Psyche und Arbeit

Psychische Belastung, psychische Beanspruchung und deren Folgen

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Zusammenfassung Der Beitrag informiert über die in der Normenserie DIN EN ISO 10075 enthaltenen normativen Festlegungen zu den Konzepten der psychischen Belastung, der psychischen Beanspruchung und deren Folgewirkungen und die damit verbundenen messtheoretischen und praktischen Implikationen. Dabei wird die psychische Belastung als Gesamtheit der psychisch wirksamen Einwirkgrößen beschrieben und die Beanspruchung als deren unmittelbare Auswirkungen im Individuum. Konsequenterweise muss es daher bei der Erfassung der psychischen Belastung um die Erfassung der Arbeitsbedingungen und nicht um deren subjektive Widerspiegelung im Individuum gehen, die normativ als Beanspruchung zu interpretieren ist. Schlüsselwörter

· DIN EN ISO 10075

· Fehlbelastung

· Messgüte

· psychometrische Kriterien

· DIN EN ISO 10075

· impairing effects

· measurement quality

· psychometric criteria

1 Konzeptuelle Fragen
Vor dem Hintergrund der aktuellen und anhaltenden Diskussion über Fragen der psychischen Belastung, der psychischen Beanspruchung und deren Folgewirkungen – insbesondere auch im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung – die trotz internationaler normativer Festlegungen zu den konzeptuellen, gestalterischen und messmethodischen Grundlagen (z.B. in der DIN EN ISO 10075-Serie) immer wieder konzeptuelle und messmethodische Unschärfen erkennen lässt, erscheint trotz wiederholter Berichterstattung über diese Normen (u.a. Nachreiner 2000; 2002)4, 5 eine erneute Darstellung der mit den Konzepten „psychische Belastung“ und „psychische Beanspruchung“ verbundenen Probleme und der daraus resultierenden Konsequenzen für ihre Erfassung geboten – nicht zuletzt auch deswegen, weil sich die Tarifvertragsparteien in ihrer Behandlung dieser Problematik auf diese normativen Festlegungen berufen und davon abweichende Verwendungen/Interpretationen der Konzepte zu Irritationen oder Missverständnissen führen können.

1.1 Psychische Belastung – oder Psychische Belastungen?
Eine erste konzeptuelle Unschärfe zeigt sich in der Benutzung des Begriffs „psychische Belastungen“, obwohl DIN EN ISO 10075 (wie auch schon die DIN 33405) unter dem Begriff der psychischen Belastung die Gesamtheit aller psychisch auf den Arbeitenden einwirkenden Größen versteht. Psychische Belastungen (also mehrere Gesamtheiten) sind damit konzeptinadäquat; normativ gibt es das nicht. Will man einzelne (Teil-)Komponenten dieser Gesamtheit adressieren, bleibt nur der Weg über die Benennung dieser Belastungs-Komponenten.

Da Gesamtheiten, zumal solche mit einer unbekannten Zahl von Komponenten und Dimensionen, nur schwer erfassbar sein dürften, ergeben sich daraus gravierende Konsequenzen für die Erfassung, Messung und Beurteilung. Im Prinzip dürfte eine Erfassung der psychischen Belastung daher kaum möglich sein – während sich einzelne Komponenten durchaus messtechnisch erfassen lassen. Wie aus den Messungen solcher Einzelkomponenten (bei deren gegebener Diversität) ein Gesamtmesswert konstruiert werden könnte (oder ob das überhaupt sinnvoll und nützlich wäre, insbesondere auch im Hinblick auf die Identifikation kritischer Komponenten und die daraufhin zu ergreifenden Gestaltungsmaßnahmen), ist dagegen normativ nicht festgelegt. Die Festlegung, dass etwa im Rahmen der Beurteilung von Arbeitsbedingungen, z.B. im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung, „die psychische Belastung“ (also die Gesamtheit) zu erfassen und zu beurteilen ist, macht dagegen Sinn, weil damit bei den betrieblichen Diskussionsprozessen nicht beliebige Komponenten aus- bzw. abwählbar sind, wie dies in den derzeitigen Diskussionen nur allzu oft geschieht. Die Erfassung und Beurteilung der psychischen (Gesamt-) Belastung darf daher nicht verwechselt werden mit einem offensichtlich unmöglichen und unsinnigen Versuch der Beschreibung, Erfassung oder Messung der psychischen Belastung in einem einzelnen, alles integrierenden Gesamtwert.

