W. Weber, R. Blech
Zusammenfassung
Berufsbedingte Bleiintoxikationen bei Sanierungsarbeiten einer Brücke in Rheinland-Pfalz: Im Rahmen von Korrosionsschutzarbeiten mit Abstrahlen der alten Rostschutzfarbe an einer Brücke kam es aufgrund von erheblichen Mängeln des Arbeitsschutzes und der Arbeitshygiene zu deutlichen Bleistaubinkorporationen und Überschreitungen der Blutblei-Grenzwerte (von 2003/2004). Bei 14 Beschäftigten resultierten hieraus Beschäftigungsverbote. Für 15 Personen wurde der Verdacht einer Berufskrankheit (BK) nach Ziffer 1101 der gültigen BK-Liste ärztlich angezeigt, für 10 Personen ein arbeitsmedizinisch-toxikologisches Gutachten erstellt. Eine Berufskrankheit konnte hierbei bei nur einer Person bestätigt werden.
Stichworte: Korrosionsschutzarbeit Brückensanierung Arbeitsschutzmängel Bleibelastung Berufskrankheit
Summary
Occupational lead intoxication during redevelopment of a bridge in Rheinland-Pfalz: Because of signifikant deficiencies in industrial safety and hygiene at workplace high incorporation of lead dust occurred whilst removing old lead oxide paint from a bridge. Due to increased blood lead levels beyond the current threshold limits the employers concerned were removed from work. 15 cases of occupational lead disease were announced. Ten of these persons were more closely examined at university departments of occupational medicine. A disease No. 1101 of the list of occupational diseases was accepted at one person.
Key words: Abrasive blasting operation bridge redevelopment industrial safety deficiencies lead exposure occupational disease
Nach den gesetzlichen Bestimmungen ist bei Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige staatliche Stelle, in Rheinland-Pfalz der Staatliche Gewerbearzt im Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht, zu beteiligen. Wir erhielten insgesamt 15 ärztliche Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit nach Ziffer 1101 der gültigen Berufskrankheitenliste (Erkrankungen durch anorganische Bleiverbindungen). Erstattet wurden diese Anzeigen gemäß § 202 SGB VII durch den arbeitsmedizinischen Dienst im Rahmen der Betreuung von Sanierungsmaßnahmen (Abstrahl- u. Lackierarbeiten) an einer Brücke. Im Rahmen des Berufskrankheiten (BK)-Feststellungsverfahrens durch den zuständigen Unfallversicherungsträger wurden bei 10 Personen arbeitsmedizinisch-toxikologische Gutachten erstellt. 5 Versicherte lehnten eine Begutachtung ab.
Anhand uns vorliegender umfangreicher Ermittlungsergebnisse des Technischen Aufsichtsdienstes des Unfallversicherungsträgers ergab sich nachfolgender Sachverhalt:
Sachverhalt
Die Sanierungsarbeiten der Brücke begannen im Juli 2003. Sie umfassten Korrosionsschutzmaßnahmen, wobei u. a. die alten bleihaltigen Beschichtungen (Bleioxid/Mennige) mittels Strahlverfahren abgetragen wurden. Die Strahlarbeiten wurden auf einer fahrbaren Bühne unterhalb der Brücke in einem eingehausten Bereich durchgeführt, der durch eine Absauganlage zwangsbelüftet wurde. Abgetrennt vom eingehausten Strahlbereich stand eine druckluftbetriebene Recyclinganlage für das kontaminierte Strahlmittel.
Aus den Ermittlungsergebnissen und Befragungen der Arbeitnehmer durch die Berufsgenossenschaft sowie i. R. der gutachterlichen Untersuchungen seien beispielhaft einige relevante Arbeitsbedingungen wiedergegeben:
Ein AN (Arbeitnehmer) trug die ersten Tage kurze Hosen und T-Shirt, ein anderer 3 Wochen einen einfachen Blaumann (normale Arbeitskleidung). P2-Atemschutzmasken wurden nur teilweise benutzt. Es war Hochsommer. Am Arbeitsplatz wurde getrunken, weil es dort so staubig war.
