Psyche und Arbeit

Erfahrungen und Umsetzungsbeispiele in der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen

Zusammenfassung Betriebs- und Werksärzte, Gesundheitsmanager sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit sehen sich zunehmend mit einer Beurteilung psychischer Gefährdungen am Arbeitsplatz in ihrem eigenen Unternehmen konfrontiert– insbesondere seitdem die Beurteilung psychischer Belastung Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung gemäß §5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) geworden ist. Doch aufgrund der Aktualität und Komplexität der Thematik existieren kaum Handlungshilfen oder Best-Practice Beispiele, die Musterprozesse zur Erfassung, Beurteilung und Prävention psychosozialer Risiken in der Arbeitswelt skizzieren. Hinzu kommen Vorbehalte und Befürchtungen, dass die Beurteilung psychischer Gefährdungen mit konfliktbeladenen Diskussionen und nur schwer zu erfüllenden Forderungen einhergehen werden. Insbesondere Betriebs- und Werksärzte, Gesundheitsmanager sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit sollten diesen Konflikten und Befürchtungen offen und kompetent entgegentreten. Der Artikel illustriert die wichtigsten Schritte einer psychosozialen Gefährdungsbeurteilung, den ökonomischen Nutzen, Erfolgsfaktoren sowie potenzielle Stolpersteine aus der bisherigen 10-jährigen Praxiserfahrung der Unternehmensberater und Wissenschaftler. Die Umsetzung psychosozialer Gefährdungsbeurteilungen wird anhand von Beispielen eines Groß- und eines Kleinunternehmens veranschaulicht. Schlüsselwörter

· Psychosoziale Gefährdungsbeurteilung

· Prävention

· Evaluation

· Psychische Belastung

· Risk assessment of mental health

· Prevention

· Evaluation

· Mental strain

Einleitung
Multitasking, starker Termin- und Leistungsdruck sowie ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge – so sieht laut Stressreport 2012 (Lohmann-Haislah) der Arbeitsalltag für mehr als die Hälfte aller Berufstätigen in Deutschland aus. Hinzu kommt der stetig steigende Stress: 43% der Befragten gaben an, dass dieser in den letzten zwei Jahren zugenommen hat. In diesem Zusammenhang ist es kaum verwunderlich, dass die Anzahl an Arbeitsunfähigkeitstagen seit 1976 um mehr als das Fünffache angestiegen ist und mit einer durchschnittlichen AU-Dauer von 39,4 Tagen pro Fall deutlich über der für Muskel-Skelett-Erkrankungen (im Durchschnitt 19,9 Tage pro Fall) liegt (BKK Gesundheitsreport, 2013). Diese Zahlen schlagen sich auch in immensen Krankheitskosten, sowohl für die Unternehmen, als auch den Staat, nieder (Bödeker & Friedrichs, 2011): im Jahr 2012 beliefen sich die Produktionsausfallkosten auf 6,0 und der finanzielle Ausfall an der Bruttowertschöpfung auf 10,5 Milliarden Euro aufgrund von Erkrankungen der Diagnosegruppe V – Psychische und Verhaltensstörungen (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2014).

Auf diese Entwicklung hat im Oktober 2013 der Gesetzgeber mit einer Änderung des Arbeitsschutzgesetzes reagiert, indem explizit festgelegt wurde, dass neben der Beurteilung physischer auch eine Beurteilung psychischer Gefährdungen am Arbeitsplatz erfolgen muss (ArbSchG §5, 2013). Sowohl Geschäftsführer als auch Betriebsräte und Betriebsärzte, sowie weitere von der Gesetzesänderung betroffene Akteure, sehen sich nun mit dieser neuen Aufgabe der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen konfrontiert. Doch aufgrund der Aktualität und Komplexität der Thematik existieren kaum Handlungshilfen, die Musterprozesse zur Erfassung, Beurteilung und Prävention psychosozialer Risiken in der Arbeitswelt skizzieren. Hinzu kommen Vorbehalte und Befürchtungen seitens der Unternehmen, dass die Beurteilung psychischer Gefährdungen mit konfliktbeladenen Diskussionen und nur schwer zu erfüllenden Forderungen einhergehen wird. Häufig werden dabei die positiven Veränderungen, die sich in Folge des Beurteilungsprozesses ergeben können, vergessen. Es ist daher wichtig, den Unternehmer dahingehend zu sensibilisieren, dass gesunde und motivierte Mitarbeiter eine wesentliche Grundlage für den Erfolg eines Unternehmens darstellen. Außerdem sollte betont werden, dass in diesem Zusammenhang die aus den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen resultierenden psychischen Fehlbeanspruchungsfolgen einen wichtigen Faktor darstellen, der im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung aktiv gestaltet werden kann. Diese Aufgabe kommt dabei den Betriebsärzten und den Fachkräften für Arbeitssicherheit zu (vgl. Arbeitssicherheitsgesetz, § 3 ASiG): Sie sollen den Arbeitergeber zu arbeitspsychologischen Fragen beraten, sowie die Arbeitsbedingungen beurteilen, Ursachen von tätigkeitsbedingten Erkrankungen untersuchen, die Untersuchungsergebnisse dokumentieren und entsprechende Maßnahmen zur Prävention vorschlagen. Zudem sind alle im Betrieb Beschäftigten über Gesundheitsgefahren, denen sie bei der Arbeit ausgesetzt sind sowie über Maßnahmen bzw. Einrichtungen zur Abwendung dieser Gefahren zu belehren.

Bereits auf den ersten Blick wird deutlich, dass es sich hierbei um eine äußerst umfangreiche und vor allem anspruchsvolle Aufgabe handelt, die ein gewisses arbeitspsychologisches Fachwissen voraussetzt. Dies gilt insbesondere für die Auswahl geeigneter Analyseinstrumente, da hierfür eine Vielzahl verschiedenster Verfahren zur Verfügung steht, eine Patentlösung jedoch nicht existiert. Zusätzlich müssen gewisse rechtliche Vorschriften erfüllt werden. Aufgrund der Komplexität einiger Instrumente oder spezieller Problemstellungen kann es zudem sinnvoll sein, auf externe Unterstützung, beispielsweise durch Arbeitspsychologen, zurückzugreifen.

