Mit der Energiewende 2011 wurde der Ausbau von Offshore-Windparks auf Nord- und Ostsee stark forciert. Bis zur Errichtung von Alpha Ventus1 45 km nördlich von Borkum gab es im deutschen Seegebiet keine Offshore-Anlagen und dementsprechend auch keine offiziellen Leitlinien für den Gesundheitsschutz der Mitarbeiter/-innen auf solchen Anlagen. Unternehmen, die im Geltungsbereich des deutschen Rechts technische Anlagen errichten und/oder betreiben, sind verpflichtet, ein umfassendes Sicherheits- und Schutzkonzept zu erstellen und seine Einhaltung sicherzustellen. Teil eines solchen Konzepts ist die Feststellung der Eignung der Arbeitnehmer/-innen für die extremen Bedingungen der Offshore-Arbeit. Physische und mentale Belastbarkeit und Zuverlässigkeit der einzelnen Mitarbeiter/-innen sind hier unverzichtbar.
Eine Arbeitsgruppe2 arbeitsmedizinischer Experten der Deutschen Gesellschaft für Maritime Medizin (DGMM e.V.) hat in Zusammenarbeit mit den deutschen Energieunternehmen Empfehlungen für eine solche Eignungsuntersuchung erarbeitet. Die Bewertungskriterien für die Untersuchungsbefunde und deren Dokumentation liegen jetzt vor und bilden den aktuellen Untersuchungsstandard für die gesundheitliche Eignung für Offshore-Tätigkeiten. Die Besonderheit von Offshore-Arbeitsplätzen auf Windenergieanlagen (WEA) im Vergleich zu Landarbeitsplätzen liegt in der potenziell lebensfeindlichen Umgebung weit draußen auf See. Sie ist in der gesundheitlichen Eignung der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Wind und Wetter spielen hier eine wesentliche Rolle, nicht nur in der erschwerten Durchführung in Errichtung, Betrieb und Wartung der WEA, sondern auch in der Erreichbarkeit der WEA mit Schiff und Helikopter und in der hierdurch stark eingeschränkten Verfügbarkeit von medizinisch qualifizierter (Notfall-)Versorgung. Vor Ort ist diese in der Regel nicht vorhanden. Widrige Wetterverhältnisse können bei dringenden Transporten zum Festland lange Verzögerungen verursachen. Ruhiges Wetter mit weniger als 1,5 m Wellenhöhe und einer maximalen Windgeschwindigkeit von 10 m/s, die unproblematische Transporte mit Schiff und Helikopter erlauben, sind selbst in den Sommermonaten nur in 25 % der Tage zu erwarten. Die Baustellen- und spätere Betriebsgröße für WEA wird sich in den nächsten zehnJahren über eine Gesamtfläche von über 1.000 km² in Nord- und Ostsee erstrecken. Unter diesen Bedingungen ist es für die Erbauer und Betreiber eine große Herausforderung, die hierfür notwendigen Maßnahmen für Berufssicherheit und medizinische Notfallversorgung zu gewährleisten.
Personen, die auf diesen Baustellen im Fundament- und Anlagenbau und später im Betrieb mit Wartung und Instandsetzung der WEA arbeiten, müssen meist per Hubschrauber zu ihrem Arbeitsplatz gebracht werden. Dies, mit dem vorher zu absolvierenden Helicopter Escape Training, das Steigen von Treppen, von exponierten Leitern und Verbindungsstegen sowie das Arbeiten in großer Höhe erfordern eine besondere körperliche Fitness. In der Eignungsbeurteilung sind außerdem der individuelle Umgang mit räumlicher Enge (z. B. in Gondeln, im Turm der WEA und beim Hubschraubertransport), eingeschränkter Privatsphäre und Exposition gegen Hitze, Kälte, Wind und Feuchtigkeit zu berücksichtigen. Notfallsituationen stellen nicht nur für den Erkrankten ein Risiko dar, sondern auch für die zur Hilfe oder Rettung auf- und angeforderten Kollegen. Anamnese sowie medizinische Untersuchungsergebnisse müssen alle Risiken hinsichtlich der Person des Arbeitnehmers selber, wie auch der Sicherheit seiner Kollegen berücksichtigen. Als Fazit ist eine umfassende arbeitsmedizinische Eignungsuntersuchung erforderlich mit Erfassung des Risikos von Krankheitsphasen und Unfallneigung. Die von der DGMM-Arbeitsgruppe erstellte Empfehlung zur Eignungsuntersuchung soll generell für Offshore-Arbeitsplätze gelten. Für die Bedingungen spezieller Offshore-Vorhaben bedarf sie der Anpassung an die jeweiligen individuellen Bedingungen. Die Empfehlungen basieren auf allgemeinen Kenntnissen und Annahmen der Mitglieder der Arbeitsgruppe zu den Arbeits- und Lebensbedingungen an/auf Offshore-Arbeitsplätzen. Sie ersetzen nicht die speziell auf tatsächliche Arbeitsplätze gerichtete Gefährdungsbeurteilung (risk assessment). Diese liegt in der Zuständigkeit des für den Arbeitsplatz verantwortlichen Unternehmers und erfordert ggf. eine individuelle Anpassung; die DGMM wird hierbei gerne beratend zur Seite stehen. Das Ergebnis der ärztlichen Eignungsuntersuchung soll in die Entscheidung für den Einsatz von Arbeitskräften für Offshore-Plattformen eingehen. Letztlich liegt die Verantwortung für Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer/-innen aber beim Unternehmer.
