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Kommentar zur DGUV Vorschrift 2 eingereicht: 12.12.2010, angenommen: 13.12.2010

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In einigen Publikationen wird die neue DGUV Vorschrift 2 als ein „bedeutender Schritt der Geschichte der Unfallverhütungsvorschriften“ gelobt und wird als „ambitioniertes Reformvorhaben“ angepriesen 1.

Wenn man sich die Vorschrift zur Hand nimmt und die Aufgabenfelder im Rahmen des betriebsspezifischen Teils der Betreuung in Augenschein nimmt, dann liest es sich in der Tat ambitioniert, ganzheitlich und auch den großen neuen Herausforderungen in der Arbeitswelt entgegentretend. Es werden beispielsweise Aufgaben im Bereich der Tätigkeiten mit psychischen und physischen Fehlbeanspruchungen, der Einsatz von Fremdfirmen und Zeitarbeitnehmern, Nachtschichtarbeit, Wiedereingliederung, altersgerechte Tätigkeit im Lichte des demografischen Wandels, die Herausforderung der überdurchschnittlich hohen Krankenstände, Gesundheitskompetenz und Gesundheitsmanagement, Identifizierung von neuartigen Gefahrenquellen und auch die Initiierung und Durchführung von Schwerpunktprogrammen, Kampagnen sowie Unterstützung von Aktionen zur Gesundheitsförderung aufgeführt.

Doch durch wen sollen die anspruchsvollen Aufgaben identifiziert und Sachverstand abgerufen werden? Das Besondere an dem betriebsspezifischen Teil der Betreuung ist – wie von der DGUV herausgestellt – die individuelle Ermittlung des Betreuungsbedarfs durch den Unternehmer. Dreh- und Angelpunkt ist damit alleinig der Unternehmer/Arbeitgeber. Der Staat und die Berufsgenossenschaften haben sich im Hinblick auf Steuer- und Kontrolltätigkeit zurückgezogen.

Der in Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin nicht geschulte Unternehmer soll nun Bedarfe im Betrieb identifizieren. Wenn der Arbeitgeber ambitioniert ist und in dem Arbeitsschutz und der Arbeitsmedizin Chancen für seinen Betrieb und damit für seine Beschäftigten sieht, dann wird er sich sicherlich von Anfang an von dem Betriebsarzt, von der Fachkraft für Arbeitssicherheit und den betrieblichen Interessenvertretern beraten lassen und es wird ein vorbildlicher Arbeitsschutz durch Betriebsarzt/Fachkraft für Arbeitssicherheit und anderen Professionen betrieben, der ganzheitlich ausgerichtet ist mit dem Fokus auf Verhaltens- und Verhältnisprävention, beginnend mit betrieblicher Gesundheitsförderung, Primärprävention über Sekundär- bis Tertiärprävention zum Wohle des Beschäftigten.

Aber wenn das Wörtchen wenn nicht wäre …

Wenn der Arbeitgeber keinen Vorteil in der Gesundheitsvorsorge seiner Mitarbeiter oder Bedarfe sieht, dann kann es sein, dass keine Betreuung stattfindet. Diese Gefahr besteht insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen. Dies ist die andere Seite der Medaille.

Eine weitere Neuerung durch die DGUV Vorschrift 2 ist, dass bei der betriebsspezifischen Betreuung die Ermittlung von Dauer und Umfang der Betreuung durch den Unternehmer anhand eines Leitungskatalogs mittels Auslösekriterien erfolgt. Der Unternehmer hat die Betreuungsleistung schriftlich mit dem Betriebsarzt/Fachkraft für Arbeitssicherheit festzulegen. Das freie Aushandeln von Einsatzzeiten kann auch durch feste Einsatzzeiten ersetzt werden. In der Anlage 2 Teil 3 wird die Ausnahme in Form eines Kommentars im Muster der DGUV V2 angegeben: „Konkrete Angabe (der Einsatzzeiten) des jeweiligen Unfallversicherungsträgers (UVT) (ist) möglich; soweit es sich bei den regelmäßig vorliegenden Aufgabenfeldern um betriebsartenspezifische Besonderheiten handelt, kann der UVT im Anhang 1 Einsatzzeiten empfehlen. Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen sind hiervon ausgenommen.“