Zunächst ist es jedoch wichtig, die Vorbehalte gegenüber dem Thema „Psychische Belastung“ seitens der Betriebe offenzulegen, gezielt zu hinterfragen und zu relativieren. Häufig werden in diesem Zusammenhang mangelnde finanzielle oder zeitliche Ressourcen angeführt. Zudem sind viele Unternehmer der Meinung, dass das Betriebsklima bereits gut und derartige Maßnahmen nicht notwendig seien. Doch gerade in diesen Fällen sollte untersucht werden, woran der Unternehmer dies festmacht, denn häufig verbergen sich hinter diesen Einwänden ein mangelndes Problembewusstsein bzw. unzureichende Kenntnisse hinsichtlich psychischer Belastung bei der Arbeit. Diesen Vorbehalten müssen vor allem die Betriebsärzte und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit entgegentreten, da diese als langfristige Partner des Unternehmens dessen Entwicklungen und aktuelle Situation am besten einschätzen können. Betriebsärzte haben zudem leicht Zugang zu wichtigen Informationen bezüglich möglicher psychischer Belastungen und Fehlbeanspruchungen einzelner Mitarbeiter oder bestimmter Beschäftigungsgruppen, beispielsweise aufgrund der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen, Betriebsbegehungen, Unfalluntersuchungen oder Beratungsgespräche mit dem Unternehmer selbst. Indikatoren für psychische Belastung und Fehlbeanspruchung können hier häufige Unfälle bzw. Beinaheunfälle, ein hoher Krankenstand oder eine starke Fluktuation sein. Auch eine Häufung von Überstunden oder Störungen des betrieblichen Ablaufs sowie Terminschwierigkeiten, eine geringere Qualität der Produkte bzw. Dienstleistungen und vermehrte Beschwerden von Seiten der Kunden können ein Hinweis sein. Doch wie können diese Herausforderungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung aktiv angegangen werden?

Der vorliegende Artikel illustriert die hierfür wichtigsten Schritte und stellt mit PREVA einen standardisierten Prozess der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen vor, der sowohl die rechtlichen Anforderungen erfüllt, als auch auf die individuelle Problemlage einzelner Unternehmen angepasst werden kann. Dessen Umsetzung in der Praxis wird anhand eines Groß- und eines Kleinunternehmens veranschaulicht und durch Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag ergänzt.

Die Herausforderung für die Unternehmen und insbesondere für die Akteure des betrieblichen Gesundheitsschutzes besteht nun darin, eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen zufriedenstellend für die direkt betroffenen Mitarbeiter, Führungskräfte und Unternehmensleitung sowie die Spezialisten für Arbeitssicherheit zu gestalten und durchzuführen. Eine besondere Rolle spielen hierbei die Mitarbeiter. Deren Einschätzung als Experten für die zu beurteilende Arbeitstätigkeit beispielsweise mittels Fragebogen, Workshops oder Interviews erfasst werden. Zudem besteht die Möglichkeit mittels objektiver Expertenverfahren, hierunter zählen u. a. Tätigkeitsanalysen oder teilnehmende Arbeitsplatzbeobachtungen, weitere Informationen zu gewinnen. Um ein möglichst genaues Bild der Belastungssituation im Unternehmen zu erhalten und Verzerrungen zu vermeiden, ist es empfehlenswert eine Kombination von objektiven und subjektiven Verfahren vorzunehmen. Diese umfangreiche Datenlage sollte jedoch auch um weitere unternehmensinterne Daten, wie beispielsweise Kranken- und Unfallzahlen, ergänzt und in die bestehenden Unternehmensstrukturen eingegliedert werden. An dieser Stelle wird bereits deutlich, welche sowohl organisatorischen als auch fachlichen Anforderungen an die Unternehmen gestellt werden und dass hierbei insbesondere die Unterstützung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit als auch der Betriebsärzte notwendig ist.

Theoretische und methodische Grundposition
Ziel der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen laut Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG, §5) ist es, die für den Mitarbeiter bestehenden Gefährdungen, d. h. die Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, zu ermitteln. Eine Gefährdung kann sich dabei unter anderem durch die psychische Belastung bei der Arbeit ergeben (ArbSchG, §5). Diese ist gemäß der internationalen Norm DIN EN ISO 10075–1 definiert als „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken“. Der Begriff selbst ist dabei wertneutral: Belastungen können sowohl gesundheitsförderlich als auch gesundheitsbeeinträchtigend wirken. Ob und in welchem Ausmaß psychische Belastungen zu positiven oder negativen Beanspruchungsfolgen führt, hängt zum einen von den individuellen Leistungsvoraussetzungen des Arbeitenden und zum anderen von den verfügbaren personalen, organisationalen und sozialen Ressourcen ab (Ducki, 2010; Ducki & Kalytta, 2006; Hobfoll, 2002; Udris, Kraft, Mussmann & Rimann, 1992). Folglich bezeichnet der Begriff der psychischen Beanspruchung die zeitlich unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von den jeweiligen überdauernden und augenblicklichen individuellen Voraussetzungen, einschließlich der persönlichen Bewältigungsstrategien (DIN EN ISO 10075–1). Die verwendeten Begriffe sowie die Beziehungen zwischen den betreffenden Konzepten wurden im Rahmen der DIN SPEC 33418 ergänzt und sollen den Sprachgebrauch von Fachleuten und Praktikern weiter vereinheitlichen.

Gemäß Belastungs-Beanspruchungs-Konzept (Richter & Hacker, 2012) ergeben sich die Beanspruchungsfolgen anhand der Belastung und in Abhängigkeit von den jeweils vorhandenen individuellen Bewältigungsvoraussetzungen im Menschen. Die Folgen können dabei sowohl kurzfristig als auch langfristig sein und neben positiven Konsequenzen (z.B. Wohlbefinden) auch negative Effekte (z.B. Erschöpfungssymptome) aufweisen. Aus dem Ungleichgewicht zwischen äußeren Anforderungen (Stressoren) und den verfügbaren Bewältigungsmöglichkeiten kann beispielsweise Stress, als eine der möglichen kurzfristigen Beanspruchungsfolgen, resultieren.

Psychische Faktoren zeigen ihre Wirkung ähnlich wie die üblicherweise in einer Gefährdungsbeurteilung berücksichtigten Belastungsfaktoren (z. B. mechanisch-physikalische) sowohl kurz- als auch langfristig. Wobei das schädigende Potential häufig erst nach längerer Zeit und in Form individuell unterschiedlicher Reaktionsmustern offensichtlich wird. Eine weitere Besonderheit bei der Beurteilung psychischer Belastungen ist, dass keine Aussagen über Kausalzusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung, sondern lediglich über die Stärke des Zusammenhangs getroffen werden können. Hierbei gilt kein lineares Dosis-Wirkungsprinzip, da die Stärke sowohl von der Person als auch vom jeweiligen Belastungsfaktor abhängig ist. Zudem stehen zur Bewertung der erfassten psychischen Belastungen keine allgemeingültigen Grenzwerte zur Verfügung. Die Beurteilung der Beeinträchtigung kann daher stets nur in Verbindung mit den Leistungsvoraussetzungen einer Person oder einer definierten Gruppe von Personen erfolgen.

