Arbeitsschutz

Die parameteroptimierte, differenzierende Arbeitsunfallstatistik

Arbeitsunfallberichte beinhalten eine Vielzahl von Aspekten. Nicht immer werden diese Informationen umfassend ausgewertet. Sie sind jedoch für die Geschäftsleitung statistisch interessant und können eine Grundlage für entsprechende Präventions- und Interventionsmaßnahmen sein. Dieser Artikel möchte einige relevante Aspekte des Arbeitsunfallberichts aufzeigen und anhand einer von ibb consulting durchgeführten Drei-Jahres-Arbeitsunfallstatistik (2000) in einem Unternehmen der Automobilteileindustrie betrieblich wertvolle Analyseergebnisse vorstellen.

Allgemeines
Im Zusammenhang einer Optimierung der Unfallstatistik im besagten Unternehmen wurde ibb consulting damit beauftragt, einen neuen Ansatz für eine bessere Auswertung der Statistik zu entwickeln. Die bisher geführte Unfallstatistik vom angestellten Sicherheitsingenieur im untersuchten Unternehmen erwies sich als zu undifferenziert. ibb consulting hat daraufhin eine parameteroptimierte und differenzierende Unfallstatistik1 initiiert und zusätzlich die aufgetretenen Arbeitsunfälle mithilfe eines psychosozial orientierten Unfallerhebungsbogens untersucht.

Bei der parameteroptimierten, differenzierenden Arbeitsunfallstatistik geht es darum, Arbeitsprozesse sicherer zu gestalten, indem man bestimmte Variablen, die zu Unfällen führen, eingehender untersucht und auswertet. Diese Variablen (z. B. Unfalldatum, Alter des Verletzten etc.) müssen dabei zunächst getrennt (differenziert!) betrachtet werden. In einem späteren Schritt können dann diese Angaben in Beziehung gesetzt werden.

Vorteile einer parameter- optimierten, differenzierenden Arbeitsunfallstatistik
Für eine parameteroptimierte, differenzierende Arbeitsunfallstatistik sprechen mehrere Vorteile. Natürlich erfordern die Erfassung und Auswertung der Daten einen entsprechenden Mehraufwand. Dieser Mehraufwand lässt jedoch interessante Einblicke in das Unfallgeschehen zu und ermöglicht dadurch nicht zuletzt auch eine Verringerung der Unfälle. Dies trägt letztendlich auch zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei. Kurz gefasst weist die parameteroptimierte, differenzierende Unfallstatistik folgende Vorteile auf:

1. Breites Handlungswissen für die Fachkraft für Arbeitssicherheit und den Betriebsarzt

2. Fundierte Ausgangslage für die Kooperation von Sicherheitsingenieur, Betriebsarzt und anderen betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzakteuren.

3. Gezieltere und differenziertere Information für die Unternehmensleitung.

4. Bessere Möglichkeiten für entsprechende Präventions- und Interventionsmaßnahmen.

5. Gezielte Elimination auch scheinbar irrelevanter Arbeitsunfallursachen.

Ausgewählte Parameter
Im Rahmen unseres Projekts wurden folgende Parameter berücksichtigt:

1. Laufende Nummer des Unfalls

2. Unfalldatum

3. Unfallmonat

4. Unfallwochentag

5. Unfalluhrzeit

6. Arbeitsbeginn

7. Abstand: Unfall/Arbeitsbeginn

8. Wurde die Arbeit nach dem Unfall eingestellt?

9. Anzahl der Ausfalltage

10. Betriebliche Abteilung+Kostenstelle

11. Genauer Unfallort

12. Bezeichnung der Maschine

13. Berufsbezeichnung des Verunfallten

14. Tätigkeitserfahrung des Verunfallten

15. Alter des Verunfallten

16. Inländer-/Ausländerstatus des Verunfallten

17. Betriebliche Situation

18. Arbeitsschritt

19. Tätigkeit

20. PSA (Soll und Ist)

21. Unfallauslösender Gegenstand

22. Einwirkender Gegenstand

23. Art des Zusammentreffens

24. Verletzte Körperteile

25. Art der Verletzung

26. Zuständiger Meister/Vorgesetzter

27. Getroffene Maßnahmen, um weitere Unfälle dieser Art zu verhindern

28. Name des Mitarbeiters

Im Folgenden soll anhand einiger ausgewählter Parameter die Bedeutung der Unfallstatistik dargestellt werden. Es versteht sich dabei von selbst, dass eine ausführliche Schilderung der Inhalte den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde. Allerdings kann eine vorläufige Auswahl einen ersten Eindruck bezüglich des Vorgehens vermitteln. Bei Bedarf bzw. Interesse kann auch gerne der Autor des Beitrags kontaktiert werden.