Reinigungscontainer und Pausencontainer lagen 50 m auseinander unterhalb der Brücke. Hände und Gesicht wurden vor Einnahme der Mahlzeiten in den Pausen nicht immer gereinigt.
Strahlschutt, bestehend aus Strahlgut sowie Farbpartikeln, der sich auf dem Gerüst abgelagert hatte, wurde mit Besen zusammengekehrt.
Unterkunft und Waschmöglichkeiten standen lt. Aussage eines AN erst ca. zwei Wochen nach Beginn der Korrosionsschutzarbeiten zur Verfügung. Bis dahin konnten sich die Arbeiter nicht waschen!
Im September 2003 ordneten die Aufsichtsbehörden das Tragen von P3-Atemschutz an. Die Waschcontainer wurden näher am Pausenraum installiert. Ebenfalls mussten Einwegschutzanzüge verwendet werden. Trotz des verbesserten Arbeitsschutzes stiegen die Blutbleiwerte der Beschäftigten weiter an. Wegen deutlich überschrittener Grenzwerte mussten bei insgesamt 14 Arbeitnehmern ärztlicherseits gesundheitliche Bedenken für 3-6 Monate ausgesprochen werden (mit resultierenden Beschäftigungsverboten im bleiexponierten Bereich). Daraufhin kamen Air-Stream-Helme und Vollschutzanzüge zum Einsatz.
Die Druckluftversorgung für die Strahlgeräte und Belüftung der Strahlerhelme erfolgte durch einen gemeinsamen Kompressor, der unterhalb der Brücke und damit im Bereich des herabrieselnden Strahlgutes stand. Dadurch konnte kontaminierte Luft angesaugt werden.
Der technische Aufsichtsbeamte der zuständigen Berufsgenossenschaft gab eine eindeutige Beurteilung zu den Arbeitsbedingungen ab: Die Gesamtsituation für das Baustellenpersonal war hinsichtlich des Arbeitsschutzes nicht genügend. Die hygienischen Verhältnisse wurden vernachlässigt, Schutzmaßnahmen konnten aufgrund mangelnder Baustellenorganisation nicht wirksam werden.
In der Luft
Im August und September 2003 erfolgten durch die Berufsgenossenschaft Messungen der Bleikonzentration in der Luft bei der Ausführung verschiedener Tätigkeiten.
Konkret wurde gemessen:
beim Abstrahlen der bleihaltigen Altbeschichtung
beim Nachstrahlen der Flächen zur Flugrostentfernung
zum Erfassen der Exposition beim Räumen des Strahlschuttes
bei der Strahlschuttentsorgung am Boden
beim Strahlschuttrecycling
unter dem Strahlerschutzhelm bei Strahlarbeiten
Bei dem damaligen Blei-Luftgrenzwert (MAK-Wert) von 0,1 mg/m3 ergaben sich Grenzwertüberschreitungen vom 670- bis 1600-fachen bei Abstrahlarbeiten, vom 360-fachen MAK-Wert beim Nachstrahlen, vom 140-fachen beim Recycling. Auch unter dem Strahlerschutzhelm ergab sich eine 3-fache Grenzwertüberschreitung1.
Im Blut
Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Betreuung erfolgte bei allen Arbeitnehmern vor Aufnahme der Tätigkeiten ein Biomonitoring, wobei die Blut-Bleiwerte sich im Rahmen der normalen Umweltbelastung (unter 120 g/l)2 bewegten. Zur Überwachung wurden engmaschig in 23-wöchigem Abstand Blut-Bleikontrollen vom Betriebsarzt durchgeführt. Hierbei ergaben sich bei 15 männlichen Personen im Verlauf des Biomonitoring Spitzenwerte von:
1300 mg/l Pb, 1180 mg/l Pb, 1160 mg/l Pb, 1070 mg/l Pb, 984 mg/l Pb, 902 mg/l Pb, 902 mg/l Pb, 884 mg/l Pb, 868 mg/l Pb, 826 mg/l Pb, 594 mg/l Pb, 524 mg/l Pb, 505 mg/l Pb, 502 mg/l Pb, und 396 mg/l Pb.
