Psyche und Arbeit

Psychische Gefährdungen reduzieren gehört zum Arbeitsschutz

Nach den Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes müssen die Verantwortlichen in den Unternehmen den „sozialen Beziehungen“ eine gleich wichtige Beachtung schenken wie etwa den physikalisch-chemischen Einflüssen oder der Arbeitsorganisation.

Gute soziale Beziehungen bergen große gesundheitliche Ressourcen – Beziehungsstörungen aber führen zu erheblichen Belastungen.

Die sozialen Beziehungen werden im Leitfaden zur Gefährdungsbeurteilung von Gruber u.a. (2008) ausführlich besprochen. Die Autoren erinnern an die arbeitswissenschaftliche Erkenntnis, dass ausreichende Tätigkeitsspielräume vorhanden sein müssen, um dem Kriterium einer menschengerechten und gesundheitsförderlichen Arbeit zu entsprechen. Arbeitswechsel sowie Aufgabenerweiterung und -anreicherung sind vorbeugende Maßnahmen gegen Monotonie und zugleich Maßnahmen der Lern- und Aufmerksamkeitsförderung. „Anerkennung und Bestätigung, aber auch Kritik, sollten Beschäftigte regelmäßig erfahren. (…) Kooperation und Kommunikation sind soziale Grundbedürfnisse des Menschen und spielen bei der Gestaltung effektiver Arbeit eine wichtige Rolle“ (Gruber u.a. 2008, S. 90 f.). Der Leitfaden weist im Weiteren auf die zentrale Rolle eines nicht-autoritären, transparenten Führungsverhaltens hin. Psychische Belastungen, die aus unangemessener Aufgabenzuteilung, ungenügendem Handlungsspielraum, aus Nichtanerkennung und aus fehlender sozialer Unterstützung durch Vorgesetzte und Kollegen resultieren, machen krank. Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet den Arbeitgeber, arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren vorzubeugen. Arbeitsbedingt heißt nicht, dass Arbeitsfaktoren die alleinige Ursache sind; aber wenn jene in einem epidemiologisch messbaren und statistisch signifikanten Maß zu der Entstehung dieser Krankheiten beitragen, greift die normative Vorgabe des Arbeitsschutzgesetzes.

Arbeitswelt als Ursache psychischer Erkrankungen
Depressive Erkrankungen und psychosomatische Erkrankungen nehmen seit Jahren zu (Hien 2006; Weber/Hörmann 2007; Zoike et al. 2008). Je nach Erhebungsmethode leiden 5 bis 15% der Erwerbstätigen an einem Burnout-Syndrom, das mit chronischer Erschöpfung, Leistungsminderung und Depersonalisierung – einer Gefühllosigkeit sich selbst und anderen gegenüber – verbunden ist. Bei bestimmten Berufsgruppen wie z.B. dem Pflegepersonal steigt diese Quote auf 25% (Hasselhorn et al. 2005). Unbestritten ist, dass psychosoziale Ursachen – auch und gerade die psychosozialen Bedingungen am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt – eine große Rolle spielen. Jede dritte Frühberentung ist Folge einer psychischen Erkrankung. Im breiten Spektrum der psychiatrischen Diagnosen stellen depressive Erkrankungen den Hauptanteil dar, konkret: Knapp 7% aller Frühberentungen sind Folge einer chronifizierten, d.h., einer chronisch gewordenen und dauerhaft erwerbsunfähig machenden depressiven Erkrankung. Neben den beiden Hauptkriterien einer fast täglichen und lang anhaltenden depressiven Verstimmtheit mit einem deutlich verminderten Interesse oder Freude an allen oder fast allen Aktivitäten, kommen meist weitere Symptome hinzu wie z.B. Schlafprobleme, Verlangsamung des Aktivitätsniveaus oder Unruhe, Appetitlosigkeit, Energieverlust und/oder große Müdigkeit, ein negatives Selbstbild, Selbstvorwürfe, Schuldgefühle, verminderte Konzentrationsfähigkeit, verminderte Fähigkeit zu denken oder verringerte Entscheidungsfähigkeit und nicht zuletzt auch wiederkehrende Gedanken an den Tod oder an Selbstmord. Bei nicht vorhandenem Handlungsspielraum gerät der Mensch in einen sich selbst bestätigenden Prozess der erlernten Hilflosigkeit (Seligman 1975/1999). Hilflosigkeit entsteht also in einer Situation, die nahe legt, dass Handeln entweder gar nicht möglich ist oder ohne jede Folge bleibt. Es entwickelt sich ein Teufelskreis: Der kranke Mensch glaubt nicht mehr, dass er über aktives Handeln seine Belastungen und seine Leiden vermindern oder bewältigen kann, selbst dann nicht mehr, wenn sich Handlungschancen auftun. Alle Anstrengungen erscheinen als vergeblich. Besonders tragisch wirkt sich eine unverschuldete Arbeitslosigkeit aus. Sie wird von den Menschen meist als Ausschaltung jeglichen Handlungsspielraums erlebt. Dies belegt eine große epidemiologische Studie in Finnland (Virtanen u.a. 2003): Die Autoren weisen darauf hin, dass „der post-industrielle Arbeitsmarkt mit seinen ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen und den steigenden Flexibilitätsanforderungen zu einem deutlichen Gesundheitsrisiko werden kann“.