Unfallmonat
Ausgehend von der Vermutung, dass das Unfallgeschehen über den Ablauf eines Jahres monatlich aufgrund ggf. korrelierender sozialer, betrieblicher, biologischer und umweltgegebener Faktoren variiert, wurde eine genaue Analyse des dreijährigen Unfallgeschehens im Hinblick auf den jeweiligen Unfallmonat durchgeführt (Abbildung 1, AU = Arbeitsunfälle). Als mögliche unfallbeeinflussende Faktoren können dabei z. B. angenommen werden:

· Ferienzeiten, jahresperiodische Besonderheiten wie z. B. Karneval,

· Einsatz von Zeitarbeitern und Aushilfskräften,

· saisonbedingte Auftragsvolumenschwankungen,

· saisonbedingte Schwankungen psychischer und physischer Leistungsfähigkeit,

· Witterungsverhältnisse

In der Analyse ließ sich feststellen, dass der Februar in allen drei Jahren signifikant unfallexponiert war, gefolgt von Juni und November. Lassen sich also arbeitsunfallspezifisch relevante Monate in der Analyse isolieren, so ist es sinnvoll, im Betrieb entsprechende Präventions- und Interventionsmaßnahmen zu initiieren und gezielte Arbeitsschutzkampagnen in diesen Monaten durchzuführen.

Unfallwochentag
Bereits im Jahr 1925 wurde in vier von acht untersuchten europäischen Ländern eine bemerkenswerte Unfallhäufigkeit am Montag festgestellt. Auch heutzutage wird in der Literatur der Montag als unfallhäufigster Tag der Woche angesehen. Neubert hat 1976 das bundesweite Unfallgeschehen über Tage, Wochen und Monate statistisch aufbereitet. Auch er kommt zu dem Ergebnis, dass der Montag sowohl für Arbeits- und Wegeunfälle der unfallreichste Tag ist. Er führt dies auf die Anpassungsschwierigkeiten nach dem Wochenende zurück.

Für viele Arbeitnehmer stellt der kontinuierliche Ablauf eines wöchentlichen Arbeits- und Freizeitzyklus eine bestimmte Konstante im Leben dar. So wird in der Regel auf das Wochenende „hingearbeitet“. Die Stimmung der Mitarbeiter nimmt daher im Laufe der Woche mit zunehmender Annäherung an das Wochenende zu. Grundsätzlich wird am Montag – auch bei eingefahrenen Berufstätigkeiten – eine gewisse Einarbeitungs- bzw. Aufwärmphase benötigt. Mental befinden sich viele Mitarbeiter dabei immer noch im Wochenende, um sich im Laufe der Arbeitswoche wieder mehr und mehr bzw. vollständig in die gewohnten betrieblichen Abläufe, Anforderungen und Sozialstrukturen einzufinden. Es muss im Übrigen auch davon ausgegangen werden, dass eine erkennbar herausragende Unfallhäufigkeit am Montag bzw. Wochenanfang auf vermehrten Alkoholgenuss am Wochenende und dadurch resultierenden Restalkohol im Körper des Mitarbeiters mit den bekannten unfallbegünstigenden Wirkmechanismen zurückzuführen sein kann.

Generell ist auch der Freitag unfallexponiert, da sich hier die Mitarbeiter mental schon im Wochenende befinden; es kommt zu entsprechenden Aufmerksamkeitsdefizitunfällen.

Die Untersuchungen von ibb consulting bestätigen das in der Literatur beschriebene Maximum am Montag (Abbildung 2). Empfehlenswert wären hier entsprechende Aufklärungskampagnen der betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzakteure, in denen die signifikante Unfallhäufigkeit relevanter Wochentage bei der Belegschaft hervorgehoben wird.

