Fehlzeiten-Report 2016
Mitarbeitergesundheit leidet unter schlechter Unternehmenskultur
Eine schlechte Unternehmenskultur geht mit einem deutlich höheren gesundheitlichen Risiko für Mitarbeiter einher, lautet das Ergebnis einer Befragung unter rund 2.000 Beschäftigten im aktuellen Fehlzeiten-Report 2016 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). So ist jeder Vierte, der seine Unternehmenskultur als schlecht bewertet, auch mit der eigenen Gesundheit unzufrieden. Bei den Befragten, die ihr Unternehmen positiv sehen, war es nur jeder Zehnte. Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO und Mitherausgeber des Reports: Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen der Art und Weise, wie Beschäftigte ihre Arbeit erleben, und ihrer Gesundheit. Jedes Unternehmen, egal welcher Branche, sollte dieses Wissen nutzen.
Mit einer bundesweit repräsentativen Befragung ist das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) im Fehlzeiten-Report 2016 erstmalig der Frage nachgegangen, welchen Einfluss die Unternehmenskultur auf die Gesundheit der Beschäftigten hat. Dazu wurde im Februar 2016 eine Repräsentativbefragung von insgesamt 2.007 Erwerbstätigen im Alter zwischen 16 und 65 Jahren durchgeführt, bei der die Unternehmenskultur mit ihren verschiedenen Facetten erfasst wurde, darunter beispielsweise der Führungsstil, die Mitarbeiterorientierung und die Entlohnungsgerechtigkeit.
Danach sind Mitarbeitern vor allem die Loyalität des Arbeitgebers (78 Prozent) und der Aspekt des Lobens (69 Prozent) im Arbeitsalltag wichtig. Diese und weitere Merkmale machen eine gute und gesundheitsfördernde Unternehmenskultur aus. Doch nur 55 Prozent der Beschäftigten erleben tatsächlich, dass der Arbeitgeber hinter ihnen steht, wie auch lediglich die Hälfte der Beschäftigten für gute Arbeit gelobt wird.
Die WIdO-Befragung zeigt, dass Beschäftigte, die ihre Unternehmenskultur als schlecht empfinden, deutlich unzufriedener mit ihrer eigenen Gesundheit sind und häufiger über körperliche und psychische Beschwerden berichten, die im Zusammenhang mit ihrer Arbeit stehen. So geht eine schlecht bewertete Unternehmenskultur bei 27,5 Prozent der Befragten mit gesundheitlicher Unzufriedenheit einher. Dieser Anteil ist damit dreimal so hoch wie in der Vergleichsgruppe, die ihre Unternehmenskultur positiv wahrnimmt (8,9 Prozent). Mehr als doppelt so häufig wird bei einer schlechten Unternehmenskultur außerdem über körperliche Beschwerden berichtet, die im Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit stehen (66,6 Prozent im Vergleich zu 32 Prozent bei einer guten Unternehmenskultur). Bei den psychischen Beschwerden sind die Verhältnisse ebenso (65,1 Prozent gegenüber 35,8 Prozent bei einer guten Unternehmenskultur).
Unterschiede gibt es aber auch im Umgang der Beschäftigten mit ihren Erkrankungen: Bei einer schlecht bewerteten Unternehmenskultur hat nahezu jeder Dritte (31 Prozent) im letzten Jahr mehr als zwei Wochen im Betrieb gefehlt. In der Vergleichsgruppe mit einer positiv erlebten Unternehmenskultur war dies nur etwas mehr als jeder Sechste (16,9 Prozent). Letztlich hat die erlebte Unternehmenskultur auch Einfluss darauf, wie häufig entgegen dem ärztlichen Rat entschieden wird, krank zur Arbeit zu gehen: Während das nur 11,8 Prozent der Beschäftigten tun, die ihre Unternehmenskultur positiv erleben, zeigen Beschäftigte in Unternehmen mit einer schlechten Unternehmenskultur häufiger ein riskantes Verhalten (16,7 Prozent).
AOK Bundesverband
Statement von Prof. Dr. Bernhard Badura
Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld (emeritiert) und Mitherausgeber des Fehlzeiten-Reports
Führung und Kultur sind zwei Seiten einer Medaille
Moderne Gesellschaften sind einerseits kulturell heterogen. Auf der anderen Seite sind sie angewiesen auf ein gemeinsames Fundament selbstverständlicher Werte, Überzeugungen und Spielregeln. Ohne ein solches Fundament können weder Gruppen, noch Organisationen, noch Märkte oder Staaten auf Dauer bestehen. Kultur befähigt zu Kooperation und gemeinsinnigem Handeln und ermöglicht, das Verhalten unserer Mitmenschen vorherzusehen. Kultur trägt dadurch wesentlich zur Berechenbarkeit und Vertrautheit der Lebens- und Arbeitswelt bei.
