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„So vielfältig wie die Ursachen von Stress sind aber auch die Lösungen“

Foto: Leuphana Universität Lüneburg

Prof. Dr. Dirk Lehr im Interview

„So vielfältig wie die Ursachen von Stress sind aber auch die Lösungen“

Seit Oktober 2015 ist Prof. Dr. Dirk Lehr als Professor für Gesundheitspsychologie und Angewandte Biologische Psychologie am Institut für Psychologie der Leuphana Universität Lüneburg tätig. Im Interview erklärt er den Zusammenhang von Arbeit und Gesundheit.

Professor Lehr, Ihr Forschungsschwerpunkt ist der Bereich der Occupational Health. Was versteht man darunter?
Im Prinzip geht es um zwei Sachen. Das Oberthema ist Arbeit, also berufliche Arbeit, und Gesundheit. Da ist zum einen die Frage interessant, welche Bedingungen am Arbeitsplatz herrschen, die uns in negativer Sicht anfällig für Erkrankungen machen, zum anderen, welche Bedingungen es gibt, die uns dabei helfen, Ressourcen zu stärken. Es geht also sowohl um Risikofaktoren als auch darum Ressourcen zu finden. Ich interessiere mich insbesondere für den Anwendungsbezug, also was man konkret machen kann, um die Gesundheit zu fördern.

Welche gesundheitlichen Beschwerden kann beruflicher Stress verursachen und woran erkennt ein Arbeitnehmer, dass der Stress überhand nimmt?
Ein deutlicher Zusammenhang besteht zwischen beruflichem Stress und Depressionen. Häufige gesundheitliche Beschwerden sind außerdem Schlafstörungen, chronische Schmerzen, Desinteresse an Sexualität oder kardiovaskuläre Krankheiten. Grundsätzlich kann man sagen, dass periodischer Stress kein Gesundheitsrisiko darstellt. Dabei ist aber darauf zu achten, dass auf Phasen von Stress entsprechende Erholungsphasen folgen.

Auf die andere Seite geschaut, was hat es mit den Ressourcen auf sich?
Als Gesundheitspsychologe schaue ich besonders darauf, was Menschen stärkt und ihre Gesundheit erhält. In diesem Zusammenhang forsche ich dazu, wie sich Berufstätige gut erholen können, den Stress am Feierabend nicht noch gedanklich mit nach Hause nehmen und ganz entscheidend, wie es gelingt einen erholsamen Schlaf zu finden.

Das mit dem Abschalten von der Arbeit interessiert sicher viele Menschen, haben Sie da einen Tipp?
Mein erster Tipp wäre, das Wort „Abschalten“ aus dem Wortschatz zu streichen. Der Anspruch abschalten zu können weckt einen unrealistischen Anspruch und erzeugt Leistungsdruck. Leider lässt sich unser Gehirn zum Feierabend nicht abschalten. Man merkt dann, dass die Gedanken an Ärgernisse, Unerledigtes und die Probleme von morgen noch da sind. Manche machen sich dann selbst zusätzlich Vorwürfe, dass man ein schlechter „Abschalter“ sei. Das muss nicht sein. Es braucht einfach Zeit, bis man sich langsam gedanklich von der Arbeit entfernt. Ein bis zwei Stunden sind da völlig normal. Wir kennen das vom Sport, auch dort ist ein langsames Auslaufen nach dem Wettkampf üblich, das braucht Zeit.

Heißt das, man muss nur abwarten, kann man denn gar nichts tun?
Doch, man kann zum Beispiel die eigene Aufmerksamkeit trainieren, gerade dann, wenn diese wie die Schwerkraft immer in eine Richtung zieht: nach unten zu den Problemen. In gewisser Weise ist das ja unfair, denn es gibt meist auch Gutes. Das will entdeckt und wertgeschätzt werden. In einem Projekt gehe ich zusammen mit Kollegen der Frage nach, ob wir gedanklich besser von Problemen loskommen, wenn man lernt die Aufmerksamkeit auf positive Erlebnisse zu richten. Dazu haben wir eine App entwickelt, die wie ein Dankbarkeitstagebuch funktioniert und untersuchen in Studien, ob diese Dank-App die psychische Widerstandskraft stärkt. Vor lauter Hektik sind es ja die kleinen guten Momente, die leicht unter dem Radar durchfliegen. Diese Mischung aus positiver Psychologie und Mobile Health möchte ich an der Leuphana weiterentwickeln.

