Kann eine giftige Arbeitsumgebung eine gesunde Arbeit bieten?
Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig gesunde Arbeit zu definieren. Eine mögliche Definition bietet Staudinger1 an, die sich an Antonovskys2 Definition (in: Unraveling the mystery of health) von Gesundheit orientiert. Danach ist eine gesunde Arbeit durch die Faktoren Handhabbarkeit, Verstehbarkeit und Sinnhaftigkeit gekennzeichnet. Obwohl Antonovsky diese drei Aspekte zum so genannten Kohärenzsinn zusammenfasst, ist es für unsere Fragestellung sinnvoll, die verschiedenen Faktoren einzeln zu betrachten. Eine Arbeit ist dann verstehbar, wenn der Mitarbeiter die vorgegebenen Ziele der Arbeit verstehen kann und die Möglichkeit hat, sich die Ziele seiner Arbeit zu eigen zu machen. Beispielsweise sehe ich als Mitarbeiter im Baugewerbe, dass meine Arbeit dazu beiträgt, ein Gebäude zu errichten. Sinnvoll oder sinnhaft wird die Arbeit dann, wenn das Engagement für das Ziel der eigenen Arbeit Anerkennung ermöglicht. Dabei ist die Anerkennung und Wertschätzung für sich selbst ebenso wichtig, wie die soziale Anerkennung, die dem Menschen wegen dieser Arbeit von anderen entgegen gebracht wird. Auch wenn dies für fast jede Tätigkeit gelten kann, zeigt dies besonders deutlich der Beruf des Arztes auf. Der Arzt schätzt sich selbst dafür, dass er anderen in ihrer Krankheit und Not helfen kann und erfährt von außen Anerkennung dafür, in diesen Situationen helfen und unterstützen zu können. Die Handhabbarkeit beschreibt die Möglichkeit, dass Mitarbeiter eigene Akzente in der Arbeit setzen können. Was bedeutet diese Handhabbarkeit im Sinne Antonovskys? Die Handhabbarkeit ist ein Kriterium, das den Konstrukten der Selbstwirksamkeitserwartung3 und der Internalen Kontrollüberzeugung4, 5 gleicht. Der Kern dieser drei Konstrukte ist die Überzeugung der Person, dass sie durch ihr Handeln in der Umwelt etwas bewirken und verändern kann. Die Umwelt dies ist in unserem Kontext der Arbeitsplatz kann durch das eigene Handeln gestaltet und verändert werden.
Aus dieser Definition können sich Empfehlungen für eine Arbeit, die gesund erhält, ableiten lassen.
Suche Dir eine Arbeit, die sinnvoll ist, die hohe Anerkennung mit sich bringt und bei der Du Einflussmöglichkeiten hast, Deine Arbeit mit zu gestalten.
Doch wie ist es mit Berufen deren Anerkennung sich im Lauf der Ausübung ändern (z.B. Lehrer) oder wenn die Gestaltungsspielräume aufgrund der Größe des Unternehmens eingeschränkt sind (z.B. Behörden mit mehreren 1000 Mitarbeitern). In diesen Fällen müssten alle Mitarbeiter ihre Gesundheit einbüßen. Es gibt immer Mitarbeiter, die unter widrigsten Umständen gesund bleiben und Mitarbeiter, die trotz guter Umstände erkranken. Ein moderierender Faktor sind die Kognitionen, die die Mitarbeiter selbst zu ihrer Arbeit, insbesondere im Bezug auf die genannten Aspekte einer gesunden Arbeit, haben.