Unfalluhrzeit
Uhrzeitspezifische Betrachtungen, ähnlich wie die allgemeine Bewertung wochentagstypischer Unfallhäufungen, müssen immer durch die Vielzahl der jeweils unternehmens- und branchenbestimmten Variationen der Analyseausgangspositionen und -bedingungen, wie z. B. das innerbetriebliche Zusammenspiel von unterschiedlichen Schicht- und Pausenzeitmodellen, im Rahmen von Interpretation und Präsentation relativiert werden.

Generell ist in der Unfallstatistik eine Häufung der Unfälle um 7:00 Uhr, also zum Beginn der Frühschicht festzustellen (Abbildung 3). Gleiches gilt für das Ende der Frühschicht. Die betrieblichen Arbeitsschutzakteure können nun explizit ihre Mitarbeiter auf die unfallexponierten Uhrzeiten hinweisen.

Wurde die Arbeit nach dem Unfall sofort eingestellt?
Im untersuchten Unternehmen herrschte striktes Alkoholverbot. Angetrunken vorgefundene Mitarbeiter mussten daher mit empfindlichen Strafen und Folgemaßnahmen rechnen. Nach Beobachtungen von ibb consulting wurde im Unternehmen jedoch sehr wohl, vor allem in der Nachtschicht, Alkohol konsumiert. Es soll hier spekuliert werden, dass in Einzelfällen ein etwaiger Zeitverzug zwischen Unfallereignis und dem Einstellen der Arbeit bzw. dem Besuch des Betriebsarztes möglicherweise(!) darauf zurückzuführen sein könnte, dass der Verunfallte in Kenntnis seines Alkoholspiegels zum Zeitpunkt des Unfalls aus versicherungstechnischen Gründen auf eine sofortige Arbeitsniederlegung und Untersuchung verzichtet.

Weitere Gründe für ein zeitverzögertes Aufsuchen des werksärztlichen Dienstes sind jedoch auch darin zu sehen, dass einige Verunfallte ihre Verletzung zunächst subjektiv als zu geringfügig einschätzen, um umgehend medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Erst bei zunehmender oder verzögert einsetzender Symptomatik wird dann, möglicherweise nach wenigen Tagen, schließlich doch der werksärztliche Dienst aufgesucht. Ferner ist denkbar, dass die Entscheidung, direkt nach dem Unfall die Arbeit niederzulegen und sofort den Werksarzt zu konsultieren, aber auch von gruppensozialen Zwängen negativ beeinflusst wird („Ich renne doch nicht für jeden kleinen Kram zum Werksarzt. Sollen meine Kollegen denken, ich sei eine Memme?“).

Interessant ist auch, dass die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe offensichtlich auch von der zeitlichen Nähe des Unfallereignisses zum Arbeitsbeginn des Verunfallten abhängt. So wurde vom Sicherheitsingenieur des untersuchten Unternehmens vermutet, dass die Mitarbeiter bei subjektiv gering eingeschätzten Unfallverletzungen gegen Schichtende aufgrund des zu erwartenden zeitlichen Aufwandes beim werksärztlichen Dienst diesen zugunsten eines „pünktlichen Feierabends“ nicht aufsuchten. Träfe das Unfallereignis zeitlich in den Beginn oder die Mitte der Arbeitsschicht, so würde der Verunfallte eher den Werksarzt konsultieren, zumal für ihn damit eine legale, zum Teil mehrstündige Arbeitsunterbrechung verbunden sei.

Abbildung 4 zeigt die Dreijahresunfallstatistik aufgelöst nach der Fragestellung „Wurde die Arbeit nach dem Arbeitsunfall sofort eingestellt?“.

Alter der Verunfallten
Jugendliche bzw. junge Erwachsene sind bei der Arbeit aufgrund ihrer Unerfahrenheit besonders gefährdet. Sie nehmen größere Risiken in Kauf als ältere, erfahrene Beschäftigte. Die Folge ist ein überproportionaler Anteil an den Unfällen der Gesamtbelegschaft. Die Unfallstatistik (Abbildung 5) zeigte, dass tatsächlich junge Erwachsene signifikant häufiger verunfallen als ihre älteren Kollegen. Die Statistik kann also eine Initialzündung für die Durchführung entsprechender Sensibilisierungskampagnen für junge Erwachsene im Betrieb sein. So ist z. B. ein beobachteter Unfallrückgang junger Erwachsener im Jahr 2010 auf eine Interventionsmaßnahme von ibb consulting zurückzuführen, bei der die jüngeren Belegschaftsmitglieder auf der Belegschaftsversammlung und im Rahmen von durchgeführten Sensibilisierungsmaßnahmen zu einem sicherheitsbewussteren Arbeiten angehalten wurden.

