Psyche und Arbeit

Angst vorm Arbeitsplatz

Reha-Mediziner: Phobisches Vermeiden führt in Langzeit-Arbeitsunfähigkeit

Lange Ausfallzeiten bei Arbeitnehmern können Folge verfestigter Ängste sein, die sich auf den Arbeitsplatz beziehen. Diese sollten als Symptom ernst genommen und differentiell erfasst und behandelt werden. Darauf wies die Forschungsgruppe für Psychosomatische Rehabilitation am Universitätsklinikum Berlin Charité kürzlich auf dem 16. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium der Deutschen Rentenversicherung (DRV Bund) hin, auf dem rund 900 Forscher und Praktiker über neue Entwicklungen in der Rehabilitation diskutierten.

Um arbeitsplatzbezogene Ängste gezielt erfassen zu können, hat die Forschergruppe um den Psychologen und Psychiater Professor Michael Linden eine „Job-Angst-Skala“ (JAS) entwickelt. Die Reha-Forscher gingen zunächst von Patientenberichten über Ängste aus, die den Arbeitsplatz betrafen. Des weiteren bezogen die Wissenschaftler diagnostische Kriterien für Angsterkrankungen und vorhandene Angstfragebögen in die Vorbereitung ein. In der JAS gruppierten sie schließlich 70 Items um 5 Angstdimensionen mit wenigen Subskalen.

Unterschieden werden: 1. Stimulusbezogene Ängste und Vermeidungsverhalten (z.B. konditioniert durch ein Schockerlebnis am Arbeitsplatz), 2. Soziale Ängste, 3. Gesundheits- und körperbezogene Ängste, 4. Insuffizienzerleben und 5. generalisierte Sorgen und Existenzangst.

Auf dem Kolloquium in Berlin stellte das Team Ergebnisse vor, die man mit dem Messinstrument gewonnen hatte. Bei einer ersten Untersuchung sollten 132 Rehabilitanden aus der Psychosomatik ihre Zustimmung zu den JAS-Items auf einer Likert-Skala von 0 (trifft gar nicht zu) bis 4 (trifft in hohem Maße zu) einstufen. Dazu gehörten zum Beispiel Ausagen wie:

„Bei der Vorstellung, an diesem Arbeitsplatz einen kompletten Arbeitstag durchstehen zu müssen, bekomme ich Panikgefühle (Dimension 1, Subskala antizipatorische Angst)

„Ich musste mich ein oder mehrere Male krankschreiben lassen, weil ich die Probleme an meinem Arbeitsplatz nicht länger hätte ertragen können.“(Dimension 1, Subskala Vermeidung)

„Ich leide darunter, dass ich ständig im Unklaren gelassen werde, was auf mich zukommt.“ (Dimension 2, Subskala Veränderungsängste)

Abgrenzbare Arbeitsplatzängste
Bei der Auswertung zeigte sich, dass rund zwei Drittel der Befragten unter arbeitsplatzbezogenen Ängsten litten. Nicht bei allen von ihnen waren diese Ängste jedoch in eine anderweitige Angsterkrankung eingebettet: „Jeder siebte erlebte die Ängste nur am Arbeitsplatz. Sie sind daher diagnostisch von anderen Angststörungen abzugrenzen“, lautet die Deutung der Forscher.

Eine zweite Untersuchung ging der Frage nach, ob und wie sich die Arbeitsplatzängste bei anderen Grunderkrankungen darstellen. Dazu wurde eine Stichprobe von 190 Rehabilitanden aus Orthopädie (100 Personen) und Psychosomatik (90 Personen) an zwei DRV-Rehabilitatonszentren befragt. Hier zeigte sich, dass arbeitsplatzbezogene Ängste bei Rehabilitanden mit Muskel- und Skeletterkrankungen auf den einzelnen Angstdimensionen nahezu gleich gelagert, wenn auch weniger intensiv ausgeprägt waren als in der Psychosomatik. Die höchsten Mittelwerte entfielen auf Existenzangst und generalisierte Sorge, gefolgt von Gesundheitsängsten (z.B. „Meine gesundheitliche Einschränkung macht mich im Arbeitsalltag unsicher“) und Insuffizienzängsten (z.B. „Ich fühle mich mit meiner Arbeit überfordert.“).

Als weiteres Ergebnis berichteten die Forscher in Berlin, dass sich einzelne Ängste bei verschiedenen Personen unterschiedlich ausgeprägt und unterschiedlich korreliert darstellen können: „Wer beispielweise Insuffizienzgedanken bezüglich der Arbeit erlebt, der kann, muss aber nicht gleichzeitig auch Gesundheitsschäden am Arbeitsplatz befürchten“, sagte Projektleiter Linden. Sein Resümee: „Die Daten belegen, das arbeitsplatzbezogene Ängste ein wichtiges sozialmedizinisches Phänomen und nicht nur bei Patienten mit primär psychischen Erkrankungen von Bedeutung sind. Bei vielen Patienten können sie als primäres oder einziges psychisches Problem auftreten“.

