Das in englischer Sprache verfasste Handbuch ist in zwei Bänden erschienen. Der erste trägt den Titel Properties und ist nicht Gegenstand der nachfolgenden Besprechung. Entsprechend dem Anspruch eines Handbuchs werden im Band 2 sehr unterschiedliche Themen behandelt, mit denen u. a. Chemiker, Ingenieure, Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmediziner angesprochen werden sollen. Das erste Kapitel mit der Nummer 13 widmet sich der Verwendung von Lösungsmitteln in unterschiedlichen Industriezweigen und in der Medizin. Es gibt einen sehr guten Überblick über die verschiedenen Applikationen. Die instruktiven und ausführlichen Beschreibungen der verschiedenen Arbeitsplätze können für Betriebsärzte, Sicherheitsfachkräfte und andere mit dem Arbeitsschutz befasste Personen interessant sein. Kapitel 14 befasst sich mit der Analytik. In Kapitel 15 werden Lösungsmittelrückstände in pharmazeutischen Produkten besprochen. Es ist schon erstaunlich, dass in diesem Kontext sehr niedriger akuter Expositionen akute Lösungsmitteleffekte wie Somnolenz und Koma (Seite 343) angesprochen werden. In Kapitel 16 werden verschiedene Umweltaspekte behandelt. Kapitel 17 widmet sich laut Titel der Konzentration von Lösungsmitteln in verschiedenen industriellen Bereichen. Auf Seite 461 wird behauptet, dass organische Lösungsmittel eine multiple chemical sensitivity MCS als neurologische Erkrankung verursachen könnten. Diese Behauptung entspricht nicht dem Stand der medizinischen Wissenschaft. Außerdem konstatieren die Autoren, dass organische Lösungsmittel neurologische Erkrankungen wie zum Beispiel eine Polyneuropathie verursachen könnten. In dieser allgemeinen Form ist die Feststellung der Autoren zumindest sehr irreführend. Im Kontext wird der Berufskrankheitenreport 1317 nicht angesprochen, der als pdf-Datei sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache von den Seiten der DGUV heruntergeladen werden kann und im Wesentlichen nach wie vor aktuell ist. Auf Seite 462 des Kapitels 17 werden Ergebnisse verschiedener Querschnittsstudien kurz vorgestellt, ohne aber dem Leser einen Hinweis zu geben, wie diese Ergebnisse zu interpretieren sind. In dem Kapitel können auch andere Ausführungen zu toxischen Effekten nicht überzeugen. Kapitel 18 beinhaltet die Regulierungen in Nordamerika und in Europa. Kapitel 19 widmet sich in Unterkapiteln der Toxikokinetik sowie unterschiedlichen toxischen Wirkungen von Lösungsmitteln. Die Tabelle 19.1.1 zur Hautresorption ist unvollständig und somit nicht eindeutig zu interpretieren. Die pränarkotischen Symptome (Seite 538) könnten präziser beschrieben sein. Die Tabelle 19.1.2 mit Beispielen von spezifischen Effekten ausgewählter Lösungsmittel weist mehrere fachliche Mängel auf. Beispielsweise wird als Wirkung von Methanol nur impaired vision angegeben. Auf Seite 539 wird irrtümlich behauptet: The allergic effects of solvents can also contribute to other diseases such as MCS, autoimmune diseases. Mit Interesse habe ich mit der Lektüre des Unterkapitels 19.7. Toxicity of environmental solvent exposure for brain, lung and heart begonnen. Leider fehlt eine klare Untergliederung hinsichtlich der einzelnen Organe. In Tabelle 19.7.3 werden verschiedene neurophysiologische Tests empfohlen. Berücksichtigt werden sollte vom Autor des Kapitels aber auch, dass etliche Tests von Faktoren wie der Motivation und Bildung der Probanden abhängen. Zudem ist der in der Tabelle nicht erklärte Color confusion index kein Test, sondern stellt ein aus dem Ergebnis eines Farbsehtests abgeleitetes Maß dar. Für den Betriebsarzt bleibt unklar, ob einzelne der angesprochenen Tests sinnvoll in die arbeitsmedizinische Vorsorge integriert werden können oder nicht. Das Kapitel 20 befasst sich mit sichereren Lösungsmitteln und Prozessen. Im Einzelnen handelt es sich um überkritische Flüssigkeiten, ionische Flüssigkeiten, stark eutektische Lösungsmittel sowie um Ethyllaktat. Inhalte des nachfolgenden Kapitels sind Recycling, Rückgewinnung sowie die photokatalytische Oxidation. Daran schließt sich ein Kapitel über den natürlichen Abbau chlorierter Lösungsmittel im Grundwasser an. Im Kapitel 23 werden Schutzhandschuhe und Atemschutz angesprochen. Vermisst habe ich konkrete Ausführungen zum Atemschutz bei einer Exposition gegenüber Niedrigsiedern, die für den Praktiker relevant wären. Im Kapitel 24 wird über künftige Trends bei verschiedenen Applikationen berichtet. Grundlage dieses lesenswerten Kapitels ist die Auswertung von Patenten.
Am Ende der Kapitel sind Literaturhinweise aufgeführt, allerdings fehlen die Titel der zitierten Publikationen. Das Werk ist von einer größeren Zahl von Autoren verfasst. Leider gibt es kein durchgängig eingehaltenes Konzept, nach dem die einzelnen Kapitel gegliedert sind. Für eine erneute Auflage wäre auch eine bessere inhaltliche Abstimmung zwischen einigen Autoren wünschenswert. Eine gründliche Überarbeitung der Ausführungen zur Humantoxikologie wird sehr empfohlen. Außerdem sollten alle in den Tabellen verwendeten Abkürzungen in Legenden erklärt werden.
Die Buchbesprechung habe ich unter einem arbeitsmedizinisch-toxikologischen Blickwinkel verfasst. Als Arzt bin ich nicht in der Lage, alle chemisch-technischen Aspekte kompetent zu beurteilen. Das Fazit ist zwiespältig. Einerseits enthält das Werk lesenswerte Arbeitsplatzanalysen, auch der Blick auf künftige Entwicklungen anhand publizierter Patente ist interessant und relevant. Andererseits weisen die Darstellungen der Krankheitsbilder einige Fehler auf, die von einem mit der Materie weniger vertrauten Leser möglicherweise nicht erkannt werden können. Auch ist die Auswahl der empfohlenen medizinischen Untersuchungsverfahren teilweise nicht nachvollziehbar und damit für den nicht fachkundigen Leser irreführend. Deshalb kann das Werk leider nicht uneingeschränkt empfohlen werden.
Prof. Dr. Axel Muttray