ßbertragung der Tuberkulose
Die Erreger der Tuberkulose (TB) werden ganz überwiegend auf dem Wege einer Tröpfcheninfektion übertragen. Bei einem Hustenstoß eines an offener TB (s.u.) Erkrankten werden Tröpfchen unterschiedlicher Größe freigesetzt. Die Tröpfchengröße spielt bei der ßbertragung eine entscheidende Rolle. Zu große Tröpfchen können a) sich nicht längere Zeit schwebend in der Raumluft halten und b) nicht in die Alveolen vordringen; es können aber nur bis in die Alveolen vorgedrungene Tuberkuloseerreger zur Infektion führen1. Die “optimale” alveolengängige Tröpfchengröße liegt bei 1″5 µm1, 3. Tröpfchen dieser Größe entstehen primär, oder durch Verdunstung aus größeren Tropfen; sie werden deshalb Tröpfchen-Kerne (droplet nuclei) genannt. Tröpfchen-Kerne können jeweils nur einen oder einige wenige Erreger beinhalten.
Es folgt, dass besonders Personen von der Ansteckung bedroht sind, die sich im selben Raum mit einer an offener Tuberkulose (s.u.) erkrankten Person aufhalten2 und die Tröpfchenkerne inhalieren. Nur durch ungünstige Luftführung (aus dem Krankenzimmer heraus) wären auch Personen auf Fluren und in Nachbarzimmern gefährdet.1
Zusätzlich sind auch Tätigkeiten, bei denen es zu intensivem Kontakt mit erregerhaltigen Sekreten kommt, als stark gefährdend anzusehen: erste Hilfe (z. B. mit Mund-zu-Mund-Beatmung / Intubation), Bronchoskopie (unkontrollierte Sekretverbreitung durch Instrumentierung im Arbeitskanal und Aerosolbildung durch Absaugung, geringer Abstand zum Patienten etc.), Sputuminduktion8. Ein besonderes Problem resultiert aus Sektionstätigkeiten z. B. in der Pathologie oder Rechtsmedizin. Ob hier das Eröffnen von Körperhöhlen mit Aerosolbildung, Spritzer stark erregerhaltigen Sekretes beim Anschneiden befallener Organe, “sorglose” Arbeitsweise oder Umherspritzen von kontaminierten Tröpfchen beim Abstreifen der Gummihandschuhe nach der Arbeit die hauptsächlichen ßbertragungswege sind, ist ungeklärt. Beim ßffnen von Probenröhrchen mit tuberkulösem Material kann es unter ungünstigen Umständen auch zur Bildung eines Aerosols kommen.
Infektionsquellen
Im Normalfall hängt die Ansteckungswahrscheinlichkeit von der Konzentration der Erreger in der Raumluft ab, diese wiederum von der Menge der ausgeschiedenen Erreger durch den Patienten und von der Zeit, in der sich Menschen in der so kontaminierten Luft aufhalten.
Als Ansteckungsquelle kommen hauptsächlich Patienten in Betracht, die eine “offene Tuberkulose” haben. Bei ihnen können im Sputum, Magensaft oder in Material aus einer bronchio-alveolären Lavage (BAL) Tuberkulosebakterien nachgewiesen werden.
Besonders infektiös sind Patienten, bei denen schon in der mikroskopischen Untersuchung “säurefeste Stäbchen” zu erkennen sind. Prinzipiell müssen aber auch Patienten, bei denen der Erregernachweis nur durch die bakterielle Kultur gelang, als ansteckend angesehen werden, wenn auch als weitaus geringer. Unter einer effizienten antituberkulotischen Therapie nimmt die Infektiosität in der Regel bereits innerhalb weniger Tage deutlich ab, da die Erregerzahl reduziert wird und sich die Therapie auch positiv auf die Hustenfrequenz auswirkt. Daneben kann es in der Pathologie und Rechtsmedizin, aber auch in der Chirurgie zu “offenen Tuberkulosen” kommen, wenn abgekapselte tuberkulöse Herde in Organen eröffnet werden. Schnitt-/ Stichverletzungen mit kontaminierten Instrumenten bilden hier einen weiteren ßbertragungsweg; in diesem Fall ist die Entstehung einer primären Haut-Tuberkulose möglich.