Umso wichtiger ist es, die Beurteilung zum einen auf subjektive und objektive Verfahren zu stützen, um so ein umfassendes Bild der allgemeinen Arbeitssituation als auch der individuellen Bedingungen aus Sicht der Betroffenen Mitarbeiter zu erhalten. Zum anderen müssen empirisch gut untersuchte Modelle des Belastungs- und Beanspruchungserlebens, die zuverlässige Prognosen über die Gesundheitsfolgen von Belastungen und deren Interaktion mit Ressourcen liefern, hinzugezogen werden.

Durch die Kombination der Erhebungsmethoden können zudem Verzerrungen durch Bewertungs- und Interpretationsprozesse der Arbeitenden vermieden werden (Dunckel, 1999). Bei objektiven Erhebungsverfahren werden durch einen Experten die am jeweiligen Arbeitsplatz vorliegenden Belastungen bspw. im Rahmen eines Beobachtungsinterviews oder der Aufnahme von Tätigkeitsmerkmalen (Schichtaufnahmen) ermittelt. Die so gewonnen Daten stellen anschließend die Grundlage für eine umfassende Beschreibung der tatsächlichen Arbeitsbedingungen dar. Anhand dieser Daten kann jedoch noch keine Aussage hinsichtlich der individuellen Beanspruchungsfolgen auf Seiten der Mitarbeiter getroffen werden. Das Erleben der Belastung durch die Mitarbeiter kann im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen mit Hilfe subjektiver Methoden zum Beispiel durch eine Mitarbeiterbefragung mittels Fragebogen oder Interviews gemessen werden. Durch die Zusammenführung von objektiven und subjektiven Daten sind Rückschlüsse auf die Gesundheit der Mitarbeiter möglich und es können neben konkreten Gefährdungsfaktoren auch mögliche Ressourcen identifiziert werden. Eine weitere äußerst nutzbringende Methode stellen partizipative Gruppenprozesse (z. B. Teamworkshops) dar. Diese erhöhen einerseits die Akzeptanz für den Prozess der Gefährdungsbeurteilung auf Mitarbeiterseite und liefern andererseits konkrete Ansatzpunkte für Gestaltungsmaßnahmen.

Wie bereits zuvor dargestellt, ist es aufgrund der messmethodischen Besonderheiten wichtig auf empirisch gut untersuchte Modelle zurückzugreifen. Im Folgenden werden drei arbeitspsychologische Modelle vorgestellt, welche bezüglich psychischer Gefährdungsbeurteilungen von Bedeutung sind.

Das Anforderungs-Kontroll-Modell (Job-Demand-Control-Model, JDC-Model, Karasek, 1979) basiert auf den zwei Faktoren Anforderungen und Kontrolle (bzw. Handlungsspielraum), welche jeweils hoch oder niedrig ausgeprägt sein können. Ausgehend von dieser Zweiteilung ergeben sich vier mögliche „Jobformen“ anhand derer gesundheitliche Effekte vorhergesagt werden können. Bei Tätigkeiten mit hohen Anforderungen und geringen Kontrollmöglichkeiten spricht Karasek von „high strain jobs“. Diese weisen ein erhebliches Risiko, stressbedingte körperliche und/oder psychische Erkrankungen zu begünstigen, auf. Geringe Anforderungen mit hoher Kontrollmöglichkeit („low strain jobs“) bergen hingegen die Gefahr von Demotivation oder innerer Kündigung. Bei „passive jobs“ handelt es sich um Tätigkeiten, bei denen sowohl die Arbeitsanforderungen als auch der Entscheidungsspielraum eher gering ausgeprägt sind. Mögliche Konsequenzen sind der Verlust von Fähigkeiten, Monotonie und auch hier die Neigung zur Demotivation. Ein vergleichsweise geringes Gesundheitsrisiko und die Möglichkeit zur individuellen Weiterentwicklung sind Merkmale von Tätigkeiten mit hohen Anforderungen bei gleichzeitig hohen Kontrollmöglichkeiten („active job“). Das hohe Ausmaß an Gestaltungsfreiräumen innerhalb dieses Job-Typs birgt jedoch das Risiko zur Selbstüberforderung und Selbstausbeutung. Das Effort-Reward-Imbalance Modell (ERI-Modell, Siegrist, 1996) betrachtet das Gleich- oder Ungleichgewicht zwischen dem geforderten Arbeitsaufwand bzw. der Verausgabung (effort) und der erfahrenen oder zu erwartenden Belohnung (reward). Letzteres umfasst dabei sowohl finanzielle Belohnungen (Gehalt, Boni) als auch immaterielle Gegenleistungen wie Wertschätzung, die Möglichkeit sich beruflich weiterzuentwickeln oder die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes. Ein Ungleichgewicht zwischen Aufwand und Belohnung hätte gemäß den theoretischen Annahmen des Modells negative Folgen für die Motivation sowie die Gesundheit des Betroffenen. Beide Modelle können jedoch der Komplexität des Arbeitsalltags nicht gerecht werden. Der Anforderung an eine realitätsnähere und entsprechend auch umfassendere Erfassung der Arbeitssituation, wie es beispielsweise im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen sinnvoll ist, wird das Job-Demands-Resources-Model (JD-R Modell) von Demerouti, Bakker, Nachreiner und Schaufeli (2001) gerecht.

Das JD-R-Modell geht davon aus, dass jede Tätigkeit spezifische Anforderungen („job demands“) und Ressourcen („job resources“) aufweist. Anforderungen ergeben sich aus den physischen, psychischen, sozialen und organisationalen Aspekten der Tätigkeit, die Anstrengung erfordern und mit Kosten (z. B. geringes Wohlbefinden) verbunden sind. Diesen werden Tätigkeitsmerkmale gegenübergestellt, die dabei helfen, Arbeitsziele zu erreichen, Fehlbelastungen aufgrund der beruflichen Anforderungen zu reduzieren und Entwicklung zu ermöglichen. Hierbei wird von den sogenannten Job Ressourcen gesprochen. Sowohl Anforderungen als auch Ressourcen sind in zwei unterschiedlichen Prozessen, dem Prozess der Gesundheitsbeeinträchtigung und dem Prozess der Motivation, involviert. Im Prozess der Gesundheitsbeeinträchtigung führen schlechte Arbeitsgestaltung und/oder chronische Fehlbelastungen dazu, dass die mentalen und physischen Ressourcen der Mitarbeiter abnehmen. Dies führt wiederum zu einem Energieverlust (Erschöpfung) und dem Entstehen von Gesundheitsbeschwerden. Im Prozess der Motivation führen adäquat gestaltete Anforderungen in Kombination mit leicht zugänglichen Arbeitsressourcen zu hohem Engagement, da sie Weiterentwicklung und Lernen ermöglichen. Weiterhin fördert die Bereitstellung von Ressourcen das Erreichen von Arbeitszielen (Wolf, 2012). Zwischen beiden, Anforderungen und Ressourcen, findet eine Interaktion statt: So haben Ressourcen beispielsweise eine puffernde Wirkung auf den Zusammenhang von Fehlbelastung und Gesundheitsbeeinträchtigungen, während Fehlbelastungen die Entstehung von Motivation hemmen können (siehe Abbildung 1).