1.2 Psychische Belastung oder erlebte psychische Belastung?
Damit ist auch eine einseitige Beschränkung auf die von den Betroffenen als belastend – oder eher noch belästigend – erlebten Belastungsbedingungen nicht hinnehmbar, weil damit in der Regel für die Leistung, die Sicherheit und die Effizienz von Arbeitssystemen wie für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitenden – und damit die Ziele im Kontext der Gefährdungsbeurteilung – entscheidende Belastungsbedingungen unberücksichtigt bleiben, wie beispielsweise die Darstellung und Übertragung von Informationen im Rahmen der Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle.

Da es sich bei der psychischen Belastung um von außen auf den Arbeitenden einwirkende Größen handelt, ist deren Erfassung über ihre subjektive Repräsentation im Individuum – und damit bereits eine von individuellen Faktoren moderierte Auswirkung – nicht konzeptadäquat und häufig nicht zielführend, wie die eher dilettantischen Versuche mit selbstkonstruierten Fragebögen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung mit erschreckender Deutlichkeit zeigen. Was dabei als Erfassung der psychischen Belastung, oder eben in der Regel der psychischen Belastungen, deklariert wird, hat mit einer seriösen und fachlich soliden Beurteilung der psychischen Belastung nicht das Geringste zu tun. Zumindest muss bei einem derartigen Vorgehen, nämlich dem Versuch der rückschließenden Erfassung der Belastung über deren Auswirkungen im Individuum, und damit der psychischen Beanspruchung, sichergestellt werden, dass (bzw. in welchem Maß) die erhobenen Messwerte den (vom Arbeitenden unabhängigen) Einwirkbedingungen zugeschrieben werden können.

1.3 Psychische Belastung oder psychische Belästigung?
Bei den in Wissenschaft und Praxis zu beobachtenden Versuchen der Erfassung der psychischen Belastung oder ihrer Komponenten über die Befragung der Betroffenen wird sehr schnell ein damit zusammenhängendes Problem deutlich, die negative Konnotation des Begriffs „Belastung“. Während der Begriff „Belastung“ in der Arbeitswissenschaft strikt neutral (und ohne negative Bewertung) als Einwirkgröße betrachtet wird, muss es bei Fragen nach der (empfundenen) Belastung, und insbesondere der psychischen Belastung, zu negativ konnotierten Inhalten kommen, da der Begriff der Belastung umgangssprachlich – und offensichtlich auch bei einer Reihe von Psychologen, insbesondere klinischer Provenienz – negativ konnotiert ist.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Begriff (wie die Messung) der psychischen Belastung, und insbesondere in der Konzeption von „erlebten psychischen Belastungen“ sich im wesentlichen auf negative emotionale Befindlichkeiten reduziert. Dies ist durch nichts zu rechtfertigen und stellt eine völlig abwegige, vulgärpsychologische, u.U. gefährliche Uminterpretation eines wissenschaftlich seriösen, höchst relevanten Konstruktes dar. Man denke hier etwa daran, dass eine von den Betroffenen nicht subjektiv repräsentierte und/ oder nicht zu Belästigungserlebnissen führende Belastungsbedingung – wie etwa eine dysfunktionale Informationsdarstellung –, die aber dennoch zu vorzeitiger Ermüdung führt, zu katastrophalen Auswirkungen im Hinblick auf die Sicherheit des Gesamtsystems und der Arbeitenden führen kann.

Konzeption und darauf aufbauende Messmethodik sind daher immer daraufhin zu prüfen, ob sie zu einer übervereinfachenden, gefährlichen und daher inakzeptablen Reduzierung des Konstruktes der psychischen Belastung auf negative emotionale Befindlichkeiten führen – und deren ggf. subjektive Attribution zu bestimmten Arbeitsbedingungen.

Es soll daher hier noch einmal betont werden, dass psychische Belastung in der Arbeitswissenschaft ein neutral konnotiertes Konstrukt ist, das lediglich die Einwirkgrößen beinhaltet, nicht hingegen deren Auswirkungen.