Die Unternehmenskultur ist, dies belegen die Beiträge des diesjährigen Fehlzeiten-Reports, von erheblicher Bedeutung für Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Gemeinsame Überzeugungen, Werte und Regeln befriedigen das individuelle Bedürfnis nach Orientierung, Sinnstiftung und Bindung. Das dadurch entstehende Wir-Gefühl erleichtert die Zusammenarbeit. Beides fördert Gemeinsamkeiten im Denken, Fühlen und Handeln, fördert Energieeinsatz, Qualitätsbewusstsein und Wohlbefinden. Mangel an Gemeinsamkeiten und Wir-Gefühl beeinträchtigt Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft. Kooperation, nicht Konkurrenz bewirkt Höchstleistungen. Nicht Kontrolle, sondern Förderung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollte zentrale Aufgabe der Führungskräfte sein.
Die Autorinnen und Autoren des Fehlzeiten-Reports 2016 sehen die Unternehmenskultur als ein immer wichtiger werdendes Führungsinstrument. Was unterscheidet eine gesunde von einer ungesunden Unternehmenskultur? Führungskräfte prägen die Unternehmenskultur entweder in Richtung einer Kultur der Angst und des Misstrauens oder aber in Richtung einer Kultur vertrauensvoller Kooperation. Führung und Kultur sind zwei Seiten einer Medaille. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind keine arbeitsunwilligen Mängelwesen oder bloße Kostenfaktoren so eine heute immer noch verbreitete Auffassung , sondern die zentrale Quelle der Wertschöpfung. Es kommt nicht nur auf die Ergebnisse an, sondern darauf, mit welchen biopsychosozialen Kosten (z.B. Schlafstörungen, Erschöpfung, Ängsten oder Hilflosigkeitsgefühlen) sie zustande kommen. Fehlzeiten und krankheitsbedingte Leistungsbeeinträchtigungen erzeugen zwischen 10 und 15 Prozent (prinzipiell) vermeidbarer Personalkosten.
Förderung einer Kultur vertrauensvoller Kooperation erleichtert die Findung und Bindung exzellenter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, fördert Gesundheit und Produktivität und reduziert Stress, Fehlzeiten und Fluktuation. Neben Qualifikation sind Gesundheit und Wohlbefinden entscheidend für die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft des Menschen.
Die digitale Revolution verstärkt den Trend in Richtung einer Kopfarbeitergesellschaft, in der hochqualifizierte Menschen ihren zunehmend selbstorganisierten Tätigkeiten mit viel Sozialkompetenz, Teamgeist sowie Bereitschaft zu flexibler Anpassung nachgehen. Damit einher geht ein zunehmend hoher Verbrauch an psychischer Energie für Problemlösung, Gefühlsregulierung und gelingende Kooperation. Jahrtausende lang haderten Menschen mit den Grenzen ihrer physischen Kräfte. Im 21. Jahrhundert werden sie mit den Grenzen ihrer psychischen Kräfte konfrontiert. Nichtbeachtung dieser Grenzen führt zu gesundheitlichen Schäden und einer damit verbundenen Minderung der Arbeitsfähigkeit. Die Arbeitswelt in Deutschland leidet, bedingt durch verbreitete allgemeine Müdigkeit, Mattigkeit und Erschöpfung (48,2%), Schlafstörungen (27,8%), Kopfschmerzen (35,3%), Nacken- (48,3%) und Rückenbeschwerden (47,4%) (siehe BMAS & BAUA 2016, 125), um nur einige besonders häufig auftretende psychogene Störungen zu nennen bedingt auch durch Bewegungsmangel und Fehlernährung , an vermeidbaren Produktivitätseinbußen und einem vermeidbaren vorzeitigen gesundheitlichen Verschleiß. In einer alternden Gesellschaft bewirkt dies ein zu erwartendes Mehr an Absentismus und Präsentismus, m. a. W. ein Mehr an Arbeitsausfall und Leistungsminderung.
Ausgewählte Ergebnisse des Fehlzeiten-Reports 2016:
1. Führung
AOK Bundesverband