Auch in der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen macht die Erhebung von Ressourcen und Beanspruchungsfolgen über den gesetzlichen Mindestanspruch (Erfassen & Bewerten von Belastungen) hinaus Sinn: unter dem Gesichtspunkt der Salutogenese (Entwicklung und Förderung von Gesundheit) kann durch die Betrachtung des Zusammenspiels von Belastungen und Ressourcen und deren körperlichen und psychischen Folgen der Gedanke der Prävention nutzbringender umgesetzt werden. Darüber hinaus ist eine gezieltere und differenziertere Ableitung von Maßnahmen auf der Verhältnis- und Verhaltensebene möglich. Demerouti und Kollegen (2007) liefern mit ihrem JD-R-Modell für diese Herausforderung eine praktikable und evidenzbasierte Grundlage.

Instrumente zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen – Preva-Methodik
Die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen umfasst mehr als nur den einmaligen Einsatz einzelner Messverfahren. Es handelt sich vielmehr um einen kontinuierlichen Prozess, der den sich ändernden Gegebenheiten Rechnung trägt. Dabei sollten folgende Prozessschritte eingehalten werden: die Festlegung von Arbeitsbereichen und Tätigkeiten, die Ermittlung und anschließende Beurteilung der Gefährdungen, Festlegung und Durchführung konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen, Überprüfung der Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und das Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung (Nationale Arbeitsschutzkonferenz, 2011). Inzwischen findet sich eine Vielzahl an Erhebungsverfahren, die beispielsweise in der BAUA-Toolbox (ZIT) zusammengestellt sind. Für den Anwender stellen sich jedoch zwei grundlegende Fragen: Welches Instrument ist für das eigene Unternehmen am besten geeignet und wie muss mit den Ergebnissen nach der Analyse umgegangen werden? Für die Beurteilung der Qualität eines Analyseinstruments und somit auch der damit gewonnenen Daten sind drei Kenngrößen wichtig: Reliabilität (Zuverlässigkeit), Validität (Gültigkeit) und Objektivität (Schütte, 2014).

Eine Erhebungsmethode die sowohl dem Anspruch eines kontinuierlichen Prozesses als auch den qualitativen Anforderungen, die an ein Analyseinstrument gestellt werden, gerecht wird, ist die PREVA-Methodik. Hierbei handelt es sich um ein Vorgehen, dass gemeinsam mit der Berufsgenossenschaft für Energie, Textil, Elektro und Medienerzeugnisse (BG ETEM) entwickelt und in Kooperationsbetrieben erprobt wurde. PREVA geht über die Ersterhebung mit einem einzelnen Instrument hinaus und bietet vielmehr die Begleitung des Unternehmens über den gesamten Prozess der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen – von der ersten Analyse bis hin zur Maßnahmenableitung und Evaluation. Die unternehmensspezifischen Teilschritte des PREVA-Prozesses sind in Abbildung 2 dargestellt.

Der PREVA-Prozess untergliedert sich in einen Grund- und einen Vertiefungsprozess, der durch einen unternehmensinternen Steuerkreis koordiniert wird. Im Grundprozess erfolgt zunächst mittels einer schriftlichen Befragung (PREVA-Basisdiagnostik) eine erste Analyse der psychischen Belastungen und Ressourcen im Unternehmen. Bei der PREVA-Basisdiagnostik handelt es sich um einen Fragebogen, der aus standardisierten und validierten Verfahren besteht und wissenschaftlich international erprobt wurde. Er dient sowohl zur Erfassung der gesetzlich geforderten psychosozialen Belastungen, als auch der Analyse der organisationalen, sozialen und personalen Ressourcen und der individuellen Beanspruchungsfolgen. Im zweiten Prozessschritt erfolgt in Abhängigkeit vom ermittelten Bedarf und den zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen Ressourcen die vertiefende Analyse der Arbeitsbedingungen anhand von Interviews, Workshops und/oder objektiver Arbeitsplatzanalyse. Im Anschluss erfolgt die Integration der gewonnen Daten und die Rückmeldung der Ergebnisse sowie risiko- und ressourcenspezifischer Interventionsmaßnahmen an die Geschäftsführung, Führungskräfte und Mitarbeiter. Die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung der Maßnahmen wird nachfolgend gemeinsam mit dem Steuerkreis bzw. den betroffenen Mitarbeitergruppen besprochen. Dieses Vorgehen hat sich in der betrieblichen Praxis bewährt, da die beschlossenen Maßnahmen auf die Situation der Beteiligten angepasst sind und die wirtschaftlichen Voraussetzungen des Unternehmens berücksichtigen. Dadurch wird die Akzeptanz aller Betroffenen erhöht und eine zeitnahe Realisierung ermöglicht. Im Sinne einer langfristigen Sicherung der physischen und psychischen Gesundheit der Mitarbeiter sieht das Vorgehen nach PREVA die dargestellten Schritte als Teile eines kontinuierlichen Prozesses, der in regelmäßigem Turnus (ca. alle zwei Jahre) durchlaufen werden sollte. Dies entspricht auch den Empfehlungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA). Durch dieses Vorgehen kann zusätzlich der Erfolg der initiierten Maßnahmen überprüft werden.

Kern des PREVA-Prozesses ist die oben erwähnte PREVA-Basisdiagnostik. Dabei handelt es sich um ein Fragebogen-Kompendium an etablierten, publizierten und mehrjährig international angewandten Skalen, die sowohl zur Erfassung der psychosozialen Belastungen als auch möglicher Ressourcen und Beanspruchungsfolgen dient. Einige dieser Skalen und deren Zuordnung zu den drei Bereichen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Dabei ist hervorzuheben, dass die PREVA-Basisdiagnostik kein starres Konzept darstellt, sondern auf unternehmensspezifische Bedingungen und Interessen angepasst werden kann, mit dem Ziel einer bedarfsgerechten und ökonomischen Erhebung aller relevanten Größen. Häufig finden sich in den Unternehmen bereits fest etablierte Mitarbeiterbefragungen anhand von selbst zusammen gestellten Fragebögen. Diese können jedoch nicht für die Gefährdungsanalyse psychischer Belastung, wie es das Arbeitsschutzgesetz vorsieht, verwendet werden.