1.4 Psychische Belastung oder psychische Fehlbelastung?
Während der Begriff der psychischen Belastung normativ festgelegt ist, existiert eine solche Festlegung für das Konstrukt der psychischen Fehlbelastung(en) nicht und ist auch nicht beabsichtigt. Verstanden werden darunter in der Regel diejenigen Komponenten der psychischen Belastung (oder deren Ausprägungen), die regelmäßig über eine Fehlbeanspruchung bei der Zielpopulation zu beeinträchtigenden Effekten (Ermüdung, Monotonie, Sättigung, herabgesetzte Vigilanz) oder zur Schädigung führen. Damit wird hier eine bestimmte Form der psychischen Belastung (oder Komponenten davon) im Rückschluss von ihren beeinträchtigenden oder schädigenden (und damit negativ bewerteten) Auswirkungen her definiert. Auch damit ist jedoch keineswegs eine Einschränkung auf emotionale Komponenten verbunden oder gerechtfertigt. Eine Fehlbelastung kann auch durch eine unangemessene Aufgabenallokation oder durch die konkrete Gestaltung der Informationsdarstellung entstehen – die z.B. zu einer erhöhten Daueraufmerksamkeitsbeanspruchung und darüber zu herabgesetzter Vigilanz mit der Konsequenz des Verpassens kritischer Signale führen kann.

1.5 Psychische Belastung reduzieren oder optimieren?
Nur unter dieser Konzeption der Fehlbelastung macht die Handlungsaufforderung Sinn, psychische (Fehl-)Belastung zu vermeiden oder zu reduzieren. Unter der normativ festgelegten Konzeption von psychischer Belastung und Beanspruchung muss es vielmehr darum gehen, die Belastung und die daraus resultierende Beanspruchung zu optimieren, d.h. Belastungskomponenten, die nachweislich zu negativen Effekten führen zu minimieren, dagegen solche Belastungskomponenten, die zu positiven Effekten führen (z.B. zum Erwerb komplexer mentaler Modelle oder neuer Kompetenzen, oder zur Übung von Handlungsprogrammen) zu intensivieren. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass dieselbe Belastungskomponente, je nach Intensität und zeitlichem Verlauf, zu fördernden (z.B. Übung) wie zu beeinträchtigenden Folgen (z.B. Ermüdung) führen kann, und dies z.T. sogar gleichzeitig – was die Abgrenzung einer Fehlbelastung (oder ihrer Komponenten und deren Konstellationen) von einer fördernden Belastungskonstellation nicht gerade erleichtert.

Wichtig ist jedoch immer im Kopf zu behalten, dass (auch nach tarifpolitischem Konsens) an der Gestaltung der Belastungsbedingungen anzusetzen ist – und nicht an den Personen und deren Wahrnehmungen. Die Vermeidung oder Reduzierung von Beeinträchtigungen erfolgt im Sinne der Primärprävention damit über die Gestaltung der Belastung, also der Einwirkgrößen, und nicht über personenbezogene klinische Interventionsansätze, denen bei hinreichend geeigneten Mitarbeitern – wovon bei einer funktionierenden Betriebsorganisation ausgegangen werden können muss – allenfalls sekundäre Bedeutung zukommen kann.

Es kann daher auch nicht darum gehen, durch individuelle Stärkung der „Stressresistenz“ oder von „Ressourcen zur Stressbewältigung“ Mitarbeiter dazu zu bringen, immer mehr Belastung bewältigen zu können (irgendwann könnte bei diesem Balancemodell, um im Bild zu bleiben, der Waagenbalken brechen). Das Ziel muss vielmehr darin bestehen, für eine hinreichend geeignete Mitarbeiterpopulation die Belastungsbedingungen so zu gestalten, dass es nicht zu Fehlbeanspruchungen und damit weder kurz- noch langfristig zu negativen Konsequenzen kommen kann.