Der Blutbleispiegel gilt als spezifischer Biomarker, um die innere Bleibelastung zu objektivieren und die daraus resultierende gesundheitliche Gefährdung zu beurteilen. Bei Einhaltung des Grenzwertes (2003/2004 von 400 mg Blei/l Blut) wird davon ausgegangen, dass die Gesundheit der Beschäftigten im Allgemeinen nicht beeinträchtigt wird1. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse führten im Jahr 2000 dazu, dass der davor bestehende Grenzwert für männliche Personen von 700 mg/l Pb im Blut auf 400 mg/l Pb im Blut gesenkt wurde3.
Symptomatik
In epidemiologischen Studien wurden neuropsychologische Veränderungen bei einem Blutbleispiegel >400 mg/l gefunden: Es ließen sich Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, der Aufmerksamkeits- und Zuordnungsleistungen und der Sensomotorik für die Fingergeschicklichkeit nachweisen4. Subjektive Symptome treten typischerweise erst ab Blutkonzentrationen von >500 mg/l auf. Hierzu können allgemeine Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Reizbarkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Schwächegefühl in den Gliedern sowie Obstipation und andere Magen-Darm-Störungen, später sogar Koliken mit Obstipation, Brechreiz, Erbrechen, gelegentlich Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür gehören. Arbeitsmedizinisch lange bekannt sind als Auswirkungen einer Bleiexposition5 Veränderungen des Blutbildes (Tüpfelzellen, Abfall des Hämoglobins) und eine erhöhte Ausscheidung typischer Parameter (Koproporphyrin, Delta-Aminolävulinsäure) im Urin i. d. R. bei Konzentrationen ab 700800 mg Blei/l Blut. Die klassische Bleivergiftung mit Magen- und Darmkoliken ist erst bei Bleibelastungen von mehr als 1000 mg/l zu erwarten6. Die Lähmung peripherer motorischer Nerven, Nierenfunktionsstörungen oder eine toxische Encephalopathie treten in der Regel erst bei noch höheren Blutbleikonzentrationen auf.
Bei der Erhebung der Anamnese (Krankengeschichte) im Rahmen der jetzigen gutachterlichen Untersuchungen fanden sich typische Symptome wie außergewöhnliche Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Schwindel, Appetitlosigkeit und Magen-Darm-Störungen bei den meisten Personen. Bei Wenigen waren keine einschlägigen Beschwerden zu erheben. Da sich die Gesundheitsstörungen nach Beendigung der Bleiexposition zurückbildeten7 und es sich bis auf einen Fall um eine insgesamt nur kurze Beschäftigung im bleibelasteten Bereich handelte, wurde eine Berufskrankheit versicherungsrechtlich bei 9 von den 10 Begutachteten nicht anerkannt.
Ein Fall konnte als Berufskrankheit im Rahmen einer universitären arbeitsmedizinisch-toxikologischen Untersuchung hinreichend wahrscheinlich gemacht werden:
Dieser 1971 geborene Arbeiter war seit 1994 regelmäßig mit Korrosionsschutzarbeiten betraut und rezidivierend gegenüber Bleistäuben exponiert. In der Vergangenheit wurden bei ihm seit 2001 mehrfach erhöhte Blutbleispiegel (ca. 500900 mg/l) dokumentiert, ähnlich wie beim jetzigen Einsatz (515908 mg/l). Klinisch lagen abnorme Müdigkeit, Kopfschmerzen, Lustlosigkeit, Schwindel, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust ca. 10 kg, Blässe sowie Kraftlosigkeit in Armen und Beinen vor. Labortechnisch fiel eine verminderte Retikulozytenproduktion auf (Rel-Retikuloztytenzahl 0,60 bei Normwert 0,92,3 %). Der Blutbleispiegel betrug zum Begutachtungszeitpunkt 01/2004 immer noch 480 mg/l. Nach Expositionsende wieder Appetit und Gewichtszunahme, Rückgang der übrigen Beschwerdesymptomatik.