In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, einen Einblick in Forschungsergebnisse zu geben, die versuchen die Frage zu beantworten: Wie kann es sein, dass Nichts wirkt?. Die Kognition, also die Gedankenwelt des Individuums, wird zum Moderator seiner individuellen Wirklichkeit. In der Arbeit mit dem Titel: Negatives Placebo Elektrosmog wirkt auch ohne Strahlung stellten Fox et. al.6 fest, dass die Angst vor einer möglichen Belastung durch Mobilfunksendemasten unabhängig von deren Aktivität physiologisch nachweisbar ist. Probanden, die sich selbst als strahlungssensibel einschätzten, zeigten in der Nähe eines ausgeschalteten (aber vermutet eingeschalteten) Mobilfunksenders Symptome wie Übelkeit, Kopfschmerzen oder grippeähnliche Krankheitszeichen. Objektive Messungen ergaben u.a. Änderungen der Herzfrequenz und der Hautfeuchtigkeit. Vergleichbare Ergebnisse stellt Ariely7 in Predictably Irrational vor. In diesem Kontext muss insbesondere auf den Effekt der Erwartung verwiesen werden.
Bei arthroskopischen Knieoperationen in drei Varianten: Einer arthroskopischen korrektiven Operation sowie einer Placebo-Operation, bei der das Kniegelenk mit einer Kochsalzlösung gespült wurde und Placebo-Operation, bei der nur ein oberflächlicher Hautschnitt gesetzt wurde. In allen drei Bedingungen zeigten sich keine Unterschiede in der Wirksamkeit und der Dauer der Beschwerdefreiheit der Patienten im Anschluss8.
Ebenso erstaunlich ist die ungleiche Wirksamkeit von Placebos (sic! die Kapseln enthielten nur Vitamin C) in Abhängigkeit vom Preis. Das Placebo wurde in einer Druckschrift beworben. Dabei unterschieden sich die beiden Druckschriften nur im Preis für das Arzneimittel (2,50 $ und 10 ct.). Die Wirksamkeit wurde anhand von (echten!) Stromstößen pysiologisch gemessen. Das Placebo der ersten Bedingung verringerte die Schmerzen. Das Placebo der zweiten Bedingung war bei Patienten, die viel Erfahrung mit Schmerzmitteln hatten, weniger wirksam. Diese kleine Auswahl von Forschungsergebnissen zeigen alle auf das Phänomen der Wirksamkeit von Kognitionen und Erwartungen hin.
Was bedeuten diese Konstrukte für die Praxis?
Neben den tatsächlichen Einwirkungen der Realität, wie Arbeitsumgebung, Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitsorganisation wirken unsere Kognitionen und Erwartungen auf unsere körperlich nachweisbare Gesundheit ein. Die relevanten psychologischen Konstrukte sind: hohe Selbstwirksamkeit, hohe internale Kontrollüberzeugung und geringe Ängstlichkeit. Es zeigt sich also, dass für einen gesunden Arbeitsplatz neben den äußeren objektiven Bedingungen auch protektive und gesund erhaltende Faktoren der Psyche des Individuums relevant sind. Objektive Bedingungen die eine positive Stärkung dieser Konstrukte fördern, sind Elemente der Mitbestimmung, der Veränderung und des Vertrauens in der Arbeit.
Was sagen/denken die Mitarbeiter?
Eine Befragung von Lindemeier9 mit offenen Fragen an zwölf Mitarbeiter aus dem Deponierückbau sollte einen Einblick gewähren ob die beschriebenen Forschungsergebnisse sich auch in Bezug auf die Arbeit und das Tragen persönlicher Schutzausrüstung wiederfinden lassen. Optimalerweise würden die Mitarbeiter auf Ihre Handlungs- und Einflussmöglichkeiten fokussieren (hohe Selbstwirksamkeit, hohe internale Kontrollüberzeugung). Die Ergebnisse von 75% der Beteiligten stützten diese Hypothese. Befragt wurden Gedanken zur Arbeit, zur Persönlichen Schutzausrüstung (PSA) und zu ihrer Gesundheit. Von den Mitarbeitern wurden die folgenden Gedanken mit hoher internaler Kontrollüberzeugung, hoher Selbstwirksamkeit und geringer Ängstlichkeit berichtet:
· Ich habe keine Sorgen.
· Ich habe keine Sorgen, keine Ängste, besonders dann nicht, wenn ich Bagger fahre.