Ferner kann auch ein merklicher Anstieg der Unfallhäufigkeit bei über 60-jährigen Mitarbeitern festgestellt werden. Wenn auch diese Häufigkeit nicht mit derjenigen der sehr jungen Mitarbeiter zu vergleichen ist, so sollte man diesen Aspekt nicht vernachlässigen. Wirksame Gegenmaßnahmen können z. B. im Rahmen eines betriebsweit einzuführenden Age-Managements durchgeführt werden.

Tätigkeitserfahrung der Verunfallten
Man kann davon ausgehen, dass mit zunehmender Tätigkeitserfahrung der Mitarbeiter deren Unfallneigung sinkt. ibb consulting hat daraufhin die Tätigkeitserfahrung der Verunfallten mit einer Berufserfahrung von unter einem Jahr für die Gesamtunfallstatistik 1997–1999 untersucht (Abbildung 6). In der auf drei Jahre bezogenen Gesamtbetrachtung von 160 Arbeitsunfällen entfielen immerhin 32 Ereignisse auf die Gruppe der Mitarbeiter mit weniger als einem Jahr Tätigkeitserfahrung.

In der Gesamtbetrachtung ist eine tendenziell sinkende Unfallhäufigkeit bei zunehmender Tätigkeitserfahrung des Mitarbeiters festzustellen. Bei einer Tätigkeitserfahrung von bis zu einem Monat verunfallten im Laufe der betrachteten drei Jahre sechs Mitarbeiter, wohingegen die Analyse bei einer Tätigkeitserfahrung von elf Monaten „nur“ drei Unfallereignisse aufzeigt.

Sinnvoll ist hier also eine Sensibilisierung der Mitarbeiter mit geringer Tätigkeitserfahrung. Gegebenenfalls sollten die „neuen“ Mitarbeiter von erfahrenen Kollegen angeleitet und betreut werden, dies im Rahmen von initiierten Trainee-Maßnahmen. Gleichermaßen sollte die Fachkraft für Arbeitssicherheit ungeübte Mitarbeiter auf ihr erhöhtes Unfallrisiko ansprechen und sie zu sicherheitsbewussteren Arbeiten anhalten.

Verletzte Körperteile
Die Gesamtbetrachtung der verletzten Körperteile in der Gesamtunfallstatistik (Abbildung 7) zeigt, dass das rechte Auge mit 12 Verletzungsfällen innerhalb von drei Jahren mehr als doppelt so häufig infolge eines Arbeitsunfalls verletzt wurde wie das linke Auge (5 Unfälle). Im Zeitraum von drei Jahren ergaben sich 12 Verletzungen der linken Hand (Innenflächen und Handrücken) und 14 Verletzungen der rechten Hand. Umgekehrt war hier das Verhältnis der Fingerverletzungen (D1-D5 links: 43 Verletzungen; D1-D5 rechts: 38 Verletzungen). Ober- und Unterschenkelverletzungen wurden nicht registriert.

Sinnvoll ist hier eine Sensibilisierung der Mitarbeiter für die mögliche Gefährdung der einzelnen Körperteile. So können z. B. im Rahmen von Plakataktionen besonders exponierte Körperteile (hier: Hände, Finger, Augen, …) thematisiert und das Tragen entsprechender Persönlicher Schutzausrüstung propagiert werden.

PSA-Soll bzw. PSA-Ist
Das Tragen bestimmter Teile einer Persönlichen Schutzausrüstung wird in der Regel entsprechend den Tätigkeits-Arbeitsschrittanforderungen des jeweiligen Arbeitsplatzes vorgeschrieben. Gerade bei arbeitssicherheitssensiblen Arbeitsschritten wie z. B. dem Ausblasen von Sacklöchern kann es ohne das Tragen entsprechender Körperschutzmittel – wie hier einer einfachen Schutzbrille – zu Arbeitsunfällen mit empfindlichen und nachhaltigen Auswirkungen kommen. Oftmals wird jedoch der Gebrauch arbeitsschrittbezogener, also in der Regel nur kurz zu verwendender Körperschutzmittel unbewusst oder aus Gründen der Bequemlichkeit unterlassen.