2.1 Probleme der Messung über die Befragung der Belasteten
Wie üblich sind mit unterschiedlichen Konzeptionen auch unterschiedliche Messprobleme verbunden. Oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass eine Erfassung der psychischen Belastung über die Befragung der Betroffenen ausgesprochen problematisch ist, da sie auf einem Rückschluss von der Beanspruchung oder deren Folgen auf die Belastung beruht und daher eines bedingungsbezogenen Validitätsnachweises bedarf (vgl. dazu im Detail Nachreiner, 2008)7. Dies resultiert zum einen aus der Tatsache, dass es sich dabei um einen Rückschluss von den Auswirkungen innerhalb der Person auf Einwirkgrößen außerhalb der Person (die ja die Messgegenstände bei der Erfassung der psychischen Belastung darstellen) handelt. Für den Nachweis der Gültigkeit dieses Rückschlusses ist es wichtig zu belegen, dass die berichtete Beanspruchung (oder deren Folgen) mit personenunabhängigen Maßen der Belastung zusammenhängen. So muss, wenn man vom berichteten Zeitdruck (Beanspruchungsgröße) auf die Enge der zeitlichen Bindung (Belastungsgröße) schließen will, ein klarer Zusammenhang zwischen diesen beiden Größen gegeben sein oder nachgewiesen werden. Dabei entscheidet die Enge der Beziehung, wie genau von dem berichteten Zeitdruck auf die Enge der Zeitbindung geschlossen werden kann. In der Regel wird man dabei ausgesprochen große interindividuelle Schwankungen vorfinden. So kann das gleiche Ausmaß an Zeitbindung bei einer Mitarbeiterin zu nur geringem Zeitdruck führen, während ein anderer Mitarbeiter bei den gleichen zeitlichen Bindungen bereits unter erheblichem Zeitdruck leidet. Dabei ist die Einwirkgröße der zeitlichen Bindung (z.B. operationalisiert durch die Taktzeit) bei gleicher Arbeitsaufgabe und gleichem Trainingszustand identisch, während sich die Auswirkgröße, der berichtete Zeitdruck, erheblich unterscheidet. Damit wird jeder Rückschluss vom Zeitdruck auf die Enge der zeitlichen Bindung, die die (gestaltbare) psychische Belastung darstellt und die ggf. zu ändern ist, notwendigerweise unscharf. Andererseits lässt sich die zeitliche Bindung einfacher, sicherer und genauer direkt mit Hilfe einer Uhr bestimmen. Bestimmt man ferner, ebenfalls mit einer Uhr, die tatsächlich benötigte Zeit für die Verrichtung der Arbeitsaufgabe, und zwar unter Berücksichtigung deren Verteilung (und ihrer Momente), lässt sich daraus ableiten, ob die zeitliche Bindung zu eng ist und daher (bei einem hinreichend geeigneten Mitarbeiter) zu Zeitdruck führen sollte, was sich dann durch Befragung der Betroffenen, als Erfassung der psychischen Beanspruchung, validieren ließe.

Ähnliche Überlegungen lassen sich auch für andere Belastungskomponenten demonstrieren. Zum anderen sind bestimmte Komponenten und ihre Ausprägung der direkten Selbstbeobachtung kaum zugänglich, insbesondere, wenn sie nicht unmittelbar zu Beeinträchtigungen führen. So ist es den meisten nicht möglich, den Unterschied in der psychischen Belastung zwischen einer Steuerung nullter und einer erster Ordnung zu benennen (z.B. bei der Cursorsteuerung über eine Maus oder ein Touchpad vs. einer Steuerung über einen isometrischen, kraftgesteuerten, in die Tastatur eingefügten kleinen Joystick bei unterschiedlichen Notebooks), auch wenn sich dabei deutliche Leistungsunterschiede ergeben. Vielleicht sind manche in der Lage, die Geschwindigkeitscharakteristik des Joysticks für die Bewältigung dieser Aufgabe als etwas schwieriger zu beurteilen, aber oft wird

„In der Regel wird man große interindividuelle Schwankungen vorfinden.“

man hören, dass man sich mit der Zeit auch daran gewöhnen kann. Als valide Erfassung der psychischen Belastung bei dieser Aufgabe kann das aber offensichtlich nicht betrachtet werden – während eine saubere ergonomische Analyse schnell erkennen lässt, dass die Inkompatibilität von Aufgabenstellung und technischer Unterstützung durch das System hier zu einer vermeidbaren Belastungskomponente führt.