Eine Vielzahl neuerer epidemiologischer Studien aus vielen Ländern der Welt zeigt, dass hoher Arbeitsstress, hohe Anforderungen an Flexibilität und Mobilität und Job-Unsicherheit ein massives Risiko für Depressions- und Angsterkrankungen sowie für psychosomatische Erkrankungen darstellen. Die Epidemiologie versucht herauszufinden, um wie viel mal höher bei Belasteten – im Vergleich zu Nichtbelasteten – die Krankheitshäufigkeit ist, ausgedrückt im Relativen Risiko (RR). Die wissenschaftlich legitime Vermutung, dass depressionsgeneigte Personen nicht in der Lage sind, Handlungsspielräume zu erkennen und zu nutzen (Rau 2005), kann nur durch Längsschnittstudien widerlegt werden. Solche Studien sind seit einigen Jahren verfügbar. Rugulies et al. (2006) führten mit mehr als 4000 dänischen Erwerbspersonen eine 5-Jahres-Studie durch und identifizierten Job-Unsicherheit als einen Risikofaktor. Sie fanden bei Männern, die unter Job-Unsicherheit litten, ein zweifaches Depressionsrisiko; bei Frauen fanden sie keine Risikoerhöhung. Blackmore et al. (2007) fanden in einer kanadischen Studie ähnliche Ergebnisse. Eine fehlende oder geringe soziale Unterstützung am Arbeitsplatz schlägt sich hingegen – zumindest in einem Teil der Studien – eher bei Frauen als bei Männern in einem erhöhten Depressionsrisiko nieder. Rugulies et al. (2006) fanden ein knapp zweifaches Risiko bei Frauen; für Männer lag dieses Risiko hier bei 1,1. Clays et al. (2007) untersuchten 2800 belgische Erwerbspersonen in einem Zeitraum von knapp 7 Jahren. Personen, die zum ersten Untersuchungszeitpunkt hohe Anforderungen und geringen Handlungsspielraum hatten, d.h. Personen mit hohem Job-Stress, trugen ein etwa 1,6-faches Risiko, während der nächsten Jahre eine schwere Depression zu erleiden, wobei bei anhaltenden Belastungen das Risiko auf 3,2 anstieg; kam ein fortgesetzter Mangel an sozialer Unterstützung hinzu, so stieg das Risiko weiter auf 5,8. Mit anderen Worten:

Lang anhaltender „isolierter“ Job-Stress schraubt das Risiko einer depressiven Erkrankung – im Vergleich zu weniger belasteten Personen – auf das fast 6-fache hoch.