Bemerkenswert ist, dass zudem geschlechtsspezifisch normiertes Rollenverhalten in Verbindung mit dem jeweils aktuellen Modetrend (immer noch) evident die Akzeptanz bestimmter Körperschutzmittel beeinflusst. Die Hersteller von PSA tragen zunehmend dieser Erkenntnis Rechnung, indem sie Körperschutzmittel bewusst auch nach modisch aktuellen Gesichtspunkten entwerfen und fertigen.

Generell ist es sinnvoll, bei der Auswahl entsprechender Körperschutzmittel die betroffenen Mitarbeiter aktiv in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen. Zum einen eröffnen ihre praktischen „Vor-Ort“-Kenntnisse häufig wertvolle Aspekte bei der Auswahl geeigneter PSA, zum anderen wird durch eine ernsthafte Partizipation der letztendlich Betroffenen die Akzeptanz der (mit) ausgewählten Körperschutzmittel erheblich gesteigert. Das Bewusstsein, als Anwender direkt den Entscheidungsfindungsprozess mit beeinflussen zu können, wirkt sich zudem äußerst positiv auf das Selbstwertgefühl der konsultierten Mitarbeiter aus.

Abbildung 8 zeigt das Trageverhalten von Persönlicher Schutzausrüstung in den Jahren 1997–1999.

Es fällt hier auf, dass im Jahr 1999 erheblich mehr vorgeschriebene PSA getragen wurde als vergleichsweise in den Jahren 1997–1998. Es kann sein, dass dieser Umstand nicht zuletzt einer PSA-Kampagne von ibb consulting zu verdanken ist, die in Zusammenarbeit mit dem angestellten Sicherheitsingenieur im untersuchten Unternehmen durchgeführt wurde.

Inländer-/Ausländerstatus der Verunfallten
Die Tatsache, dass Hoffmann im BGZ-Report 2/992 eine nationalitätenorientierte statistische Betrachtung der Unfallbeteiligung durchführt und Skiba3 eine Korrelation zwischen deutschen bzw. ausländischen Mitarbeitern und einer zu erwartenden spezifischen Unfallhäufigkeit feststellt, hat ibb consulting veranlasst, in dem untersuchten Unternehmensstandort eine Analyse dieses Aspektes durchzuführen. Betrachtet man die Dreijahresstatistik (Abbildung 9), so lässt sich feststellen, dass tatsächlich Ausländer häufiger verunfallen als inländische Mitarbeiter, und das mit steigender Tendenz im Laufe der untersuchten drei Jahre. Eine von Skiba postulierte doppelte Unfallhäufigkeit konnte allerdings nicht festgestellt werden. Die signifikante Unfallhäufung ist nach Bosselmann1 wahrscheinlich auf die arbeitssicherheitsbedenkliche „doppelte Halbsprachigkeit“ der ausländischen Mitarbeiter zurückzuführen. So ist festzustellen, dass selbst die dritte Generation in Deutschland lebender Mitarbeiter mit Migrationshintergrund oft nur schlecht oder gar nicht die deutsche Sprache spricht oder versteht. Sinnvoll wäre es hier also, die ausländischen Mitarbeiter (am besten in ihrer Muttersprache) für Aspekte des sicherheitsbewussten Arbeitens zu sensibilisieren. Die von Skiba3 angeführten Integrationsschwierigkeiten aufgrund mangelnder Schulbildung und nicht arbeitssicherheitskompatibler Arbeitsmentalität können von ibb consulting jedoch nicht nachvollzogen werden.