Dies macht deutlich, dass via subjektiver Beurteilung der erlebten Belastung (oder eben der Beanspruchung) nur solche Komponenten erfasst werden können, die direkt oder in ihren Auswirkungen der Selbstbeobachtung zugänglich sind, weswegen man bei den gängigen Umfragen dann in der Regel dominant solche Komponenten genannt bekommt, die die Betroffenen belästigen oder stören (z.B. eben Zeitdruck, Lärm oder Führungsverhalten) wohingegen konkrete Merkmale der Arbeitsmittel oder Arbeitsbedingungen nur selten benannt werden. Eine solche Erfassung könnte jedoch defizitär und irreführend sein, und in letzter Konsequenz sicherheitskritisch und gesundheitsgefährdend. Das können Belästigungen – oder aversive emotionale Befindlichkeiten – auch sein, aber das ist offensichtlich etwas anderes als psychische Belastung.

Zum anderen sind Messergebnisse auf der Basis subjektiver Beanspruchungsbeurteilungen abhängig von den jeweiligen Referenzstandards der Befragten. So zeigen etwa die Ergebnisse zur Entwicklung des COPSOQ-Verfahrens (Nübling et al., 2005, 2007)8, 9 dass Lehrer ihren Handlungsspielraum (oder ihre Autonomie) als geringer beschreiben als alle anderen Berufsgruppen, deutlich geringer als Mitarbeiter in der Produktion. Aber bereits eine sehr oberflächliche Beurteilung der Handlungsspielräume von Lehrern und Produktionsarbeitern von außen lässt sehr schnell erkennen, dass dieses Ergebnis definitiv nicht valide sein kann. Was dagegen sein könnte ist, dass Lehrer mit ihrem Handlungsspielraum deutlich unzufriedener sind als andere Berufsgruppen, weil ihr erfahrener Handlungsspielraum nicht ihren Erwartungen entspricht. Aber das wäre wieder etwas anderes als psychische Belastung, nämlich Zufriedenheit. Und auch dafür, nämlich für die Erfassung von Unzufriedenheit bei der Frage nach der Belastung, lassen sich weitere Beispiele anführen.

Darüber hinaus sind Befragungsergebnisse nicht resistent gegen intentionale Verzerrungen, insbesondere unter den konkreten Bedingungen der betrieblichen Praxis und den sich aus den Messergebnissen potenziell ergebenden Konsequenzen. So können sich etwa im Kontext von Kompensations- oder Arbeitsumgestaltungsmaßnahmen durchaus andere Belastungsbeurteilungen ergeben als im Kontext potenzieller Freisetzungen. Hier hilft auch die ansonsten für einen Fehlerausgleich immer angeratene Mittelwertbildung über verschiedene Personen nicht weiter, weil eine solche Mittelwertbildung nur Zufallsfehler ausgleichen kann, nicht aber systematische Fehler, die dadurch eher noch verstärkt werden.