Doch wie sehen solche Festlegungen aus? Wird die betriebsärztliche Betreuung mindestens hälftig festgelegt? Beispielsweise hat die BG Metall in ihrem „Handlungsleitfaden zur Umsetzung der Anforderungen an die betriebsärztliche und sicherheitstechnische Regelbetreuung in Metallbetrieben mit mehr als 10 Beschäftigten“ mit Stand vom 28.09.2010 für die betriebsspezifische Betreuung durchgängig fixe Einsatzzeiten vorgegeben, z.B. für die betriebsspezifische regelmäßige Betreuung in Gießereien, im Maschinenbau und bei Kfz-Herstellern. Für Betriebsärzte sind 0,2 Std./Jahr je Beschäftigten und für die Fachkräfte für Arbeitssicherheit die vierfache Zeit vorgesehen und zwar 0,8 Std./Jahr je Beschäftigten. Diese viel zu gering bemessene Einsatzzeit der Betriebsärzte ist nicht nachvollziehbar.

Wichtig ist, die betriebsärztliche Kompetenz im Betrieb zu erhalten. Es zeigt sich aber, dass diese Sicht in den Reihen der DGUV nicht durchgängig mitgetragen wird. Dr. Walter Eichendorf, Stellv. Hauptgeschäftsführer der DGUV, hat in einem Editorial der Zeitschrift Sicherheitsingenieur, die im März 2010 veröffentlicht wurde, in Zusammenhang mit der Möglichkeit eines Nachwuchsmangels in der Betriebsmedizin, betont: „Deshalb gilt es zu prüfen, ob wir Sicherheitsingenieure, Arbeitswissenschaftler, Psychologen, Pädagogen, Ergonomen usw. und ärztliches Assistenzpersonal stärker in die betriebsärztliche Betreuung einbeziehen können, um so die Mediziner zu „entlasten“ 2. Dabei hat er außer Acht gelassen, dass bei den Sicherheitsingenieuren ein deutlicher Nachwuchsmangel herrscht.

Es wird nicht wahrgenommen, dass die Kompetenz der Fachkräfte für Arbeitssicherheit und anderer Professionen Grenzen hat. Sie sind dann erreicht, wenn es um die ärztliche „Gesundheitskompetenz“ geht. Die ärztliche Leistung von Betriebsärzten kann nicht von anderen Professionen übernommen werden. Der Betriebsarzt kümmert sich individuell um die Gesundheit der Beschäftigten und erhält sensible persönliche Daten durch Anamnese und Untersuchung, die der Schweigepflicht unterworfen sind. Dieser Schweigepflicht unterliegen aber nicht andere Professionen. Im „Setting Betrieb“ sind über 40 Millionen Menschen betriebsärztlich zu erreichen, darunter sind viele, die den Weg zum Hausarzt nicht finden, besonders diejenigen, die sozial benachteiligt sind. Gerade in der Zeit des demografischen Wandels und den damit einhergehenden Anstieg von Beschäftigten mit chronischen Erkrankungen hat der Betriebsarzt eine wichtige Rolle im Betrieb. Andere Professionen im Arbeitsschutz haben diese ärztliche Kompetenz nun mal nicht. Es ist aber zu befürchten, dass weiterhin weitestgehend nur die Fachkräfte für Arbeitssicherheit rekrutiert werden und damit droht langfristig die Substituierung der betriebsärztlichen Leistung.

Die DGUV Vorschrift 2 tritt nun am 1. Januar 2011 in Kraft. Nun heißt es, konstruktiv an der Umsetzung zu arbeiten, damit diese Vorschrift zugunsten der Beschäftigten auch wirklich als „ambitioniertes Reformvorhaben“ ein „bedeutender Schritt der Geschichte der Unfallverhütungsvorschriften“ werden kann.

Quellen

1. Strothotte G. Übersicht. Die Entwicklung zur DGUV Vorschrift 2. 6. DGUV Forum 5/2010

2. Eichendorf W. Betriebe ohne Ärzte. Sicherheitsingenieur 3/2010

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