Der psychosozial orientierte Arbeitsunfallfragebogen
2000 wurde von Schönberger an der Universität Wuppertal ein psychosozial orientierter Unfallfragebogen entwickelt und von Bosselmann1 modifiziert und validiert. Ausgehend von der Vermutung, dass der größte Teil der Arbeitsunfälle erheblich auf psychosoziale Umstände bzw. Belastungen zurückzuführen ist, wurden die über drei Jahre verunfallten Mitarbeiter zu den psychosozialen Aspekten „ihres“ Unfalls befragt. Der angestellte Sicherheitsingenieur des untersuchten Unternehmens stand dieser Befragung übrigens äußerst negativ gegenüber; er fand Stress im Betrieb durchaus normal und hielt eine Untersuchung psychosozialer Arbeitsunfallfaktoren für überflüssig bzw. bezeichnete arbeitspsychologische Fragestellungen als „Psychoquatsch“. Generell ist jedoch ein zunehmendes Interesse der Sicherheitsingenieure und Betriebsärzte an psychosozialen Fragestellungen im Betrieb zu bemerken.4-11 Es konnte allerdings festgestellt werden, dass eine der Hauptursachen für Unfälle betrieblicher Stress war. Generell waren rund 80 Prozent der beobachteten Arbeitsunfälle stressbedingt. In Zusammenarbeit mit dem Betriebsarzt und einer ggf. vorhandenen Sozialkraft des Unternehmens können nun entsprechende Stressinterventionsmaßnahmen eingeleitet werden; das Thema Stress sollte hier auch auf Belegschaftsversammlungen, Arbeitsschutzausschusssitzungen und betrieblichen Gesundheitszirkeln thematisiert werden.

Fazit
Es hat sich gezeigt, dass die Unternehmensleitung mit einer differenzierenden Unfallstatistik erheblich effizienter und zielgerichteter in Zusammenarbeit mit den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzakteuren Präventions- und Interventionsmaßnahmen einleiten kann. Der erhöhte Aufwand dieser Unfallstatistik wird dabei von den Vorteilen der Elimination unnötiger Unfallursachen gerechtfertigt.

Thomas Bosselmann

Literatur

1. Bosselmann T. Untersuchung von Arbeitsunfällen der Automobilteile-Zulieferindustrie mit Hilfe einer parameteroptimierten und differenzierenden Unfallschwerpunktanalyse und betriebliche Erprobung eines psychosozial orientierten Unfallerhebungsbogens. Studie an der Bergischen Universität Wuppertal, 2000

2. Hoffmann B et al. BGZ-Report Arbeitsunfallstatistik. Berufsgenossenschaftliche Zentrale für Sicherheit und Gesundheit – BGZ des HVBG, Sankt Augustin, 1999

3. Skiba R. Taschenbuch der Arbeitssicherheit. 8. Aufl. Erich-Schmidt-Verlag, Bielefeld, 1994

4. Bosselmann, T, Hasselhorn HM. Psychosoziale Faktoren bei der betriebsärztlichen Tätigkeit. Internetrundbrief des Fachgebietes Arbeitsphysiologie, Arbeitsmedizin und Infektionsschutz des Fachbereiches Sicherheitstechnik der Universität Wuppertal, Wuppertal, 2003–2006

5. Bosselmann T. Zielgruppenspezifischer internetbasierter Informationstransfer im Arbeits- und Gesundheitsschutz am Beispiel eines psychosozial orientierten Betriebsärzteportals. Studie an der Bergischen Universität Wuppertal, 2004

6. Bosselmann T. Psychosoziale Fragestellungen im Betrieb – wer ist Ansprechpartner?. In: Sicherheitsingenieur 10–14, Ausgabe 2/2011, Dr. Curt Haefner-Verlag, Heidelberg, 2011

7. Bosselmann T. Der Betriebsarzt: Ihr Partner bei psychosozialen Fragestellungen im Betrieb. Internetveröffentlichung: www.ibb-consulting.de, Duisburg, 2010

8. Bosselmann T, Hasselhorn HM, Martini Y, Kompar L. Psychosoziale Fragestellungen bei der Tätigkeit von Sicherheitsingenieuren. In: Sicherheitsingenieur 32ff. Dr. Curt Haefner Verlag, Heidelberg, Heft 1, 2006

9. Bosselmann T, Hasselhorn HM, Michaelis M, Scheuch K, Hofmann F. Psychosoziale Aspekte bei betriebsärztlicher Tätigkeit. In: Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie 154ff. Heft 6, Band 52, Dr. Curt Haefner Verlag, Heidelberg, 2002

10. Bosselmann T, Hasselhorn HM, Michaelis M, Scheuch K, Hofmann F. Psychosoziale Aspekte und betriebsärztliche Tätigkeit. Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – Forschung, Wirtschaftverlag NW, Dortmund, Berlin, Dresden, 2003

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