2.2 Festlegungen in der DIN EN ISO 10075–3
Damit sollte einigermaßen klar geworden sein, dass die Erfassung psychischer Belastung nicht gerade einfach ist und sowohl sachliche wie methodische Kompetenzen auf Seiten der Messenden erfordert. Ohne den entsprechenden Hintergrund erscheinen derartige Messversuche schnell zum Scheitern verurteilt oder als gefährlicher Voodoo-Zauber (wobei beides den „Kunden“ wegen in der Regel ebenfalls fehlender Hintergrundinformationen oft nicht auffällt). DIN EN ISO 10075–3 beschreibt daher Anforderungen an Messverfahren zur Erfassung der psychischen Belastung, Beanspruchung und ihrer Folgen und deren psychometrische Überprüfung, die unter Berücksichtigung verschiedener Gütestufen der Messung und einer klaren Spezifikation des Messgegenstandes (Belastung, Beanspruchung oder Folgewirkungen) einen Minimalstandard der Messgenauigkeit sicherstellen sollen. Gefordert werden dabei klassische Gütekriterien wie Objektivität, Reliabilität (in ihren verschiedenen Facetten) und Validität, aber auch die für die Beurteilung der psychischen Belastung erforderlichen Kriterien der Sensitivität (d.h. die sichere Unterscheidbarkeit unterschiedlicher quantitativer Ausprägungen des Messgegenstandes) und der Diagnostizität (d.h. der diagnostischen Differenzierungsfähigkeit zwischen verschiedenartigen Ausprägungen des Messgegenstandes). Darüber hinaus empfiehlt DIN EN ISO generalisierbarkeitstheoretische Analysen der Messgüte, die insbesondere dort von Vorteil sind, wo nicht Personen sondern Bedingungen die (intendierten) Merkmalsträger sind, wie etwa im Falle der Erfassung der psychischen Belastung, die ja auf die Erfassung der auf die Personen einwirkenden Einwirkgrößen gerichtet ist. So lässt sich etwa mit Hilfe generalisierbarkeitstheoretischer Analysen die Varianz in den Messwerten in ihre Komponenten zerlegen und darüber abschätzen, welche Anteile der Varianz Zielvarianz (bei der Erfassung der psychischen Belastung die auf die Bedingungen entfallenden Varianzanteile) und welche Komponenten Fehlervarianz (z.B. die auf die Beurteiler und deren Interaktionen mit anderen Facetten entfallenden Varianzanteile) darstellen, und wie präzise damit der eigentlich interessierende Messgegenstand geschätzt oder gemessen werden kann. DIN EN ISO 10075–3 hilft damit dem Konstrukteur von Messverfahren, seine Verfahren so aufzubauen, zu überprüfen und deren Gütekriterien zu präsentieren, dass Anwender in der Lage sind (oder sein könnten) zu beurteilen, ob das jeweilige Messinstrument für ihren Zweck hinreichend geeignet ist. Anwender erhalten damit die Möglichkeit, verschiedene Messinstrumente gegeneinander abzuwägen, um schließlich eine informierte Entscheidung treffen zu können. Aber ohne ein Mindestmaß an konzeptueller Hintergrundinformation, wie sie etwa DIN EN ISO 10075–1 vermittelt, dürfte auch das kaum möglich sein.

Literatur

1. DIN EN ISO 10075–1: 2000 Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung. Teil 1: Allgemeines und Begriffe. Berlin: Beuth.

2. DIN EN ISO 10075–2: 2000 Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung. Teil 2: Gestaltungsgrundsätze. Berlin: Beuth.

3. DIN EN ISO 10075–3: 2004 Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung. Teil 3: Grundsätze und Anforderungen an Verfahren zur Messung und Erfassung psychischer Arbeitsbelastung. Berlin: Beuth.

4. Nachreiner, F. (2000). Normung im Bereich der Psychischen Belastung und Beanspruchung – Probleme und Zusammenhänge mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz. In: P. Musahl & T. Eisenhauer (Hrsg.), Psychologie der Arbeitssicherheit. Beiträge zur Förderung von Sicherheit und Gesundheit in Arbeitssystemen. 31–40, Heidelberg: Asanger.

5. Nachreiner, F. (2002). Über einige aktuelle Probleme der Erfassung, Messung und Beurteilung der psychischen Belastung und Beanspruchung, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 56, 10–21.

6. Nachreiner, F. (2007). Psychische Belastung, psychische Beanspruchung und deren Folgen – was ist das eigentlich und wie kann man das erfassen? – Über Konzepte und Messansätze. In P.Bärenz, A.-M. Metz & H.-J. Rothe (Ed.), Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit. Arbeitsschutz, Gesundheit und Wirtschaftlichkeit (14. Workshop) (pp. 249–252). Kröning: Asanger.

7. Nachreiner, F. (2008). Erfassung psychischer Belastung und Rückwirkung auf die Arbeitsgestaltung. Grenzen der Aussagekraft subjektiver Belastungsanalysen mithilfe von Befragungsinstrumenten aus arbeitswissenschaftlicher Sicht. Leistung und Lohn, Zeitschrift für Arbeitswirtschaft, (445/446/447/448/449 April 2008), 7–28.

8. Nübling M, Stößel U, Hasselhorn HM, Michaelis M, Hofmann F (2005) Methoden zur Erfassung psychischer Belastungen – Erprobung eines Messinstrumentes (COPSOQ) (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Forschungsbericht, Fb 1058) Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW Verlag für neue Wissenschaft GmbH.

9. Nübling M, Stößel U, Hasselhorn HM, Michaelis M, Hofmann F (2007): Messung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz: die deutsche Standardversion des COPSOQ (Copenhagen Psychosocial Questionnaire). ErgoMed (1), 2–7

* Überarbeitete und erweiterte Fassung eines Beitrags auf dem 14. Workshop Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit (Nachreiner, 2007)

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