Ergänzend zur eigentlichen Gefährdungsbeurteilung erfolgt eine Evaluation des gesamten Prozesses (Kirkpatrick, 1979). Im ersten Schritt wird die Zufriedenheit der am Prozess beteiligten Personen mittels Evaluationsinterviews direkt erfragt. Durch den turnusmäßigen Einsatz der PREVA-Basisdiagnostik lassen sich zudem Rückschlüsse ziehen, ob die Mitarbeiter etwas aus den Maßnahmen für sich herausgezogen und in ihr alltägliches Verhalten am Arbeitsplatz integriert haben. Zusätzlich wird die Effektivität der Maßnahmen mittels Kosten-Nutzen Analyse gemessen. Eine der gebräuchlichsten Formen sind hierfür Analysen zum Return on Investment (ROI) (Cascio & Boudreau, 2010). Die Ergebnisse können anschließend in Form von Gesundheitskennzahlen in Qualitätsmanagement-Systeme integriert werden.

Partizipation und ökonomischer Nutzen
Einen besonderen Stellenwert nimmt während des gesamten PREVA-Prozesses die Partizipation des Unternehmens generell sowie der Mitarbeiter und der Akteure des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Speziellen ein. Bereits während der Prozessvorbereitung ist die Beteiligung aller vom Prozess betroffenen Personen für die Akzeptanz und den Erfolg der anstehenden Befragung und Analyse wichtig. Ist diese nicht oder nur in geringem Maße gegeben, so werden vor allem die Daten der subjektiven Erhebung kaum zu aussagekräftigen Ergebnissen führen (beispielsweise aufgrund eines zu geringen Rücklaufs, verfälschter Antworten oder Auslassen einzelner Fragen). Erfahrungsgemäß treten auch bei der Umsetzung der nachfolgenden Maßnahmen häufig Hemmnisse, beispielsweise bedingt durch interne Faktoren und/oder eine reduzierte Akzeptanz, welche zu Lasten der Wirksamkeit gehen, auf. Um dem vorzubeugen ist es notwendig einen Steuerkreis zu bilden, dem Vertreter aller relevanten Interessengruppen (Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretung, Verantwortliche für Arbeitssicherheit – wie Sicherheitsingenieure, SiFa, SIB- Betriebsarzt, einzelne Mitarbeiter, externe Berater) angehören. So können individuelle Bedürfnisse und Bedenken rechtzeitig aufgedeckt und aktiv angegangen werden.

Richter, Nebel und Wolf (2010) berichten, dass die Effektivität präventiver Gesundheitsmaßnahmen deutlich belegt wurde (Bamberg, 2006; Richardson & Rothstein, 2008; Semmer & Mohr, 2001; Van Dierendonck, Haynes, Borrill & Stride, 2004; Wolf, 2012; Zwingmann, 2012). Der Fokus gesundheitsfördernder Arbeiten liegt gegenwärtig zumeist auf dem Sektor sekundärer Prävention, das heißt der Korrektur ungünstiger Arbeitsgestaltung. Das Ziel sollte jedoch das primärpräventive Vorbeugen sowie das gesundheitsförderliche Gestalten von Arbeitsbedingung im Vorfeld sein (Wegge & Richter, 2010). Parks und Steelman (2008) konnten zeigen, dass die Teilnahme an betrieblichen Gesundheitsförderungsprogrammen Absentismus (Fernbleiben von der Arbeit) reduziert und die Arbeitszufriedenheit deutlich zu steigern vermag. Dabei stehen vor allem verhaltensorientierte Interventionen, wie beispielsweise Seminare, Trainings und Coachings, im Vordergrund. Diese setzen am Verhalten der jeweiligen Person an, sind schnell zu realisieren und zeigen bereits nach kurzer Zeit erste Erfolge. Der positive Effekt hält allerdings nur so lange an, wie der Stelleninhaber am jeweiligen Arbeitsplatz tätig ist. Um eine nachhaltige und langfristige Verbesserung herbeizuführen, ist es notwendig, die Arbeitsbedingungen direkt zu modifizieren und tätigkeitsspezifische Kompetenzen aufzubauen (verhältnisorientierten Präventionsmaßnahmen).

Die empirischen Befunde bezüglich der Wirksamkeit arbeitsplatzbezogener Interventionsmaßnahmen sind heterogen (Bamberg, 2004). Nach der Einschätzung von Moldaschl (2010) scheitern siebzig Prozent aller Veränderungsprojekte: “Scheitern bedeutet: sanft versanden, episch einschlafen, unspektakulär aus der Aufmerksamkeitszone driften oder vielsagend totgeschwiegen werden“ (S. 301). Für die geringere Wirksamkeit arbeitsplatzbezogener Maßnahmen werden verschiedene Gründe diskutiert (Richter et al., 2010). Einer der Hauptgründe ist der permanente Wandel in Organisationen, der die implementierten Maßnahmen begleitet und beeinflusst (Semmer, 2003, 2006). Arbeitsorganisationen sind offene Systeme und damit ständigen Schwankungen und Störungen ausgesetzt (Richter et al. 2010). Die Wahrscheinlichkeit für Störungen steigt mit der Komplexität der Organisation und stellt für die Mitarbeiter einen gewissen Grad an Ungewissheit dar. Untersuchungen haben gezeigt, dass dieser Fakt nicht ungeachtet bleiben sollte. Gesundheitsinterventionen sind am erfolgreichsten, wenn sie sich an den spezifischen Problemen der untersuchten Abteilungen orientieren und die betroffenen Mitarbeiter partizipativ einbeziehen (Richter et al., 2010). Veränderungs- oder Umstrukturierungsprozesse beeinflussen in Abhängigkeit der Führungsqualitäten der Prozessverantwortlichen zusätzlich die psychische Gesundheit der Mitarbeiter. Folglich liegt es nahe, bei der Ableitung von Maßnahmen hinsichtlich der Arbeitsaufgaben und personellen Ressourcen, eventuelle Turbulenzen und Störungen, die das ganze Arbeitssystem betreffen, einzubeziehen (Nebel-Töpfer, Wolf & Richter, 2012). Um dies gewährleisten zu können, sollten im Zuge der Maßnahmenableitung konkrete Fristen und Verantwortlichkeiten festgelegt werden. Zudem empfiehlt es sich, den Fortschritt und Erfolg, im Rahmen von Gesprächen mit Verantwortlichen und Betroffenen, in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Bei gravierenden organisationalen Veränderungen wäre hingegen eine erneute, zeitnahe Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und somit die Verkürzung des empfohlenen zwei-Jahres-Turnus sinnvoll.

Neben den unmittelbaren Auswirkungen auf unternehmensinterne Kennzahlen (z. B. weniger Arbeitsunfähigkeitsstage) kann auch der ökonomische Nutzen der initiierten Maßnahmen betrachten werden. Wie Sigrun Fritz 2008 in ihrer Studie feststellt, greift es zu kurz, die Ergebnisse von Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung allein am Krankenstand festzumachen. Allerdings lassen sich „weiche“ Faktoren wie Zufriedenheit oder Motivation der Mitarbeiter, das allgemeine Wohlbefinden oder psychische Beschwerden nur schwer in finanzielle Kenngrößen übertragen.

