Die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen haben die nächste, groß angelegte Präventionskampagne beschlossen: Sie wird sich mit einer Kultur der Prävention beschäftigen und soll von 2017 2026 laufen. Jetzt ist also ein guter Zeitpunkt, sich darauf vorzubereiten und die Präventionskultur im eigenen Haus kritisch zu beleuchten. Dr. Walter Eichendorf, stellvertretender DGUV-Hauptgeschäftsführer erklärt, was es damit auf sich hat.
Ihre Kampagne ist auf beeindruckende 10 Jahre ausgelegt. Sie messen der Präventionskultur offensichtlich einen außerordentlich hohen Stellenwert bei.
Eichendorf: Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem sich durch die klassischen Präventionsmaßnahmen nur begrenzt Verbesserungen beim Unfall- und BG-Geschehen ausmachen lassen. Es gilt also neue Wege zu gehen, um der Vision Zero näher zu kommen.
Präventionskultur soll durch die Kampagne mehr als ein Schlagwort werden. Was bedeutet das konkret für die Betriebe?
Eichendorf: Wir wollen damit die Themen Sicherheit und Gesundheit flächendeckend in den Betrieben verankern. Wichtig ist es, die Menschen mitzunehmen, damit diese ihre Verantwortung erkennen. Mit unseren langjährigen Aktivitäten wollen wir das Thema bei den Verantwortlichen in den Betrieben und den Versicherten quasi subkutan injizieren. Denn die Prävention muss zum integralen Bestandteil allen Handelns werden.
Wie kann eine solche Integration aussehen?
Eichendorf: Ein integriertes Grundverständnis von Prävention muss unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen und die klassische Risikoprävention, die betriebliche Gesundheitsförderung und die Wiedereingliederung umfassen. Egal ob im Einkauf, im Vertrieb, in der Produktion oder bei Personalfragen jede Entscheidung gilt es mit den Forderungen aus der Prävention abzugleichen.
Sie haben sechs Handlungsfelder definiert, die als Stellschrauben etwa die Führung, die Kommunikation und Partizipation, das soziale Klima und die Fehlerkultur ansprechen. Was genau verstehen Sie dabei unter Fehlerkultur?
Eichendorf: Aus Fehlern lässt sich wahnsinnig viel lernen. Daher ist es so wichtig, auch Beinahe-Unfälle genauestens zu betrachten. Das Gleiche gilt für arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren. Werden diese frühzeitig angesprochen, lassen sie sich dann häufig vermeiden.
Können Sie ein Beispiel aus der Praxis nennen?
Eichendorf: Bei meinem Besuch einer Werft in Singapur hat sich eindrucksvoll der Wert der Fehlerkultur gezeigt. Die Beschäftigten sind hier nicht nur häufig der Witterung ausgesetzt, sie handhaben auch sperrige Bauteile, es wird geschweißt und der innerbetriebliche Werksverkehr stellt eine weitere potenzielle Gefährdung dar. Dort wird Fehlerkultur gelebt: Die Belegschaft wurde ausdrücklich gebeten, Unsicherheiten und Gefährdungen über neu installierte Telefone zu melden. Sie haben zwei Knöpfe: Einer verbindet die Beschäftigten direkt mit der Arbeitsschutzabteilung, ein anderer mit dem Arbeitsministerium. Jede und jeder ist damit ein Sicherheitsexperte nicht nur für den eigenen Arbeitsplatz. Gleichzeitig können Beobachtungen anonym dem Ministerium gemeldet werden damit soll der Sorge mancher Beschäftigter vor negativen Konsequenzen durch Vorgesetzte begegnet werden.
Welchen Effekt zeigte diese Aktion?
Eichendorf: Sie erzielte eine wahnsinnig hohe Beteiligung und die Unfallquote sank in wenigen Monaten dramatisch auf fünf Prozent! Eine Besonderheit dieser Aktion ist, dass die Beschäftigten nicht nur über ihre eigene Sicherheit, sondern auch über die Sicherheit ihrer Kolleginnen und Kollegen nachgedacht haben. Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, Gefährdungen und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren sofort anzusprechen.
Wie sieht es in den deutschen Unternehmen aus?
Eichendorf: Es gibt Branchen, die weltweit schon eine sehr ausgereifte Präventionskultur etabliert haben. Dazu zählen etwa die chemische Industrie oder die Automobilbranche. Opel meldete kürzlich beispielsweise 25 Mio. Arbeitsstunden ohne meldepflichtigen Arbeitsunfall in einem Produktionswerk. Das funktioniert bei entsprechendem Engagement in allen Betrieben ebenso wie in Stadtverwaltungen oder Bildungseinrichtungen. Daneben adressieren wir mit unserer Kampagne in besonderem Maße die Klein- und Mittelständler.
Wie wollen Sie diese überzeugen und wie überzeugen Sicherheitsverantwortliche ihre Führung?
Eichendorf: Zunächst einmal gibt es natürlich eine positive Wirkung auf die Sicherheit und Gesundheit der Belegschaft, die für die Unternehmen auch wirtschaftlich spürbar wird etwa weil die Arbeitsunfähigkeitsquote sinkt. Wie Sie wissen, liegt der Return on Prevention (RoP) schon heute in Deutschland im Durchschnitt bei 1,6 jeder eingesetzte Euro lohnt sich auch rein betriebswirtschaftlich!
Außerdem werden künftig Unternehmen nur noch dann wettbewerbsfähig sein, wenn sie in der Konkurrenz um qualifizierte Arbeitskräfte die Nase vorn haben. Für viele Menschen ist Sicherheit und Gesundheit so bedeutsam, dass sie es zu einem Entscheidungskriterium für oder gegen ein Unternehmen machen könnten. Präventionskultur wird also ein wichtiges Thema beim sogenannten Employer Branding werden.
Wer also hier seine Hausaufgaben macht, wird von der Belegschaft als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen.
Eichendorf: Genau. Gesundheitsfördernde Aktivitäten in Handlungsfeldern wie Führung oder sozialem Klima stärken die Identifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Unternehmen. Dies führt ebenfalls zu gesteigerter Motivation, mehr Leistung und Bindung an das jeweilige Unternehmen. Insgesamt also eine sehr lohnende Maßnahme.
Derzeit stehen Sie noch in der Planungsphase Ihrer Präventionskampagne. Welche Schritte sind zu gehen?
Eichendorf: Derzeit sind wir dabei, die internen Voraussetzungen zu schaffen und die Kampagne zunächst intern erfolgreich umzusetzen. Wir wollen nicht nur den Betrieben erzählen, wie sich Präventionskultur verankern lässt sondern dies selbst leben. Um zu sehen, wo wir stehen, werden wir einen eigens entwickelten Check durchführen ähnlich dem igaCheck (http://www.iga-info.de/veroeffentlichungen/software/igacheck-2014/vdetail/Veroeffentlichung).
Welchen zeitlichen Ablauf der Kampagne planen Sie?
Eichendorf: Die Auswirkungen der ersten Sequenz sollen im vierten Jahr evaluiert werden. Dann werden wir sehen, ob wir auf dem richtigen Weg sind oder nachjustieren müssen.
Danke für das Gespräch und viel Erfolg!
Andrea Stickel (Diplom-Ingenieurin, freie Journalistin in München mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Gesundheitsschutz. andrea@stickel-online.net)
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2. Führung
3. Kommunikation
4. Beteiligung
5. Fehlerkultur und
6. Betriebsklima