In den Studien wurden die gefundenen relativen Risiken gegengerechnet für Geschlecht, Familienstand, negativer Affektivität, Tod eines nahen Verwandten und Vorerkrankungen im Kindesalter, doch die Arbeitswelt-Risiken blieben. Neuere Studien haben sehr genau psychische Vorerkrankungen erhoben und mithilfe dieser Daten die Ergebnisse „gegengerechnet“ (Stansfeld et al. 2008; Clumeck et al. 2009). Sie kommen zu dem Ergebnis, dass auch nach dieser Adjustierung immer noch ein signifikantes Risiko für depressive und Angsterkrankungen bestehen bleibt. In neueren Studien zeigt sich, dass auch die Überidentifikation mit der zugewiesenen Arbeit krank machen kann (Hasselhorn/ Tackenberg 2004; Hien 2008).

Empirisches Beispiel: Die Situation älterer Pflegekräfte
Ein Betriebsarzt, der im Rahmen einer Pflegestudie (Hien 2009) befragt wurde, gab Folgendes zu Protokoll:

„Eine Krankenschwester ist ausgebildet worden als Helferin, Menschen zu helfen über eine hohe Professionalität. Jetzt heißt es, die Ökonomie definiert den Alltag. Sie werden reduziert auf Technik; und die weichen Faktoren, sozialen Faktoren, Gespräche, Fürsorge, Angehörigenbetreuung, fallen raus. … Und das, bei den älteren Kolleginnen, macht Probleme. Und bei uns im Betrieb haben wir einen hohen Altersdurchschnitt in der Pflege, Mitte 40“ (zit; in: Hien 2009, 74 f.).

Die von der betrieblichen Organisation im Zuge der Verbetriebswirtschaftlichung geforderte Arbeitsrolle kommt zunehmend in Konflikt mit der Berufsrolle, wie sie von den betroffenen Individuen einmal gelernt wurde, innerlich vertreten wird und gleichsam ein Teil ihrer Persönlichkeit bzw. ihrer persönlichen Identität geworden ist. Dies führt bei denen, die noch an ihren persönlichen berufsethischen Zielen festhalten, zu massiven Zerreißproben und ersichtlich zu tatsächlichen psycho-somatischen Brüchen. Die Möglichkeiten, innerhalb der Organisation die praxiswirksame Geltung berufsethischer Ziele durchzusetzen, sind solange äußerst beschränkt, wie eine kulturelle Hegemonie neoliberalen Denkens in Betrieb und Gesellschaft besteht und der Einzelne mit seinen Konflikten weitgehend vereinzelt und einsam bleibt, d.h. auch: solange, wie es keine greifbaren Alternativkonzepte gibt, welche die gesellschaftliche Solidarität und nicht die Vermarktlichung in den Vordergrund stellt.

„Der große Komplex, der zunimmt, auch nachweislich zunimmt, ist … von der mitgebrachten Depression, die dekompensiert wird aufgrund der Belastungen, über Burnout, dieser ganze Komplex, der psychosomatisch, psychisch und psychiatrisch ist. Wir haben in diesem Hause in den letzten drei Jahren jedes Jahr ca. 20 Neuerkrankungen mit psychiatrischen Diagnosen. … Sie dekompensieren jetzt, also auf Grund der Rahmenbedingungen. Und das nimmt mit dem Alter deutlich zu, was bei unserem Altersdurchschnitt natürlich fatal ist. (…) Wir haben hier eine Mitte 50-jährige Schwester, die ist komplett ausgebrannt. Sie hat 3 Jahre ohne sonstige Erkrankungen, einfach auf Grund der psychischen Situation, der Teamsituation, der Belastungssituation, 3 Jahre gegen ihre Kraft gearbeitet und ist dann plötzlich, weil eine Hausärztin glücklicherweise die Notbremse gezogen hat – sie hat es selbst, glaube ich, gar nicht gemerkt – krank geschrieben worden. Sie hat 3 Jahre mit Kolleginnenhilfe kompensiert. Das ist nicht plötzlich entstanden, das ist über 3 Jahre entstanden. Ja, warum ziehen die Betroffenen nicht früher die Notbremse? Wenn wir in die Geschichte gehen, gibt es eine hohe Affinität, hohe Identifikation über den Patienten. Das ist die eine Ebene. Die zweite Ebene: Es gibt eine hohe Identifikation, eine Solidarität mit den Kollegen: ‚Wenn ich nicht komme, muss jemand anderes aus dem Frei kommen, also komm” ich lieber’, und inzwischen ist es so, dass der Druck so ist: ‚Wenn ich nicht komme, kommt gar niemand mehr,’ So ist es“ (ebenda).