Zur Kalkulation des Nutzens der durchgeführten Maßnahmen bietet sich eine Kosten-Nutzen-Analyse an. Hier stellen Analysen zum Return on Investment (ROI) eine gebräuchliche Form dar. (Cascio & Boudreau, 2008). Dieser Kennwert gibt das Verhältnis zwischen Nettonutzen und Kosten einer Maßnahme an. Das Ergebnis verdeutlicht, wie viel Nutzen (in Euro) ein investierter Euro einbringt. In einer neuen europäischen Studie „Return on Prevention“ (2011/2012) konnte gezeigt werden, dass sich jeder Euro, den ein Unternehmen in betriebliche Präventionsarbeit investiert, in einem ökonomischen Erfolgspotenzial von 2,20 Euro auszahlt. Es zeichnete sich ab, dass vor allem die mit dem Arbeitsschutz verbundene Verbesserung des Images in der Öffentlichkeit und der Betriebskultur, eine gestiegene Motivation und Zufriedenheit der Mitarbeiter sowie die Reduzierung von Ausfallzeiten und Betriebsstörungen mit sich zieht.

Umsetzung in der Praxis
Erfahrungsgemäß stellt die Umsetzung der betrieblichen Gefährdungsbeurteilung eine große Herausforderung für die Unternehmen dar. Ursächlich hierfür sind zum einen die fehlenden zeitlichen Valenzen für die eigenständige Planung, Umsetzung und Auswertung der Befragung sowie die Ableitung von entsprechenden Maßnahmen. Zum anderen fehlen Kenntnisse und Erfahrung in der Auswertung von Befragungsdaten. Nicht zu vernachlässigen ist in diesem Zusammenhang die Sicherstellung der Anonymität: Werden die Daten in Eigenregie des Unternehmens erhoben, so sind Mitarbeiter häufig misstrauisch, was dazu führt, dass Antworten beschönigt werden oder gar keine Angaben zu bestimmten Themen gemacht werden. Häufig kommt es durch „betriebsblindes“ Verhalten dazu, dass eigentlich relevante Aspekte der Arbeitstätigkeit übersehen und vernachlässigt werden. Externe Experten helfen dabei, wichtige Bereiche zu identifizieren und bedarfsorientierte Maßnahmen zu entwickeln, die zum gewünschten Ziel führen können. Eine weitere Herausforderung stellt die Budgetplanung dar. Diese sollte sich nicht nur über den Erhebungszeitraum erstrecken, sondern auch genügend finanzielle Ressourcen für die Maßnahmenplanung und -umsetzung bereithalten. Bekanntermaßen ist das Wissen um einen bestehenden Veränderungsbedarf bei gleichzeitigem Fehlen der nötigen Mittel für die Umsetzung frustrierend und gefährdend für eine positive Entwicklung.

Viele Unternehmen sind mit der Durchführung der Beurteilung psychischer Belastungen überfordert: Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU), sowie Kleinstunternehmen oder Einzelunternehmer fehlt es bisher an standardisierten und geeigneten Unterstützungsangeboten. An dieser Stelle sind die Berufsgenossenschaften gefordert, die den Unternehmen bereits erste gute Handlungshilfen zur Verfügung stellen. Für eine nachhaltige und erfolgreiche Implementierung des Gefährdungsbeurteilungsprozesses ist eine Unterstützung durch externe Experten und standardisierte Prozesse ratsam, die in die Unternehmenspraxis übernommen werden kann (Bspw. Multiplikatorenausbildung). Diese helfen sowohl bei der Planung des Prozesses und der Schaffung entsprechender Strukturen als auch bei der Qualifikation betrieblicher Akteure (Multiplikatoren) für die jeweiligen Bereiche, so dass nach einem ersten Durchlauf eine selbstständige Weiterführung des Prozesses möglich ist. Die PREVA-Methodik wurde bereits in vielen unterschiedlichen Branchen zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen eingesetzt. Um den Anforderungen und Gegebenheiten der einzelnen Unternehmen und Branchen gerecht werden zu können, erfolgte eine Anpassung auf den unternehmensspezifischen Kontext. Nachfolgend werden zwei Beispiele aus der Praxis näher vorgestellt.

Gefährdungsbeurteilung in einem Großkonzern
In einem deutschen, international operierenden Dienstleistungsunternehmen erfolgte zunächst die schriftliche Befragung des gesamten Konzerns mittels PREVA-Basisdiagnostik (vgl. Abbildung 3).

Entsprechend der Skalenmittelwertewurde eine Klassifizierung der Subskalen (bspw. Arbeitsintensität, Tätigkeitsspielraum, soziale Unterstützung, psychisches Wohlbefinden) in kritisch, bedenklich und unkritisch vorgenommen. Bei den Teams, in denen drei Subskalen als kritisch eingestuft wurden, schloss sich die vertiefende Analyse mittels Interviews und/oder Teamworkshops an. Anschließend erfolgte eine Aufstellung wissenschaftlich fundierter Handlungsempfehlungen. Für die Umsetzung der Maßnahmen wurden verschiedene Prozessbegleiter aus dem Unternehmen rekrutiert. Nach knapp drei Monaten erfolgte ein circa 60-minütiges Telefoninterview mit den jeweiligen Prozessbegleitern um den aktuellen Stand des Maßnahmenplans zu eruieren. Abschließend wurde um eine Einschätzung hinsichtlich des weiteren Handlungsbedarfs gebeten. Entsprechend wurde anschließend das weitere Vorgehen festgelegt. Somit kam es entweder zu einer erneuten Telefonkonferenz mit relevanten Entscheidungsträgern des Unternehmens (in dem Fall, dass wesentliche Handlungsfelder noch nicht bearbeitet wurden), zu einem wiederholten Telefoninterview nach ca. drei Monaten mit den Prozessbegleitern (insofern der Veränderungsprozess noch nicht abgeschlossen war) oder zum Abschluss des PREVA-Folgeprozesses (wenn kein weiterer Handlungsbedarf aus Sicht des Prozessbegleiters bestand). Nach zwei Jahren erfolgte erneut eine psychische Gefährdungsbeurteilung (Grund- und Vertiefungsprozess). Der inzwischen gefestigte Prozess ist zu diesem Zeitpunkt fester Bestandteil des Gesundheitsmanagement und des Gefährdungsbeurteilungskonzeptes.

