Üblicherweise wird sich eine Firma bei dem Steuerausgleich, dem Bau eines Gebäudes, medizinischen Untersuchungen und vielem anderen durch externe Experten vor Ort unterstützen lassen. Auch für technische Fragestellungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist es üblich, dass Experten der Unfallversicherungsträger zur Beratung eingeladen werden. Kaum ein betrieblicher Entscheidungsträger käme auf die Idee zu fordern, dass man ihm stattdessen schriftliche Ausführungen in so einfacher Weise liefern müsse, damit die anstehenden Aufgaben völlig eigenständig durch Laien erfolgreich bewältigt werden können.
Nur bei der Disziplin der Arbeitspsychologie, insbesondere der Sicherheits- und Gesundheitspsychologie, scheinen viele betriebliche Multiplikatoren und Entscheidungsträger eine Ausnahme zu sehen. Völlig selbstverständlich versucht man auch schwierige psychologische Problemstellungen selbst anzupacken. Wenn dann etwas nicht klappt, sind die Psychologen schuld, weil sie es nicht leisten können oder wollen, psychologische Sachverhalte in einfache, für jeden Laien verständliche und rezeptartige Handlungsanweisungen zu transferieren. Dieses Bewusstsein wird auch in der Broschüre der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber Position der Arbeitgeber zur Bedeutung psychischer Belastungen bei der Arbeit deutlich: Der Arbeitgeber ist Adressat des Arbeitsschutzgesetzes. Er muss also die Gefährdungsbeurteilung auch in den Einzelfällen, in denen psychische Fehlbelastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilungen zu erfassen sind, eigenständig ohne externe Hilfe durchführen können. Nur die Kenntnisse der Betriebsparteien über die betrieblichen Verhältnisse erlauben eine praxisgerechte Herangehensweise. Eine Forderung nach Durchführung der Gefährdungsbeurteilung in diesem Bereich durch Experten mit psychologischer Expertise ist deshalb weder gerechtfertigt noch zielführend.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass einerseits große Probleme im Zusammenhang mit psychischer Belastung, Fehlbeanspruchung und arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen beklagt werden, andererseits sich diese aber nicht in den gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen in den Betrieben spiegeln. Abgesehen davon, dass immer noch viele Betriebe keine oder qualitativ nicht zufriedenstellende Gefährdungsbeurteilungen haben, sucht man bei den vorhandenen in der Mehrzahl vergeblich nach Hinweisen auf psychische Gefährdungen oder Gesundheitsgefahren.
Ebenfalls ist es nicht verwunderlich, wenn viele der betrieblichen Projekte, in denen versucht wird, eigenständig professionelle psychologische Präventions- und Interventionsmaßnahmen umzusetzen, nicht die gewünschten Erfolge zeigen.
Ein kenntnisreiches rezeptartiges Herangehen kann nicht die notwendige flexible Handlungskompetenz im Umgang mit der sensiblen und komplexen Dynamik einer Sicherheitskultur ersetzen, die Fachpsychologen üblicherweise mitbringen.
Inzwischen haben fast alle Unfallversicherungsträger eigene Psychologen. Diese betrachten die häufig vorhandene Barriere seitens der Mitgliedsbetriebe, Fachpsychologen in die betriebliche Präventionsarbeit einzubeziehen, als besondere Herausforderung. In Arbeitskreisen und Workshops arbeiten sie engagiert daran, mit geeigneten Konzepten, Beratungs- und Qualifizierungsangeboten das Umsetzungsdefizit zu verringern. Dies geschieht in interdisziplinärer Zusammenarbeit, allerdings unter der Voraussetzung, dass Augenhöhe gegeben ist. Präventionsarbeit kann nur erfolgreich sein, wenn Psychologie nicht von anderen Professionen, wie der Arbeitsmedizin oder Sicherheitstechnik, als Hilfswissenschaft begriffen wird.
Wer sich einen eigenen Eindruck zu fachpsychologischen Fragestellungen und ihre Einbettung in fachpolitische Spannungsfelder machen möchte, dem sei das vom Autor und Helmut Nold anlässlich des 15. Psychologie-Workshops herausgegebene Buch Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit: Entwicklungen und Visionen 1980 2008 2020 empfohlen, das 2009 im Asanger Verlag erschienen ist (weitere Informationen unter www.asanger.de ). Mehr als 30 führende Psychologen aus dem Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz zeigen in diesem Band eine vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogene Bilanz der einschlägigen deutschsprachigen Psychologie auf.
Weitere Informationen können unter bludborzs@bgchemie.de angefragt werden. Der Autor übermittelt bei Interesse gerne, wer im für den Leser zuständigen Unfallversicherungsträger der psychologische Ansprechpartner ist.
Auf der A+A 2009 wird die Thematik vom Autor im Vortrag Psychologische Hintergründe für Erfolg oder Scheitern von verhaltensbasierten Sicherheitsprogrammen vertieft.
Dipl.-Psych. Boris Ludborzs,
BG Chemie,
Heidelberg