Normalerweise kommt es durch kontaminierte Gegenstände nicht zur Ansteckung mit Tuberkulose. Erregerhaltige Ausscheidungen wie Urin, Eiter etc. stellen keine Infektionsgefahr dar, solange ein ordnungsgemäßer Umgang gesichert ist und die Aerosolbildung vermieden wird3, 7.
Primärtuberkulose und latente tuberkulöse Infektion (LTBI)
Wenn tuberkulöse Mykobakterien den Alveolarraum erreichen, können sie sich dort (in Alveolarmakrophagen) vermehren und eine lokale Entzündung verursachen, die meist nahe an der Pleura gelegen ist (Ghon”scher Herd). Häufig wird auch ein Hiluslymphknoten mit befallen und es entsteht ein (Ranke”scher) Primärkomplex. In der Regel erkranken 90 “ 95% der so infizierten Menschen nicht. Das Erkrankungsrisiko ist abhängig von der Stärke der Tuberkulinreaktion und nimmt mit zunehmendem Alter ab12. Die Primär-Tuberkulose bleibt in den meisten Fällen unentdeckt9. Bei den “primär infizierten” Personen bleiben gleichwohl vitale Tuberkelbakterien in der Lunge zurück, die später zur Reaktivierung der Tuberkulose führen können; die (meistens unbemerkte) Primärtuberkulose ist in eine sog. “Latente Tuberkulöse Infektion” (LTBI) übergegangen4, 9.
Ob und ggf. wann eine LTBI reaktiviert wird und in das sogenannte postprimäre aktive Stadium übergeht, lässt sich schwer vorhersagen. Die Hälfte der aktiven und sofort behandlungsbedürftigen Tuberkulosen manifestieren sich jedoch innerhalb von zwei Jahren nach Infektion4.
Ziel der arbeitsmedizinischen / betrieblichen Umgebungsuntersuchung
Durch die Umgebungsuntersuchung sollen Menschen erkannt werden, die sich durch ihre berufliche Tätigkeit angesteckt haben, um ihnen bei LTBI entweder die Möglichkeit einer Chemoprävention zu bieten oder frühzeitig das Auftreten einer aktiven behandlungsbedürftigen Tuberkulose aufzudecken. Die Ansteckung ist als erstes durch eine Konversion des Tuberkulin-Hauttestes festzustellen, der etwa 6 “ 8 Wochen (Schwankungsbereich 2 “ 12 Wochen) nach Ansteckung positiv wird2, 5. Wird ein zuvor negativer Hauttest innerhalb von zwei Jahren positiv oder kommt es zu einer Zunahme des Indurationsdurchmessers um > 10 mm, so wird dies als Konversion gewertet5. Zur Durchführung und Bewertung des Tuberkulin-Hauttestes siehe Leitlinie zur Tuberkulintestung bei Beschäftigten der Charitß©. Bei direktem Kontakt zu Patienten mit offener Tuberkulose ist eine Induration von 5 mm als positiv anzusehen.
(Anmerkung: in den Schriften des DZK werden die jeweiligen Grenzen als “>” (größer) X mm definiert. Hier soll jedoch an “>” (größer/gleich) festgehalten werden, da es dem internatonalen Gebrauch, insbesondere den Schriften der ATS entspricht und der Unterschied marginal ist.)
Da bei einem kleinen Teil der Infizierten (abhängig von Alter und Reaktionsstärke ca. 2″13%) die Primärtuberkulose direkt in das postprimäre Stadium einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose fortschreitet, müssen bei positivem Ausfall des Tuberkulin-Hauttestes radiologische Untersuchungen der Lunge folgen s.u.