Im Folgenden werden die Empfehlungen kurz skizziert. Für die Praxis stehen sie in einer vollständigen Fassung zur Verfügung3 und werden regelmäßig aktualisiert.
Besonderheiten der Lebens-/ Arbeitsbedingungen im Offshore-Bereich
Die Errichtung und Wartung von Windkraftanlagen auf See ist mit besonderen Bedingungen und entsprechenden physischen, mentalen und geistigen Anforderungen verbunden. Tabelle 1 gibt zu den bereits genannten und weiteren, zu berücksichtigenden Umständen eine Übersicht.
Auf Offshore-Einrichtungen kann es keine leichten Tätigkeiten im üblichen Sinne geben. Phasen von Krankheit oder unfallbedingter Behinderung können mit Landarbeitsplätzen vereinbar sein, schließen jedoch in der Regel eine Tätigkeit auf einem Offshore-Arbeitsplatz aus, sind daher detailliert zu erfassen und zu bewerten. Gesundheitliche Einschränkungen und Vorerkrankungen sind auch bei differenzierter Betrachtung nur unter bestimmten engen Bedingungen tolerabel. Aufgrund der besonderen Umstände gehen die allgemeinen gesundheitlichen Anforderungen oftmals über die eigentliche Tätigkeit hinaus, wie beispielsweise das obligatorische Offshore Sicherheits- und Notfalltraining.
Empfehlungen für die arbeitsmedizinischen Eignungsuntersuchungen
Die Empfehlungen geben detaillierte Hinweise für alle funktionalen und sinnesphysiologischen Aspekte und ihre Bewertung im Rahmen der Offshore-Tätigkeit. Die Empfehlungen beginnen mit ausführlichen Erläuterungen der Arbeitsbedingungen und Anforderungen (siehe Tabelle 1). Der Hauptteil umfasst ein detailliertes Programm für Anamnese und ärztliche Untersuchungen (Seh- und Hörtests, Ruhe- und Stress-EKG, Lungenfunktionsprüfung, dermatologische Untersuchung, erweiterte Laboruntersuchungen). Die arbeitsmedizinischen Eignungsuntersuchungen G 41 (Absturzgefährdung) und G 25 (Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten) sind Bestandteil der Untersuchungen und können entsprechend mit bescheinigt werden.
Es folgen detaillierte allgemeine und spezielle medizinische Hinweise zu den körperlichen Anforderungen und Grenzen gesundheitlicher Eignung hinsichtlich Vorerkrankungen und chronischen Erkrankungen. Ein Überblick zu den hierbei berücksichtigten Organsystemen gibt Tabelle 2. Anforderungen für besondere Personengruppen in Küchen- und allgemeiner Versorgung sowie zur Rettung und Feuerbekämpfung und für Besucher sind formuliert. Anhänge mit Bestimmungen für besondere Personengruppen und Situationen, eine Zusammenfassung der apparativen Untersuchung, Fragebogen zur Anamnese (auch für Besucher), Formulare und ein Eignungszertifikat komplettieren die Empfehlungen.
Literatur
1. Anlagenhöhe etwa 180 m über Meeresgrund, Rotordurchmesser etwa 115 m
2. Arbeitsgruppe Offshore der Deutschen Gesellschaft für Maritime Medizin e.V. (DGMM) mit U. Decker, K.-P. Faesecke, A.-J. Kremer, E. S. Neuhöfer, A. M. Preisser, U. Rogall und Energieunternehmen
3. http://www.maritimemedizin.de/Publikationen/leitlinien/Offshore_Empfehlung_ 2012.pdf