Sie befassen sich in Ihrer Forschung unter anderem mit internetbasierten Gesundheitstrainings, beispielsweise in dem Inkubator-Projekt „GET.ON – GesundheitsTraining.Online“. Wie sehen diese Onlinetrainings aus?
Onlinetrainings sind im Prinzip mit Gruppentrainings zur Stressbewältigung vergleichbar, die wahrscheinlich der eine oder andere aus anderen Kontexten kennt. Man hat regelmäßige Trainingseinheiten, meist einmal pro Woche, die dauern circa eine Stunde. Der Nutzer arbeitet sich durch Programme, erhält konzentrierte Informationen und vor allem das Angebot, bewährte Übungen auszuprobieren, die helfen für Entlastung von arbeitsbedingtem Stress zu sorgen.

Wie wirksam sind solche Online-Trainings?
Da ich als Psychotherapeut aus einem Setting komme, in dem man intensiv mit dem Patienten zusammenarbeitet, war ich selbst anfangs sehr neugierig, wie wirksam die Online-Trainings sind. Jetzt bin ich positiv überrascht von den Ergebnissen. Im Durchschnitt helfen die Trainings den Leuten recht gut und deutlich stärker, als wir erwartet hätten.

Werden Sie in diesem Bereich weiterarbeiten?
Ja, ermutigt durch diese Erfahrungen werden wir in einem neuen Projekt untersuchen, wie solche Online-Trainings so gestaltet werden können, damit sie für Gründerinnen und Gründer sowie junge Unternehmen ein hilfreiches Angebot sind. Gerade an einer Universität, die im Bereich Entrepreneurship so aktiv ist, freue ich mich beim Thema Unternehmensgründung den Aspekt der psychischen Gesundheit einzubringen.

Sie leiten ein Forschungsprojekt, das ein System zur Erfassung und Prävention psychischer Arbeitsbelastungen in kleinen und mittleren Unternehmen der Industrie 4.0 entwickelt. Worum geht es dabei?
In dem Projekt geht es darum, genau zu ermitteln, welchen Arbeitsbelastungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Industrie 4.0 im Gegensatz zu anderen Berufszweigen ausgesetzt sind. Grundsätzlich wissen wir, dass es günstig ist, wenn Arbeitnehmer Einflussmöglichkeiten haben, wenn das Verhältnis zwischen dem, was man erarbeitet und was man an Positivem zurückbekommt, günstig ist und wenn ein gewisses Ausmaß an Autonomie bei der Arbeit vorhanden ist. Im konkreten Forschungsprojekt möchten wir mit Hilfe der entwickelten Online-Tools herausfinden, was das im Setting Industrie 4.0 genau bedeutet.

Das heißt, Sie entwickeln onlinebasierte Umfragen, in denen Berufstätige zu ihrer Arbeit und Gesundheit befragt werden?
Richtig. Das ist aber natürlich kein Selbstzweck. Wir wollen die Ergebnisse optimal an die Leute, die die Gesundheitsförderung für das Unternehmen übernehmen, zurückmelden, damit diese eine Analyse machen, Schritte ableiten, implementieren und die Gesundheit im Unternehmen zielgerichtet fördern. Dabei treibt uns auch die Frage um, ob und wie wir solche Umfragen gamifizieren können, d.h. spielerische Elemente einbauen können, damit die Nutzung der Tools interessanter wird.

Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer klagen heute ja darüber, dass sie über ihr Smartphone auch für den Arbeitgeber ständig erreichbar sind und sich dadurch gestresst fühlen. Ist das auch ein Forschungsthema für Sie?
Ja, das ist ein spannendes Feld. Es gibt schon einige gute Forschungsprojekte zur Nutzung von Smartphones und Gesundheit. Insgesamt ist dieser Forschungsbereich aber noch ein recht neues Phänomen. Viele Fragen sind noch offen. So ist aus gesundheitlicher Perspektive noch nicht geklärt, wo eine gute Balance zwischen dem Gewinn an Freiheit „Ich kann von überall aus arbeiten“ und einem dauerhaften Stand-by-Modus „Ich muss damit rechnen immer erreicht zu werden“ liegt. Mich persönlich interessiert dabei allerdings am meisten, wie wir das Smartphone positiv im Sinne der Gesundheitsförderung nutzen können. In einem neuen Projekt möchten wir eine App für den Urlaub entwickeln, eine Urlaubs-App. Es ist leider so, dass der Erholungseffekt von Urlaub nur sehr kurz ist, kaum zurück auf der Arbeit ist der Stresspegel im Durchschnitt wieder so wie vor dem Urlaub. Mit der Urlaub-App möchten wir Berufstätige dabei unterstützen den Urlaub so zu gestalten, dass der Erholungseffekt länger anhält. Es wäre doch schön, wenn wir herausfinden, wie das gelingt.

Vielen Dank für das Interview, Professor Lehr!
Interview: Vivien Thais Valentiner (Leuphana Universitä Lüneburg)

Interview: Vivien Thais Valentiner (Leuphana Universitä Lüneburg)

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