Sind es hier Überidentifikation und Überverausgabung, so sind es in vielen anderen Fällen Job-Angst und Job-Verlust (am Beispiel der Werftindustrie: Hien 2007), die eine Vielzahl von Krankheiten auslösen können. Psychische Erkrankungen sind in diesem Zusammenhang vielleicht am plausibelsten, doch weiß die Wissenschaft von ebenso großen Risiken hinsichtlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magen-Darm-Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, Muskel-Skelett-Erkrankungen und Immunerkrankungen. Das große Spektrum der möglichen Erkrankungen spiegelt die breite Variabilität des Menschen wider. Belastungen und Beanspruchungen werden bis zu einem gewissen Grade bewältigt und setzen sich, wenn die Bewältigungsressourcen aufgebraucht sind, je nach individuellen Voraussetzungen ganz unterschiedlich im Organismus um. Die Argumentation, dass die arbeitsweltbezogenen Faktoren nur unspezifische Risiken nach sich zögen und dass spezifische Erkrankungsrisiken meist unter der sogenannten „Verdopplungsrate“ bleiben, also zu gering seien, um als „sicherer Beweis“ gelten zu können, ist unhaltbar. Zum einen sind die in epidemiologischen Studien gemessenen Risiken statistisch signifikant, zum anderen wird das Problem, wenn wir die Summe der Erkrankungen sehen, größer und nicht kleiner.

Das Thema „Psyche“ gehört zum Arbeitsschutz
Die Menschen sind sehr unterschiedlich, doch darf diese Tatsache nicht dazu führen oder dazu verführen, die Möglichkeit und Notwendigkeit verhältnispräventiver Maßnahmen im Betrieb zu bestreiten und „Stresskrankheiten“ als ein individuelles Problem abzutun. Psychische Arbeitsbelastungen gehören daher eindeutig zum Gegenstandsbereich des Arbeitsschutzes. Doch können derartige Belastungen nicht so einfach wie z.B. Lärmbelastungen gemessen werden.

In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts etablierten sich daher neue Formen der Problemwahrnehmung, die sich zugleich als Medium der Problemlösung anboten: die Gesundheitszirkel. Sie entstanden, teilweise als Weiterentwicklung des Qualitätszirkel-Gedankens, hauptsächlich jedoch als Auswirkung der aus Norditalien kommenden Gesundheitsbewegung, welche die Forderung „non delegata!“ zu ihrem Prinzip gemacht hatte (Pirella 1980). Dies waren einerseits Bewegungen, die – unter dem Begriff der Antipsychiatrie und Gemeindepsychiatrie – seelisch Erkrankte aus den Anstalten herausholen und in die Gesellschaft re-integrieren wollten; die Bewegung wurde andererseits vom damals zunehmenden Widerstand der Industriearbeiter gegen gesundheitszerstörende Arbeitsbedingungen und dem Widerstand gegen eine Arbeitsmedizin gespeist, die ihre Aufgabe nur leistungs- und selektionsmedizinisch begriff. Unter dem Begriff der „Arbeitermedizin“ – nicht die Arbeit, sondern die Arbeiter sollten geschützt werden – und mit Postulaten wie z.B. „Wir sind Experten unserer eigenen Situation“, „Die Gesundheit in die eigenen Hände nehmen“ und „Betroffene zu Beteiligten machen“ verbreiteten sich diese Ideen weltweit; sie manifestierten sich schließlich in unterschiedlichen Modellen der betrieblichen Gesundheitspolitik und in verschiedenen Instrumenten, von denen der Gesundheitszirkel sicherlich das bekannteste geworden ist (Schröer/Sochert 1997; Larisch/Hien 2000). Auch das in vielen Ländern der Welt und inzwischen auch wieder in deutschen Betrieben – wie z.B. bei Freudenberg in Weinheim – angewandte Konzept des Gesundheitsmappings (Keith et al. 2003) zählt zu diesen Instrumenten der arbeitsweltbezogenen Aktionsforschung. Christian von Ferber (1991) hat darauf hingewiesen, dass derartige qualitative Methoden den quantitativen hinsichtlich Objektivität und Validität in nichts nachstehen, sie aber den Vorteil besitzen, aus Betroffenen aktiv Beteiligte zu machen.

