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Arbeitssucht – Die Suche nach Anerkennung Im Rausch der Arbeit

Wer viel arbeitet, gilt als fleißig, erfolgreich, zielstrebig und leistungsbereit. Alles Eigenschaften, die in unserer Gesellschaft hoch angesehen sind. „Ohne Fleiß kein Preis“, „Arbeit adelt“, „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“. Im Extremfall führt diese Einstellung zu einem Leben auf der Überholspur. Manche werden dabei reich und glücklich – andere werden krank …

Ursula Riedl über ein Phänomen, das inzwischen immer häufiger zu finden ist.

Die leitende Position in „seiner“ Firma macht Erich K. richtig Spaß. Er geht gern ins Büro. Sein Engagement ist überdurchschnittlich – sein Einsatz am Limit. Seine Mitarbeiter allerdings sind weniger begeistert, denn auch von ihnen verlangt er stets 120 Prozent. Nach und nach verliert Erich K. den Blick für das Machbare und überfordert alle mit unrealistischen Zielvorgaben. Er perfektioniert einfach alles – mit fatalen Folgen.

Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem Erich K. unwichtige Aufgaben von wichtigen nicht mehr unterscheiden kann. Er verliert sich im Detail und kommt zu keinem Ende. Aufgaben zu delegieren fällt ihm zunehmend schwerer. Schließlich macht er die gesamte Arbeit noch einmal. Ohne Termindruck fühlt er sich überflüssig. Zur Entspannung ein Glas Wein, drei bis vier Stunden Schlaf und weiter geht’s.

Doch mit der Zeit lässt die Kraft für diese ungeheuere Anstrengung nach. Es kommt der unvermeidliche Zusammenbruch: Krankenhaus! Viel Zeit zum Nachdenken …

Erich K. ist leider kein Einzelfall. Experten schätzen die Zahl der Arbeitssüchtigen auf rund 200.000, allein in Deutschland. Zudem sei jeder siebte Arbeitnehmer tendenziell gefährdet, arbeitssüchtig zu werden.

Süchtiger Extremjobber oder kontrollierter Viel-Arbeiter?
Natürlich ist nicht jedes „viel Arbeiten“ oder „Schwelgen in Arbeit“ schon Sucht. Wird dieses Verhalten jedoch zu einem Dauerzustand, ist es ratsam, die Hintergründe hierfür genau zu betrachten. „Ob jemand arbeitssüchtig ist, ist nicht daran zu erkennen, wie viel er arbeitet, sondern warum er arbeitet“, erläutert der Dr. Stefan Poppelreuter. „Entscheidend ist der Kontrollverlust. Wenn der Sonntagsspaziergang zwanghaft am Büro vorbeigeht und selbst im Urlaub am Strand Termine gemacht und Tabellen abgearbeitet werden, ist die Schwelle zur Sucht überschritten.“ Der Psychologe ist einer der renommiertesten Experten für Arbeitssucht in Deutschland und berät Unternehmen, wie sie das Phänomen Arbeitssucht in den Griff kriegen können. Poppelreuter fordert: „Es muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass Arbeitssucht kein Modeleiden, sondern eine gefährliche Verhaltensstörung ist.“

Auf dem Weg von normalem Verhalten bis hin zur Sucht lassen sich drei Phasen unterscheiden. Die Übergänge sind fließend.

Die Einleitungsphase: Betroffene beginnen, ihren Lebensstil im Hinblick auf die Arbeit zu tarnen. Sie arbeiten heimlich, in ihrer Freizeit. Ihr Arbeitsstil wird hastiger. Stress und Hektik vermitteln Rauscherlebnisse. Die Gedanken kreisen mehr und mehr um die Arbeit. Zwischenmenschliche Beziehungen verschlechtern sich.

Typische Symptome sind Erschöpfungsgefühle, leichte Depressionen, Konzentrationsstörungen, Kopf- und Magenschmerzen, beginnende Herz-/Kreislaufprobleme.

Die kritische Phase: Versuche einer besseren Zeitplanung misslingen. Betroffene sichern sich immer einen Arbeitsvorrat. Ohne einen gewissen Termindruck kommen sie sich überflüssig vor und sind deshalb ständig auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten. Ausreden, nur um weiterarbeiten zu können, häufen sich. Werden „Vielarbeiter“ gar von ihrem Umfeld wegen ihres Arbeitspensums bedauert, dämpft das die eventuell bereits vorhandenen Schuldgefühle und wirkt wie ein Freibrief weiterzumachen. Alkohol, Zigaretten oder Medikamente sorgen nicht selten für die nötige Entspannung. Es besteht die Gefahr, eine Zweitsucht zu entwickeln, die dann in den Vordergrund rückt und das eigentliche Problem, die Arbeitssucht, überdeckt. In dieser kritischen Phase entscheidet sich, ob es bei Missbrauch bleibt oder Arbeit zur krankhaften Sucht wird. Typische Symptome in dieser Phase sind Bluthochdruck, Magengeschwüre, Depressionen.