Besondere Herausforderungen ergeben sich im Hinblick auf die Beurteilung psychischer Gefährdungen für Klein- und Kleinstunternehmen: häufig stehen ihnen nur ein geringes Investitionsvolumen für die Erhebung und die Maßnahmenumsetzung sowie knappe zeitliche Ressourcen zur Verfügung. Hinzu kommt ein Mangel an professionellen Strukturen zum Gesundheitsmanagement und zur Personalentwicklung oder ein kaum vorhandener fester Betriebsarzt. Aus der geringen Beschäftigtenzahl resultieren zudem Einschränkungen und vor allem Befürchtungen hinsichtlich der Anonymität bei den zu befragenden Mitarbeitern. Zur Überwindung dieser Herausforderungen bietet sich ein unternehmensspezifischer Beratungsprozess an, welcher nachfolgend näher vorgestellt wird.

Gefährdungsbeurteilung in einem Kleinunternehmen
In einem kleinen Handwerkerbetrieb mit zwanzig Mitarbeitern wurde in einem ersten Schritt das Unternehmen hinsichtlich der Hintergründe, Anliegen und Ziele der psychischen Gefährdungsbeurteilung beraten. Gemeinsam wurde ein Vorgehen erarbeitet, dass für den Betrieb am geeignetsten und praktikabelsten war (siehe Abbildung 4).

Im Rahmen dieses ersten Prozessschrittes erfolgten weitere Gespräche zur Festlegung des genauen Vorgehens, des Zeitrahmens, der Kosten und zur Kommunikation im Unternehmen. Nachdem im Rahmen einer Mitarbeiterversammlung die Vorgehensweise erläutert wurde, erfolgten mehrere Analysegespräche. Die Teilnahme an den Interviews war freiwillig und anonym, sodass dem Arbeitgeber keine Informationen vorlagen, welcher Mitarbeiter sich für ein solches Interview bereit erklärt hatte. Ziel der Gespräche war die Informationsgewinnung über mögliche Fehlbelastungen, Ressourcen und Beanspruchungsfolgen. Zusätzlich zu den so gewonnenen subjektiven Einschätzungen wurden Arbeitsplatzbeobachtungen durchgeführt. Die subjektiven Daten aus den Interviews und die objektiven Befunde auf Grundlage der Arbeitsplatzbeobachtungen wurden dann in aggregierter Form den Führungskräften und Mitarbeitern vorgestellt und im Rahmen von Ergebnisworkshops (mit Werkstattmitarbeitern und Verwaltungsangestellten) näher betrachtet. Ziel der jeweils dreistündigen Workshops war es, Handlungsfelder zu priorisieren und praktikable Maßnahmen abzuleiten. Bei der anschließenden Maßnahmenumsetzung standen dem Unternehmen die PREVA-Experten zur Seite. Durch die Dokumentation der Maßnahmen sowie die Festlegung von Verantwortlichkeiten und Fristen erhöhte sich die Verbindlichkeit. Im Rahmen von wiederkehrenden Gesprächen konnte der aktuelle Stand der Maßnahmen besprochen werden.

Um einen nachhaltigen Präventionserfolg erzielen zu können, ist auch bei dieser beispielhaften Vorgehensweise eine Wiederholung der Prozessschritte im Zweijahresturnus ratsam.

Die Wirkung von Interventionsprogrammen ist unmittelbar nach deren Durchführung am stärksten und nimmt dann an Effektivität ab. Um die Effekte langfristig nutzen zu können und für die Amortisierung der getätigten Investitionen in die Gesundheitsförderung müssen die Unternehmen nachhaltig und konsequent die Gesundheit ihrer Mitarbeiter fördern (Richter, Buruck, Nebel & Wolf, 2011). Für die Gefährdungsbeurteilung hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Zusammenarbeit mit der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz (NAK) fünf „Merkmale guter Praxis“ zusammengetragen. Hierzu zählen die Relevanz der beurteilten psychischen Belastungsfaktoren, die Glaubwürdigkeit hinsichtlich deren Darstellung und Beurteilung, die Genauigkeit der Beschreibung der psychischen Belastungssituation, die Nachvollziehbarkeit von Ergebnissen und Entscheidungen für die betrieblichen Akteure/Aufsicht und die Information und Beteiligung von Beschäftigten und Führungskräften – Merkmale, die die Grundvoraussetzung für eine langfristig erfolgreiche Gesundheitsförderung bilden und die sich auch im Vorgehen nach PREVA wiederfinden.

Resümee
Mit der Überarbeitung des Arbeitsschutzgesetzes hat der Gesetzgeber einen ersten Schritt hin zur langfristigen und nachhaltigen Sicherung sowohl der körperlichen als auch der geistigen Arbeitsfähigkeit unternommen. Insbesondere die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen stellt für die Unternehmen eine große Herausforderung dar. Trotz diverser Handlungshilfen und Unterstützungsangebote seitens der Berufsgenossenschaften gehört die Beurteilung psychischer Gefahren bei der Arbeit eher zur Seltenheit. Dafür gibt es viele verschiedene Gründe: fehlende zeitliche Valenzen, unzureichende Budgetplanung, Probleme bei der glaubwürdigen Sicherstellung der Anonymität bei der Durchführung in Eigenregie oder mangelndes Fachwissen und Erfahrung.

Dabei zahlen sich Investitionen in eine nachhaltige und konsequente Gesundheitsförderung vor allem langfristig aus: zufriedene, engagierte und gesunde Mitarbeiter bleiben dem Unternehmen länger erhalten und steigern die Attraktivität der Firma als (potentieller) Arbeitgeber. Das spart Kosten bei der Akquise und Einarbeitung neuer Arbeitnehmer und führt zu einer Steigerung der Produktivität beispielsweise aufgrund geringerer Ausfallzeiten.

Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen erfordert jedoch auch eine gewisse Expertise, da sie über die Ansprüche, die an eine typische Mitarbeiterbefragung gestellt werden, weit hinausgeht. Um die Beurteilung psychischer Gefahren fest im Unternehmensalltag zu verankern und die Gesundheit der Mitarbeiter langfristig und nachhaltig fördern zu können, müssen zunächst entsprechende Strukturen im Unternehmen geschaffen und Prozessabläufe etabliert werden. Für die Durchführung der eigentlichen Gefährdungsbeurteilung stehen anschließend eine Vielzahl an Erhebungsinstrumenten zur Verfügung: Doch welches ist für die unterschiedlichen Anforderungsbereich innerhalb eines Unternehmens geeignet? Und wie werden die Ergebnisse anschließend ausgewertet, sodass brauchbare Maßnahmen abgeleitet werde können? Wie kann überprüft werden, ob die Maßnahmen auch den gewünschten Erfolg bringen? Erfahrungsgemäß bestehen diese Probleme in vielen Unternehmen. Für die erfolgreiche Erstdurchführung ist es daher ratsam, sich von externen Experten beraten zu lassen, um zukünftig den Prozess optimal in Eigenverantwortung durchführen zu können.