Belastungen, Beanspruchungen und deren Bewältigung sollten im Team selbst oder in Gesundheitszirkeln bzw. Aktionsgruppen besprochen werden. Verkrustete Strukturen lassen sich nicht per Dekret, sondern nur kommunikativ und handelnd verflüssigen. Es ist sinnvoll, kommunikative Prozesse mit solchen der Supervision und Entspannung zu komplettieren. Angezeigt sind beispielsweise Arbeitsplatzprogramme für entspannende Bewegung; dies hat umgekehrt wiederum – das zeigen Erfahrungen in der betrieblichen Gesundheitsförderung – ausgesprochen positive Effekte für die Team-Atmosphäre selbst. Dies schüfe zugleich Möglichkeiten einer differenziellen Arbeitsgestaltung, d.h. Möglichkeiten, unterschiedliche Fähigkeiten und Neigungen der Team-Mitglieder in der Aufgabenverteilung stärker zu berücksichtigen.

Zu humanen Arbeitsablaufbedingungen gehören notwendig persönliche Kontakte, Absprachen, Hilfestellungen, Vorlieben, Vermeidungen und hinsichtlich dieser sehr persönlichen Präferenzen auch arbeitsteilige Arrangements und – wenn man so will – „Nischen“ im Sinne einer „verborgenen Situation“ (Thomas 1964).

All dies kann durch eine moderne EDV-gestützte Arbeitsorganisation, die gleichsam anonym die Beschäftigten nicht selten mit täglichen oder gar stündlichen Arbeitsanweisungen konfrontiert, deren Durchführung engmaschig kontrolliert wird, erheblich erschwert oder gar verunmöglicht werden. Den Arbeitenden wird damit gleichsam „die Luft zum Atmen“ genommen. Einem gesundheitsförderlichen Unternehmensmanagement und einer gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung muss daran gelegen sein, derartige Einengungen so weit wie möglich zu vermeiden, den Mitarbeiter/innen wieder mehr Freiräume zu geben und Chancen für „verborgene Situationen“ zu eröffnen. In dem genannten Pflegeprojekt (Hien 2009) wurde uns immer wieder gesagt: „Notwendig ist ein besserer Austausch unter den Beschäftigten; notwendig ist, dass man über seine Nöte und Probleme ohne Angst reden kann!“ Dies zu ermöglichen, ist zugleich Grundvoraussetzung und Hauptziel des Handlungszirkels einer betrieblichen Gesundheitspolitik, die diesen Namen verdient.

den Handlungsbedarf erkannt
Dass die psycho-sozialen Belastungen auch eine Gefährdung der Gesundheit darstellen, ist auf der betrieblichen Ebene seit langem bewusst. Zunächst erfolgte die Bekämpfung dieser Belastungen vor allem im Rahmen von Projekten zur betrieblichen Gesundheitsförderung bzw. betrieblichen Gesundheitspolitik, häufig mit Unterstützung der Krankenkassen, und damit auf der Basis des SGB V. Oft wurden diese Projekte auch von Gewerkschaftsseite begleitet. Wenngleich dieser Ansatz in vielen Fällen eine Besserung der konkreten Situation ergab, so mangelt es doch vielfach an der Kontinuität und an der Durchdringung der betrieblichen Arbeitsorganisation. Problematisch ist zudem, dass die betriebliche Mitbestimmung hierbei nicht richtig greift, und gut gemeinte Initiativen viel zu oft in Maßnahmen der reinen Verhaltensprävention mündeten.