· Ich habe Vertrauen in die Sicherheitsvorkehrungen.
· Ich fühle mich sicher durch PSA.
· Ich achte auf fachgerechten Einsatz der PSA.
· Ich bin durch PSA ausreichend geschützt.
Drei von zwölf Mitarbeitern hatten tendenziell von Gedanken berichtet, die sich weniger unterstützend auswirken. Dies waren beispielsweise:
· Reicht die PSA aus?
· Gewisse Angst trotzdem vorhanden.
· Wie gesundheitsschädlich ist die Arbeit für mich?
· Habe Angst vor gesundheitlichen Gefahren.
· Mache mir Sorgen um Langzeitfolgen, eine unmittelbare Gefahr ist wohl nicht gegeben.
· Können die Einflüsse später Krebs auslösen?
· Habe Sorge, dass Gefahr unterschätzt wurde.
· Habe Angst wegen gesundheitlicher Folgen (2x)
Was können Führungskräfte und Unternehmen tun um Ihre Mitarbeiter zu unterstützen?
Es sollten Möglichkeiten geschaffen werden, in Arbeitsalltag Gedanken und Bedenken äußern zu können. Ein moderiertes Gespräch, was helfen kann die Bedenken zu zerstreuen bzw. ein modellhaftes Aufzeigen, wie andere Mitarbeiter mit diesen Sachverhalten umgehen, kann sehr unterstützend wirken. Im Bedarfsfall, z.B. wenn sich Ängste bereits verfestigt haben, könnten Mitarbeiter durch Coaching oder Psychotherapie bei der Veränderung ihrer Gedanken unterstützt werden. Es geht dabei nicht darum, schlechte Arbeitsbedingungen schön zu denken, sondern die Mitarbeiter in ihrer Persönlichkeit und mit ihren Bedenken ernst zu nehmen. Gleichzeitig können und sollten sie dabei unterstützt werden, sich stärker auf internale Kontrollüberzeugungen, hohe Selbstwirksamkeitserwartungen und geringere Ängstlichkeit zu Fokussieren. Die kognitive Umstrukturierung ist eine therapeutische Methode zur Veränderung der eigenen Gedankenwelt. Die eigenen Kognitionen sind kein Schicksal sondern bewusst und aktiv veränderbar. Diese Veränderbarkeit der Kognitionen wird zum Beispiel im Praxishandbuch psychische Belastungen im Beruf10 im Kapitel Bewältigung von Belastungen, Aufbau von Ressourcen beschrieben.
Literatur
1. Staudinger U. zitiert aus Vortrag von Windemuth D. Arbeit, Gesundheit und Glück, Fachveranstaltung IAG Gesundheitsfaktor Arbeit gesund und glücklich durch Arbeit. Dresden (2005)
2. Antonovsky A. Unraveling the mystery of health. How people manage stress and stay well. Jossey-Bass, San Francisco 1987
3. Bandura A. Self efficacy: Toward a unifying theory of behavior change. Psychological Review 1977; 84: 191215
4. Rotter JB. Generalized expectancies for internal vs. external control of reinforcement. Psychological Monographs 1966; 80 (1): 128
5. Rotter JB. Some problems and misconceptions related to the construct of internal vs. external control of reinforcement. Journal of Clinical and Consulting Psychology 1975; 43: 5667
6. Fox E. et al. Does short-term exposure to mobile phone base station signals increase symptoms in individuals who report sensitivity to electromagnetic fields ? A double-blind randomized provocation study. Environmental Health Perspectives 2007; 115 (11): 16031608
7. Ariely D. Predictably Irrational 2008. New York: Harper Collins
8. Moseley JB et al. A controlled trial of arthroscopic surgery for Ostheoarthritis of the Knee. The New England Journal of medicine 2002; 347 (2): 8188
9. Lindemeier B. 2009 nicht publiziert
10. Windemuth D, Jung D, Petermann O (Hrsg.). Praxishandbuch psychische Belastungen im Beruf 2010; Universum Verlag