Flexible Reha-Modelle kommen dem Betriebsablauf entgegen. Erfahrungen mit einer berufsbegleitenden Rehabilitation hat die Deutsche Rentenversicherung Westfalen kürzlich Journalisten in Münster vorgestellt. Ein Folgeprojekt zur Prävention soll häufigen Leiden wie chronischen Rückenschmerzen und Erschöpfung frühzeitig entgegenwirken. Sechs Kliniken in drei Modellregionen bieten Betrieben im Umkreis die neuen Leistungen an.
Mit dem Projekt Betsi steigt die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) in diesen Wochen in die Prävention ein. Der Name steht für das Ziel: die Beschäftigungsfähigkeit teilhabeorientiert sichern. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit erfordert auch von der Rentenversicherung neue Strategien, die Erwerbsfähigkeit zu sichern, begründet der Reha-Träger sein Engagement.
Auch drei Regionalträger sind beteiligt. Versicherte können schon vor dem Eintritt eines konkreten Rehabilitationsbedarfs Leistungen erhalten, verdeutlichte Professor Marthin Karoff die erweiterten Möglichkeiten in einer Pressekonferenz auf dem 18. Reha-Wissenschaftlichen Kolloquium in Münster. Zwölfhundert Fachleute diskutierten dort über innovative Ansätze. Gedacht sei an Personen, bei denen spezielle soziale, berufliche oder familiäre Belastungen vorliegen und die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem späteren Zeitpunkt eine medizinische Rehabilitation benötigen würden, sagte der Ärztliche Direktor einer DRV-Klinik in Ennepetal weiter.
Die berufsbegleitenden Leistungen können Beschäftigte im Umkreis von sechs Reha-Kliniken ab Mai/Juni beantragen. Betriebsärzte sind dabei die Schnittstelle: Sie können in Frage kommende Mitarbeiter ansprechen und deren Antrag mit einem ärztlichen Befundbericht unterstützen. Die Indikationen reichen vom metabolischen Syndrom, von Funktionsstörungen der Wirbelsäule bis hin zu psychischen Problemen (siehe Kasten). Das multimodale, ganzheitliche Konzept der Angebote wurde in der Pressekonferenz anschaulich, als Ausschnitte aus einem Vorläuferprojekt zur berufsbegleitenden Rehabilitation geschildert wurden: Beschäftigte aus dem Raum Osnabrück fuhren neun Wochen lang für einen Nachmittag und samstags vormittags nach Bad Rothenfelde. Dort erhielten sie Physiotherapie und Bewegungstrainings wie Muskelaufbautraining, Klettern, Bogenschießen und Aquajogging. Das Team der Klinik Münsterland beriet sie auch über ergonomisch optimales Sitzen, Arbeiten, Schlafen und Ernährungsfragen. Auch Entspannungstechniken und das Gespräch mit einer Psychologin gehörten zu dem rund achtzigstündigen Rückenprogramm.
Bei den Rehabilitanden haben sich körperliche Funktionsfähigkeit, Aktivität und Gesundheitseinschätzung verbessert; Schmerzen, Angst, Depressivität und berufliche Belastungswahrnehmung dagegen deutlich verringert, ergab die wissenschaftliche Projektauswertung. Für einen Elektromonteur von den Osnabrücker Stadtwerken hieß das zum Beispiel: Die Abstände zwischen den Schmerzattacken sind größer geworden. Auch gehe er weiter regelmäßig zum Reha-Sport, berichtete der 58-Jährige. Alle Teilnehmer hatten ihre Freizeit geopfert. Es war eine hochmotivierte Gruppe, lobte Chefarzt Bernhard Greitemann die Rehabilitanden.
Auf Warnsignale achten
Betriebsärztin Christina Raster aus Osnabrück, die an dem Vorläuferprojekt beteiligt war, forderte zu frühzeitigen Interventionen auf: Betriebsärzte müssen umdenken und agieren, bevor es zu Ausfallzeiten kommt, sagte sie. Sie verglich den Prozess einer chronischen Erkrankung mit einem Eisberg. Regulationsstörungen und erste Funktionsstörungen seien noch unauffällig. Mit Beschwerden und Aufsuchen des Hausarztes beginne der sichtbare Teil. Doch erst nach Facharzt und Fachklinik, an der Spitze des Eisbergs, käme es in der Regel zu rehabilitativen Interventionen. Das ist zu spät, betonte die Arbeitsmedizinerin. Indiziert sieht sie orthopädische Maßnahmen schon unter drei Voraussetzungen: 1. Bewegungseinschränkung, 2. arbeitsplatzbedingte Beschwerden und 3. damit verbundene Beeinträchtigung bei der Arbeit. Inwieweit die Betsi-Präventionsmaßnahmen von Unternehmen und Versicherten angenommen werden und sich organisatorisch umsetzen lassen, wird während der Projektlaufzeit bis 30. September 2011 auch wissenschaftlich dokumentiert.
Leonie von Manteuffel