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Hayes’ Handbook of Pesticide Toxicology

Die Vielzahl von Pflanzenschutzmitteln mit entsprechenden Unterschieden in der Toxizität kann auch für den Erfahrenen eine Herausforderung darstellen, selbst wenn auf Grund von Reglementierungen durch die EU verschiedene Wirkstoffe nicht mehr angewendet werden dürfen. Im konkreten Einzelfall ist es wichtig, sich rasch und kompetent über einen oder auch mehrere Wirkstoffe (Mischexpositionen) zu informieren, um qualifiziert beraten zu können. Dieser Herausforderung müssen sich Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit stellen, die landwirtschaftliche Betriebe und/oder Schädlingsbekämpfer betreuen. Auch die dafür nötigen Informationen soll ein Handbuch wie das „Handbook of Pesticide Toxicology“ liefern. Bei der Komplexität der Materie verwundert es nicht, dass die zahlreichen Kapitel von einer großen Zahl namhafter Autoren verfasst wurden. Die einzelnen Kapitel befassen sich mit den Eigenschaften, den Wirkungen, Aufnahmepfaden, der Erfassung der Exposition sowie der Regulierung von Pflanzenschutz- und Begasungsmitteln. Dabei werden nicht nur experimentelle Daten und Wirkungen auf den Menschen, sondern auch veterinärmedizinische und Umweltaspekte angesprochen. Für den Betriebsarzt sind vor allem die Kenntnis der Eigenschaften der jeweils verwendeten Substanzen, die Bewertung der Exposition sowie klinische Aspekte wichtig. Letztere könnten durchaus ausführlicher behandelt werden, wie an einem Beispiel erläutert werden soll. In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass bei Winzern mit einer Mischexposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln erhöhte Aktivitäten von Leberenzymen festgestellt werden. Insbesondere wenn der Betroffene einen Alkoholmissbrauch negiert, muss der Betriebsarzt zu der Frage Stellung nehmen, ob die Pflanzenschutzmittelexposition ursächlich gewesen sein könnte. Im Inhaltsverzeichnis des Handbuchs gibt es kein Kapitel über Leberkrankheiten. Wenn man im Stichwortverzeichnis unter „liver“ nachschaut, findet sich ein einziger Eintrag, nämlich „ethylenebisdithiocarbamate effects“. Bezüglich weiterer Pflanzenschutzmittel bleibt dem Leser dann noch die Möglichkeit, in den Kapiteln über die einzelnen, vom Winzer verwendeten Substanzen bzw. Substanzgruppen zu suchen oder eine Datenbankrecherche durchzuführen. Beispielsweise wird man im Kapitel über organische Phosphorsäureester nicht fündig. Falls es keine relevanten Publikationen zur Hepatotoxizität dieser Substanzgruppe geben sollte, müsste dies aber vom Autor zumindest kurz konstatiert werden, um dem Leser einen Hinweis zu geben. Die Bewertung von in der Landwirtschaft typischen Mischexpositionen mit immer wieder wechselnden Wirkstoffen kann im Einzelfall ein extrem schwieriges Unterfangen sein. Aufgabe eines Handbuchs wäre es aber, zumindest den wissenschaftlichen Kenntnisstand dazu darzustellen. Die Frage, welche (Misch)Expositionen gegenüber Pflanzenschutzmitteln beim Menschen ein Parkinson-Syndrom verursachen können, ist Gegenstand kontroverser wissenschaftlicher Diskussionen. Zu dieser Thematik gibt es zahlreiche Publikationen. In Deutschland sind in Einzelfällen Parkinson-Syndrome bei einer hohen beruflichen Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln als Berufskrankheit anerkannt worden. Im Handbuch wurde das Parkinson-Syndrom jedoch nur in einem Kapitel über genetische Variationen behandelt, die eine erhöhte Suszeptibilität bei einer Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln bedingen können. In diesem Kontext wurde verständlicherweise auf die für die Fragestellung relevanten Studien fokussiert. Dementsprechend wurden Übersichtsarbeiten, aber nur relativ wenige toxikologische und epidemiologische Studien berücksichtigt, in denen keine Interaktionen zwischen genetischen Variationen und Pflanzenschutzmittelexposition untersucht worden waren. Wünschenswert wäre ein übergreifendes Kapitel zu der Thematik, das weitere Studien ohne genetische Analysen berücksichtigt und besser nachvollziehbare Schlussfolgerungen bezüglich der toxischen Ursachen des Parkinson-Syndroms enthält. Selbstverständlich ist es nicht möglich, alle möglichen Fragestellungen in einem Handbuch zu antizipieren. Jedoch sollten häufig vorkommende und für die betriebsärztliche Praxis sowie für die Prävention wichtige Fragestellungen hinreichend ausführlich besprochen werden.

Zusammenfassend liegen aus arbeitsmedizinischer Sicht die Stärken des Handbuchs in Kapiteln über die Ermittlung der Exposition und bei vielen Substanzen bzw. Erkrankungen auch in der klinischen Toxikologie. Experimentelle Daten sind ausführlich besprochen, dürften aber den Betriebsarzt weniger interessieren als den Wissenschaftler. Leider wird nicht hinreichend auf alle klinisch relevanten Krankheitsbilder im Zusammenhang mit einer beruflichen Pflanzenschutzmittelexposition eingegangen. Für eine künftige Auflage wären entsprechende Ergänzungen wünschenswert. Für den arbeitsmedizinischen Gutachter stellt das Handbuch ein wertvolles Nachschlagewerk dar, allerdings mit den beschriebenen Einschränkungen. Welchen Rat kann man dem Leser geben? Wenn ein Betriebsarzt das gesamte Werk kauft, bezahlt er viele Kapitel mit, die er nicht benötigt. Es besteht jedoch die Möglichkeit, die speziell interessierenden Kapitel online zu erwerben (http://www.sciencedirect.com/science/book/9780123743671# ancs1). Über diesen Link sind detailliertere Informationen zu den einzelnen Kapiteln zu erhalten, so dass die Auswahl nicht schwer fallen sollte.

Robert Krieger: Hayes’ Handbook of Pesticide Toxicology, 3. Auflage. Elsevier, Amsterdam, 2 Bände, insgesamt 2342 Seiten in englischer Sprache. Preis: 515 EUR für die gedruckte Fassung nach Verlagsangabe. Das Werk ist auch als eBook erhältlich.

Prof. Dr. med. Axel Muttray

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