Die Konversion des Hauttestes nach Exposition, ohne klinische oder radiologische Hinweise für eine akute behandlungsbedürftige TB, zeigt das Vorliegen einer latenten tuberkulösen Infektion (LTBI) an4, 9 und sollte folgende Konsequenzen haben:
1. Anzeige auf Verdacht einer Berufserkrankung mit der Nr. 3101 11
2. Beratung und ggf. ßberweisung zur chemopräventiven Behandlung 4
Risikobereiche im Krankenhaus und arbeitsmedizinische Vorsorge
Der zuständige Unfallversicherungsträger der Charitß©, die Unfallkasse Berlin, hat in einem Rundschreiben (10) Gefährdungsbereiche im Krankenhaus definiert; die in der folgenden Tabelle wiedergegeben werden:
Alle Beschäftigten, die einer Infektionsgefährdung ausgesetzt sind, werden auf der Grundlage der Biostoff-Verordnung in Verbindung mit dem berufsgenossenschaftlichen Grundsatz 42 für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen (G 42, Tätigkeiten mit Infektionsgefährdung) vor Aufnahme der Tätigkeit, nach 12 Monaten und danach in regelmäßigen Abständen (maximal 3-jährigen Abständen) arbeitsmedizinisch untersucht. Bei Personen, die in Bereichen der Kategorien A und B arbeiten, findet zusätzlich auch der spezielle Teil 37 (Tuberkulose) des G 42 Anwendung. Deshalb wird schon bei Beginn der Beschäftigung ein Tuberkulin-Hauttest angelegt, sowie zu jeder Wiedervorstellung. Ist der Hauttest positiv, erfolgt jeweils eine Röntgenuntersuchung des Thorax. Für Personen, die im Bereich C arbeiten, trifft oben Gesagtes nach individueller Gefährdungsbeurteilung ggf. auch zu.
Die hier genannten Personen befinden sich quasi in kontinuierlicher TB-ßberwachung und müssen deshalb im Falle eines Kontaktes mit einem TB-Patienten normalerweise nicht in eine Umgebungsuntersuchung einbezogen werden, weil dies zu einer unangemessen hohen Belastung durch fortwährende Testungen bzw. Röntgenuntersuchungen führen würde. Ausnahmen bei einer bestimmten, z.B. extrem hohen Exposition, oder Exposition gegenüber einer resistenten Tuberkulose, oder bei Vorliegen klinischer Symptome sind denkbar.
Leitlinie
Umgebungsuntersuchung
Liste der Kontaktpersonen
Nach Kontakt zu einem Patienten mit offener Tuberkulose sollen alle Kontaktpersonen, die zu den o.g. Kategorien C und D gehören, auf einer Liste erfasst werden. Wie oben schon ausführlich dargelegt hängt das Risiko einer Ansteckung maßgeblich ab von:
1. Menge der Tuberkulosebakterien im Sputum des Patienten (Kontagiosität)
2. Hustenfrequenz, Patientenverhalten und Behandlungsstatus
3. Zeitdauer des Aufenthaltes in der kontaminierten Luft
Da diese Informationen häufig nicht verfügbar sind, soll folgende praktikable Reglung gelten:
Alle Personen (der Kategorie C & D), die sich mit einem ansteckungsfähigen Patienten in einem Raum aufgehalten haben, sollen auf der Liste der Kontaktpersonen erfasst werden. Diese Liste wird dem zuständigen Gesundheitsamt zugeleitet.
Patienten, die eine geschlossene Tuberkulose haben und deshalb keine Erreger ausscheiden, z.B. tuberkulöse Pleuritis, tuberkulöse Meningitis etc., gelten nicht als ansteckend und der Kontakt zu ihnen bedarf keiner nachfolgenden Umgebungsuntersuchung.
Umgebungsuntersuchung
Die Ermittlung und weitere Kontrolle von Kontaktpersonen eines TB-Kranken ist eigentlich Aufgabe des zuständigen Gesundheitsamtes, bzw. der dortigen Tuberkulose-Fürsorgestelle. Die Delegierung dieser staatlichen Aufgabe an das AMZ liegt jedoch auch im Interesse des Hauses und dient dem bestmöglichen Gesundheitsschutz vor Ort. So können also die Beschäftigten der Charitß© aufgrund entsprechender Vereinbarungen auch vom Arbeitsmedizinischen Zentrum betreut werden:
“¢ Zwei bis drei Monate nach dem letzten möglichen Infektionstermin wird bei der exponierten Person ein Tuberkulin-Hauttest nach der Methode Mendel-Mantoux (Stärke GT 10 Testeinheiten) angelegt. Falls aus versicherungsrechtlichen Gründen eine Tuberkulin-Konversion bewiesen werden soll, müsste binnen 2 Wochen nach dem frühestmöglichen Kontakt ein erster Hauttest durchgeführt werden. So kann die Tuberkulin-Sensibilisierung, welche dem Zustand vor TB-Kontakt entspricht, dokumentiert werden. Für Details wird auf die Leitlinie zur Tuberkulintestung des AMZ verwiesen.