Die chronische Phase: Die Betroffenen arbeiten ohne Ende, auch abends und am Wochenende. Sie übernehmen immer mehr Aufgaben und stellen extrem hohe Ansprüche an sich selbst. Zudem sind sie hart und ungerecht gegenüber Kollegen mit einem anderen Arbeitsstil. Die völlige Aufgabe des privaten Bereichs führt zu weiterer Isolation. Schlafmangel verlangsamt die Wahrnehmung, Denk- und Konzentrationsschwäche folgen. Um das hohe Arbeitspensum zu schaffen, werden immer häufiger Aufputsch- und Beruhigungsmittel zu festen Begleitern. Die dauernde Überlastung führt zwangsläufig zu schweren organischen Krankheiten, wie Herzinfarkt, Nervenzusammenbrüchen, Magendurchbrüchen, Hörsturz. In dieser Endphase sind Betroffene völlig ausgebrannt. Schwerste Depressionen bis hin zu Selbstmordversuchen können die Folge sein. Workaholics gehen oft schon Mitte 50 in Rente oder sterben früh.

Nicht jeder Viel-Arbeiter ist auch ein guter Arbeiter
Arbeitssüchtige schaden dem Unternehmen. Das belegt die Studie „Die Droge Arbeit“ von Dr. Ulrike Emma Meißner, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Bremen. Sie hat im Jahr 2005 nachgewiesen, dass ein Arbeitssüchtiger ein Unternehmen im Schnitt 200.000 Euro kostet. Befragt wurden 125 Großunternehmen. Größter Kostenfaktor ist der unvermeidbare krankheitsbedingte Ausfall der Betroffenen, zum Beispiel wegen Magengeschwüren, Depressionen oder Herzinfarkt. Außerdem steigt die Personalfluktuation im Dunstkreis eines Arbeitssüchtigen, was die personalwirtschaftlichen Kosten ebenfalls in die Höhe treibt. Ein echter Workaholic ist nämlich permanent unzufrieden und verbreitet schlechte Stimmung. Ganz im Gegensatz zum kontrollierten Viel-Arbeiter, der mit Lust und Laune mehrere Projekte gleichzeitig meistert.

Das Dilemma Arbeitssucht
Manche Beschäftigte sind mit ihrer Arbeit verheiratet: Spät Feierabend, kaum ein freies Wochenende, selten Urlaub. Ein Workaholic erlebt es subjektiv als unmöglich, nicht zu arbeiten. Für ihn ist Arbeit wie eine Droge. Identität und Selbstachtung ergeben sich für ihn ausschließlich aus dem Beruf. Der Wunsch nach materiellem Profit spielt nur eine untergeordnete Rolle. Die Arbeit wird zum Selbstzweck.

Arbeitsschutz-Experten und Gewerkschaften warnen schon lange vor einem programmierten Burnout. Anders als bei den meisten anderen Süchten ist der Suchtstoff „Arbeit“ permanent verfügbar. Keiner kann ihm entfliehen – man kann nicht „Nicht-Arbeiten“. Ziel muss es also sein, einen ausgeglichenen Lebensstil mit einem ausgewogenen Verhältnis von Arbeits- und Erholungsphasen (wieder)zufinden.

Aus dem Dilemma Arbeitssucht auszubrechen, ist nicht einfach. Workaholics müssen lernen, zwischen Arbeitszeit und Freizeit zu unterscheiden. Nicht das Vermeiden von Arbeit ist zielführend, sondern das Erlernen eines bewussten Umgangs mit der Arbeit.

Das ist leichter gesagt als getan. In der modernen Arbeitswelt kann dank Laptop und Handy überall gearbeitet werden, auch auf Zugfahrten und am Flughafen. Tele-Arbeitsplätze und die Einführung der Vertrauensarbeitszeit verschärfen zusätzlich das Problem.

Bei vielen Tätigkeiten zählt heute ausschließlich das Ergebnis. Feste Arbeitszeiten und ein räumlich festgelegter Arbeitsplatz sind oft unnötig. Bei solch „projektorientiertem“ Arbeiten verschmelzen Arbeit und Freizeit zunehmend.

Hier ist zunächst einmal jeder persönlich gefordert, es nicht erst so weit kommen zu lassen.

Sobald Betroffene allerdings merken, dass sie alleine nicht weiterkommen und immer wieder in die Arbeitsspirale geraten, sollten sie sich Unterstützung und Hilfe holen. In leichteren Fällen kann es ausreichen, gemeinsam mit einem Trainer ein Zeit- und Selbstmanagement zu entwickeln.

Professionelle Hilfe finden Arbeitssüchtige außerdem bei Therapeuten und Suchtberatungsstellen. In einigen Städten gibt es Selbsthilfegruppen von Anonymen Arbeitssüchtigen (AAS). Ihr Programm entstand in Anlehnung an das Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker. Bei den regelmäßigen Meetings haben Betroffene Gelegenheit, über ihr Problem zu reden. Es gibt keine Mitgliedsbeiträge, niemand muss seine Identität offenlegen.

Ursula Riedl

Unfallkasse Post und Telekom

Tel.: 06151 872–820

Mail: Riedl@ukpt.de

Weitere Informationen und Links:

www.arbeitssucht.de

AAS Interessengemeinschaft e.V.

Postfach 1204

77902 Lahr

Kontaktdaten zu Meetings der AAS finden Sie unter:

www.arbeitssucht.de

oder sind zu erfragen bei den

Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker

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