Bei der Unterstützung durch einen externen Berater sollten Unternehmer darauf achten, dass dieser aussagekräftige Informationen über die einzelnen Prozessschritte, die Steuerung des Prozesses, die Nachbereitung und hinsichtlich einzubeziehender Gremien geben kann. Des Weiteren sollten die Kenntnisse über das eigene präferierte Verfahren hinausgehen und mehrere Instrumente, die sowohl über eine wissenschaftlich fundierte Basis verfügen als auch bereits in der Praxis erprobt wurden, zur Auswahl gestellt werden, welche an die Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens angepasst werden können. Merkmal eines guten Beraters ist ein hohes Maß an Vertrauenswürdigkeit und Verantwortungsbewusstsein hinsichtlich des Datenschutzes, welches sich u. a. in der sorgfältigen Planung von Informations- und Kommunikationskonzepten zeigt.

Literatur

1. Demerouti, E., Bakker, A. B., Nachreiner, F., & Schaufeli, W. B. (2001). The job demands-resources model of burnout. Journal of Applied Psychology, 86, 499–512.

2. Bamberg, E. (2006). Die Effektivität betrieblicher Gesundheitsförderung – eine Frage der Untersuchungsmethode. Wirtschaftspsychologie, 8, 206–219.

3. Beck, D., Richter, G., Ertel, M. & Morschhäuser, M. (2012). Gefährdungsbeurteilung bei psychischen Belastungen in Deutschland – Verbreitung, hemmende und fördernde Bedingungen. Prävention und Gesundheitsförderung, 7, 115–119.

4. BKK Dachverband. (2013). Gesundheitsreport 2013 – Gesundheit in Bewegung. Abgerufen am 06.02.2014 von http://www.bkk-dv.de/images/bkk/gesundheitsreport/2013/materialien/BKK-Gesundheitsreport_2013.pdf.

5. Bödeker, W. & Friedrichs, M. (2011). Gutachten von Dr. Wolfgang Bödeker und Michael Friedrichs: Kosten der psychischen Erkrankungen und Belastungen in Deutschland. In L. Kamp & K. Pickshaus (Hrsg.), Regelungslücke psychische Belastungen schließen (S. 69–102). Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung.

6. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. (2014). Sicherheit und Gesundheit in der Arbeit 2012 – Unfallverhütungsbericht Arbeit. Abgerufen am 01.07.2014 von http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/Suga-2012.html.

7. Debitz, U., Buruck, G., Mühlpfordt, S. & Schmidt, H. (2007). Screening Gesundes Arbeiten (SGA) überarbeitete, aktualisierte Version. Methodensammlung. Technische Universität Dresden. Institut für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie.

8. Ducki, A. & Kalytta, T. (2006). Gibt es einen Ressourcenkern? Überlegungen zur Funktionalität von Ressourcen. Wirtschaftspsychologie, 2/3, 30–39.

9. Ducki, A. (2010). Arbeitsbedingte Mobilität und Gesundheit – Überall dabei – Nirgendwo daheim. In B. Badura, H. Schröder, J. Klose & K. Macco (Hrsg.), Fehlzeiten-Report 2009: Arbeit und Psyche: Belastungen reduzieren – Wohlbefinden fördern (S. 61–70). Heidelberg: Springer.

10. Felfe, J., Six, B. & Schmook, R. (2002). Fragebogen zur Erfassung von affektivem, kalkulatorischem und normativem Commitment gegenüber der Organisation, dem Beruf/der Tätigkeit und der Beschäftigungsform (COBB). In A. Glöckner-Rist (Hrsg.), ZUMA-Informationssystem. Elektronisches Handbuch sozialwissenschaftlicher Erhebungsinstrumente (Version 7.00). Mannheim: Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen.

11. Hobfoll, S. E. (2002). Social and Psychological Resources and Adaptation. Review of General Psychology, 6, 307–324.

12. Lohmann-Haislah, A. (2012). Stressreport Deutschland 2012. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

13. Nationale Arbeitsschutzkonferenz (2011). Leitlinie Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation. [Onlinedokument] Verfügbar unter: www.gda-portal.de/de/pdf/Leitlinie-Gefaehrdungsbeurteilung.pdf.

14. Parks, K. M., & Steelman, L. A. (2008). Organizational wellness programs: A meta-analysis. Journal of Occupational Health Psychology, 13(1), 58.

15. Richter, P., Hemmann, E., Merboth, H., Fritz, S., Hansgen, C., & Rudolf, M. (2000). Das Erleben von Arbeitsintensität und Tätigkeitsspielraum-Entwicklung und Validierung eines Fragebogens zur orientierenden Analyse (FIT). Zeitschrift für Arbeits-und Organisationspsychologie, 44(3), 129–139.

16. Richter, P., Nebel, C. & Wolf, S. (2010). Ja, mach nur einen Plan! Gesundheitsinterventionen in turbulenten Zeiten. In T. Rigotti, S. Korek & K. Otto (Hrsg.), Gesund mit und ohne Arbeit (S. 73 – 90). Lengerich: Pabst Science Publishers.

17. Richter, P. & Hacker, W. (2012). Belastung und Beanspruchung: Stress, Ermüdung und Burnout im Arbeitsleben. Kröning: Asanger Verlag.

18. Richardson, K.M. & Rothstein, H.R. (2008). Effects of occupational stress management intervention programs: A meta-analysis. Journal of Occupational Health Psychology, 13, 69–93.

19. Schütte, M. & Köper, B. (2013). Veränderung der Arbeit. Bundesgesundheitsblatt, 56, 422–429.

20. Sczesny, C., Keindorf, S. & Droß, P. (2011). Kenntnisstand von Unternehmen auf dem Gebiet des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in KMU. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Abgerufen am 10.02.2014 von http://www.baua.de/de/Publikationen/Fach-beitraege/F1913.html?nn=667378.

21. Semmer, N.K. & Mohr, G. (2001). Arbeit und Gesundheit: Konzepte und Ergebnisse der arbeitspsychologischen Stressforschung. Psychologische Rundschau, 52, 150–158.

22. Udris, I., Kraft, U., Mussmann, C. & Rimann, M. (1992). Arbeiten, gesund sein und gesund bleiben: Theoretische Überlegungen zu einem Ressourcenkonzept. In I. Udris (Hrsg.), Arbeit und Gesundheit: Psychosozial (Band 52, S. 9–22). Weinheim: Psychologie Verlags Union.

23. Van Dierendonck, D., Haynes, C., Borrill, C. & Stride, C. (2004). Leadership behavior and subordinate well-being.

Aktuelle Ausgabe

Partnermagazine

Akademie

Partner