Die gute Nachricht vorab: Der Anteil deutscher Arbeitnehmer, die emotional nicht an ihren Arbeitgeber gebunden sind, ist zum zweiten Mal infolge gesunken. Der positive Trend scheint sich zu verfestigen: Aktuell zählen 15 Prozent der Beschäftigten zu den Mitarbeitern, die bereits innerlich gekündigt haben. Allerdings verharrt der Anteil der emotional hoch gebundenen Arbeitnehmer die Leistungsträger in den Unternehmen auf unverändert niedrigem Niveau von 15 Prozent. Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten (70 Prozent) zählen zu den gering gebundenen Mitarbeitern und machen Dienst nach Vorschrift. Die hohe Zahl von Inneren Kündigern kostet die deutsche Wirtschaft jährlich zwischen 73 und 95 Mrd. Euro. Dies sind die zentralen Ergebnisse des Gallup Engagement Index. Da die emotionale Mitarbeiterbindung unmittelbar von dem Führungsverhalten des direkten Vorgesetzten beeinflusst wird, liegt der diesjährige Fokus auf den Führungskräften.
Wir haben uns in diesem Jahr unter anderem intensiv mit der Frage beschäftigt: Wie sieht der typische Vorgesetzte aus?, erklärt Marco Nink, Senior Practice Consultant bei Gallup. Das Ergebnis: Die durchschnittliche Führungskraft ist 45,8 Jahre alt, männlich (75 Prozent), arbeitet Vollzeit (87 Prozent), verfügt als formale Bildung mindestens über einen Realschulabschluss (88 Prozent) und hat im Schnitt 9,7 Jahre Führungserfahrung. Die Mehrheit (52 Prozent) der Vorgesetzten führt weniger als 10 Mitarbeiter. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Führungskräften liegt bei 43,3 Stunden pro Woche.
Fachkompetenz und Erfahrung sind die häufigsten Gründe für Beförderungen in Führungspositionen: Rund die Hälfte (51 Prozent) der Führungskräfte sind in ihre derzeitige Position gekommen, weil sie viele Erfahrungen in ihrem Arbeitsgebiet gesammelt haben und längere Zeit im Unternehmen tätig sind. 47 Prozent der Führungskräfte wurden befördert, da sie in ihrer vorherigen Position ohne Führungsverantwortung erfolgreich waren. Marco Nink betrachtet diese Praxis der Führungskräfteauswahl in deutschen Unternehmen als problematisch: Verschiedene Gallup-Studien haben ergeben, dass nur ein geringer Teil der Menschen für eine Führungsposition geeignet ist. Erfahrungen und fachliche Kompetenzen sind zwar von Vorteil für eine Position als Führungskraft, dennoch ersetzen sie nicht das nötige Talent.
Die drei Z für hervorragende Führung
Davon abgesehen gibt es Anhaltspunkte, wie Unternehmen Führungskräfte weiterentwickeln können, betont Marco Nink: Die drei Z für hervorragende Führung sind Zugänglichkeit, Zuständigkeit und Zielorientierung und damit verbundene Verhaltensweisen, die über die zentralen Bedürfnisse am Arbeitsplatz etwa konstruktivem Feedback, Lob und Anerkennung für gute Arbeit oder die Einbindung von Mitarbeitern in Entscheidungen hinausgehen. Zugänglichkeit meint, inwieweit der Vorgesetzte für die Mitarbeiter ansprechbar ist auch bei Themen, die nicht die eigentliche Arbeit betreffen. Von den Befragten, die vollständig der Aussage Ich habe das Gefühl, dass ich mich immer an meinen Vorgesetzten wenden kann, egal welche Frage ich habe zustimmen, sind 31 Prozent emotional hoch an ihren Arbeitgeber gebunden. Von den Beschäftigten, die dieser Aussage widersprechen, sind nur zwei Prozent emotional hoch gebunden. Arbeitnehmer, die mit ihrem Vorgesetzten auch über Dinge sprechen können, die nichts mit der Arbeit zu tun haben, sind zu 25 Prozent hoch emotional an das Unternehmen gebunden. Von den Befragten, die diese Aussage verneinen, sind nur vier Prozent emotional hoch gebunden.
Zuständigkeit steht dafür, dass Führungskräfte wissen, an welchen Aufgaben und Projekten ihre Mitarbeiter gerade arbeiten, wie sie ihre Mitarbeiter für deren Leistung verantwortlich halten und kommunizieren, erklärt Marco Nink. Von den Befragten beispielsweise, die vollständig zustimmen, dass ihr Vorgesetzter ihre Aufgaben und Projekte kennt, haben 23 Prozent eine hohe emotionale Bindung, aber nur fünf Prozent derjenigen, bei denen dies nicht der Fall ist. Und von Befragten, die regelmäßige Besprechungen im Team haben, sind 20 Prozent emotional hoch gebunden. Aber nur elf Prozent der Mitarbeiter, bei denen keine regelmäßigen Meetings stattfinden, zählen zur Gruppe der emotional Hochgebundenen.