Insofern ist es nur konsequent, dass dieses Thema breiter gefasst auf der Basis des Arbeitsschutzgesetzes angegangen wird. Ebenfalls konsequent ist es, dass sich ver.di zusammen mit den anderen Gewerkschaften dafür eingesetzt hat, die Ermittlung und Reduzierung psychischer Gefährdungen zum Schwerpunktthema der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) zu machen. Dieses ist zwar nur zum Teil geglückt, aber immerhin: Die beiden GDA-Ziele „Reduzierung der Arbeitsunfälle“ und „Reduzierung der Muskel-Skelett-Belastungen und -Erkrankungen“ sind unter besonderer Berücksichtigung der psychischen Gefährdungen in der Gefährdungsbeurteilung in den nächsten vier Jahren als gemeinsame Strategie von Bund, Ländern und Unfallversicherung sowie Gewerkschaften und Arbeitgebern voranzubringen und im Anschluss zu evaluieren. Dieser politische Auftrag muss nun mit Inhalt und Leben gefüllt werden. Und es müssen vor allem die erforderlichen Ressourcen hierfür bereitgestellt werden. Dieses ist auch als Auftrag an ver.di selber zu verstehen, sich bspw. in den Selbstverwaltungsorganen der Unfallversicherungsträger für die Bereitstellung zusätzlicher finanzieller und personeller Mittel einzusetzen. Positiv ist in diesem Zusammenhang zu nennen, dass die psychischen Gefährdungsfaktoren in der „Leitlinie Gefährdungsbeurteilung“ der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz“ (NAK) deutlich benannt sind. Dennoch sind gegenwärtig zwei gegenläufige Tendenzen zu beobachten: Noch immer schrecken viele Aufsichtspersonen davor zurück, das Thema „Psyche“ in die normale Beratungs- und Aufsichtstätigkeit zu integrieren, aber gleichzeitig gibt es bereits eine Vielzahl von Aktivitäten gerade zu diesem Themenfeld bei den Unfallversicherungsträgern und bei ihrem Spitzenverband, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).

Auch die Gewerkschaften selber haben in jüngerer Zeit vielfältige Aktivitäten entwickelt, um der dramatischen Zunahme von Arbeitsverdichtung und Überlastung entgegenzuwirken. Genannt seien vor allem der „DGB-Index Gute Arbeit“, der die subjektive Belastungssituation der Beschäftigten sehr gut herausarbeitet und die Defizite auf der Betriebs- und Branchenebene sichtbar macht, und die aktuellen tarifpolitischen Auseinandersetzungen von ver.di im Bereich der Sozial- und Erziehungsdienste für einen Tarifvertrag zum Betrieblichen Gesundheitsschutz.

Es ist nun erforderlich, die tariflichen Regelungen durch gewerkschaftliche Handlungshilfen, insbesondere zu den psychischen Gefährdungsfaktoren, zu untermauern. Darüber hinaus erarbeitet ver.di tarifpolitische Gestaltungsempfehlungen für gendergerechte, gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen. Eine Verknüpfung zu dem bereits genannten Leitlinienpapier der GDA bietet sich hierfür geradezu an.

Literatur

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Ferber, Christian von (1991): Gesundheitszirkel – eine Strategie zur Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz; in: Sozialer Fortschritt – Unabhängige Zeitschrift für Sozialpolitik. Band 40, Heft 12, 293–298.

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Zoike, Erika et al. (2008): BKK Gesundheitsreport – Seelische Krankheiten prägen das Krankheitsgeschehen. Essen: Eigendruck des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen.

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