“¢ Wenn ein Hauttest, der wenigstens 12 Wochen nach der letzten Ansteckungsmöglichkeit angelegt wurde, negativ ausfällt, dann kann die Umgebungsuntersuchung in diesem Falle beendet werden.
Sollte der Hauttest eine Induration von > 5 mm* aufweisen, wird er als “positiv” bewertet. Es folgt eine Röntgenuntersuchung des Thorax (in 2 Ebenen). Bei TB-verdächtigen Befunden erfolgt die sofortige fachärztliche Weiterbehandlung. (* s. Anmerkung S. 2)
“¢ Ist anamnestisch ein positiver Mendel-Mantoux-Hauttest bekannt, oder bereits der erste Hauttest positiv, dann findet direkt eine Röntgen-Untersuchung der Lunge statt.
“¢ Wenn möglich, besonders jedoch bei Kontakt zu Patienten mit mikroskopischem Nachweis von Tuberkulosebakterien im Sputum (diese Patienten gelten als besonders ansteckend), wird 6″9 Monate nach dem letzten Kontakt eine weitere Untersuchung (ärztliche Untersuchung, ggf. Mendel-Mantoux-Test) und ggf. ein Rö-Thorax durchgeführt. Ist der Hauttest immer noch negativ, bzw. der Rö-Thorax unauffällig, ist die Umgebungsuntersuchung damit beendet (ggf. jedoch Beratung zur Chemoprävention und BK-Meldung!).
“¢ Weitergehende Untersuchungen sind immer dann angezeigt, wenn klinische Symptome und Beschwerden auf das Vorliegen einer Tuberkulose hindeuten. Hierbei spielt der zeitliche Abstand zu einer möglichen Infektion keine Rolle.
Literatur
1 Institutional control measures in the era of multiple drug resistance. Chest 1995; 108: 1690-1710 (Konsensuspapier von ACCP und ATS)
2 Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK): Richtlinien für die Umgebungsuntersuchung bei Tuberkulose. Nachdruck (1997) aus: Gesundheitswesen 58 (1996) 657-665, Georg Thieme Verlag Stuttgart “ New York.Sonderdruck zu beziehen über DZK
3 Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK): Empfehlungen zur Anwendung von Atemschutzmasken bei Tuberkulose. Pneumologie 2004; 58: 92-102)
5 Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK): Richtlinien zur Tuberkulindiagnostik. Deutsches ßrzteblatt 1996, Jahrgang 93 Heft 18: 1199-1201
6 Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK): Empfehlungen zur Infektionsverhütung bei Tuberkulose. Herausgeber: DZK 1996
7 Charitß©: Institut für Hygiene und Umweltmedizin: Leitfaden der Krankenhaushygiene. Zu erreichen als pdf-Datei via Charitß©-Intranet (http://www.charite.de/krankenhaushygiene/intranet/leitfaden_hygiene.htm)
8 Tuberkulose am Arbeitsplatz, Gefährdung und Prävention. Schweizerische Versicherungsanstalt (SUVA), Abt. Arbeitsmedizin, Postfach, CH 6002 Luzern: 2. Auflage 2001
9 American Thoracic Society (ATS): Diagnostic Standards and Classification of Tuberculosis in Adults and Children. Am J Respir Crit Care Med, 2000; Vol 161: 1376-1395
10 Unfallkasse Berlin: Tuberkulose bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst;. Anlage: Gefährdungsbeurteilung, arbeitsmedizi-nische Vorsorge, BK-Meldung “ Handlungshilfe für Betriebsärzte. Rundschreiben vom 19.8.2004
11 Nienhaus A, Brandenburg S, Teschler H (2003): Tuberkulose als Berufskrankheit, ein Leitfaden zur Begutachtung. ecomed “ medizin (zu beziehen durch: Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, BGW)
12 Horsburgh CR. Priorities for the Treatment of Latent Tuberculosis Infection in the United States. N Engl J Med 2004; 350/20: 2060-2067
13 Poulsen A. Some Clinical Features of Tuberculosis. Acta Tuberc Scand. 1954; 24: 311-346
Anschrift des Verfassers:
U. Poggensee
Arbeitsmedizinisches Zentrum der Charitß©, Berlin
Campus Virchow Klinikum (CVK)
Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin-Wedding