Zielorientierte Führungskräfte unterstützen ihre Teammitglieder dabei, Prioritäten bei der Arbeit und Leistungsziele festzulegen. Sie konzentrieren sich auf die Stärken der Mitarbeiter, anstatt auf deren Schwächen, sagt Marco Nink. Von den Befragten mit Vorgesetzten, die den Fokus auf ihre Stärken legen, weisen 36 Prozent eine hohe Bindung auf. Von den Mitarbeitern, bei denen diese Aussage nicht zutrifft, sind nur zwei Prozent emotional hoch gebunden. Nur 33 Prozent der in Bezug auf ihr Führungsverhalten befragten Führungskräfte stimmen der Aussage zu: Ich lege meinen Schwerpunkt eher auf die Entwicklung der Stärken oder positiven Eigenschaften meiner Mitarbeiter, weil das die Bereiche sind, in denen sie am besten sind. Marco Nink erklärt: Das bedeutet allerdings nicht, Schwächen zu ignorieren. Nur Mitarbeiter, die ihre Defizite kennen, können diese zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit Kollegen ausgleichen. In keinem Fall jedoch ist es zielführend, zu viel Energie, Zeit und finanzielle Mittel in die Behebung von Schwächen zu investieren und darauf zu verwenden, dass der Mitarbeiter höchstens ein mittelmäßiges Niveau erreicht.
Folgen von Führungsfehlern für Unternehmen und Mitarbeiter
Wenn das Führungsverhalten nicht stimmt und die Situation am Arbeitsplatz schlecht ist, leiden letztlich die Mitarbeiter psychisch und physisch darunter, ergänzt Marco Nink. Dies kann auch gravierende Auswirkungen auf das private Umfeld haben. Niemand gibt Stress am Werktor oder am Empfang ab, wenn er nach Hause geht, sondern nimmt ihn mit. So empfinden Beschäftigte ohne emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber eher das Gefühl ausgebrannt zu sein (60 Prozent, emotional hoch gebundene Mitarbeiter: 21 Prozent) und lassen ihren Arbeitsstress eher an Freunden und Familie aus (41 Prozent, emotional hoch gebundene Mitarbeiter: neun Prozent). Auch haben sie weniger Spaß bei der Arbeit (fünf Prozent, emotional hoch gebundene Mitarbeiter: 83 Prozent).
Ein Viertel der befragten Arbeitnehmer hat schon einmal seine Arbeitsstelle wegen eines Vorgesetzten gekündigt, um das eigene Wohlbefinden zu verbessern. 19 Prozent der Mitarbeiter ohne emotionale Bindung sind aktiv auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. Weitere 23 Prozent schauen sich um, suchen aber nicht aktiv. Unter den emotional hoch gebundenen Mitarbeitern ist hingegen nur ein Prozent der Mitarbeiter aktiv auf Arbeitsplatzsuche und sechs Prozent schauen sich um. Marco Nink: Die nicht vorhandene emotionale Bindung von Mitarbeitern ist aufgrund der Fluktuationsneigung gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels für Unternehmen ein Problem. Darüber hinaus weisen emotional nicht gebundene Mitarbeiter im Schnitt fünf Tage mehr Fehlzeiten auf als ihre emotional hoch gebundenen Kollegen. Nink: Jeder Fehltag kostet ein Unternehmen im Schnitt 252 Euro. Aus dem Mehr an Fehlzeit aufgrund fehlender oder nur geringer emotionaler Mitarbeiterbindung entstehen einem Unternehmen mit 2.000 Mitarbeitern Kosten in Höhe von rund 1,3 Millionen Euro.
Führung ist ein Hebel für den Erfolg von Unternehmen, fasst Marco Nink die Ergebnisse zusammen. Gute Führung steigert die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen schlechte Führung hingegen ist ein kritischer Kostenfaktor.
Über den Engagement Index Deutschland
Seit dem Jahr 2001 erstellt Gallup jährlich, anhand von zwölf Fragen zum Arbeitsplatz und -umfeld, den sogenannten Q12®, den Engagement Index für Deutschland. Die Studie gibt Auskunft darüber, wie hoch der Grad der emotionalen Bindung von Mitarbeitern und damit das Engagement und die Motivation bei der Arbeit ist. Für die jüngste Untersuchung wurden insgesamt 2.034 zufällig ausgewählte Arbeitnehmer ab 18 Jahren in drei Erhebungswellen zwischen April und Dezember 2014 telefonisch interviewt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die Arbeitnehmerschaft in Deutschland.
Gallup Deutschland