Nach Eingreifen der zuständigen Regionalstelle der Gewerbeaufsicht konnten die aus gewerbeärztlicher Sicht unhaltbaren Arbeitsbedingungen und Gesundheitsgefährdungen im Wege des Anordnungsverfahrens im Januar 2004 definitiv abgestellt werden. Zu den Maßnahmen gehörten u. a. das Einrichten eines vollständigen Schwarz-Weiß-Bereichs, bestehend aus mindestens drei Räumen, für Strahlarbeiten wasserdichte Strahlerschutzanzüge und Strahlhelme, für das Abräumen von Schutt Chemikalien-Schutzanzüge Klasse 2 gemäß BGR 189, ersatzweise geeignete Airstream-Helme mit Fremdbelüftung und Luftvorwärmung sowie Betriebsanweisungen und Unterweisungen zur Benutzung, Reinigung und Aufbewahrung der Schutzanzüge. Daneben Anweisungen zum Hygieneverhalten am Arbeitsplatz (Rauchverbot, Getränke-Nahrungsmittelverbot), zur Kontrolle der einwandfreien Funktionsfähigkeit der Zuluftfilter für die Atemschutzgeräte und die Abluftfilter der Absauganlage.
Durch die angeordneten Maßnahmen konnte in Verbindung mit deren Überwachung und betriebsärztlicher Begleitung die Einhaltung der Grenzwerte erreicht werden.
Fazit
Auch heute können, insbesondere an nicht-permanenten Arbeitsplätzen, aufgrund mangelhafter Arbeitssicherheits- und -hygienevorkehrungen noch gesundheitsrelevante Arbeitsbelastungen auch durch so klassische Arbeitsstoffe wie anorganisches Blei auftreten. Durch Veranlassung geeigneter Arbeitsschutzbedingungen sind solche Belastungen vermeidbar.
Literatur
1. Deutsche Forschungsgesellschaft: MAK- u. BAT-Werte-Liste 2003/2004. VCH Verlagsgesellschaft, Weinheim, 2003/2004
2. Krause, C., Babisch, W., Becker, K., Berningau, W., Helm, D et. a.: Umwelt Survey 1990/92 Band 1a: Studienbeschreibung und Human-Biomonitoring: Deskription der Spurenelementgehalte im Blut und Urin der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland 1990/92, WaBoLu-Hefte, Berlin 1996
3. Greim, H., Lehnert, G. (Hrsg.): Biologische Arbeitsstoff-Toleranz-Werte (BAT-Werte) und Expositionsäquivalente für krebserzeugende Arbeitsstoffe (EKA), 10. Lieferung, Blei, Wiley-VCH Verlag GmbH, Weinheim, 2001
4. Meyer-Baron, M., Seeber, A.: A meta-analysis for neurobehavioural results due to occopational lead exposure with blood lead concentrations, 70 mg/100 ml. Arch. Toxicol. 73, 510518, 2000.
5. Lehnert, G: Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen. In: Valentin, H., Lehnert, G., Petry, H., Weber, G., Wittgens, H., Woitowitz, H.J., (Hrsg.): Lehrbuch Arbeitsmedizin, Bd. 2 Berufskrankheiten. Thieme Verlag, Stuttgart 1984
6. Schiele, R.: BK 1101: Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen. In: Triebig, G., Kentner, M., Schiele, R. (Hrsg.): Arbeitsmedizin Handbuch für Theorie und Praxis. Gentner Verlag, Stuttgart, 2003
7. Schulz, M., Draht, Ch., Ihrig, A., Triebig, G.: Zur Frage einer Bleiintoxikation als Berufskrankheit bei Korrosionsschutzarbeitern. Arbeitsmed. Sozialmed. Umweltmed. 40, I, 2005
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Wolfgang Weber Facharzt für Arbeitsmedizin im Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht Tel: (0 61 31) 60 33-13 09 55116 Mainz Kaiser-Friedrich-Str. 7 Staatlicher Gewerbearzt für Rheinland-Pfalz Fax: (0 61 31) 60 33-1 43 29 68 e-