Angst auslösende Umstrukturierung
Wie kommt es zu diesen speziellen Arbeitsplatzängsten? In der Ätiologie stehen zum einen Strukturmerkmale der Arbeitsorganisation im Blickpunkt. Hier wies der Psychiater auf grundsätzliche, Angst auslösende Aspekte und Bedrohungsstimuli der Arbeitswelt hin: berufliche Leistungsanforderungen, die ein Scheitern beinhalten können; die hierarchische Struktur mit entsprechender „Hackordnung“; die unausweichliche, oft konfliktreiche Nähe zu anderen; reale Gefahren für Leib und Leben (z.B. durch Unfälle) und die Bedeutung der Arbeit für Existenzsicherung und sozialen Status.

Neben Arbeitsweltfaktoren können jedoch auch primäre psychische Erkrankungen oder Wechselwirkungen zwischen Persönlichkeit und Umfeld ein Entstehen von Arbeitsplatzangst begünstigen, betonen die Forscher. Eine betriebliche Umstrukturierung kann so schlagartig eine besondere Belastung hervorrufen: „Zum Beispiel wenn der gewissenhafte (zwanghafte) Buchhalter plötzlich als Servicekraft auch Kunden beraten soll und durch die subjektive Überforderung dekompensiert und Angstzustände bis hin zur Panik entwickelt“, erläuterte Linden.

Chronifizierung durch Krankschreiben
Sozialmedizinisch relevant werden die Ängste aus Sicht der Forscher vor allem – unabhängig von ihren Ursachen – wenn sich daraus ein Vermeidungsverhalten entwickelt, das sich über wiederholte Arbeitsunfähigkeitszeiten1) bis hin zur Arbeitsplatzphobie verfestigen kann. Das Fernbleiben wirke zunächst entlastend, indem der Angst auslösende Stimulus „Arbeitsplatz“ gemieden wird. „Nach Vermeidungsphasen wird es jedoch für Patienten zunehmend schwieriger, sich wieder an den Arbeitsplatz zurück zu trauen“, betonte Linden. Langfristig wirke das Vermeiden angstverstärkend.

Für die ärztliche Praxis lassen sich daraus Empfehlungen ableiten. Es sei bedenklich einen Arbeitnehmer „vorschnell krank zu schreiben“, der den Arzt mit Arbeitsplatzängsten und dem Wunsch nach Krankschreibung aufsuche. Das wird aufgrund des Risikos einer negativen Entwicklung durch Vermeidungsverhalten als Kunstfehler eingestuft. Erstbehandlern werden dagegen folgende „unerlässliche“ Schritte empfohlen (2):

· Präzise Differentialdiagnostik der berichteten Erkrankung.

· Unterstützen des Arbeitnehmers darin, die aktuelle Belastungs-, Konflikt- und Problemsituation am Arbeitsplatz ohne Vermeiden zu bestehen. „Hierzu dient eine genaue Schilderung der am heutigen Tag oder in den nächsten Tagen anstehenden Aufgaben und Erwartungen“. Die Erfahrung zeige, dass sich bei genauem Hinhören stets Möglichkeiten zu einer akuten Entlastung finden ließen.

· Zielgerichtetes und fachgerechtes therapeutisches Behandeln der zu Grunde liegenden Problematik.

Therapieansätze
Wie bei anderen Angsterkrankungen sollte die Therapie aus psychiatrischer Sicht auf zwei Säulen ruhen:auf der Behandlung einer eventuellen psychischen Grunderkrankung nach fachärztlicher Differentialdiagnose und der gezielten Behandlung der arbeitsbezogenen Ängste oder Phobie.3) „Grundsätzlich muss sich der Patient dem Angst auslösenden Stimulus stellen“, betonte der Psychiater in Anlehnung an die Standards in der Angsttherapie.

Bei einem Arbeitsplatz lässt sich dies in der Regel nicht in abgestufter Expositon (wie z.B. bei Tunnelangst) üben. In einzelnen Rehabilitationskliniken werden jedoch spezielle Therapieformen zur innerlichen und äußerlichen Annäherung praktiziert: Neben dem Stärken von Bewältigungskompetenzen, ergotherapeutischen Leistungstrainings und Gruppenprogrammen zu Konfliktmanagement und Zeitmanagement werden so etwa „Arbeitsplatzerprobungen“ angeboten: Dabei erlauben fremde Firmen den Rehabilitanden, zeitweise bei ihnen mitzuarbeiten, um eine schrittweise Annäherung an reale Arbeitssituationen zu ermöglichen. Vorteilhaft ist, dass sich auftretende Probleme mit therapeutischer Unterstützung dabei unmittelbar aufgreifen und bearbeiten lassen. Dem Probearbeiten kann sich eine stufenweise Wiedereingliederung am eigenen Arbeitsplatz anschließen.

Literatur:
1. vgl. Bödeker, W./Zelen, K. in: Badura, B. et al., Fehlzeiten-Report 2006. Zahlen, Daten, Analysen aus allen Branchen der Wirtschaft. Chronische Krankheiten. Heidelberg 2007, S. 188f.

2. vgl. hier u. im Folgenden Linden, M., Arbeitsplatzängste und -phobien, in:W. Müller-Fahrnow et al (Hrsg.), Wissenschaftliche Grundlagen der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation, Lengerich 2006, S. 181–192

3. Linden, M., Muschalla, B., Arbeitsplatzängste und Arbeitsplatzphobie. Ätiologie, Empirie und Therapie, S. 43 in: Der Nervenarzt 1/2007, S. 39–44

Weitere Informationen:

Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation

Leiter Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Michael Linden

FPR, Hs II, Raum E01

Hindenburgdamm 39

12200 Berlin

michael.linden@charite.de

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