegangen, dass ein etwaiger Regelverstoß nicht besonders schwer sei, weil er bei früheren Begehungen durch die Berufsgenossenschaft nicht gerügt worden sei“7.
Mitverschulden der
Berufsgenossenschaften durch Nichtbeanstandung?
In Ausnahmefällen kann es entlasten, wenn Berufsgenossenschaften eine unsichere Maschine vor dem Unfall gesehen und nicht beanstandet haben. Der BGH sprach im Jahre 2000 alle in einem Sägewerk für ein (wegen fehlender trennender Schutzeinrichtung) unsicheres Förderband und einen 17-jährigen Schüler im Betrieb Verantwortlichen frei, denn „das Fehlen einer besonderen Absicherung wurde nach den Feststellungen von den für Sicherheitsfragen besonders zuständigen Stellen bis zu dem tödlichen Unfall nicht kritisiert. Insbesondere wurde das Fehlen einer Abschrankung bei den jährlichen Begehungen des Betriebes durch die Berufsgenossenschaft, die zuletzt vor dem Unfall vom 8. September 1997 im Mai 1997 durchgeführt worden war, nicht beanstandet“. Siehe hierzu auch Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht: Haftung für fahrlässige Arbeitsunfälle: Sicherheitsverantwortung, Sorgfaltspflichten und Schuld – mit 33 Gerichtsurteilen (2020).
Zum Mitverschulden ergänzte das OLG, der Vorwurf eines Sorgfaltsverstoßes an L „wäre im Hinblick auf die von den Beklagten zu verantwortende Ausgestaltung seines Arbeitsplatzes und namentlich des unmittelbar vor dem Einzugsbereich der Walzmaschine liegenden Arbeitsbereichs so gering, dass er gegenüber dem schweren Verschulden der Beklagten nicht ins Gewicht fiele“.
1 LG Oldenburg, Urteil v. 15.03.2019 (Az. 8 O 1709/14).
2 Zum TOP-Prinzip mit vielen Urteilsbeispielen siehe Wilrich, Praxisleitfaden BetrSichV, in Kapitel 6.2.4,
S. 173 ff.
3 Damals stand es in Art. 8 Nr. 6 – zur Rechtslage heute siehe Wilrich, Maschinen- und Anlagensicherheitsrecht im Industrieservice – Beschaffung, Herstellung für den Eigengebrauch, Inbetriebnahme, Probebetrieb, Prüfung, Instandhaltung, Umbau und wesentliche Änderung, Rückbau, fehlende CE-Kennzeichnung, 2022
4 Siehe hierzu Wilrich, Bestandsschutz oder Nachrüstpflicht? Betreiberverantwortung und Sicherheit bei Altanlagen, 2. Aufl. 2019.
5 Siehe hierzu Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht – Haftung für fahrlässige Arbeitsunfälle: Sicherheitsverantwortung, Sorgfaltspflichten und Schuld – mit 33 Gerichtsurteilen, 2020.
6 OLG Oldenburg, Urteil v. 18.11.2020 (Az. 4 U 31/19).
7 Hier zitiert das Gericht OLG Düsseldorf, Urteil v. 24.09.2003 (Az. I-15 U 188/02) – Fallanalyse in Wilrich, Praxisleitfaden BetrSichV, 2. Aufl. 2020,
Fall 25, S. 475 ff.